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Der Brief ist geschrieben, das Medaillon ist fortgeschickt. Viele Mühe hat mir dieser Brief gemacht. Nun, ich schreibe selten Briefe. Aber dieser Brief durfte nichts von Traurigkeit enthalten, es hat seinen Grund, er durfte auch nichts von Fröhlichkeit enthalten, es hat seinen Grund. So schrieb ich von Pazzo. Daß Pazzo sich verlaufen gehabt hätte, sechs Wochen strolchte er umher, aber jetzt wäre er hier. Aber er sei krank und verstört. Zuweilen knurre er sogar, wenn man ihn streichle, mürrisch sei er wie ein rechter Kranker. Er habe Falten zwischen den Augen bekommen, ein wirkliches griesgrämiges Gesicht. Aber ich hoffe, daß es nun bald eine Wendung zum guten nehme mit Pazzo. Und nun viele Grüße, viele, viele Grüße an euch, ihr lieben Freunde.
Ja, bei Gott, was sollte ich auch anderes schreiben? Der Brief ist geschrieben, das Medaillon ist fortgeschickt. Gerne hätte ich es behalten. Ich sah es mir gut an, bevor ich es einpackte. Ingeborg hatte Karl, hatte Gespräche und Lachen, ich hatte – nun, Ingeborg brauchte es. Gut.
Ich behielt nun nur noch ein kleines Väschen aus grünem Glase von Ingeborg zurück. Alles andere war eingeschlossen worden in Ingeborgs Gemächer. Diese Gemächer waren verschlossen für immer und die Schlüssel lagen in einem Schranke alter Kleider.
Ein neues Leben mußte begonnen werden!
Aber das grüne Väschen hatte ich zurückbehalten. Es stand auf dem Flügel und ich sah es an, so oft ich vorüberging. Es hatte Form und Farbe einer unreifen Zitrone, goldne Reifchen am Rande. Es war körnig wie rauhes Eis.
Die Tage gingen.
Ich dachte, daß vielleicht bald wieder ein Brief von Ingeborg käme. Ich habe deinen Brief und das Medaillon erhalten, so würde Ingeborg wohl schreiben. Ich saß in meinem Zimmer und blätterte in den Mappen, vielleicht kam der Brief, oder ich ging in den Wald und wenn ich zurückkehrte, lag der Brief da. Man konnte es nicht wissen.
Die Tage gingen. Trübe Tage. Der Wind heulte und warf schmutzige Blätter gegen die Scheiben, daß sie kleben blieben. Alles welke Laub kam aus den Wäldern auf der Wiese vor dem Fenster zusammen und führte Tänze auf. Es war eine hohe, wirbelnde Säule, die tanzte, sie tanzte in den Wald hinein. Die Bäume standen kahl und man sah plötzlich den Turm der Dorfkirche zwischen den Ästen. Die Herbstzeitlosen waren verwelkt und verfault, es gab keine Blumen mehr.
Eine große schwarze Krähe wiegte sich auf dem obersten Zweig einer Buche, der blaue Rauch kleiner Feuer stieg aus dem Walde.
Schwere Wolken schleppten sich über die Berge, sie blieben in den Wipfeln hängen und zuweilen regnete es Tag und Nacht in Strömen, so daß man glaubte, das Schloß würde fortschwimmen.
Oft trat die alte Maria ins Zimmer. Ich sah auf ihre Hände. Sie hielten ein Tablett, einen Teller für Pazzo, einen Schlüsselbund.
Nur Geduld, Geduld. Ingeborg hat viel zu tun. Sie schrieb es ja. Mein Tag ist ausgefüllt mit Gesangstudien. Ich habe einen sehr talentvollen Lehrer, den Komponisten Holger Hunt, er ist ein Bekannter von Karl. Gegenwärtig komponiert er eine Oper, Merlin heißt sie. Er ist sehr streng und ich muß viel arbeiten.
Einmal aber würde sie schon Zeit finden.
Ich verbrachte meine Tage in der Bibliothek. Ich hatte viel zu lernen, es gab der Wunder unzählige in den Büchern.
»Pazzo was ist mit dir?«
Pazzo liegt auf der Decke vor dem Kamin und öffnet die Augen. Er ist krank und ein starrer, gläserner Ausdruck liegt in seinem Blick. Er frißt fast nichts und ist schrecklich mager geworden. Und nun ist er so schwach, daß er kaum mit den Ohren zucken und den Schwanz bewegen kann.
Wenn ich ihn berührte, so sträubten sich die Haare auf seinem Rücken und er knurrte mürrisch. Niemand durfte in seine Nähe kommen und er fraß nur aus meiner Hand. Kam eine Dienerin, um Holz in den Kamin zu legen, so blies er zornig durch die Nüstern und zeigte die Zähne.
Der Zustand des Tieres machte mir große Sorge. Aber wiederum zerstreute mich die Pflege des Hundes und ich pflegte ihn, wie eine Mutter ihr Kind pflegt.
»Es wird schon gehen, nur Mut, Pazzo!« sagte ich und kauerte auf dem Boden vor ihm. »Nur Mut, mein Liebling!«
Aber es ging nicht besser, nichts wollte helfen, und in einer stürmischen Nacht erhob sich Pazzo plötzlich und schlug laut an. Es war ein heiseres Kläffen, wild und hungerig.
Ich saß am Schreibtisch und las. Ich las in der Bibel, die Geschichte der herrlichen Esther, der Königin. Neben mir stand der Leuchter und mein Schatten fiel groß und phantastisch an die Wand.
Vielleicht hatte der Schatten Pazzo erschreckt, oder das Klappern der Zweige vor dem Fenster.
Und ich beruhigte Pazzo, indem ich freundlich auf ihn einsprach.
Aber Pazzo bellte abermals, scharf und feindselig, und dieser Laut war so fremdartig und entsetzlich, daß es mir kalt über den Rücken rieselte.
»Ruhe, Pazzo!« rief ich.
Pazzo stand mager auf hohen, dünnen Beinen und seine Haare waren gesträubt. Seine Augen funkelten grün und gelb, wie die Augen von Katzen, denen man in dunkelen Gassen begegnet. Geifer hing aus seinem Munde und tropfte auf den Boden.
Das war .....
Sobald ich mich bewegte, zog er die Nase in die Höhe, so daß der Oberkiefer blinkte. Er fauchte wie eine Katze.
Nun ist Pazzo toll geworden! dachte ich und der Schmerz wollte mich überwältigen. Es kam so plötzlich! Ich hatte Mühe mich zurückzuhalten und mich nicht vor dem Hunde niederzuwerfen und ihn zu umschlingen.
Da kam Pazzo gesenkten Hauptes, die Augen stechend wie Brillanten, auf mich zu. Es mußte sein.
Ich nahm das Buch vom Schreibtisch und schleuderte es ihm mit aller Gewalt an den Kopf. Pazzo sprang zurück und kläffte, daß es hallte.
Dann tat ich es. Ich nahm den Revolver aus dem Schubfache.
»Komm Pazzo, mein Liebling!« sagte ich und zielte auf Pazzos Stirne. Die Tränen trübten meinen Blick.
Ich schoß, Pazzo sprang zur Seite, wankte und fiel zusammen. Er bekam noch eine Kugel durchs Ohr. Er zuckte, spreizte die Beine und bog den Kopf zurück. Er war tot, seine Augen starrten gläsern auf die Quaste eines Sessels, die baumelte. –
Das waren die Augen, die Ingeborg zuletzt gesehen hatten ...
Eine Stimme im Hause schrie und kreischte. Ein Laufen in den Gängen. Dann kamen einige Mägde ins Zimmer gestürzt, dürftig gekleidet, ohne anzuklopfen. Sie starrten mich wie versteinert an.
»Tragt ihn hinaus,« sagte ich, »verscharrt ihn.«
Sie nahmen Pazzos Körper und schleppten ihn aus dem Zimmer. Sein Kopf hing nach unten und er starrte mich an, bis er in der Türe verschwand. –
Er war ein solch schönes und treues Tier, so klug, liebenswürdig, höflich. Er hatte solch klare, vergnügte Augen, sein Fell war so weiß und weich. Und die Sprünge, die er machen konnte! Er schwebte in der Luft, flog, und er konnte sausen, daß seine Ohren wie weiße Fähnlein flatterten. Er hatte ein paar schwarze Kleckse an der linken Flanke – als habe jemand ein Tintenfaß nach ihm geworfen, so sagte Ingeborg. Er war so dankbar, bei einem Worte, da leuchteten seine Augen, und bei zwei Worten, da tanzte er, und bei drei Worten, da legte er sich einem zu Füßen und schlug mit dem Schwanze. – – –
Nun war ich allein. Tag für Tag, Nacht für Nacht.
Das Leben war nicht leicht zu ertragen.
Ich schüttelte den Kopf und lächelte: Welch ein Winter! Ich mußte viel an Hermann Ecke denken, den Herrn auf Entenweiher, den Eva verließ.
Vielleicht hat Hermann Ecke auch einen Hund gehabt, der toll wurde? Nun kannte ich Hermann Ecke genau. Ja, ich sah ihn vor mir.
So, so, ja so sieht er aus! – Wenn du einem begegnest, fahl sein Gesicht, die Augenbrauen hochgezogen, groß und verwundert seine Augen und ohne Blick, ein wundes Lächeln auf den Lippen: Das ist er!
Da ist seine Geschichte. Ich schrieb sie, weil mich der Kummer niederdrückte.
Ein Mann wandert durch sein Haus und sinnt. Das ist Hermann Ecke. Was sinnt er doch? Es ist kalt in seinem Hause, er kann die Hände durch das Feuer strecken, ohne daß es wärmt. Es ist still. Die Nächte tragen Schrecken und Finsternis um das Haus gleich einem schwarzen Sarge, dem der Wind jammernd folgt.
Es ist Nacht, Hermann Ecke trägt eine Kerze in der Hand und wandert. Hin und her wandert er und sucht. Was sucht er doch?
Eva ist nicht hier, nein.
Eine Mücke summt im Zimmer. Hermann Ecke lächelt. Eine Mücke, sagt er und sieht der kleinen Mücke nach. Er kommt an einem Spiegel vorüber und schließt die Augen, er will sein Gesicht nicht sehen.
Er trägt ein Licht in der Hand, es flackert und Laute kommen aus der Flamme. Er erschrickt und wendet sich um, ein Schatten duckt sich hinter den Schreibtisch. Er geht weiter, aber er fühlt, wie sich der Schatten aus dem Verstecke reckt. Er sieht ihn wachsen, über die Wand, die Decke und eine dunkle lange Hand greift nach seinen Haaren, wie ein verkohlter Arm baumelt es über ihm.
Da schreit er.
Was ist Herr?
Nichts, danke.
O!
Hermann Ecke steht am Fenster und blickt auf die Straße hinab. Klingen nicht Schlittenglocken durch die Winterstille? Ein Wagen saust daher. Wohin? Zu Nachbar Dohn.
Kam da nicht ein Bote? Er taumelte vor Erregung und schwenkte ein Tuch in der Hand. Nein, es ist ein Betrunkener, der ein weißes Bündel trägt. Vielleicht kommt er von einer Hochzeit.
Ist es heute nicht, ist es morgen.
Überall ist er zu sehen, Hermann Ecke. Im Walde, im Felde, im Dorfe. Aber er lächelt nicht mehr, er ist bleich, und groß und verwundert blicken seine Augen. Er geht einher, als suche er etwas auf dem Boden.
Hermann Ecke geht zu den Knechten und Mägden in die Gesindestube, er will sich unterhalten mit ihnen. Er spricht und sie antworten. Immer mehr spricht er, immer weniger sprechen sie. Er sitzt und redet, redet. Alle sehen ihn an. Er geht.
Es ist dunkel, ein dunkler feuchter Abend, ohne Mond, ohne Sterne, feucht, schwarz, und nasser Schnee treibt über die Straße. Hermann Ecke geht ins Dorf hinab und tritt in die Schenke.
Junges Volk ist da versammelt. Knechte und Mägde. Die Dirnen legen die Köpfe gegen die Schultern der Burschen oder sie sitzen ihnen auf den Knien.
Ein Bursche in Hemdärmeln, den Hut im Nacken, spielt die Zither.
Guten Abend, ihr Leute, sagt Hermann Ecke.
Guten Abend.
Die Zither klingt und der Bursche singt. Er singt von einem Stier und einer scheckigen Kuh und daß eine Dirne dabeistand und sie lachte dazu.
So singt er, und die Mägde lachen, und die Burschen fassen sie um den Leib.
Da ist ein kleiner Bursche, ein Schneider, der den Mund weit aufreißt. Er behauptet keine Knochen zu haben. Er hat keine Knochen, prügeln kann man ihn, er spürt keinen Schmerz. Zwei packen ihn an den Händen und Füßen, schwingen ihn hin und her und schleudern ihn gegen die Türe, daß sie kracht. Er steht auf. Nichts hat er gespürt, er hat keine Knochen.
Die Knechte lachen, daß es dröhnt, und die Mägde kreischen.
Hermann Ecke lächelt. Er bezahlt und geht. Gottes Friede sei mit euch ihr guten Leute, spricht er.
Einige kichern und einer sagt: Amen!
Wenn sie alt geworden sind, so werden sie wissen, was es bedeutet, wenn einer sagt: Gottes Friede sei mit euch, ihr guten Leute.
Hermann Ecke wandert durch die holperigen dunklen Gassen des Dorfes. Wo ein helles Fenster ist, dahin schleicht er. Wie ein Dieb schleicht er um die Bauernhöfe und er blickt verstohlen in die erleuchteten Fenster. Eine Bäuerin knetet Teig und rollt ihn mit einem Holze aus, ein Bauer steht am Bette und entkleidet sich langsam. Eine junge Mutter badet ihr Kind, es strampelt, daß das Wasser gegen die Scheiben spritzt. Hin und her schleicht der Dieb und an dem hellen Fenster bleibt erstehen. Da sitzt ein Knabe und lernt. Er bewegt die Lippen und Hermann Ecke hört, daß er lernt. Dann versteht er des Knaben Worte. Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth und alle Lande – heilig, heilig ist der Herr Zebaoth und alle Lande sind seiner Ehre voll. Heilig, heilig – Mutter! ruft er plötzlich laut, es steht wer am Fenster!
Der Dieb verschwindet in die dunkelste Gasse.
An einem Zaune wispert es. Der Dieb steht hinter einem Holzstoß und hört, was die beiden dort wispern. Es ist dunkel, aber er sieht ihre Gesichter und ihre Hände. Der Bursche nestelt am Mieder des Mädchens, es schimmert aus dem Mieder. Da knackt ein Ästchen.
Hm, sagt der Bursche und läßt die Hände sinken und geht näher.
Der Dieb springt in den Wald hinein. Atemlos.
Hermann Ecke.
Hermann Ecke irrt hin und her. Er kniet im dunkeln Wald und spricht.
Ich knie hier. Ich knie hier ganz allein im Walde.
Die Tränen laufen ihm über die Wangen.
Ich knie hier, ganz allein –
Hermann Ecke.
Hermann Ecke, mein Bruder, härme dich nicht!
Hermann Ecke keucht und er gräbt die Nägel in seine Brust. Er schreit: Ewige Seligkeit allen Menschen und mir eine ruhige Stunde!
Willst du nicht Gift nehmen – Gift –?
Hermann Ecke, mein guter Bruder, verzweifle nicht!
Ein Vogel zwitschert vor Hermann Eckes Fenster und Hermann Ecke lächelt. Er denkt an alte Dinge. Der Vogel fliegt fort, nichts ist mehr zu hören.
Eva war ein solcher Vogel, denkt Hermann Ecke. Wenn ein Vogel vor deinem Fenster singt, so kannst du zuhören und dich freuen und dem kleinen Vogel danken. Du kannst ihn nicht halten, mit Worten und Bitten und feinem Kuchen nicht – er fliegt fort und singt vor einem andern Fenster.
Hermann Ecke kann kein Glück mehr finden, es ist vorbei.
Ihr Menschen, ihr Menschen, ich frage euch, was wißt ihr? Ihr habt Weib und Kind und könnt es küssen. Ich habe nichts als leere Zimmer. Auch habt ihr euer Glück nicht mit Eva gelebt! Was wißt ihr also?
Nichts wißt ihr!
Hermann Ecke, mein guter, guter Bruder ...
Daß er nicht immer so verzagt und traurig blieb, das weißt du. Und wie er starb, weißt du auch.
Er starb den seligen Tod.
Hermann Ecke.