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Ich erzähle von meinem Glücke, es ist schön, für mich ist es schön. Nun, seid gütig, laßt mich fortfahren. Ich könnte ja immerzu – tausend Nächte ...
Wüßtet ihr, wie schön es ist an diese Dinge zu denken! Es lacht in mir, es jubelt in mir, zuweilen laufe ich im Kreise herum, ich weine vor Freude. Oft ist die Freude der Erinnerung größer als der Schmerz, daß all das vergangen ist, und das ist es, weshalb ich erzähle. –
Dies sind die Tage der hohen Feste. Ihr Glanz ist noch um mich und verklärt mir einsame Stunden.
Alles wird Religion, Religion wird alles.
Die Worte ändern den Sinn, die alltäglichsten Worte sind zu Rätseln geworden.
Wir speisen zu Mittag und sprechen alltägliche Worte.
»Das Brot, Lieber!«
»Ja, das Brot, danke. Liebste.«
Was für Worte sind das? Es sind alltägliche Worte, ja, aber es sind verkappte, rätselhafte Worte. Sie heißen: ich liebe dich, Lieber. Sie heißen: ich liebe dich, Liebste.
Aber wiederum, was sind das für Worte? Es sind verkappte, rätselhafte Worte. Sie heißen: Welt, Leben, Tod. Sie heißen: Gott, Ewigkeit, Erlösung. Aber wiederum, was sind das für Worte? Verkappte, tiefe, tiefe Worte. Sie heißen, wer nennt sie?
»Du nimmst Wein, Liebste?«
»Ja, danke.«
»Roten, weißen?«
»Ja, roten, weißen?«
Du nimmst Gift? Ja, ich nehme Gift. Du nimmst ein Glas Tod? Ja, ich nehme ein Glas Tod.
Alle Worte ändern den Sinn.
Wir gehen durch den Wald. Ein Wunder ist der Wald, ein Wunder rauscht durch den Wald. Wir gehen durch die Felder, die Wiesen, ein Wunder sind die Ähren, ein Wunder die kleinste Blume. Alles wird zum Wunder.
»Wir wollen sehen wie die Sonne untergeht, Axel.«
Die Sonne sinkt hinter die Berge.
»O, o!« Ingeborg preßt die Hände auf die Brust, ihre Augen schimmern.
Es durchschauert mich.
»Axel, der Mond kommt herauf!«
»O, o! Sieh ein kleiner Stern begleitet ihn! Ein großer goldner Stern funkelt dort über den Tannen!« Sie hat Tränen der Verzückung in den Augen.
Ein Wunder Stern und Mensch – – – –
Ob die Tage schöner sind als die Nächte, ob die Nächte schöner sind als die Tage, wer vermöchte das zu sagen?
Niemand!
Einigemal in der Woche kommt Graf Flüggen angefahren. Er breitet die Arme aus, sieht er Ingeborg, er winkt mit dem Taschentuch, rollt der Wagen in den Wald zurück.
»Du hast mir alles genommen, Axel!« sagt er zu mir, er zürnt mir im Geheimen. Er geht gebückter, er wird nun plötzlich wirklich alt.
Der Sinn schwindelt mir, denke ich an mein Glück.
Wiederum schrieb ich an Freund Bluthaupt. Komme, komme, schrieb ich. Ich bin glücklich, alles jauchzt in mir. Komme, ich bin verändert, verzaubert und verhext, komme, du wirst deine größte Überraschung erleben – – –
Eines Nachmittags kam Harry Usedom mit einem zerbrochenen Wagen vor mein Haus.
Ich saß auf der Treppe, ließ mich von der Sonne braten, ich wartete auch auf Ingeborg, die im Walde war.
»Ich habe ein kleines Unglück gehabt!« sagte Harry Usedom.
Die Deichsel des Wagens war zerbrochen. Der Wagen umgestürzt.
»Haben Sie sich verletzt?« fragte ich ihn. Er war über und über mit Staub bedeckt.
»Nein,« sagte er und lächelte. »Ich fiel nur auf die Straße. Es ging gut ab.«
Ich bat ihn einzutreten, bis die Knechte den Schaden ausgebessert hätten.
Wir saßen in meinem Zimmer und plauderten.
»Sie haben herrliche Gegenstände hier,« sagte er und betrachtete alles mit kindlicher Freude. Er sah immer noch bleich aus, aber er ging aufrecht und sprach frei und heiter. Sein Blick fiel auf die Türe, wo die Worte standen: Du gehst Ingeborg? er zuckte zusammen, starrte die Worte an, wurde rot. Dann sammelte er sich wieder und sprach über die Gegenstände, die in meinem Zimmer standen.
Er sprach über jeden einzeln, ließ sich seine Geschichte erzählen, lächelte, hörte aufmerksam zu, aber seine Gedanken wanderten. Der Wagen war ausgebessert.
Harry Usedom ging nicht.
Er sprach weiter über Vasen und Schalen, dazwischen ging er an den Flügel und schlug einige Akkorde an. Er sprach, lachte leise und dazwischen horchte er. Ob ich eine Geige habe? Ich brachte sie ihm und er griff hastig danach und spielte. Er ging langsam hin und her, während er spielte. Er riß in den Saiten, er sang. Seine Augen leuchteten, sie wurden trüb, sein Gesicht spielte mit. Ich verstand wohl was er spielte.
Mitten in seinem Spiele trat Ingeborg ins Zimmer.
Ihr Gesicht glühte, ihre Augen schimmerten licht und blau. Pazzo kam mit ihr herein. Er bellte und knurrte und wollte auf Usedom losfahren.
Usedom hörte augenblicklich auf zu spielen. Er legte die Geige auf einen Stuhl. Dann nahm er sie vom Stuhle und legte sie auf den Flügel. Seine Hand zitterte, so daß die Geige klapperte, während er sie auf den Flügel legte.
»Du hier?« sagte Ingeborg und streckte ihm die Hand hin.
»Wie geht es?«
»Danke!« sagte er und es zuckte um seinen Mund. »Ich habe einen kleinen Unfall gehabt mit dem Wagen. Die Deichsel ist gebrochen. Ich verhielt mich etwas hier, wir plauderten – ich bin noch bestaubt – verzeihe – dann spielte ich ein wenig Geige – es war so traulich hier, ich bin immer allein –« Er stockte, verneigte sich leicht. Er blickte Pazzo an, mit gütigen Augen blickte er ihn an. Er streichelte ihn.
»Bleibe doch, Harry. Spiele weiter.«
»Danke,« sagte er, »du bist so gütig, so gütig Ingeborg. Ich danke dir von ganzem Herzen – ich will spielen, wenn du es wünschest – sehr gerne –« Er griff nach der Geige, nahm sie aber nicht.
»Nein,« fuhr er fort und schüttelte den Kopf, »ich kann nicht spielen, ich kann jetzt nicht spielen – ich erlebe so viel, was ist das für ein Augenblick! Du bist gut – alles stürzt über mich.« Er schloß die Augen, seine Wimpern wurden feucht.
»Harry!« sagte Ingeborg gütig zu ihm und berührte seinen Arm.
Da nahm er ihre Hand von seinem Arme, und er stürzte in die Knie.
»– – – nur einen Augenblick – einen Augenblick. Ingeborg –«
Ingeborgs Augen füllten sich mit Tränen, sie lächelte.
»– – – nur einen Augenblick – einen Augenblick, Ingeborg –«
Schluchzen erstickte seine Stimme.
Er stand auf und lächelte, das Gesicht naß von Weinen.
»Verzeihung!« sagte er, er lächelte wie ein glücklicher Knabe und ging. – – –
»Horch!« sagte Ingeborg.
Unsere Blicke begegneten sich. Im Walde sang eine Geige. Die Geige jubelte und klang. Es war ganz still und die Geige klang so deutlich zu uns herein, als sänge sie dicht unter dem Fenster. Nie in meinem Leben hörte ich solch ein wunderbares Lied. Das weinende Glück war es.
Ingeborg saß regungslos und blickte mit großen Augen vor sich hin. Dann begann sie zu weinen, sie weinte unaufhörlich in ihre Hände, und das Weinen erschütterte ihren ganzen Körper. Ihre Schultern zuckten.
Das Lied der Geige entfernte sich, es erstarb in der großen Stille.
»Verzeihe, daß ich weinte,« sagte Ingeborg.
Verzeihe, daß ich weinte, sagte sie!
In drei Nächten erklang die Geige im stillen Walde.
Dann hörten wir sie nicht mehr. Einige Tage darauf kam aus dem fernen Süden eine Karte, sie war an uns beide adressiert. Dank! stand darauf. Sonst nichts.