Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ingeborg sang und plauderte. Es war Ingeborgs alte Stimme. Ich hörte einen Schritt über den Korridor eilen, es war Ingeborgs alter Schritt. Ingeborg ging über die Wiese, ich rief sie an, sie wandte sich um, es war Ingeborgs alte Bewegung.
Ich war glücklich, wie im Sommer, ja, aber doch überfiel es mich mitunter, eine leise grundlose Angst, ein Gefühl des Schwindels. Ich dachte, es käme noch von jener Nacht her – ich war nicht mehr so gesund wie zuvor. Dann ereignete sich etwas. Es war an einem Nachmittag.
Ich ging durch den Park, Karl und Ingeborg zu suchen. Sie wollten ein wenig rudern auf dem See. Karl war mit seiner Arbeit fertig, er war unermüdlich im Vergnügen wie in der Arbeit, es mußte immer etwas geschehen. Immerzu war er unterwegs, sein Lachen klang herzlich und laut. Das Kind, das im Dichter steckt, beherrschte ihn in diesen Tagen.
Ich ging durch den Park, ja. Ich war nicht fröhlich, ich wußte nicht weshalb. Aber ich entdeckte, daß der Herbst kommen wollte. Welke Blätter hingen da und dort, die Wipfel waren so dicht, daß man nur kleine, schimmernde, helle Sternchen des Himmels sah, die Bäume hatten alle Kraft entfaltet.
Ein süßer, schwerer, welker Geruch fiel aus den Wipfeln, es roch fast wie in einem Sterbehause. Und es sauste immerzu im Parke. Das war das Sausen des Herbstes, so leise, so müde, so gleichmäßig.
Ein Vogel pipste in seinem Neste. Er wetzte den Schnabel hin und her. Das gab einen leisen, rührenden Ton, es klang als sei der Vogel allein und verlassen im Parke. Der Herbst war im Blute des kleinen Vogels, er wußte nicht, wovon er singen sollte.
Ich kam an den See, Ingeborg und Karl waren nicht zu sehen, der Kahn lag trocken am Ufer. Ich bog in einen schmalen Pfad ein, der mit Moos überzogen war, und überlegte, wo die beiden wohl stecken möchten, da sah ich unerwartet Ingeborgs Gewand durch die dichten Gebüsche schimmern. Ich freute mich. Sie sitzen in der Grotte, dachte ich und beschleunigte meinen Schritt.
Im Park gab es eine Grotte, ein überhängender Fels, ein kleiner klarer Tümpel darunter, in den von Zeit zu Zeit, in gleichen Zwischenräumen ein Tropfen fiel. Der Tropfen rief im Wasser und in der Grotte ein feines Klingen hervor. Das war eine schöne, geheimnisvolle Musik, die man nicht hören konnte, ohne schwermütig zu werden und über die Rätsel der Welt nachzudenken.
Ich freute mich, dort würde ich sie treffen, diese zwei, die ich so sehr liebte. Weshalb schlug mein Herz so sehr?
Ich hörte Ingeborgs Stimme, die einige Worte sprach. Das war unsagbar schön, die Stimme der Geliebten durch die Stille des Parkes zu hören.
Ich ging leise, vielleicht würde sie wieder sprechen.
Sie sprach wieder und es klang als spräche sie in bittendem Tone.
Ich hörte meinen Namen. Mein Herz begann laut zu pochen. Ich lächelte. Ich stand nicht weit von ihnen entfernt und sie wußten nicht, daß ich da stand. Wie schön würde es sein, ihre Worte zu vernehmen und gar, was sie über mich sagten. Dann wollte ich aus dem Gebüsche hervortreten, wie die Zauberer in den Märchen, und sagen: ganz dasselbe denke ich auch, Ingeborg, oder irgendetwas. Und ich freute mich auf ihre überraschten Gesichter und ihr Lachen.
Ich hörte den Wassertropfen in den Tümpel fallen und dann sprach Ingeborg, und es erschien mir plötzlich, als spräche sie ferne. Und doch stand ich nur wenige Schritte hinter ihnen. Ich sah Ingeborgs Nacken, einige Korallenperlen darauf, ich sah einen Hut, Karls Hut und daneben eine knochige, schmale Hand, die das Gras niederdrückte, Karls Hand.
»Was denkst du aber?« sagte Ingeborg. »Liebst du mich denn nicht?«
Peng – fiel der Tropfen.
Und Karl antwortete mit ernster, gleichtönender Stimme:
»Ich denke an Axels vornehmes Herz und an die schwere Arbeit meines Lebens.«
Die Lider fielen mir zu und meine Arme wurden steif.
Es verging eine endlose Zeit, dann sprach Ingeborg wieder, noch leiser, noch ferner: »Aber was soll ich tun? Karl, Karl, rate mir doch! Ich ertrage es nicht länger. Ich liebe Axel, ja, gewiß, aber –«
Da gelang es mir, die gelähmten Hände an die Ohren zu pressen. Es wetterte dumpf in meinen Ohren, wie in der Nähe eines Dampfkessels. Leise und vorsichtig schlich ich fort, ich tänzelte fast auf dem glatten Moose. Meine Zähne schlugen aufeinander, der Schmerz fiel wie ein Beil in mein Herz.
Aber was soll ich tun? Karl, Karl, rate mir doch –
Ich eilte schneller, erreichte die breite Allee, es wehte zwischen den Bäumen.
Huh, wie blies der Wind so kalt!
Aber was soll ich tun? Karl, Karl –
Ich wünschte, dem Tode zu begegnen. Ich lief, ich taumelte, ich stöhnte – immer noch hielt ich mir die Ohren zu. – – –
Es liegt ein Mann in der Nacht und findet keinen Schlaf. Er wartet, ob sich nicht eine Türe rührt. Daran dachte ich. Nun wußte ich es.
Lange Zeit verging, dann kamen sie, Ingeborg und Karl.
»Wir haben einen wunderschönen Spaziergang gemacht,« sagte Ingeborg hastig, »nicht, Karl?«
Karl erwiderte nichts.
Eine Lüge flackerte in Ingeborgs Stimme, ein Geheimnis schwieg in Karls Schweigen.
Ich lächelte, ich beherrschte mich.
»Hungrig werdet ihr sein, Freunde. Kommt!« sagte ich.
Und ich ging voran und sie folgten mir, Ingeborg und Karl.