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10

»Ich liebe dich.« Wie schön ist es, das sagen zu können, wie schön ist es, das zu hören –

Es ist ein kleines, kleines Wort, aber jeder muß es einmal sagen und jeder hört es einmal. Wenn eines Menschen Herz aufspringt im Frühling, so muß er es sagen. Er kann ein Tyrann sein mit blutschwarzen Gedanken, er kann ein Forscher sein, der immer über seinen Büchern sitzt, es kommt seine Stunde.

Er vergißt alles, sein Sinn wird dunkel, und sein Mund spricht das kleine, kleine Wort. Schöne, ewige Gedanken kann einer im Kopfe haben, er kann ein großer Mann sein, an den viele denken tagaus, tagein, es kommt seine Stunde und er findet nichts als dies kleine, kleine Wort.

Es ist alt und tief, birgt des Menschen ganzes blutrotes Herz, all sein Glück, all seinen Jammer, bei Tag und bei Nacht wurde es gesprochen, geflüstert und geknirscht wurde es, wird gesprochen werden immerfort, immerfort, solange die Lerche im Äther trillert. – – –

Sei gegrüßt, Ingeborg! Ich liebe dich, kannst es glauben.

Ich gehe hin und her, sehe viel in den Himmel empor, sehe viel ins Weite. Lächle. Stehe vor einem Stein am Wege und lächle. Ich bin nie müde. Nein, es gibt nun keine Müdigkeit mehr. Ich schlage die Augen auf und es ist hell und weit in meiner Seele.

Immerzu habe ich Gedanken im Kopfe, herrliche Gedanken, reich ist mein Gemüt, reich und heiß. Wie ein Dichter fühle ich mich, durch dessen Herz große Werke brausen.

Über die Parkmauer spritzen hohe Wogen von Blüten, weiße, rote und violette und zitronengelbe, in meinem Garten stehen viele Blumen, wie wehende Feuerchen sehen sie aus, brennende Lunten, Sonnenflocken, wie rote Münder, wie Augen, ja, auch wie Augen sehen sie aus. Der Frühling hat seine Feuer in den Bergen angezündet und sie brennen Tag um Tag. Er wirft Herzen von Menschen, Rehen und Vögeln, Wünsche von Blumen, Schmetterlingen und Bäumen in seine Feuer, daß sie brennen.

Der Hirsch schreit im Walde.

Ich gehe durch die brennenden Feuer des Frühlings und lächle.

Zuweilen habe ich wunderliche Gedanken! Eine rote schaumige Abendwolke steht über den Bergen, wie ein leuchtendes Schneegebirge. Möchte ich nicht auf der Spitze dieser Wolke stehen und den Hut schwingen? Ich sehe mir den Mond an und es geht mir durch den Sinn, daß ich auf dem Rande des Mondes stehen möchte und die Erde grüßen.

Herrliche Tage und Nächte. Das Herz hüpft mir in der Brust, ich lache vor mich hin.

Niemand weiß es, nein, keine Seele ahnt es, deshalb lächle ich auch vor mich hin.

Ich sitze in meinem Zimmer, es wird Abend. Wollte doch die Nacht schneller kommen! Könnte ich doch eine dunkle Decke über die Erde breiten. Es ist soviele Ungeduld in mir, niemand weiß ja, worauf ich warte.

Schweigen ringsum, die Nacht kommt.

Ich zünde eine Kerze an und setze mich vor die Flamme. Ich höre mein Herz pochen. Ich warte.

Es schreitet wohl irgendwo ferne im dunkeln Wald? Es eilt –?

Ich warte. Ich habe Geduld, Geliebte, übereile dich nicht ...

Da flüstert es, etwas Helles tritt in den Rahmen der Türe.

Ingeborg!

Ich gehe hin, gleite in die Knie, auch sie kniet nieder und wir küssen uns, beide kniend. Wir schmiegen Wange an Wange, pressen Brust an Brust.

»Nimm Platz!« sage ich leise.

»Ja!« antwortet Ingeborg ebenso leise. Mich trifft ihr leuchtender Blick.

Ich lege meinen Arm um sie. »Du bist bei mir, es ist tief in der Nacht. Ich danke dir, Ingeborg.«

»Wir sind ganz allein.«

»Ja!«

»Niemand weiß, daß wir beisammen sind.«

»Niemand!«

»Ingeborg, ich liebe dich sehr, du weißt es.«

»Ja, ja!«

Ingeborg nickt, sie zieht meine Hand an die Brust.

»Ich habe nur dieses Kleid an,« flüstert sie und lächelt mir zu.

»Du bist gut, Ingeborg!«

Wir lächeln. Unsere Augen sind ohne Lider, die Wimpern zucken nicht mehr.

Ich stehe auf und blase die Kerze aus.

Nun ist es ganz dunkel. Die dunkelblaue Nacht blickt herein. Ein Stern wandert vorbei, leuchtet uns bis auf den Grund unserer Augen.

Ingeborgs Zähne schimmern, ihre Haare sprühen golden auf.

Die Wohlgerüche des Waldes und des Feldes hauchen durch das Fenster und sinken über uns. Aus dem Garten duftet ein Mandelbaum. Feine Geräusche erwachen, bald nah, bald fern. Bald im Wipfel der Kastanie am Fenster, bald in den Ställen, ein Klirren, ein Schlürfen, die Nacht klingt leise. Die Ruhe horcht. Alle kleinen Geräusche halten an sich, keines will den Anfang machen, die Ruhe zu stören.

Unsere Stimmen sinken zu einem Lispeln herab, nicht lauter als das Rieseln eines Brunnens.

»Meine Wangen sind heiß!« sagt Ingeborg. Sie ist stolz darauf.

»Ja,« erwidere ich, »deine Wangen sind heiß, Liebste.«

»Darf ich über deine Brüste streichen?«

»Sie gehören dir!«

»Es ist süß, über deine Brüste zu streichen.«

»Es ist süß, wenn du es tust.«

Wir schwatzen lange Zeit. Die kleinen Geräusche erwachen. Wir rühren uns nicht. Unsere Herzen pochen dumpf.

»Wie schön!« flüstert Ingeborg. »Noch nie war es so schön und so traut!«

Traut! sagt sie. Das ist ein wunderschönes Wort.

Ein bleierner Ton fällt in der Ferne. Die Uhr im Dorfe drunten schlägt. Es ist so still im Tale, daß man die Uhr weit hinein in die Wälder hört.

Ingeborg zuckt zusammen.

»Wir haben Zeit,« flüstere ich.

Ingeborg nickt.

Eine Geschichte erwacht in meinem Kopfe, als ich sage: wir haben Zeit.

»Wir haben Zeit – wir haben Zeit. Höre, süße Ingeborg, ich denke an zwei junge Menschen, die auf dem Meere segeln. Es ist die Tochter eines Fürsten und ein junger Goldschmied. Er hat der Tochter des Fürsten ein Geschmeide überbracht, da sahen sie einander. Höre, sie liebten sich und entflohen über das Meer.

Unser Schiff ist wie eine Wiege, die zwei Kindlein schaukelt, flüstert die Geliebte. Der Gespiele erwidert:

Das Meer ist unser Brautbett, der Himmel der Dom mit abertausend Kerzen, die zu unserer Hochzeit angezündet wurden.

Ja, sagt die Tochter des Fürsten und schmiegt sich an den Geliebten, Gott trägt uns auf seiner Hand über das Meer!

Höre, süße Ingeborg. Der Steuermann kommt und spricht:

Herrin, ich finde kein Ziel. Wir müßten längst am Ziele sein, viele Wochen sind wir unterwegs.

Hahaha – wir haben Zeit!

Der Steuermann kommt und spricht:

Herrin, ich finde kein Ziel. Meine Haare sind schneeweiß. Dreißig Jahre segeln wir. –

Hahaha – wir haben Zeit!

Hundert Jahre vergehen, tausend Jahre vergehen. Hahaha, wir haben Zeit! –«

Ingeborg lächelt.

»Du sprichst, daß mir das Herz stehen bleibt,« sagt sie.

Ich neige mich vor, daß ihr Haar meine Wange liebkost, ich schließe die Augen dabei.

»Wir haben Zeit!« flüstert Ingeborg und lacht leise.

»Ja!«

»Es ist schön, im Dunkeln zu sitzen und die Sterne wandeln draußen vorbei.«

»Ja, es ist unsagbar schön.«


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