Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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Tee und Kaffee so wie Kuchen und Obst ließ man sonst den Kindern lieber und reichlicher zu (anstatt besser. beide Getränke gar nicht, Kuchen nur wenig, und das Obst nur reichlich in den anglühenden Jahren) als den heilsamen Wein zur Stärkung und das heilsame Hopfenbier zum Getränke. Den Kaiser Joseph II., welcher durch einen Befehl von 1785 Wein den Kindern zu geben verbotKein Gesetz des Kaisers wurde wohl weniger gehalten als dieses in – Schottland, wo die kleinsten Kinder, ehe sie stärkste Schotten werden, Branntwein bekommen. Humphry Klinkers Reise B. 3. S. 19. – etwa wie man früher Tabak, Hopfen und Chinarinde untersagte –, schlag' ich mit den Kindern der häufigern Weinländer in die Flucht, welche nicht daran gestorben sind, indem es ja sonst kein rechtes Weinufer mehr gäbe, geschweige ein linkes. Allerdings reiche man ihnen den Wein (alten und spanischen und ungarischen ohnehin nicht) aus keinem Punsch-, sondern aus einem Eßlöffel, und mehr häufiger als reichlich, und jedes Jahr weniger, und in der mannbaren Glutzeit gar nicht. Bitteres Bier, doch in rechter Entfernung von zwei Mahlzeiten, ist Reiz und Nahrung zugleich. Später im achten, zehnten Jahr aber muß Wasser der Trank und Bier die Stärkung werden. Den Mädchen würd' ich nicht nur länger als den Knaben Bier vergönnen, sondern auch immer; wenn nicht die Mütter, als wahre Lykurge, das Fettwerden verböten. – Danken Sie Gott, Freund, im Namen Ihrer Nachkommenschaft, daß Sie, wie ich, nicht in Sachsen oder im sächsischen Voigtlande, sondern in Baireuth und dem besten Biere, dem Champagner-Biere, am nächsten wohnen. Weiße Biere ohne Hopfen sind Schleimgifte für Kinder; und ungehopftes Braunes nicht viel besser. Überstarke, wie z. B. Mumme, müßten sie, wie die Griechen den Wein, nur in Wasser einnehmen. In den frühern Zeiten Deutschlands, ehe Kaffee, Tee und Ausweine regierten und schwächten, wurde viermal stärkeres Bier gebrauet; damals grub man den Riesenknochen nicht erst aus der Erde heraus, höchstens in sie hinein, indes uns unter der Regierung des verstärkten Tee- und Kaffee-Giftes das einzige Gegengift, das Bier, entkräftet wird.

Über einen Punkt, Freund, – vergeben Sie aber, daß ich hier keinen andern Zusammenhang habe als mit Ihnen und Ihrem Wunsche – werden Sie wohl künftig oft warm oder kalt gegen Ihre so sanfte Gattin werden, nämlich über Wärme und Kälte selber – sollt' ich wenigstens meinen. Es ist etwas Bekanntes, daß schon mehr als ein guter Autor die Dauer der Flitterwochen sehr lange, gleichsam zu Danielschen Jahrwochen angenommen, und ihr Ende erst nach der Geburt oder ersten Niederkunft als gewiß angesetzt; darauf aber wird freilich gezankt, teils vom Manne mit medizinischen Gründen, teils vom Weibe mit eigenen; ich meine, wenn das Kind gesund ist; ist es gar krank, so wird mehr getobt. Darüber schreib' ich gewiß einst einen Paragraphen, falls ich nur endlich das Glück erlebe, mich an meine Erziehlehre zu machen.

Da Weiber schon an sich, als gebornes Stubengeschlecht, als Hausgötter – indes wir bloße Meer- und Land- und Luftgötter sind, oder gegen jene Haustauben nur sanft-wilde Feldtauben –, die Wärme lieben, wie den Kaffee, und daher neben den Schleiern Erwärmhüllen suchen, nur aber der letzten zu viel für einen Leib, und ging' es, lieber neun Akzessit-Schleier und Shawls als einen längsten – und da sie eben daher den so warmen Pelz erheben, wiewohl er ebenso schön und kostbar ist: so leihen diese geistigtropischen Wesen gern ihre Vorliebhabereien und Bedürfnisse ihren geliebtesten Wesen, den Kindern. Aber tut nicht selber die Natur mit dem Kinde den stärksten Sprung bei der Geburt, wenn sie es aus einem organischen Bette, das sich selber auswärmte, durch die Luft hindurch nackt in ein totes warf, für das erst das Kind der Bettwärmer werden muß? – Dazu kommt noch die bloße teilweise, mithin nachteilige Entblößung, die des Gesichts und Kopfes nach dem gleichförmigen neunmonatlichen Warmhalten des Ganzen. Es würde daher die Frage sein, ob nicht der Kopf des Neugebornen – so unbehaart, dünnschalig und ungeschlossen – vor dem ersten kalten Anwehen der Erde noch mehr oder ebensogut als andere Glieder durch warme Decke zu schützen wäre, wenn nicht mehre Menschen, wozu wir sämtliche ganze Nachwelt der Vorwelt gehören, noch lebten, die es dennoch bis jetzo ausgehalten; so reich springt die Natur aus neuen Quellen fort, wenn ihr auch eine oder hunderte zugetreten werden. Indes empfängt sie das Kind nach dieser Überfahrt aus dem heißen Erdgürtel in den kalten mit zwei stärkenden Reizen, mit Nahrung der Lunge und Nahrung des Magens, zweier bisher müßigen Glieder. Gut! so ahme die Mutter darin die Allmutter nach und lasse die Kinder äußere Kälte nicht fliehen, sondern bekämpfen mit innern Wärm-Reizen. Das beste Pelzwerk für Kinder wächset an Weinbergen. Freude ist die warme Sonnenseite des Geistes und Leibes. Bewegung ist der dritte Frostableiter. Die neuern Lobredner des Warmhaltens behalten nur recht, wenn man dasselbe unterbricht. In kalter Zimmerluft würde zwar das Kind, wie das Gewächs auf Bergspitzen, einschrumpfen; in ewiger Wärme aber auch; die stärksten Menschen liefert weder der Gleicher, noch die Pol-Nachbarschaft, sondern die gemäßigten Länder, welche zwischen Frost und Wärme, doch mit Übergewicht der letzten, wechseln. Kein Kinderzimmer sei kalt, ausgenommen das Schlafkämmerchen; denn das Bette ist ohnehin ein äußerer Pelz, und der Schlaf ein innerer; und welche Steigerung der Wärmgrade bleibt denn der Krankheit offen, wenn die erlaubten voraus überstiegen sind? Haben Sie z. B. Ihren künftigen Paul (wenn ich anders früher als Sie einen Gevatter wählen darf wie ich) ohne Schuhe gehen lassen (was zwar Ihnen nur Leder, ihm aber einen Leichenzug von Übeln erspart); oder haben Sie Ihre künftige Pauline (der er wahrscheinlich nach männlicher Artigkeit den Vortritt in das Leben läßt, da die meisten Erstgeburten weibliche sind) ohne Strümpfe, obwohl besohlet oder angeschuhet, verordnet: so werden Sie in jeder Krankheit, die ein laues Fußbad fordert, das längste geben können, bloß durch ein Paar Strümpfe und Schuhe. Ich hatte meine Gründe, Freund, daß ich sogleich und bloß Ihrer Pauline Schuhe, gleichsam Brautschuhe, anmaß, wiewohl freilich auch alle die Hühneraugen, Fußerkältungen und zartesten dünnsten Fußblätter oder Fersenhäute mit, die ein Schuh umschließt. Denn ich kenne den Jammer darüber von weiten, nämlich die weibliche Ängstigung, daß Füße ohne Schuhe sehr leicht so groß wachsen könnten, als die Natur nur haben wollte, und mithin weit über den Konventionfuß hinaus. Unsere sinesische Podolatrie (Fuß-Anbeterei) verstattet daher leichter jede höhere Nacktheit, z. B. des Busens, des Rückens, als die Barfüßerei. Zum Glück – in diesem Falle – ist ein Knabe kein Mädchen. Der springe denn barfuß durch seine Morgenwelt, ähnlich den antiken Helden, die man nur mit nackten Füßen darstellte. Fährt ihm der Fuß zum Säulenfuße aus: was geht es uns zwei Männer an, die wir so wenig darnach fragen, und sogar verständige Weiber! –

Warum sprechen die Mütter hundertmal von Erkältung, und kaum einmal von Erhitzung, welche, zumal im Winter, so leicht in Todeskälte ausgeht? – Ich beantworte dies sehr unerwartet, wenn ich sage: weil ihnen eben der Winter mehr am Herzen und daher mehr im Auge liegt. Der Winter ist eigentlich der Bleicher und Schönfärber ihres Gesichts, und zum Schnee kommen sie als neues Weißzeug; daher ist ihnen der Sommer viel zu warm, als daß sie darin Hals und Rücken so entblößen sollten wie im Winter, der nichts schwärzt. Daher kommen auch aus dem Norden jene zarten Stubendecken-Zöglinge, lilienweiß und lilienzart, den weißen Gräsern ähnlich, welche man mitten im grünen Frühling unter Brettern findet. Freilich trägt dieser blendende Winterschnee nicht die Früchte des echten Blütenschnees, für welchen man oft jenen, oder Glanz für Kraft ansieht.

Ein schöner Zufall für Töchter ist die griechische Kleidermode der jetzigen Gymnosophistinnen (Nacktläuferinnen), welche die Mütter vergiftet, aber die Töchter abhärtet; denn wenn das Alter und die Gewohnheit jede neue Erkältung scheuen soll, so übt sich an ihr, wie an allen Abhärtungen, die Jugend zu größern.

Die Unalaschker tauchen das weinende Kind (hört es, ihr Feindinnen der Abhärtung!) so lange in die kalte See, bis es ruhig' wird; kräftig wird es davon später ohnehin. (S. Kants phys. Geogr. von Vollmer, 3. B. 1te Abteilung.) So ist gleichnisweise die jetzige nackte Kleidermode eine kalte See, in welche man die Töchter steckt, die sich darin ordentlich erheitern. Immer ein Arzt sollte Moden erfinden, da er keine neuen anders zerstören kann als eben mit neuesten.

Körperliche Abhärtung ist, da der Körper der Ankerplatz des Mutes ist, schon geistig nötig. Ihr Zweck und Erfolg ist nicht sowohl Gesundheit-Anstalt und Verlängerung des Lebens – denn Weichlinge und Wollüstlinge wurden öfters alt, so wie Nonnen und Hofdamen noch öfter – als die Aus- und Zurüstung desselben wider das Ungemach und für Heiterkeit und Tätigkeit. Da der weibliche Geist durch Verweichlichung nicht eben ein weibischer wird, wohl aber der männliche: so kann es in den höhern Ständen, ,wo verhältnismäßig die männliche größer wird und ist als die weibliche, wohl noch dahin kommen, daß das schwache Geschlecht über das geschwächte hinausrückt; und die Weiber und die Männer haben die schöne Aussicht, den Dattelbäumen zu gleichen, wovon bloß die weiblichen die Früchte tragen, und die männlichen nur die Blumen.

Mit der jetzigen Kleidung, als einer Luft-Badanstalt, wäre bei Kindern noch mehr das Ziel zu erreichen, wenn man jene zuweilen gar wegwürfe. Ich meine: warum macht man sich und noch mehr den Kindern nicht das Vergnügen, daß sie halbe Tage bei milder Luft und Sonnenschein, wie Adam, nackt in ihrem Paradiese der Unschuld spielen dürfen? Im alten Deutschland, wo die Eltern selber später von der verbotenen Frucht aßen, folglich später die Blätter derselben umhingen, konnten die Kinder, wie in Ägypten, zehn Jahre länger in dieser Nacktheit bleiben; welche körperliche Kraftgenies traten nicht aus ihren kalten Wäldern, so daß achtzehn Jahrhunderte voll Wärme und Schwelgerei nicht hinreichten, Ururenkel schwächer zu machen, als einer von uns beiden ist! – So trägt Bauholz von abgeschälten Bäumen weit mehr als von berindeten. Man schaue doch nur, wie leicht, behend und erquickt ein entkleidetes Kind sich fühlt, Luft durchschwimmend und trinkend, Muskeln und Adern frei bewegend und vor der Sonne als eine Frucht reifend, der man die Blätter weggebrochen. – So viele kindliche Spiele sind olympische und gymnastische; so lasse man wenigstens die Kinder Griechen sein, nämlich unbekleidet.

Unmittelbar nach dem Luftbade ginge man am besten ins kalte Wasserbad, wenn es anders Kindern unter vier Jahren unbedingt zu raten wäre. Es gibt aber einen Ersatz desselben, nämlich von der Taufe an tägliches kälteres Waschen des ganzen Körpers, den man jedoch nur gliederweise benetzt und eilig abtrocknet. Ich ließ diese anabaptistische (wiedertäuferische) Sünde gegen Brown und seine Nachfolger jeden Tag an meinen Kindern einmal begehen; der Erfolg war nicht sowohl Erkältung, Schnupfen und Schwächung als das Gegenteil davon.Über den Nutzen der Kälte ohne Verweilen, wie es solche Sonnenfinsternisse gibt, s.  Vorschule der Ästhetik III. S. 578. Schwarz wendet in seiner Erziehlehre dagegen den Abscheu des Kindes davor als einen Naturwink ein, aber derselbe gälte dann nicht nur gegen viele Arzeneien, sondern auch gegen das laue Bad, wogegen und worin anfangs die Kinder sich sträuben, weil zu viele ungewohnte Reize sie auf einmal umfangen. –

Wenn das kalte Wasser Arzeneikräfte für den Magen hat, die dem gekochten abgehen, so hat es sie auch für die einsaugende Haut. Auf Luft-, Frost- und Laubäder ist Schlafen gut.


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