Jean Paul
Levana oder Erziehlehre
Jean Paul

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Drittes Kapitel

Spiele der Kinder

§ 48

Was heiter und selig macht und erhält, ist bloß Tätigkeit. Die gewöhnlichen Spiele der Kinder sind – ungleich den unsrigen – nichts als die Äußerungen ernster Tätigkeit, aber in leichtesten Flügelkleidern; wiewohl auch die Kinder ein Spiel haben, das ihnen eines ist, z. B. das Scherzen, sinnloses Sprechen, um sich selber etwas vorzusprechen etc. Schriebe nun ein Deutscher ein Werkchen über die Kinderspiele – welches wenigstens nützlicher und später wäre als eines über die Kartenspiele –, so würde er sie sehr scharf und mit Recht – dünkt mich – nur in zwei Klassen teilen: 1) in Spiele oder Anstrengungen der empfangenden, auffassenden, lernenden Kraft; 2) in Spiele der handelnden, gestaltenden Kraft. Die eine Klasse würde die Tätigkeit von außen hinein begreifen, gleich den Sinn-Nerven; die andere die von innen hinaus, gleich den Beweg-Nerven. Folglich würde der Verfasser, wenn er sonst tief ginge, in die erste Klasse, die er die theoretische nennt – die zweite hingegen die praktische –, die meisten Spiele bringen, die eigentlich nur eine kindliche Experimental-Physik, –Optik-, –Mechanik sind. Die Kinder haben z. B. große Freude, etwas zu drehen, zu heben – Schlüssel in Schlösser oder sonst eine Sache in die andere zu stecken – Türen auf- und zuzumachen, wozu aber noch die dramatische Phantasie, den Raum bald eng, bald weit, sich bald einsam, bald gesellig zu sehen, eingreift – einem elterlichen Geschäfte zuzuschauen, ist ihnen ein solches Spiel – desgleichen Sprechen-Hören. –

In die zweite oder praktische Abteilung würde der gedachte Verfasser alle Spiele setzen müssen, worin sich das Kind seines geistigen Überflusses durch dramatisches Phantasieren, und seines körperlichen durch Bewegungen zu entladen sucht. Die Beispiele werden in den nächsten Paragraphen kommen.

Doch müßte, glaub' ich, ein so wissenschaftlicher Mann noch eine dritte, schon angedeutete Spielklasse errichten, die nämlich, worin das Kind das Spiel nur spielt, nicht treibt, noch fühlt, nämlich die, wo es behaglich Gestalt und Ton nimmt und gibt – z. B. aus dem Fenster schauet, auf dem Grase liegt, die Amme und andere Kinder hört. –

§ 49

Das Spielen ist anfangs der verarbeitete Überschuß der geistigen und der körperlichen Kräfte zugleich; später, wenn der Schulzepter die geistigen alles Feuers bis zum Regnen entladen hat, leiten nur noch die Glieder durch Laufen, Werfen, Tragen die Lebenfülle ab. Das Spiel ist die erste Poesie des Menschen (Essen und Trinken ist seine Prose und das Streben darnach sein erstes solides Brotstudium und Geschäftleben); folglich bildet das Spiel alle Kräfte, ohne einer eine siegende Richtung anzuweisen.Viele Kinderspiele sind zwar Nachahmungen – aber geistige, so wie die der Affen körperliche sind – nämlich nicht etwan aus besonderer Teilnahme an der Sache, sondern bloß weil dem geistigen Lebentriebe das Nachahmen am bequemsten fällt. Wahrscheinlich tut der Affe, wie jener Nervenkranke des Doktor Monro, alle fremde Bewegungen gezwungen und nur aus Schwäche nach. Wollte ein Erzieher grausam genug sein, einen ganzen Menschen zu einem bloßen Gliede auszubilden, z. B. zu einem vergrößerten Ohre: so müßt' er ihm schon im ersten Jahre alle Spielkarten so durch Volten mischen, daß immer nichts gewonnen würde als Tonspiel. Wollte er etwa Besseres sein bei den Spielen – als grausam –: so wär' ers vielleicht, wenn er sie, da der Zufall sie wählt und mischt, allseitig und allentwickelnd mit leiser Hand herbeizuführen suchte. Ich fürchte mich aber vor jeder erwachsenen, behaarten Hand und Faust, welche in dieses zarte Befruchtstäuben der Kinderblumen hineintappt und bald hier eine Farbe abschüttelt, bald dort, damit sich die rechte vielgefleckte Nelke erzeuge. Wir glauben oft den äußern, aber breiten Zufall durch Mittel zu regeln, die bloß ein innerer, aber enger, in uns selber zusammenwürfelte.

§ 50

Wir wollen aber weiter in den Spielplatz der Kleinen hineintreten, um, wenn nicht Gesetzgeber, doch Spielmarkeure zu sein.

In den allerersten Monaten kennt das Kind noch kein schaffendes Spielen oder Anstrengen, sondern ein empfindendes. In dem schleunigst wachsenden Körper und unter der einströmenden Sinnenwelt richtet sich die überschüttete Seele noch nicht zu den selbsttätigen Spielen auf, in welchen sich später die überschießende Kraft bewegt. Sie will nur blicken, horchen, greifen, tappen. So beladen, die Arme voll, die Händchen voll, kann sie mit ihnen wenig machen und gestalten.

Erst später, wenn in den fünf Akten der fünf Sinne die Erkennung der Welt geschehen ist und allmählich ein Wort um das andere den Geist freispricht, hebt die größere Freiheit des Selbstspiels an. Es regt sich die Phantasie, deren Flügelknochen erst die Sprache befiedert. Nur mit Worten erobert das Kind gegen die Außenwelt eine innere Welt, auf der es die äußere in Bewegung setzen kann. Es hat zweierlei Spiele, sehr verschieden in Zweck und Zeit – 1) die mit Spielsachen und 2) die mit und unter Spiel-Menschen.

§ 51

Zuerst spielt der Kindgeist mit Sachen, folglich mit sich. Eine Puppe ist mit ihm ein Volk oder eine Schauspielergesellschaft; und er ist der Theaterdichter und Regisseur. Jedes Stückchen Holz ist ein lackierter Blumenstab, an welchen die Phantasie hundertblätterige Rosen aufstengeln kann. Denn nicht bloß für Erwachsene ist an und für sich, sobald bloßes Einbildglück entscheidet, das Spielzeug gleichgültig, ob mit Kaiser- oder mit Lorbeerkronen, mit Schäfer- oder Marschallstäben, Streit- oder Dreschflegeln; sondern sogar für Kinder. Vor der wunderkräftigen Phantasie treibt jeder Aaronsstecken Blüten. Wenn die elysäischen Felder der Alten ohnweit Neapel (nach Marcard) auf nichts hinauslaufen als auf einen Busch in einer Höhle, so ist ja für Kinder ein Busch ein Wald; und sie haben jenen Himmel, den Luther in seinen Tischreden den Seligen verspricht, wo die Wanzen wohlriechend, die Schlangen spielend, die Hunde goldhäutig sind und Luther ein Lamm; ich meine, im kindlichen Himmel ist der Vater Gott der Vater, die Mutter die Mutter Gottes, die Amme eine Titanide, der alte Diener ein Engel der Gemeine, der Puterhahn ein Edencherub, und Eden wiederholt. Wißt ihr denn nicht, daß es eine Zeit gibt, wo die Phantasie noch stärker als im Jünglingalter schafft, nämlich in der Kindheit, worin auch Völker ihre Götter schaffen und nur durch Dichtkunst reden? –

Vergeßt es doch nie, daß Spiele der Kinder mit toten Spielsachen darum so wichtig sind, weil es für sie nur lebendige gibt und einem Kinde eine Puppe so sehr ein Mensch ist als einem Weibe eine erwachsene, und weil ihm jedes Wort ein Ernst ist. Im Tiere spielt nur der Körper, im Kinde die Seele. Diesem begegnet nur Leben – keines begreift überhaupt einen Tod oder etwas Totes –; und daher umringt sich das frohe Wesen belebend nur mit Leben und sagt z. B.: »die Lichter haben sich zugedeckt und sind zu Bette gegangen – der Frühling hat sich angezogen – das Wasser kriecht am Glase herab – da wohnt sein Haus – der Wind tanztDas Mädchen unterschob aus Sachwohllaut vor Angst dem Stürmen des Windes den Tanz.« – oder von einer leeren räderlosen Uhr: »sie ist nicht lebendig.«

Aber an reicher Wirklichkeit verwelkt und verarmt die Phantasie; mithin sei jede Spielpuppe und Spielwelt nur ein Flachsrocken, von welchem die Seele ein buntes Gewand abspinnt. Wie der Roche im Schach bei den verschiedenen Völkern bald ein Kamel war, bald ein Elefant – eine Krähe – ein Kahn – ein Turm: so spielt vor den Kindern ein Spielzeug oft alle Rollen, und es schmeckt ihnen, wie den Juden das Manna, gerade so, wie sie es jedesmal begehren. Der Verfasser erinnert sich hier eines zweijährigen Mädchens, das, nachdem es lange mit einer alten, bis aufs Holz heruntergekommenen Puppe sich getragen, endlich eine sehr artig und täuschend gekleidete – eine Milchschwester der schönsten in Bertuchs Modejournal, die sie an optischer Schönheit ebenso erreichte als an Größe noch übertraf – in die Hände und Arme bekam: – bald darauf knüpfte das Kind nicht nur den alten Umgang mit dem hölzernen Aschenbrödel wieder an, sondern ging auch so weit, daß es einen schlechten Stiefelknecht des Vaters in die Arme und gleichsam an Kindes- oder Puppen-Statt aufnahm und ihn ganz so liebreich behandelte und einschläferte als das gedachte Urbild Bertuchischer Abbilder. So sehr hängt die Phantasie leichter einer unscheinbaren Adamrippe Menschenglieder und Putzgewänder um als beide einer Puppe, die sich nur durch die Größe von einer Dame unterscheidet, welche wieder ihrerseits vollends der Phantasie beim nächsten Tee so fertig vorgestellt wird, daß nichts an ihr zu bessern ist. So schrieb dasselbe Mädchen mit einer bloß in Luft eingetunkten Feder auf ihrem leer bleibenden Papiere lange neben dem Verfasser fort, der dadurch fast auf Satiren gegen sich selber geriet. Folglich umringt eure Kinder nicht, wie Fürsten-Kinder, mit einer Klein-Welt des Drechslers; reicht ihnen nicht die Eier bunt und mit Gestalten übermalt, sondern weiß; sie werden sich aus dem Innern das bunte Gefieder schon ausbrüten. Hingegen je älter der Mensch wird, desto reichere Wirklichkeit erscheine; die Steppe, auf welcher der Jüngling wenigstens den Morgentau des Liebe-Schimmers erntet, erkältet mit trübem Abendtau den halbblinden Greis, und zuletzt braucht der Mensch eine ganze Welt, um nur zu leben, nämlich die zweite.

§ 52

Aber von derselben Phantasie, welche, gleich der Sonne, den Blättern die Farbe aufträgt, wird sie ihnen auch ausgezogen. Dieselbe Putzjungfer kleidet an, aber auch aus; folglich gibts für Kinder kein ewiges Spiel und Spielzeug. Darum lasset ein entkleidetes Spielzeug nicht lange vor dem sinnlichen Auge – sperrt es ein – Nach langer Zeit wird die Abgeschiedene wieder gefreiet. Dasselbe gilt auch vom Bilderbuche; denn dem Bilderbuche ist das poetische Beseelen ebenso nötig als dem Spielschranke. – Darüber ein Nebenwort. Die rechten Bilderbücher für Abc-Kinder bestehen nicht in einer Folge unbekannter Tiere und Pflanzen, denen nur das gelehrte Auge die Unterschiede abgewinnt, sondern in historischen Stücken, welche eine Handlung von Tieren oder Menschen aus dem Kinderkreise geben; dann mag sich die Lebengalerie, in deren Weltgeschichte das Kind noch stärker das Individuellste hineinfärbt als in die Allgemeinheit der Poesie der Leser oder der Verfasser, zu geschichtlichen Gruppen erheben, z. B. zu einem Joseph unter seinen verkaufenden oder wiedererkennenden Brüdern, zu einem Hektors-Abschied von Kind und Weib und zu ähnlichen.

Kinder haben – ausgenommen ein- und zweijährige, welche noch den Farben-Stachel bedürfen – nur Zeichnungen, nicht Gemälde vonnöten; Farben gleichen den obigen Reichtümern des Spielzeugs und erschöpfen durch Wirklichkeit die Schöpfungkraft. Daher komme kein Spielzeug schon durch Anschauen vollendet an, sondern jedes tauge zu einem Arbeitzeuge. Z. B. wenn ein fertiges (kleines) Bergwerk nach wenigen Stunden vor den Augen des Kindes befahren ist und jede Erzgrube erschöpft: so wird es hingegen durch einen Baukasten (eine Sammlung von losen Häuserchen, Bögen, Bäumchen) im ewigen Umgestalten so glücklich und reich wie ein Erbprinz seine geistigen Anlagen durch das Umbauen der väterlichen im Parke kundtut. – Auch Kleinheit der Bilder ist besser als Größe. Was für uns fast unsichtbar, ist für Kinder nur klein; sie sind auch physisch-kurzsichtig, folglich gewachsen der Nähe; und mit ihrer kurzen Elle, mit ihrem Leibchen, messen sie ohnehin überall so leicht Riesen heraus, daß wir diesen kleinen Verjüngten auch die Welt im verjüngten Maßstabe vorzuführen haben.


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