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Vor neuen Philosophen, welche in der Erziehung leichter das All als Etwas anbieten und schenken, schämt man sich eines Paragraphen, wie dieser wird, so sehr, daß man kaum weiß, wie man ihn versüßen und verkleiden soll. Ich kenne nämlich für Kinder in den ersten Jahren kein wohlfeileres, mehr nachhaltendes, beiden Geschlechten angemessenes, reines Spielzeug als das, welches jeder in der Zirbeldrüse (einige in der Blase) und die Vögel im Magen haben – Sand. Stundenlang sah ich oft spiel-ekle Kinde, ihn als Bausteine – als Wurfmaschine – als Kaskade – Waschwasser – Saat – Mehl – Finger-Kitzel – als eingelegte Arbeit und erhobnes Füllwerk – als Schreib- und Maler-Grund verwenden. Den Knaben ist er das Wasser der Mädchen. Philosophen! streuet Sand weniger in als vor die Augen in den Vogelbauer eurer Kinder. Nur eines ist dabei zu verhüten: daß sie ihr Spielzeug nicht fressen!
Die zweite Spielgattung ist Spielen der Kinder mit Kindern. Sind einmal Menschen für Menschen gemacht, so sinds folglich auch Kinder für Kinder, nur aber viel schöner. In den ersten Jahren sind Kinder einander nur Ergänzungen der Phantasie über ein Spielding; – zwei Phantasien spielen, wie zwei Flammen, neben- und ineinander unverknüpft. Auch nur Kinder sind kindisch genug für Kinder. Aber in den spätern Jahren wird das erste Bändchen der Gesellschaft aus Blumenketten gesponnen; spielende Kinder sind europäische kleine Wilden im gesellschaftlichen Vertrag zu einem Spiel-Zweck. Erst auf dem Spielplatz kommen sie aus dem Vokabeln- und Hörsaal in die rechte Expeditionstube und fangen die menschliche Praxis an. Denn Eltern und Lehrer sind ihnen immer jene fremden Himmelgötter, welche, nach dem Glauben vieler Völker, den neuen Menschen auf der neugebornen Erde lehrend und helfend erschienen waren; wenigstens sind sie den Kinderzwergen die körperlichen Titanen; – folglich ist ihnen in dieser Theokratie und Monarchie freies Widerstreben verboten und verderblich, Gehorsam und Glaube verdienstlich und heilbringend. Wo kann denn nun das Kind seine Herrscherkräfte, seinen Widerstand, sein Vergeben, sein Geben, seine Milde, kurz jede Blüte und Wurzel der Gesellschaft anders zeigen und zeitigen als im Freistaate unter seinesgleichen?- Schulet Kinder durch Kinder! – Der Eintritt in den Kinderspielplatz ist für sie einer in ihre große Welt – und ihre geistige Erwerbschule ist im kinderlichen Spiel- und Gesellschaft-Zimmer. Es trägt z. B. oft einem Knaben mehr ein, Prügel selber auszuteilen, als sie zu erhalten vom Hofmeister, desgleichen mehr, sie von seinesgleichen als sie von oben herab aufzufangen. – Wollt ihr einen Leben-Knecht schmieden: so lötet einen Knaben funfzehn Jahre lang an die Arme und Fersen seines Hofmeisters, der zugleich Schauspielerdirektor und zuweilen mitspielendes Mitglied der zweigliedrigen Truppe sein soll. Wie alle Sklaven wird das Kind zwar vielleicht gegen eine Individualität ein gewaffnetes Auge und Herz sich zulegen; aber verloren wird es künftig der Allseitigkeit der Individualitäten gegenüber stehen, nur an ein Klima gewohnt, nur mit einem Winde segelnd.
Der Lehr- und Brotherr der Kleinen handelt immer, als sei das ordentliche Leben des Kindes als Menschen gar noch nicht recht angegangen, sondern warte erst darauf, daß er selber abgegangen sei und so den Schlußstein seinem Gewölbe einsetze. Sogar der Reisehofmeister glaubt, es sei, solange er noch in der Furche gehe und säe, Grün- und Blütezeit nicht an ihrer Stelle. Denn der Mensch, eines äußern Ganzen bedürftig, da ihn ein inneres beseelt, setzt jenes äußere, wie die Abründung des Wolkengewölbes und die Annäherung des Himmels zur Erde, in die Ferne und an den Horizont, obgleich dieser Himmel von jedem Gebirge, das man weiter ersteigt, immer wieder auf ein fernes blaues fliehet; und so kommt der Mensch in das Alter, und auf dem Grabhügel liegt zum letztenmal der Himmel an der Erde. Ein Ganzes des Lebens ist also entweder nirgends, oder überall. Himmel! wo ein Mensch ist, da fängt ja die Ewigkeit an, nicht einmal die Zeit. Folglich ist das Spielen und Treiben der Kinder so ernst- und gehaltvoll an sich und in Beziehung auf ihre Zukunft als unseres auf unsere. Das frühe Spiel wird ja später Ernst, obgleich auch oft die Kinder in dem Spiele wieder eines treiben als Nachhall frühern Ernstes, wie die Neapler unter dem Schauspiel Kartenspiel. Möser diktierte seine Werke bei dem Ombre-Spiel; vielleicht wurden manchem Verfasser die seinigen von seinen frühern Kindes-Spielen heimlich eingegeben. Wie das Schachbrett Krieg- und Regierunterricht auftischen soll: so wächst auf dem Spielplatz der künftige Lorbeer- und Erkenntnis-Baum. Der Bischof Alexander hielt Kinder, die Athanasius als ein Kind im Spiele mit der Taufe versehen, für wirklich getauft. Wenn (wie Archenholz erzählt) die Schulknaben im Winchester-Kollegium einmal gegen die Lehrer aufstanden, das Haupttor des Schulgebäudes besetzten und sich so gut mit Munition und Gewehr versahen, daß ihnen der Ober-Sheriff der Grafschaft, ob er gleich 150 Konstabel und 80 Mann Miliz stark gegen sie vorgerückt war, doch eine ehrenhafte Kapitulation bewilligen mußte. so seh' ich in diesem Zorn-Spiel nichts weiter als die Jugend der jetzigen (wenn auch ungerechten) Männlichkeit, welche Flüsse und Häfen und ihre Insel zusperrt und in den Meeren die Länder besiegt; so sehr sinkt der Schaum des kindlichen Spiels zu wahrem Wein zusammen; und ihre Feigenblätter verhüllen nicht Blößen, sondern süße Feigen.
Wollte man Vorschläge tun, nämlich Wünsche, so könnte man noch diesen äußern, daß man dem Kinde einen Spiel- oder Wirkung-Kreis von so verschiedenen Individualitäten, Ständen und Jahren auftun sollte, als nur findlich wäre, um es im orbis pictus einer verjüngten Spiel-Welt für die vergrößerte auszurüsten. Aber die Milch- und Gesellschaftrechnung dieser drei Spiel-Landsmannschaften zu geben, erfoderte ein Buch im Buch. –
Noch wollt' ich Freuden- und Spielmeister als Vor- und Flügelmänner der Schulmeister vorschlagen – ferner Spielzimmer, leer wie die Zimmer, an deren Spalierwänden Raffaels ewige Blüten glühen – ferner Spielgärten. – Und eben les' ich, daß Grabner in seiner Reisebeschreibung von den Niederlanden Nachricht von Spielschulen gibt, wohin der Niederländer seine Kinder früher als in die Lehr-Schulen gehen läßt. Wahrlich, müßte eine von beiden einfallen, so sollte die erste feststehen.
Noch einige vermischte Bemerkungen! Die Kinder lieben keine Spiele so stark als die, worin sie zu erwarten oder gar zu befürchten haben; so früh spielt schon der Dichter mit seinem Knoten-Knüpfen und –Lösen im Menschen. – Von Zeit zu Zeit fodern sie, wie hohe und unglückliche Spieler, neue Spielkarten. Diese Veränderlichkeit ist aber nicht die bloße des Luxus, sondern auch die Folge der schnellen Entfalt-Reihen – denn das so eilig reifende Kind sucht in neuen Ländern neue Früchte, wie ja sogar der Alte in alten neue – und vielleicht noch die Überfüll-Folge jenes Mangels an Zukunft und Vergangenheit, womit ein Kind desto stärker von der Gegenwart getroffen und erschöpft wird, gleichsam als sei es in einem Monde vor Sonnenstrahlen ohne Morgen- und Abendrot ansässig; und endlich müssen dem Kinde, vor dessen Kleinheit sich nicht bloß der RaumBekanntlich findet man, erwachsen zu kindlichen Gegenständen wiederkommend, alle kleiner und kürzer, weil die Elle, aber nicht die Sachen länger gewachsen., auch die Zeit ausdehnt, Spielstunden zu Spieljahren auswachsen und darum ihm, dem engsichtigen Wesen, der Wunsch und Wechsel neuer Spiele nachzusehen sein. Die einstündige Beständigkeit eines Kindes gilt der einmonatlichen seiner Eltern gleich, ja vor.
Juden verboten, zwei Freudenfeste zusammen zu feiern, z. B. einen Hochzeittag an einem Festtage oder zwei Hochzeiten auf einmal; sollt' es nicht ebenso Kindern abzuschlagen sein, wenn sie z. B. nach einem Spaziergang am Sommerabende wieder die Erlaubnis begehren, im Garten zu spielen, und dann die dritte, noch vor dem Essen nur eine Viertelstunde die Spielgenossen in den Saal heraufzuholen? Denn hierin sind Kinder vorausdatierte Erwachsene und dürsten kaum in der Arbeit so sehr nach Genuß als hinter einem Genuß – von der Zuckerinsel wollen sie sogleich nach einer zweiten überschiffen und Himmel auf Himmel wölben. Erlaubt man dieses Frequentativum von Genießen auch unschuldiger Freuden: so wird das Kind, teuerste Mutter, Hof- und Residenz-fähig und macht Anspruch auf Wonnemonate von 32 Tagen und auf Freudentage von 25 Stunden, deren jede gut ihre 61 Minuten mißt. So ist dann das kleine Wesen schon in den Honig jetziger Lust-Überfülle eingetaucht, womit die Zeit den Bienenflügeln der Psyche jeden Flug verklebt. Was Gutes (wenn es eines ist) aus einem so erzognen Mädchen werden kann, ist höchstens eine Frau, welche an demselben Tage nach einigen erhaltenen und nach einigen gegebenen Besuchen sich darauf im Schauspielhause noch auf einige Karten und Tänze freuet und spitzt.
Wie die Natur die Freuden-Steigerung unseres immer etwas Stärkeres begehrenden Wesens durch die zurückspannende kühle Nacht abbricht (denn wahrlich wie müßte sich ohne diese vom Geistigen zum Geistigern der Trinker hinauftrinken, oder der Dichter sich hinaufdichten): so gebe man diese gesunde Nachtkühle den Kindern auch im geistigen Sinne, um sie künftig nicht dem Schmerze der Welt- und Freuden-Leute auszusetzen, welche, wie Seefahrer in Norden, vom monatelangen unaufhörlichen Tage übersättigt, Gott um ein Stückchen Nacht und Talglicht bitten und danken.
Doch immer, wenn auch viele Spiele, doch weniges Spielzeug – und unscheinbares – und jeden Abend in einen Stall eingetriebenes – und für Zwillinge dasselbe Stück doppelt, so wie für Drillinge dreifach, um Prozesse zu verhüten!Dagegen macht ein scharfsinniger Freund die wichtige Einwendung, daß den Kindern dadurch der Genuß des Mitteilens und Annehmens entzogen werde. Er rät daher für jedes ein anderes Spielzeug zur Freude des Tauschens an.
Die frühern Spiele sollen der geistigen Entwickelung nachhelfen, da die körperliche ohnehin riesenhaft schreitet; die spätern aber sollen der geistigen, die durch Schule und Jahre vorläuft, die körperliche nachziehen. Das Kind tändle, singe, schaue, höre; aber der Knabe, das Mädchen laufe, steige, werfe, baue, schwitze und friere.
Das Schönste und reichste Spiel ist Sprechen, erstlich des Kindes mit sich, und noch mehr der Eltern mit ihm. Ihr könnt im Spiele und zur Lust nicht zu viel mit Kindern sprechen, so wie bei Strafe und Lehre nicht zu wenig.
Unmittelbar nach dem Ausschlafen bedarf das Kind, bei seiner geistigen und leiblichen Erregbarkeit, fast nichts, euer noch weniger; kurz vor dem Einschlafen ist gleichfalls ein Ausbrennen des Spiel-Feuers, ein wenig Langweile, dienlich. Für reifere Kinder, welche die Arbeit übt und zwingt, ist schon deren Ende (die Freiheit) ein Spiel, und dann die freie Luft. Freie Luft – ein Ausdruck, den nun Europa, wie der Tod, bald gegen den richtigern: freier Äther, vertauschen muß. – Es regle und ordne der Lehrer nur nicht nach den Arbeiten wieder auch die Spiele! – Überhaupt ists besser, gar keine Spielordnung zu kennen und zu machen – nicht einmal die meinige –, als sie ängstlich zu halten und die Zephyretten der Freude durch künstliches Gebläse und durch Luftpumpen den kleinen Blumen zuzuschicken. – Tiere und Wilde haben nie Langweile; Kinder würden auch von keiner angefallen, wenn man nicht so sehr daran dächte, jede abzuwehren. – Das Kind probiere oder versuche sich spielend sein künftiges Leben an; da nun aus diesem der Alp- und Gewitterdruck der Langweile nie wegbleibt: so mag es auch zuweilen einige erleben, um künftig nicht daran zu sterben.