Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Der Langweile der Noachischen Suppenflut – oder wars dem ebenso beschwerlichen Sägeblock aus Rindfleisch? – hab' ich die Schreckenspost zu danken, die damals wie ein Maifrost mitten in meinen Wonnemonat mit Eiszapfen fuhr und die noch bis diese Minute ihren Gift behalten, da ich auch den jetzigen Mai des Lesers mit diesem Schrecken erkälte. Der Jubilar erkundigte sich nämlich, um nur eine Materie zum Reden an die Hand zu geben, was für eine Kutsche unter dem Gottesdienst durchs Dorf gerasselt sei. Kein Mensch wußt' es als der fatale Scheinfuß, welcher antwortete, er sei unter dem ersten Teile ein wenig auf den Gottesacker hinausgegangen, um nach den Chorjungen zu sehen, ob sie einander nicht mit Knochen erwürfen. (Welcher entsetzliche Falsarius! der Wirbelwindbeutel bleibt wie alle Kantores in keiner Predigt, er glaubt, er müsse, wie in einer andern Mühle, nur wenn der Same des Worts zusammengemahlen ist, mit seiner Orgel klingeln.) »Da hab' ich mich,« fuhr er fort, »als ich etwas fahren hörte, auf ein Grab gestellt und am Wappen es gesehen, daß es die Kutsche Seiner Durchlaucht wäre, und Höchstdieselben saßen auch persönlich darin und schliefen und machten sich eine Lustfahrt nach der Insel, wie ich vom Vorreiter habe.« Es ist die bekannte Insel der Vereinigung. Ungefähr wie Gichtmaterie setzte sich diese Schreckensmaterie in mein Handgelenk, und mein Löffel sank. Es war mir alles recht faßlich – von der entlegnen Insel konnte der Fürst heute nicht wiederkommen – es war überhaupt unbegreiflich, daß ich nicht eher weder die unwahrscheinliche Unschicklichkeit bedachte, daß der Fürst mit der Vokation als sein eigner Kanzleibote aufs Land fahren werde, noch die Möglichkeit, ihm sei eine so kleine Sache und ein mit so wenigen Umständen entlocktes Versprechen entfallen. Kurz das schien gewiß, daß wenigstens heute der Adjunktus noch keiner werde und daß morgen die Geliebte weinend fliehe. Das schmerzte mich. Der so oft erledigte heilige Stuhl neben mir hielt mir immerfort ihre morgendliche Auswanderung aus dem Vaterland der Stube vor, und ich hörte sie aus der Zukunft herüber klagen, und mich nagten die Hoffnungen, wodurch ich über ihre Knochensplitterung und Exfoliation nur ein dünnes Häutchen gezogen hatte. Alithea verbarg aus unschuldiger Eitelkeit den vertraulichen Rapport nur wenig, in den sie die Temperamentsblätter und das lange Lied mit mir gesetzet hatten; aber ich war innen zu versehrt, um die Früchte von Weissagungen zu brechen, welche Lügen wurden.

In dieser Gleichgültigkeit gegen meine dürre unfruchtbare Rolle übersah ichs ganz, daß man meine zwei Schaugerichte, die Goldschleien und den alabasternen Tafelaufsatz – er stellte Tempelruinen vor –, gar nicht aufgetragen hatte.

Die freundliche Familie verstrickte sich immer inniger mit allen meinen 40 Nervenpaaren. Ich schloß mit dem Hamstergräber einen wichtigen Kaufkontrakt über zwei Scheffel HamsterkornMan findet oft im Bau eines solchen unterirdischen Kornjuden 100 Pfund Getreide.: »Wir Esenbeck«, sagt' ich, »essen das Brot aus einer Hamster-Verlassenschaft ungemein gern.« Ich hoffte, dieser Hamsterschatzgräber sollte mich im Handel ansehnlich betrügen; indes tat er, was in seinem Vermögen stand. Gemeine Leute meiden und hassen den Betrug, ausgenommen den, den sie in ihrem Handwerk begehen können. Der Hamster-Spion war ein guter Nachbar, ein besserer Vater und der beste Hauswirt; aber ein wenig derb und sportelsüchtig: er glich der Flachsenfinger Bürgerschaft, die Christum ersuchen würde, die Teufel lieber in sämtliche Bürger als in ihre Schweine fahren zu lassen. – Was den Buchdruckerherrn anlangt, so sagte ich ihm, ich schriebe für die gelehrte Welt jährlich einige Manuskripte, und er sollte die Freude haben, eines zu drucken, das ich dem heutigen Feste zu Ehren betiteln wollte »der Jubelsenior«: er wird sich wundern, wenn er diese Zeile hier auf dem Aushängebogen erblickt. Es ist ein ehrliebender feiner leiser Mann, der sich nichts rühmt als seiner Schwachheit, nämlich seiner Kunst, und der mit den BenediktinernNach dem 38. Kap. der Ordensregeln des heiligen Benedikts muß wirklich der Pater, der über dem Essen vorlieset, täglich dieses Gebet abschicken. täglich Gott anruft, er solle ihn nicht darüber übermütig und zum Narren werden lassen, daß er lesen kann. Er griff in die Tasche und zog vier Lot große R und ein Viertelpfund Gedankenstriche heraus: »Ich habe« (sagt' er) »nur nichts bei mir; aber Sie sollen sehen, was Berliner Druck ist und was meiner. Frau, du kennst meine grobe Sabon-Fraktur, die grobe Missal-Fraktur, die kleine Missal-Fraktur, ferner die Doppel-Mittel-Fraktur, ferner die Borgeois-Fraktur, auch die Nomparel-Fraktur – Frau, sage du, was zu sagen ist!« – Sie antwortete außer allem Kontext: »Und vom Setzen laufen meinem Manne die Beine erbärmlich auf. Wenn ich glücklich niedergekommen bin, so will er selber alles verlegen und seinen eignen Buchhandel anfangen.« – »Das können wir gottlob«, sagt' er ungemein zufrieden. »Im Grunde«, sagt' ich, »schwillet ein Schrift-Steller so gut auf als ein Schrift-Setzer, nur jeder mit dem leidenden Teil: ich weiß das von mir.« Ich hob (um auf etwas anders zu kommen) wägend die vier Lot Kapital-R auf und nieder, um so lieber, da es mein eigner Namens-Initialbuchstabe ist und da ich schon 30 Stunden, wie Brockes ein Gedicht von 70 Versen, ohne mein R vollendet hatte, wiewohl ich das Leben in den Tagen ohne R (z. B. als Seraphinenritter im ersten Appendix) wie Krebse in den Monaten ohne R am schmackhaftesten finde. Nichts ist wohl einem Menschen schwerer, als gleich dem Rektor Uhse eine Weihnachtspredigt, oder gar wie der Neapolitaner Cardone ein Gedicht von 2000 Versen unter dem Titel: L'R sbandita zu verfassen ohne ein einziges R. Unter die Vorrede dieses Appendix hab' ich meinen Namen mit einem R aus jenen 4 Loten setzen lassen. –

Es ist leicht nachzuzählen und nachzuwägen, daß ich wirklich das ½ Pfund Schwersscher Gedankenstriche, dieser Gedanken-Exponenten, in gegenwärtigem kleinen Werk rein aufgebraucht: dieses Halbpfund war mir so lieb wie ein Gebind Gehirnfibern oder ein Strang und Dickicht Weisheitsbarthaare; denn Gedankenstriche sind die wahren Narben und Runzeln einer angestrengten Stirnhaut. –

– Auf diese Art hatt' ich den drei Söhnen des Jubelgreises – denn der Pitschierstecher stach den Dante nach – etwas zugewendet; und der vierte war im Grunde noch immer nicht um seine Adjunktur: der Fürst hielt doch Wort, wenn auch erst übermorgen; nur ich blieb in einigen Lügen.

Jetzt fingen in diesem Sitze der Seligen die Himmelsbürger allmählich an zu glänzen und zu schreien, und das letztere geschah auch im limbus infantum in der Nebenstube – der ChristophletEin Likör aus Pontak, Branntwein und Nelken. wiederholte seine Ronde unter lauter Anabaptisten, und nur ich entzog mich der Injektion und lauerte auf Wein – mit derselben Enthaltsamkeit ließ ich auch alle erste Gerichte, alle Mond- und Sonnenscheiben der Teller voll sauerer Karauschen, aufgerollter Plinzen, geräucherter Heringe kalt vorüberlaufen und war entschlossen, mich bloß auf den Hammelziemer, den ich unter dem Hauptliede zu einem Wildziemer überspicken sehen, einzuschränken und nachher auf den Prophetenkuchen, den der meinige (das Temperamentsblatt) und meine Prophetenschule mehr parodierte als verdiente.

Nicht ohne Vergnügen nehm' ich wahr, daß ich bisher das Fräulein von Sackenbach ganz vergessen habe: denn sie gewinnt wenig dabei, wenn ich ihrer gedenke, und ich gar nichts. So traut und warm sie mir am Samstag erschienen war: so kahl und fahl kam sie mir am Sonntag vor. Ich hörte erstlich das Radschlagen ihres mit 32 Schwanzfedern besteckten Adelstolzes näher und das Rauschen ihres Stammbaums. Dazu kam zweitens, daß ihre Tabaksdose allen den jungen hübschen Weibern, die keine hatten, ein Eckstein, ein Zorngefäß und eine Pandorabüchse wurde. Es ist überhaupt ein angenehmes Schauspiel, zu bemerken, wie der bloße niedrige Stand solche Personen hindert, das Plombieren mit diesem Dinten-Pulver nur einigermaßen mit der hohen Reinheit der weiblichen Reize und der weiblichen Arbeiten zu vereinbaren: sie würden sich noch lieber mit diesem Futterkraut eine Pfeife stopfen als eine Nase. Mir hingegen war ein solches Ziborium voll Nasen-Häcksel nie ein anderes Zeichen, als der Bart der Schweizer istIm 60. Jahr dürfen sie einen behalten. , nämlich das eines schönen Alters ohne Eitelkeit, das sich aus seinen Reizen und Farben wenig mehr macht. Die Strafe, die Peter der Große auf das Schnupfen setzte, nämlich Aufschlitzung der Nasenflügel, vollziehet jeder Schnupfer nur langsamer an seinen selber; und da man noch dazu allen Blumen, die beinahe mehr für die Weiber als für die Männer zu wachsen scheinen, den kleinen Hafen durch dessen Füllen sperret oder vielmehr durch das Sandbad versanden lässet: so kann man, dünkt mich, nur von alten Damen fodern, daß sie schnupfen, von jungen kann man es höchstens wünschen. Einer alten Person stehet (wie alles Dunkle) dieses Schwarz auf Weiß, als ein Dokument des schönen Verzichttuns auf Gefallen, unbeschreiblich an, sie hält die volle Tabatiere gleichsam als das abgebrochene volle Stundenglas des Todes in Händen; der Tabak ist das reife Mutterkorn in der reifen Ähre; aber junge Damen sind selten imstande, die Dose aufzumachen und sich damit Blumen und Liebhaber miteinander zu nehmen; und die wenigen, die schnupfen, sollten nie auf die heruntersehen, die es nicht vermögen. – –

Ich hörte jetzt aus der Kinderstube die liebe Alithea zu den Dutzend Dutzenduhren sagen: »sie dürfe nicht, es gehöre dem fremden Herrn.« Ich fragte näher: es war mein Tafelaufsatz mit dem ruinierten Kathedraltempel, den die kleine Bruttafel draußen für mitgebrachte Spielware genommen hatte. Jetzt war es doch wahrlich Zeit, die zwei optischen Gaukel-Gerichte der erwachsenen Eßtafel vorzusetzen. Man trug sie herein, die Schleien und die Ruinen: »Solche Gerichte hat man« (sagte die fille d'honneur) »am Hofe alle Tage.« Der Hamstergräber dachte, als er den gläsernen Fischkasten sah, es sei eine Schüssel seltener ausländischer Karpfen, und hoffte anzuspielen, verhehlte aber nicht dabei (er hatte Christophlet im Kopfe), »die Gräten fräß' er allein auf«, bis man ihn verständigte, daß solche Fische auf die Tafel kämen, nicht um gegessen, sondern um gefüttert zu werden, und zwar mit Semmelkrumen. So wenig weiß ein gemeiner Mann von den Skulptur-Viktualien der Großen, die – so ungleich den Gegenständen der groben Liebe – nicht anders genossen werden können als die der platonischen, nämlich durch anhaltendes Anschauen; Gerichte, für die es keinen elendern Koch gibt als den besten für grobe, den Hunger. Die künstlichen alabasternen Scherben des geistlichen Schafstalls (des Tempels) sah der Jubelsenior für ein gut herpassendes Modell des jerusalemitischen Tempels an, das seinen Jubel ziere.

Am Ende kam doch Wein und früher als der optische Wildziemer: ich hatte noch wenig gegessen und nichts getrunken. Wie belebte diese Feuertaufe, mit der ein Taufengel zu uns hereinflog, sämtliche Täuflinge! Die Kinder erwuchsen – die Stummen sprachen – und die Sehenden sahen mit zwei Augen – der angefeuchtete Faden der Rede spann sich leichter zwischen den Fingern durch, und der Demant des schimmernden Lebens wurde auf dieser Folie zu einem Doppelstein vergrößert, wenn nicht gar zu einem Stein vom ersten Wasser versilbert durch das bunte. Der Koadjutor Ingenuin wurde so kühn, Fragen an den Freudenmeister abzulassen und überhaupt frei zu denken in Fundamentalartikeln, z. B. der Altar-Servietten, ja sogar des heiligen Geistes. Fragt' er mich nicht, ob man am Hofe redliche Heterodoxen dulde? Und konnt' ich nicht zu meiner Freude antworten, man toleriere da wie in Holland gern jede Sekte, nicht nur Kopten, Lappen, Hindus, sondern auch Christen? »Zu meiner Zeit«, sagte die alte Fräulein, »glaubten wir noch viel von Helvetius und Voltaire.« Ich sagte, sogar der Unglaube sei jetzt eine Art von Frostnebel und so kalt wie der Glaube, und jeder könne sich ungestört in alle große Städte oder auch in feine Bücher wagen; so wie man über den Kot, wenn ihm der Frost Festigkeit gegeben, unbesudelt schreitet. Der Kandidat klagte, das Konsistorium denke leider anders und hälfe nur leeren Köpfen auf und vollen hinunter; »geradeso wie man«, sagt' ich, »nur leere Fässer« – das Gleichnis war nicht weit hergeholet – »aufrichtet und nur volle umlegt; überhaupt nimmt man klüger die Vernünftigen statt der Vernunft gefangen, und am Ende kömmt doch diese mit jenen ins Loch.«...


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