Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Es milderte meine Bangigkeit schlecht, daß Amanda von Zeit zu Zeit typische und mystische Winke von einem gewissen magnetischen Wels oder Scheidfisch fallen ließ: ich dachte, ich wäre der Wels, und sah die Kommunikationsgräben zwischen ihr und Esenbeck immer tiefer und länger werden. Da bei jeder Bewegung von ihr zu erwarten war, daß der Vorhang auffahre und mir blitzendes Geigenharzpulver und den Naxos zeige und eine Ariadne oben darauf: so macht' ich ihr nachmittags um 5 Uhr unter dem herrlichsten Sonnenschein weiter kein Geheimnis daraus, daß der magnetische Raubhecht oder Wels aus meinem Gedächtnis ordentlich weggeblasen sei. Sie sperrte heiter eine Hausapotheke, aus der sie willig ein clinicum und einen Gesundbrunnen für alle Eingepfarrte machte, auf und hob einen liegenden Oktavband – mit der Rückentitulatur Schatzkästlein – heraus. »Das Buch ist sein Ehepfand,« dacht' ich, »so wie dumme Dorfliebhaber bei ihren Bräuten ein Gesangbuch zum postillon d'amour und Ehe-Mörtel brauchen.« Aber sie zog das Erbauungsbuch auseinander, es war bloß ein hohles ausgeweidetes Vexierbuch, und drinnen steckte statt des Spruchkästchen nur ein Fischkästchen, worin ein magnetischer Wels und ein eisernes Fischchen als Köder am Angelhaken für spielende Kinder lagen. Ich will lieber tausend Rätsel machen, als funfzig lösen: kurz, so deutlich alles war, daß der magnetische Scheidfisch den Freudenmeister bedeute und daß das umgoldete Fischlein, das mit dem Raubfisch zusammenklappte, das redende Wappen Gobertinens sei, ja ob ich gleich aus der Naturgeschichte wußte, daß der Mann das beste Vorbild am Welse habe, der auch mit seinen Bartfasern die Fischchen ködert und täuscht und der diese dann mehr hineinsäuft als hineinfrisset: so bracht' ich doch nicht eher etwas heraus, als bis mir einfiel, daß Esenbeck Gobertinen einmal die umgekehrte Sirene (oben ein Fisch) geheißen, und bis sie selber mich gefragt hatte: »ob es nicht ein sonderbarer Einfall von mir gewesen wäre, ihr so etwas zu schenken.« – »Die Esenbecks« sagt' ich, »waren nie recht gescheut.« –

Da von ihr in jeder Minute bald die Küchenmeisterin ein Responsum, bald ein Kind aus dem Pfarrhaus ein Gewürz oder Möbel holte und uns, das Brautpaar, unterbrach: so sagte sie freundlich: »Nach dem Essen hab' ich Ihnen etwas Wichtiges zu proponieren: man stört uns jetzt zu oft.« –

Ich verwünschte den verfluchten Qualenmeister Esenbeck, der gern weibliche Festungen eroberte, aber nicht als Festungsgefangner der Ehe drinnen hausen wollte: im Triampole – im Quarampole – im Toccategli – im Triomph und Bestiaspiel wünscht' ich ihm, daß heute alles zum Teufel ginge, gleichsam vor dem Eigner als Gepäcke voraus: mit der Ehelottospielerin neben mir schien ich mir Misery im Boston zu spielen, das, worin der gewinnt, der keine Stiche macht. Ich suchte mich daher bei ihr nach meinen geringen Kräften verhaßt zu machen und die Esenbecksche Rolle matt und falsch zu spielen und in meine eigne zurückzufallen. »Hier ist weiter« (dacht' ich) »nicht zu spaßen, und die Ehe ist dir noch näher als deren Scheidung: sie begehrt wahrhaftig, wie Israel unter den Richtern, einen König, und ich werde zum Saul gemacht – – nein und nein und nein!« Hätt' ich nicht die schönste Glücks- und Ehrenlinie der guten Jubelleute drüben ausgestrichen, wahrlich mit Freuden hätt' ich den roten Truthahnszapfen auf meiner Stirn verwaschen und verwischt. Wenigstens aber stand mir frei, weniger zu interessieren und durch moralischen Schein meine Ähnlichkeit mit dem Flachsenfinger Freudenmeister zu schwächen. »Jetzt,« (schloß ich) »da vor der Schwersschen Silberhochzeit eine Silberverlobung mit mir vorauszulaufen droht, sind kühne Anmerkungen über Amors Geschosse und Amazonen gefährlich, und man nimmt damit ein.«

Leider nahm ich gerade mit dem Widerspiel eine Person vom Lande ein: ich gefiel bedenklich durch Dezenz. Ein verhenkerter Charakter! sagt' ich.

Ich bat mir fünf einsame Minuten auf meinem Zimmer aus. Zorn ist wie alle Leidenschaften ein berauschendes Mittel von innen, und man hat darin die besten Einfälle, die man nicht verrauchen lassen soll. Ich schrieb in meiner Stube moussierend folgendes über alte Jungfern: »Sie hätten nachdenken und heiraten sollen. Wahrhaftig wenn der Mann, der so viel zu machen hat – Eroberungen – Bücher – Protokolle – Predigten – Verse – die Rezensionen davon – die Antikritiken darauf – närrische Streiche aller Art –, unter solchen kanonischen Hindernissen keine Hochzeit machte (wie er doch nicht tut): so wär's ihm nachzusehen; aber wenn eine Schöne, die die größte Muße hat, sich zu verlieben, und die erst am Traualtar eine Heilige wird, welche sich auf ihn stellen kann, um da nicht von Anbetern, sondern von Männern angebetet zu werden, und deren Verdienste, d. h. deren Kinder täglich wachsen, wenn die es nicht tut, was soll man da anders machen als – folgendes Gemälde von ihrem Zustand im 61sten Jahr? – Freilich dachte sie im 16ten Jahr, sie verbleibe durch das ganze Leben 16 Jahre alt, die Sommerhäuser und Sommerkleider der Jugend würden nie kalt und überschneiet, die Gespielinnen ihres blumigen Lenzes überblühten an ihrem Arm die Vergißmeinnicht und kröchen weder in ferne dicke Kinderstuben noch tiefer unter die grüne Wiegendecke aus Erdschollen – – Aber nach wenigen Jahren steht alles, was mit ihr Blumen und Sterne suchte, ganz verändert und weggetrieben auf andern Inseln, und sie sieht allein und weinend hinüber. Ich will es aufrichtig inventieren, was ihr noch bleibt im 61sten Jahr (ich setze aber voraus, daß sie absichtlich den Ringfinger krümmte, wollt' ihr einer den Ehe-Reif und Anschrot applizieren): – Ihre jetzigen Freundinnen sind Mägde, ihre Freunde zwei alte Erbschleicher, die die Durchgangsgerechtigkeit durch ihr Herz ausüben, um in ihr Testament zu kommen – ihre Korrespondentinnen antworten ihr selten und nichts als das: ich lieg' im Kindbette – sie putzt sich im Spätjahr des Lebens, aber niemand freuet sich darüber als der Schnitthändler, dem eine Ladenhüterin den Ladenhüter abnimmt, statt daß über die geschmückte Mutter sich der erinnernde Mann und der teilnehmende Sohn ergötzt – und statt eines Eheherrn kann sie niemand plagen als den Schoß-Kater, der, unähnlich jenem, gerade knurrt und den Kamm, d. h. den Schweif hoch trägt, wenn ers am besten meint – anstatt der Kinder informiert und füttert sie Kanarienvögel – und statt des schöpferischen Verdienstes einer Mutter, die wie Gott kleine Adamlein und Evchen in das Paradies unter den Lebensbaum setzt, hat sie keines als das, entweder als entzündeter Cherub an fremden Paradiesen zu stehen oder auf irgendeinem Erkenntnisbaum den Eltern das Obst zu preisen, das sie selber verdauet – und wenn sie nun nach einem ausgetrockneten magern Leben voll großer Langweile und großer Gebetbücher und voll scharfer ätzender Seufzer über jeden schönen Tag, weil ihn niemand länger, und über jeden schlimmen, weil ihn niemand kürzer macht, und über jeden ersten Feiertag, weil sie da allein essen, und über den Thomastag, weil sie ihre immergrünen Jugendtage niemand malen kann als einer alten zerknüllten, weniger ihre Freuden als ihre erblichen Kleider und Jahre nachzählenden Soubrette, wenn sie nun nach einem naßkalten Leben voll aufgewärmter Leichenessen, erfroren unter Regenschauern, abgemattet sinkt und einsam verlischt: ach so schleicht sie aus einer Erde, wo alles so bald vergisset und vergessen wird, ungesehen hinunter, und kein Gatte, kein Sohn, keine Tochter sagt: ich vergesse dich nicht.«

Ich stand auf und schauete voll Sehnsucht in den glücklichen Abend hinaus: nicht bloß im Pfarrhaus, auch in jedem profanen wurde Putz und Fleisch für morgen ausgesucht, und im Häuschen des Schulmeisters waren wie von einer feindlichen Plünderung alle Fenster ausgehoben zum Waschen. Das waren aber für mich tiefen Sumpfvogel ferne, im Äther hängende Luftschlösser: ich mußte zu Gobertinen zurück, voll leiser Flüche gegen den Flachsenfinger, daß er sie nicht geheiratet hatte; da der Mann ein Fels sein muß, der nicht nur die Klippe, woran das weibliche Bucentauro- und Kaperschiffchen scheitert, sondern auch das Ufer ist, auf dem die Bewindheberin desselben gerettet aussteigt. Als ich wieder in ihr Zimmer kam, setzt' ich mich aus Verlegenheit sofort nieder; und als ich merkte, ihre abgeschnittenen Schneckenfühlhörner des Gefühles wüchsen von Minute zu Minute stärker nach – denn Weiber regenerieren, ungleich den Vögeln, die nur die unempfindlichen Teile, Krallen und Federn, wieder erzeugen, immer einen empfindlichen, und wär' er ihnen noch so oft genommen, nämlich das Herz –, als ich das sah, setzte ich den Schuhabsatz aus Angst auf den Henkel einer kleinen Wiege, die das Grahams-Bette und der Federtopf für einen alten dreibeinigen Schoßhund war, so wie im Magdalenen-Kloster Naumburg in Schlesien die Nonnen hölzerne Jesuskindlein in den Wiegen haben und schaukeln. Ich wollte den Hund in den Schlummer rütteln, als er daraus auffuhr und bellend aus dem Lager sprang.

Wir speiseten endlich.

Aber die drei Goldkarpfen, die als Schaugericht von der Jagdwurst abgeladen wurden, ließ ich nicht agieren, aus Furcht vor dem magnetischen Wels.

Nach aufgehobener Tafel sucht' ich eine Freistätte auf der Tastatur eines alten Klaviers. Der schöne Kopf eines kleinen Mädchen hing oben darüber an der Wand, das ich (verzeihe mirs die Menschenliebe) für das leibhafte Kind der fille d'honneur ansah, bloß weil es einige Familienzüge von ihr hatte. Endlich kam sie mit einer Brieftasche und fragte mich bang, ob ich denn alles vergessen hätte. »Einen elendern Witwensitz als mein Gedächtnis gibt es für die Vergangenheit nicht; in diesem Briefgewölbe verschimmelt alles«, sagt' ich. Sie gab mir still die Brieftasche zum Lesen und begleitete jede Epistel, die ich durchlief, mit einem flüchtigen Klavierauszuge nach den Regeln des reinsten Satzes. Beim Himmel! mein spitzbübischer Maskopeibruder und Lehnsvetter in Flachsenfingen hatte die Liebesbriefe an gegenwärtige Kontrapunktistin adressiert. Aus jeder Zeile blies Liebes-Tauwind, Hof-Stickluft und der Passatwind der Eitelkeit: wie die Theologen sonst jedes Glied zum Beweise und Pfeiler einer Gottheit machten – z. B. Morus das Auge – Schmid das Ohr – Donatus die Hand – Hamberger das Herz – Sloane den MagenS. Derhams Astrotheologie.  –, so regt ein junger Fant kein Glied, das ihm nicht den erfreulichen Beweis eines existierenden Gottes oder Halbgottes oder Venerabile (er selber ist nämlich der Gott oder das Venerabile) darreichte, und er schauet in sein göttliches Wesen. Unter dem Lesen nahm ich mir vor, es ihr zu gestehen, daß hier zwei Betrüger die Hand im Spiele hätten, nicht bloß der Flachsenfinger, auch ein neuer.

Jeder Esenbecksche Brief war gleichsam der Avisobrief und Mortifikationsschein einer neuen, richtig erhaltenen Gunstbezeugung und der Bettelbrief um eine größere: ja da sich ein solcher Klimax doch beschließet, so schien es mir, es wären höchstens noch zwei periodische Blätter möglich – und ich sah, mit tiefgesenkter Registratur dieser französischen Papiere, beklommen das kleine gemalte Töchterlein an, und es war mir, als schrie mir das Tableau herunter: Papa!

So hetzt einen Menschen eine einzige Lüge in Irrgängen herum; es ist ebenso unmöglich, mit einer Lüge als mit einer Kinder-Blatter durchzukommen: eine überdeckt den ganzen Menschen mit Pockenmaterie.

»Ich hab' es schon längst gewunschen,« (sagte sie, über mein Sinnen froher) »daß Sie einmal Ihre eignen Briefe wieder zu Handen bekämen: sie sind ebenso von Wichtigkeit als die meinigen; wie konnten Sie aber bei solchen Umständen meiner Bitte immer einen stillschweigenden réfus geben?« – »Wie?« (wiederholt' ich; denn zum Glück schnüret manches schlimme Wort, das durch die Kehle soll, wie ätzendes Sublimat diese zu, und man kann sich also nicht damit vergiften) – »Wie alt ist wohl das liebe – Bild da oben?« – Ich wollte diesen Geburtsschein still mit dem Datum der letzten Epistel konfrontieren und dann sehen, was dabei herauskäme. »Ach wozu das? – Vierzig Jahre ist es alt« – »Unmöglich!« sagte ich. –»Ich bin ja selber«, fuhr sie fort, »über die Dreißiger hinaus – und war gerade zehn Jahre alt, als es gemacht wurde.«

Kurz nur sie war als Kind gemalt. –

»Aber warum weichen Sie wieder meiner Bitte aus? O Gott, geben Sie mir meine Briefe wieder!« – »Hier!« sagt' ich und konnte mich vom Schrecken über meine sündige Hypothese und über meinen Kinderglauben (fides implicita) daran, der zum Glück kein Mundglaube geworden war, kaum ermannen. Sie nahm die Briefschaften zitternd, und diese zogen die gelähmten Hände belastend nieder, und sie sagte: »Das hab' ich nicht verdient. Sie haben etwas, das wußt' ich lange, mit meinen Briefen vor.«

Jetzt merkt' ich erst, wo der Knoten saß und die Auflösung desselben dazu – Nicht meine, sondern ihre Briefe hatte sie begehrt. Der gewissenlose Flachsenfinger hatt' ihr die Edition ihrer erotischen Dokumente aus Eitelkeit, Trägheit, Flattersinn und Bosheit abgeschlagen. Sie hatte aber die Bitte um die Auswechslung dieser brieflichen Gefangnen, aus Scheu vor fremden Augen, häufig unter die Bitte um seine Besuche versteckt. Ich verdacht' es ihr wenig, daß sie ihre Liebes-Pfandscheine einzulösen suchte: sie hatte auf dem Lande viel von der Hof-Kühnheit verloren und sorgte, die Welt jage ihren Papieren so nach wie spanische Jesuiten königlichen, und dann werde durch solche aufgehangene flatternde Papierschnitzel jeder Zaunkönig verscheucht, der sie zur Zaunkönigin, zur Frau erheben wolle. Man sah es ihr gar nicht mehr an, daß sie fille d'honneur am Hofe gewesen, wo man die Güte der Weiber und des Wassers in die Geschwindigkeit setzt, worin sie sowohl warm werden als kalt. Wahrhaftig große Schamröte ist in der höhern Welt dem echten Liebhaber schöner Künste, als eine zu grelle Farbengebung, so verhaßt wie rotes Haar, so wie auch Tolle, Spechte, Truthühner und Magnetiseurs (oft lauter Verwandte) die rote Farbe meiden. Weiber von Stande nehmen wie die Baumwolle alle Farben lieber an als die rote; das wenige Rotwildpret darunter muß suchen, eine mit dem Blute der Schamröte leicht unterlaufene Wange durch die Rötelzeichnung der Schminke zu bedecken, wie Blumenstücke die Risse des Porzellans verhehlen. Mit den Weibern ists wie mit den Häusern, deren Preis desto mehr fällt, je mehr die Miete derselben steigt; in der Stadt aber wohnen mehr Familien zu Miete, und auf dem Lande ist jeder ein Häusling oder Hausherr.


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