Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Indes wurden wir doch durch die Kellnerin mit dem Amors-Böller und Obergewehr ins Pfarrhaus gebracht, unser Gespräch wurd' es nämlich; und Amanda fing an, die guten getäuschten Leute zu beschützen, zu erheben, für sie vorzubitten, ihnen vorzuarbeiten. Sie tat das alles so herzlich, sie legte den Pfarr-Insassen mit einer solchen Freude im Blick und Ton den Krönungs- und Kurhabit des moralischen Lobes an, daß es mich reuete, diese Putzjungfer selber von Fuß bis auf den Kopf vorher in das fatale Demutskleid des heiligen Alexis gesteckt zu haben. »Beim Himmel!« sagt' ich innerlich, »und wenn der Teufel und seine Großmutter und sein Großvater und seine 32 Ahnen mit allen Sünden in der engen Brust eines Mädchens als Mietleute sitzen, so verdrängen sie doch daraus das gute hülfreiche Herz für den leidenden Mitchristen nicht, es schlägt mitten in dieser Gehenna noch warm für andere fort.« – Ich gab ihr zum ersten Male ein ernsthaftes Lob und die ernsthafte Versicherung: »ich hätte mit dem Fürsten aus der Sache gesprochen, und es sei auf etwas zu rechnen.« – –

Plötzlich schien ein ganzes Pagenkorps die Treppen wie eine Feuerleiter heraufzulaufen; und ein Mann mit gebogener Nase, mit freier Stirne unter glatt zurückgestrichnen Haaren trat nach einem einzigen Anklopfen herein, stülpte den geraden steilrechten Rücken nur ein wenig vorwärts und rief unter dem Zumachen hinter sich zurück: »Ihr bleibt mir draußen.« Er meinte seinen Nachtrab und Nachschwarm von einem halben Dutzend freundschaftlicher kurzstämmiger Jungen. Es war des Jubelseniors zweiter Sohn, seines Handwerks ein Pitschierstecher, Zifferblättermacher und Schnallen-Händler. Sein Avant-propos war: »Ich will nur Ew. Gnaden meine Aufwartung machen – und um sechs Sessel bei Ihnen anhalten, mein junges Volk draußen soll sie tragen. Wir müssen uns drüben sonst aufeinander selber setzen.« Ich bitte jeden Schulmann, Privatdozenten und philosophischen Adjunktus, den ersten besten Handwerksmann wie eine Akademie zu studieren als ihren Vorfechter und Exerzitienmeister, ders ihnen vormachen kann, wie man vor höhern Personen die Unterordnung des Bürgers zugleich mit der stolzen Freiheit des Menschen vereinigt: ein Orbilius will immer hinter den aufgeschwollenen Bürger den zusammengefallenen Menschen verschanzen.

Die Gefühlspitzen und Sehnerven eines Handwerkers befühlen an jeder Seele zuerst das, was sie etwan von seinem Gewerke um sich hat; der Schuster hält seine papierne Diogenes-Laterne zuerst an die Stiefel, der Schneider an den Frack, der Friseur an die Locken, der Pitschaftstecher an die Uhrkette, woran etwas Sphragistisches hängt. An meiner kundschaftete der Siegelgräber das entlehnte Esenbecksche Petschaft aus: »Auch meine Arbeit!« (rief er) – »Ich sag' immer, es sticht keiner einen solchen Helm und Kopf wie ich!« – »Hier ist aber ein Kopf, Herr Schwers,« (sagt' ich) »den einmal einer nachdrucken sollte im bas-relief, damit man ihn nachher in haut-relief auf den Briefen hätte.« Es war Dantes Kopf. Der Schnallenhändler brachte sogleich eine Handvoll Petschafte heraus, um damit zu besiegeln, wie weit ers treibe. Warum soll ich so lange antichambrieren, eh' ich den Lesern gerade die Gründe vorzähle, aus denen ich dem lustigen Kirmesgast der Erde Dantes Gesicht zum Nachstechen anvertrauete, um mit der Physiognomie dieses Höllenmalers künftig zu siegeln? Nämlich hundert oder einige tausend Petschaftskunden möcht' ich von Herzen gern dem Schwersschen Sohne zuwenden, falls er den Kopf gut nachgravierte; und ich ersuche einige hundert Leser, an mich zu schreiben, damit ich ihnen eine Antwort geben und diese mit Dantes Pantomime bedrucken kann: in der Vorrede steht schon, wo ich lebe. –

Die vielen Privat-Prägstöcke oder Münzstempel des Schnallenmachers ließen in mir eine neue Reflexion zurück, die ich hier hervorlange. In unsern Tagen darf man alles loben – die Narrheit wie Erasmus, den Esels-Schatten wie Archippus, den Steiß wie Coelius Calcagninus, den Teufel wie Bruno, ja den Nero wie Linguet – alles, nur sich nicht, wenn ich den Poeten auf dem lyrischen Musenpferd ausnehme, das ein Bassa mit einem Roßschweif ist. Der Tempel, das Pantheon, worin sich ein Mensch in unsern Tagen wie Kaligula eigenhändig anbeten und wie dieser mit Opfern aus Geflügel ehren kann, das ist sein eigner dunkler, fest verschlossener – Kopf: in diesem Lararium, in dieser Filial-Rotunda mag er seine Hausandacht vor sich selber verrichten. Es ist bekannt, wie ichs vermeide, mich zu loben, ja wie ich sogar, gleich einem Negersklaven, der lieber ein Ladenhüter als ein abgehender Warenartikel sein will und der deswegen den versteigernden Parentator seiner guten Eigenschaften Lügen straft, wie ich sogar, sag' ich, das von andern mir zugedachte Lob teils beschneide, teils ablehne, teils zurückgebe. Wahrlich es gibt schon Speisesäle, wo man (wie in den Hörsälen der kritischen Philosophie, die das Ich gar in einen im unbekannten X schwimmenden Ideen-Schleim mazerieret) gar nicht mehr sagen darf »Ich«, obgleich oft gute Menschen ihr Ich nur zum Malergestelle des Universums machen und aufs Individuelle bloß das Allgemeine zeichnen, indes andere die Erdkugel zum Stativ ihrer Winzigkeit unterstellen und wie die Franzosen, wenn sie man sagen, zwar 110 375 Millionen MenschenSo viel sollen von Adam an bis auf Esenbeck Menschen gewesen sein. nennen, aber keinen meinen als einen. Beim Himmel, kann denn einer von uns aus seinem Ich heraus, und womit? Ists gescheut, daß jeder sich ordentlich schämt, mit einem Ich behaftet zu sein, und daß ers doch am Nebenmann preiset und dieser an jenem? – Also, wie gesagt, ich und die Leser würden für unsere eigenhändigen Belobungs- und Rekommendationsschreiben nirgends eine Stelle finden als auf unsern weißen Leichensteinen, deren erhobene Arbeit und Festungswerke unsers Ruhms doch die Zeit so eilig schleift und wegnimmt mit dem Schlichthobel ihrer Sense; das würden wir, sag' ich, wenn nicht – – (jetzt schlag' ich mich, nach meiner Gewohnheit, mit einer lang aufgesparten Aufhebung alles dessen dazwischen, was ich vorher zu verfechten geschienen) – wenn nicht.... das Petschaft wäre.

Aber das ist unser Bette der Ehren: in der eingelegten Arbeit des Metalls, auf der erhabenen des Siegellacks sitzt ein Ich sicher und ohne Gefahr wie auf einer Zirbeldrüse und in einem Hasenlager. Man spricht da nicht nur wie eine englische Zeitung bloß von sich, sondern auch mit der größten Selbst-Achtung: es wird nicht gewehret, sondern vielmehr erwartet, daß man seinen Namenszug in herrliche Einfassungsgewächse, in Girlanden, in jede schmeichelnde Fassung drücke, in Genienarme lege, auf Prachtkegeln setze, an Sonnen hänge. Ganz unverhohlen dürfen wir da einmal es sagen und zeigen, was wir von uns halten; das Petschaft ist der Treflebube, worauf der Kartenmacher seinen Namen, oder der Wagen, worauf der Römer die Statue eines Vergötterten, oder der Turm, den der Sineser einem großen Manne setzt. – –

Aber zurück!

Das tat der Petschierstecher auch und ging. Die Gesellschaftsdame setzte auf die sechs Sänftenträger die sechs Tragesesseln mit einem gastfreien Vergnügen, das wie ein Abendrot ihrer Seele recht schöne Farben und Züge verlieh.

Ich hatte mit meinen Augen den letzten Jungen mit seinem Sessel kaum bis an die Pfarrtüre begleitet, als daraus der Adjunktus Ingenuin heraustrat, mit dem weiblichen Glättzahn überfahren und geglättet wie ein Almanach oder Käfer, rotwangig, rotlippig, sanftäugig, bescheiden, still, ernst, nett und weich. Der Ketzer und Stylit Simeon verrichtete seine Säulenandacht bloß in Beugungen, deren einmal ein Zuschauer unten bis an eintausendzweihundertundvierundvierzig zählte (weiter mocht' der Zuschauer nicht); der Adjunkt hingegen machte vielleicht kaum die Hälfte dieser Biegungen, als er oszillierend in das Zimmer des Fräuleins trat. Doch ließ diese Krümmung seines Rückens seine Seele aufrecht und ehrlich, so wie Bäume, die sich mit dem Stamme niederbeugen, doch den Gipfel nach Osten gegen die Sonne drehen. Der junge Mensch, viel fröhlicher, als ich gedacht hätte, war heute eben in keinem Besitz einer überflüssigen Zeit: er mußte die Ancora-Traurede für seine Eltern auf morgen bearbeiten, und Geistliche haben überhaupt in einer Woche, wie die Frankreicher in einem Jahre, nur fünf Fest- und Sanskulottentage, und die zwei andern, der Sonn-Abend und –Tag, starren von Geschäften. Deputatus lud ein aufs Jubelfest, nicht nur die fille d'honneur, auch den chevalier d'honneur. Esenbeck dankte ihm sehr und versicherte: »er könne auf ihn zählen.«

Ich fragte nun den Adjunktus aus – und zur sichtbaren Freude Gobertinens, daß ein maitre de plaisirs sich des jungen Menschen annehme –, was er noch für Verwandte habe: drei Brüder hatt' er, den erstgedachten Schnallenlieferanten, den oben gedachten Buchdrucker und den Weginspektor (er hatte mich mit geschnürt), der zugleich ein Hamstergräber war; zwei Schwestern hatten sich schon lange hinter den Bretterverschlag des Sarges verzogen und arbeiteten im unterirdischen Ankleidezimmer aller Blumen für ein längeres Jubiläum als die Adoptivschwester Alithea. Von Enkeln sprang morgen im Hause – wenn ich einen noch ungebornen hermaphroditischen Kokon der Buchdruckerin mitrechne – gerade eine Saat von Zwölfen um uns. Kurz der ganze Frei-Hafen des Pfarrhauses war durch die Herings-Einkehr von Kindern und Enkeln so gesperrt, daß kein neuer dürrer schwedischer Heringskönig nach- und durchkonnte. Ich fragte wundershalber den Kandidaten noch, was sie heute drüben täten (denn ich wäre herzlich gern noch Sonnabends mitten unter sie getreten). »Nicht das geringste mehr« (sagt' er) – »nach dem Essen setzen sich die Kinder und die Enkel um den Tisch, und der Vater und die Mutter danken mit ihnen Gott für alles: denn es ist rührend, ein solches Fest wie morgen. Mein Vater hält selber die JubelpredigtDie hieher gehörige erste Ausschweifung über den Kirchenschlaf sieh im vierten Zirkelbrief nach., und ich trete dann auf den Altar heraus und segne meine lieben Eltern nach einer kurzen RedeDie hier nötige zweite Digression über Traureden ist im vierten Zirkelbrief zu finden. wieder ein. Der Vater ist gottlob noch ungemein stark und isset so viel wie ich und geht des Tages noch eine Stunde weiter als ich selber. Allein ich habe mich am kantischen System krank gesessen: mein Alter will nicht daran; aber ich zieh' es vielen andern vor und heb' es in meinem Koffer auf seinetwegen, weil er bei weitem nicht so frei denkt wie ich.« – Im Grunde wurde mir, je mehr sich meine Seele an diese unbefleckte hing, immer elender zumute: wer gab mir Brief und Siegel, daß beides zu geben nicht morgen der Fürst vergesse und weder komme noch voziere? Und dann wurde meine ganze Freude zu Wasser und mehr als ein Herz. –

Amanda war ebenso liebreich gegen ihn als er höflich gegen sie. Innerlich deferierte ich mir einen Eid, den ich willig akzeptierte, daß ich nämlich abends nicht hinüberlaufen, daß ich den reinen vollen Sternenhimmel drüben nicht mit meinem Sternschneuzen übersprengen und durchschneiden wollte. Äußerlich freilich wurd' ich durch die verdammten Romanenschmierer genötigt, mich zu stellen, als wär' ich ohne alle Religion: darin mögen sie auch bei ältern Weltleuten recht gehabt haben; aber jetzt ist wohl das erlogen. Kein Weltmann von einiger Kraft hat jetzt mehr gegen tugendhaften Schein einzuwenden als gegen den allerlasterhaftesten: und wie jeder gute Akteur oder Dichter sucht er seinen Wert nicht im Stoff, sondern in der Form, nicht in der Wahl der Rolle, sondern im Spiel derselben.Hier ist die dritte Ausschweifung über den vornehmen Unglauben nötig und ist gleichfalls im vierten Zirkelbriefe befindlich.

Sobald der Pfarrsohn die Türe zugezogen hatte, so sah' ich den Haftbefehl für mich auf den ganzen Abend ausgefertigt und mich der bunten Schließerin angeschnallt. Mir wurde ängstlich vor dem Blaufarbwerk des blauen Dunstes, womit ich, gleichsam wie mit einer ganzen blauen Bibliothek, den Zwischenraum bis morgen auszufüllen hatte. Um nur nicht ewig über meinen Pagenstand als Falsarius zu sprechen, zeigt' ich ihr das Ernteregister des Karlsbader Siechkobels, nämlich das Pränumerantenverzeichnis der ankommenden Gäste; ja ich schämte mich nicht, ihr hinten in meinem Musenalmanach die italienische Buchhalterei über Haben und Soll im Spiel vorzulesen, um ihr durch mein entsetzliches Malheur im Whist – auf der Jagdwurst wurd' es erlebt und registriert – zu zeigen, der Neulandpreiser Esenbeck sei der Flachsenfinger. Beiläufig! unsere Tage konföderieren und vereinigen viel: die katholische Kirche mit unserer – den ersten Stand mit dem dritten – die Spielrechnungen mit dem lehrreichen Taschenbuch – den Korkzieher mit dem Souvenir.

Nach und nach aber merkt' ich, daß die Gesellschaftsdame etwas Großes und Bedenkliches für und gegen mich im Schilde führe. Der andere Esenbeck in Flachsenfingen gehörte ohnehin unter die Libertins, die viele Weiber berufen und wenige auserwählen und die, gleich andern befiederten RaubvögelnNach Aristoteles und Plinius. , alles vom weiblichen Sangvogel aufschmausen, nur aber das Herz ungenossen liegen lassen; ja was noch schlimmer war, durch Gobertine konnte, wie es schien, ein Mann so gefesselt werden wie der Greifgeier in Indien, den ein weiches Menschenbild aus Ton herunterlockt, das ihn dann, wenn ers gestoßen hat wie ein lebendiges, an seinen eingewühlten Krallen festhält. Beim Henker! der Flachsenfinger kann ja, dacht' ich, sich mit der fille d'honneur verlobt haben und bürdet nun seinem armen Namensvetter das Beilager auf: »Ich hätt' ihn« (fuhr ich bei mir fort) »fein travestieren wollen; und er hätte mich noch feiner dupiert und den ruhigen Festhasen aus seinem Lager aufgetrieben, und mir führen jetzt die Windspiele nach, indes der gehetzte Berg-Hase gelassen in meiner Staude hockte – Das wäre verdammt!.... Aber ich springe, wie ein Aal-Stummel, schon halbgesotten noch aus der warmen Pfanne des Torus.« –


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