Jean Paul
Der Jubelsenior
Jean Paul

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Zweiten offiziellen Bericht

Der Spitzbubenstreich – Nöten – der Rest der Rezension – die Clairvoyante aus dem Kaffee

Außer dem Konsistorium, das zur Sektion der Ehe nichts weiter verlangt als die vorhergehende Kopulation, scheidet wohl niemand so oft von Tisch und Bett und Herz als der Teufel: dieser Konsistorial-Prosektor der Seelen bestand ja in den Konkordaten, die er mit dem Doktor Faust abschloß, sogar auf dem Artikel, daß der Doktor gar nicht heiraten sollte; – und denselben Separatartikel hab' ich in allen Hausverträgen angetroffen, die der Satan mit jungen Millionären machte. Denn da die uneheliche Verbindung eine Zahlungsrechnung ist, die eheliche aber nur ein Tauschhandel: so ist den Millionären wie den Buchhändlern bei der Zahlungsrechnung die Rückgabe der Exemplare verstattet. 

Nach acht Tagen – das brachte mich eben auf den Teufel – kam aus Flachsenfingen ein Konsistorial-Dekret samt der Literaturzeitung nach Neulandpreis. Der Vater machte sich an jenes, der Sohn an diese. Plötzlich las der Vater leiser und sagte endlich laut. »Trag es standhaft, Ingenuin: die Adjunktur ist dir abgeschlagen, und Gott weiß, wie alles zusammenhängt.« Der arme scheinlebendige Ingenuin fing über den herrlichen Chodowieckischen Kupferstich, den das Schicksal aus seinem Lebensbuche riß, bitter zu weinen an; und dann erst zu widersprechen. Sie machten miteinander eine Kondolenzvisite den Weibern unten. Alithea wurde bleich und welk, wie eine glühende Rose sich weiß verfärbt, wenn sie brennender Schwefel berührt; aber die Mutter focht die Echtheit des Widerrufs des Edikts von Nantes, obwohl mit nassen Augen, an.

Ingenuin lief während dieses Äquinoktiumssturmes unter ein Wetterdach – ins Ritterschloß. Das Fräulein von Sackenbach bedauerte dieses herbstliche Entlauben aller seiner Hoffnungen mit der herzlichsten gerührtesten Stimme, setzte aber sogleich mit einer aufgeheiterten den Trost dazu: »sie wolle noch heute abends nach Hof schreiben und den geringen Einfluß, den sie da habe, für ihn verwenden.« Gering war der Einfluß, weil er auf einen längst versiegten hinauslief, den sie in ihren Jugendjahren auf einen gewissen Herrn von Esenbeck in Flachsenfingen gehabt. Es war bloß so: Herr von Esenbeck, jetziger maitre de plaisirs der Fürstin, war damals Jagdpage des Fürsten gewesen, wiewohl der Weidmann damals am liebsten auf die Kessel- und Klapperjagd nach Damen ging. Er war da noch in den Jahren, wo jede weibliche Gottheit wie sonst eine heidnische den Mann, der sie erblickt, rasend nachlässet, gerade in denen, wo man glaubt, eine Heirat müsse man, wie ein Bonmot, ohne Vorbereitung aus dem Stegreif machen. Kurz er hatte sich, um Gobertinen zum Altar zu führen, schon den Arm ausgebeten, von dem ein kurzer Weg zur Hand hin ist. Aber Amanda war im entgegengesetzten Falle Solons: als man diesen fragte, was ihm so viel Mut zum Widerstande gegen den Pisistratus gebe, so sagte er: »Mein Alter« – und Gobertina hätte, wenn sie von ihrem vergangnen Widerstand gegen den maitre de plaisirs hätte einen Grund angeben müssen, versetzt: »Meine Jugend.« Das mattete aber den Junker ab, er ließ sie sitzen und stehen und fragte wenig nach der Regel der Mütter und Schachspieler, daß man eine (weibliche) Figur, die man berühret habe, auch ziehen müsse, und wär's zum Schaden des Königs. – Gobertina schickte ihm nachher oft Briefe, wenigstens um die vorigen zurückzufordern; aber er gab nicht einmal eigne dafür: sie war aufs Land gesetzt und noch dazu auf halben Sold; welche Rose hätt' er ihr noch abzuverlangen oder zuzuwenden gehabt als die des Stillschweigens? –

Gleichwohl setzte sie aus Liebe zu den Pfarrleuten ein Briefchen an den maitre auf, das eine Fischreuse für sein plattiertes Glatteis-Herz oder doch ein Garnbock für ihre Weife und zugleich ein Lukas- und Agathazettel und Hülfswort für die Schwersschen werden sollte.

Sie schrieb drittehalbe Bogen und schnitt sie, so gut sie konnte, ganz nach Gellerts Definition von einem Briefe zu, daß er ein Gespräch mit einem Abwesenden sei. Denn die Bogen hatten – da ein Gespräch weder Kolon noch Semikolon noch Orthographie einmischt – auch nichts davon.

Ingenuin fand bei der Zurückkunft seine Dea in größern Tränen und – an ihrer Hand wieder ihren Ring. In der Stube glühte der Kantor Scheinfuß, auf dem Tische wieder der verschenkte Doppeldukaten. Wer wird uns über dieses närrische Titelkupfer eine Erklärung geben? – Ein Halunke, der obige Lederer. Dieser zog, begleitet wie ein Konsul von Liktoren oder Häschern, durch Neulandpreis, und ihn schüttelte schon auf der offnen Straße das Gefängnisfieber. Wenige verstehen mich; es war aber das:

Flachsenfingen besetzt nämlich so gut als irgendein Land die wichtigem Posten seiner streitenden Kirche, die volkreichen Pfarreien, geschickt, d. h. nicht mit jungen Kadetten, sondern mit Veteranen, mit Leuten, die den Psalter in den Jahren erklären, worin ihn David verfaßte, nämlich in den letzten. Das Judentum und das Papsttum sind die zwei Vorhöfe des Luthertums. In jenem wurde keiner ein Priester, der noch nicht ein Dreißiger war: daher setzen wir noch bis diese Minute keinen jüngern in den Schuldturm einer Pönitenzpfarre, geschweige in den babylonischen einer reichen. Anlangend das Papsttum, so sind größere Pfarreien nichts als kleinere Kirchenstaaten; wie nun der heilige Vater des größten Kirchenstaats nur in dem Alter gewählet wird, worin er kein Vater in einem weltlichem Sinne mehr sein kann, nämlich unter den Sechzigern selten, so tragen nur die, die das Akzessit des Kirchhofs erlangten, den Preis einer Peterskirche davon. Denn es ist mehr daran gelegen, dünkt mich, daß ein weiter Kirchensprengel einen veralteten exemplarischen Ex- und Erzvater ohne alle Leidenschaften – diese Fettaugen und Fettschwänze der Jugend – überkomme, als daß dem Sprengel bloß ein Mann zufalle, der ihn versieht. Man würde daher schon längst aufgehöret haben, sich zu wundern, wie ein so reiches Pastorat, als Neulandpreis ist, einem so jungen Pastor fido Alitheens angefallen sei, eine Stelle, auf die wegen der vielen Eingepfarrten (eine Meile weit müssen einige in die Kirche) vielleicht der älteste schon halbtote Senior im Lande Anspruch machen konnte – ich sage, man würde schon längst aufgehöret haben, sich zu wundern, hätte man bedenken wollen oder können, daß die ganze Sache nichts ist als – lauter Wind, eine rechte Spitzbüberei, in die man jetzt den Leser näher einweihen will.

Lederer ist der Spitzbube. Dieser Mensch griff nämlich zu einer Schiefertafel und stach in gravierter Arbeit auf dem Stein das Konsistorial- und Regierungsinsiegel nach, und die Hände dieser Kollegien malte er nach – und dann machte sich der Hofsteinstecher reisefertig. Stieß diesem nun irgendwo ein Pönitenzpfarrer, ein amtssässiger Hauptschuldner und matter Supplikant, ein fahler ausgekernter Amtmann auf: so fuhr ein guter Geist in ihn, und er sperrte sich ein und fertigte eine überraschende Vokation für das darbende Subjekt. So belohnte und postierte er, indem er als verkappter Kalif das Land durchstrich, echtes Verdienst nach bestem Wissen und Gewissen. Er selber, der Agioteur, hatte wenig davon, daß er, wie ein nuntius a latere, neben dem Landesherrn gute Stellen besetzte, das Recht der ersten Bitte exerzierend: sein Selbstverlag von Beförderungen zweckte mehr auf fremde Freuden ab als auf seine, er war fähig, die besten Ämter im Fluge zu verschenken, ohne Schmeichelei, ohne Suppliken, ohne halbe Intraden oder – wurd' er gerade in adeligen Dörfern Patronatsherr – ohne Mitbelehnschaft und Maskopie für eine Kammerjungfer zu begehren. Das wenige, was er sich aufzwingen ließ und was er zum Scheine gern einsteckte – um den Konsistorialboten frappanter nachzuspielen, welches auch die einzige Stelle war, wozu er sich selber berufen –, war das Mahl und Gratial, womit das vozierte Subjekt erkenntlich sein wollte. Daß freilich nachher der Landesherr keine einzige seiner Standeserhöhungen bestätigte, sondern die ganze Dienerschaft absetzte und ihn dazu – das war dem Schiefersteinmetz nicht aufzubürden.

Schlimm wars, daß eine solche zerstörliche Einrede auch den schuldlosen Adjunktus kassierte und das von Hoffnungen aufgeblähte Herz seiner armen Braut eindrückte. Der Kantor Scheinfuß saß gerade in der Schenke, als der Vokationen-Falsarius und Prokonsul mit seinen Liktoren eintrat: dem Kantor, dem gerade Glühwein auf den Wangen saß, hatt' es das Pfarrhaus zu danken, daß er dem Arrestanten durch das Hersagen einiger Strophen aus dem Liede »O Ewigkeit, du Donnerwort« den Ring und den Dukaten wieder abjagte, die beide zum Glücke weder versoffen waren noch angefeilt.

Aber dieser Krebsgang des schönen Braut- und Himmelswagen, worauf die zwei Liebenden gestiegen waren, entfernte sie nicht nur auf Jahre lang von ihrem schönsten Tag, sondern auch beide voneinander. Der Senior Schwers ließ nämlich in Beisein des Kantors die zwei stummen, um ihre Hoffnungen Leidtragenden vor sich treten und verordnete und verkündigte: eines von ihnen müßte aus dem Haus. Es war keine Frage wer. Dea konnte nicht für den Senior predigen: also sollte sie so lange, bis dieses vom Schicksal niedergetretene Rosenfeld und bowling-green wieder nachgewachsen wäre, aus dem Hause nach Flachsenfingen zur schwangern Buchdruckerin (seiner Schwiegertochter) ziehen, weil weder den Leuten und ihren Zungenflegeln – da jeder beide nun als Verlobte ansähe – zu trauen wäre noch dem Teufel. Was sagte das zerritzte weinende Paar dazu? – nichts als Ja: geduldig und stumm liefen die zwei Lämmer hinter seiner Hand, und nur als dieser Sonnenball, der Alte, weg war, so verlosch der doppelte Regenbogen, der vor ihm heiter geschimmert hatte, und der frohe Trug sank als dunkler Regen nieder.

Alithea lief weg und brachte das trockne Herz, in dem dieses Erdbeben des Verhängnisses alle süßen Quellen ihres Lebens verschüttet hatte, in die Arme ihrer Mutter Theodosia und bat sie mit schwacher Stimme, daß sie doch nur wenigstens bleiben dürfe bis zum Jubiläum und zur Silberhochzeit; sie könnte sich sonst gar nicht fassen. »Du wirst bleiben«, sagte die Mutter und ging zum Vater Schwers hinauf; – und wie hätte der Silberbräutigam eine so freundliche Bitte seiner Silberbraut so nahe an dem Tage verderben können, wo beide sich umdrehen und noch einmal, ehe sie auf die beschattete Pappelinsel des Grabes ausstiegen, hinüberblicken wollten mit weitsichtigen Augen nach den reichen warmen Südsee-Inseln ihrer Jugendtage? – Er erhörte die alte Freundin und sagte: »Aber gleich den Montag darauf, das weißt du schon, zieht sie in Gottes Namen aus.«

Ingenuin nahm jetzt im dunkeln Museum wieder die Literaturzeitung zur Hand und überblickte bebend die abgebrochene Rezension seines Buches. Beim Himmel! statt der wenigen schon geschmolzenen Schneeballen, womit ihn der Rezensent vor acht Tagen beworfen hatte, sah er jetzt vor sich einen Obeliskus aus Schnee – wie die Armen 1785 dem armen Ludwig XVI. einen physischen für seine Holzspenden aufballeten – als einen Lohn für seine »Kritik der kirchlichen Liturgik nach kantischen Prinzipien« aufstehen! – Er wünschte von Herzen, er könnte seinen Vater um die Ehren-Spitzsäule führen und es sagen, ihm sei sie gesetzt; aber der Jubelgreis ließ sich das Kommunikantentüchlein, die Perücke und das Chorhemd, lauter Dinge, die der Sohn mit seiner kantischen Kritik kühn angegriffen und erschüttert hatte, nicht nehmen.

So milderte die Hand des Schicksals die Krämpfe seiner Qual und streichelte den Nervenpatienten mit wenigen Strichen, die sie mit den Rezensenten-Schreibfingern um seine Stirne führte, in einen magnetischen Schlaf. Womit lösete aber dieser Magnetiseur, dessen Manipulation ebensooft weckt als einschläfert, den starren Marter-Tetanus der emigrierenden Alithea auf? Wenn ich den Doppeldukaten und den Ring ausnehme, wozu ihr noch dazu fast der fremde Ringfinger mangelte: so werd' ich wenig Linderungen ihrer Folter gewahr, aber wohl manche Schärfung derselben durch die Zurüstungen auf das Freudenfest. Und so gibt immer, wie der Moschus mit der ersten Stärke seines Wohlgeruchs die Nase bluten macht, die Liebe, zumal die erste, dem weiblichen Herzen ebenso viele Wunden als Freuden, wenn nicht mehrere.

Alitheas Sonnenschein wurde vom Brennspiegel des Schmerzens in einen Sonnenstich verwandelt und auf ihr Herz geworfen, und sie stand gefesselt vor dem Brennpunkte bis einige Tage vor der Silberhochzeit, wo eine alte Frau ein kühles Wölkchen davor zog. Eine alte Kaffee-Prophetin sagt' ihr nämlich die sonderbarsten Sachen voraus.

Es kam diese runzlichte Zeichendeuterin FreitagsNämlich den 16. Schaharimeh dieses Jahrs, wie ich sonst mit andern Illuminaten statt des ebenso deutlichen 16. Septembers schrieb. in der schwarzen Stunde zu ihr. Sie trieb Aktiv- und Passivhandel mit der Zukunft und mit Preiselbeeren und schlug einen grünen oder vielmehr roten Markt mit den letztern auf. Sie sah an Deas Auge den roten Titelbuchstaben des innern Martyrologiums leserlich geschrieben und eröffnete ihr freundlich, wenn sie eine halbe Tasse vom Kaffee dort daran verwende, so könne sie vielleicht noch heute erfahren, was ihr fehle und wie es künftig gehen werde. Ach um diesen Gewinst stand Alitheen eine ganze Kaffeeplantage feil.

Die kumäische Sibylle zog vor allen Dingen den warmen Setzteich ab, um die auf dem Schlammgrunde des Kaffeesatzes bleibende Zukunft herauszufangen. Dann vergaß sie die notwendigsten Operationen bei diesem prophetischen Prozesse nicht und fing an zu sehen und zu reden. Das ganze von Honthorst gemalte Nachtstück der Vergangenheit lag auf dem schwarzen Pulver hin: sie teilt' es mit und weissagte Alitheen alles, was ihr bisher begegnet war. Nun rückte vor der Seherin auch der Saturn der künftigen Zeit aus seiner dunkeln Immersion: sie verhielt der Gläubigen nicht, daß ihr am Jubeltage ein außerordentliches Glück bevorstehe, daß schon Sonnabends ein vornehmer Herr von 49 Jahren, prächtig angeputzt und kahlköpfig, mit zwei Tigerpferden werde von Karlsbad gefahren kommen, der ein wahrer Schutzengel für das ganze Haus sein werde. Weiter aber, das gestand sie gern, konnte sie ins innere Afrika der Zukunft nicht hineinsehen.

Alitheens Herz zerlief in Freudentränen, nicht weil sie die frohe Nachricht glaubte, sondern bloß weil sie solche dachte. Man hinterbrachte etwas davon dem Gaste der schwarzen Stunde, dem Fräulein Amanda, die mehr vom Kaffee als von dessen Präzipitat einen wenig prophetischen Gebrauch machte: Amanda trat ins Gesindestübchen, vernahm alles, zog die Seniorin in die Visitenstube zurück und sagte, das Sonderbarste sei, daß Herr v.Esenbeck ihr heute geschrieben und morgen zu kommen versprochen, und nach den Tigerpferden und Haaren zu urteilen, meine die Alte niemand weiter als den leibhaften Herrn v.Esenbeck. Sie ging eilig zurück, sagte mit einem männlichen Mute (einem Spätling ihres Hoflebens) zur Augurin: »Aber, meine Frau, man wird Sie bis morgen hier behalten, und wenn Sie gelogen hat, so wirft Sie mein Justitiar ins Hundeloch.« Zum allgemeinen Erstaunen sagte die Ambassadrice der Zukunft dazu ein freudiges Ja. Gobertina gab ihr also im Schlosse Hausarrest und vier schielende Augen zur Ehrenwache.

Da ich Gott danke, daß ich endlich die Neugierde des Lesers aufgeregt: so würd' es einfältig lassen, wenn ich solche im zweiten offiziellen Berichte befriedigte und nähme; sie mag ihn so lange quälen, bis ich sie im dritten stille.


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