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Aber ebensowenig steht die Schöpfung und der Genuß des gemeißelten Anthropolithen in Verbindung mit dem Virgilianischen Exemplar: der Schauspieler ist ein vom Schauspiele des Dichters ganz verschiedenes abgesondertes Kunstwerk. Seine von der Schönheitslinie der Tanzkunst und Malerei umschriebene Mimik entlehnet ihren Wert ebensowenig vom dargestellten Gegenstande – vom dichterischen Kunstwerk –, als ein historisches Gemälde den seinigen von irgendeinem Historiker borgt: ihre Darstellung behielte den Glanz, wenn auch der Gegenstand derselben ein schlechtes Kunstwerk oder eine prosaische Szene aus dem wirklichen Leben wäre. Das mimische Kunstwerk und das dramatische formen sich nach ganz verschiedenen Gesetzen: ihre Vereinigung oder ihr Simultaneum fordert ein drittes Gesetzbuch, so wie überhaupt bisher nur für die Alleinherrschaft einer Kunst, nicht für die vermischte Regierungsform von zweien, z. B. von der Ton- und Dichtkunst, Grenzen und Regeln geboten.
Der dramatische Dichter als Dichter kennt so wenig Schranken der Zeit, des Raums und überhaupt der wirklichen Welt als der epische – die Einheit des Interesse bedeckt und vergütet die mangelnde des Ortes und der Zeit – die Phantasie des Lesers verträgt Ugolinos Hungerturm, Kents ausgeleerte rote Augenhöhle, vollgeblutete Tücher, abgehauene Hände, Schlachtfelder und eine aneinandergedrängte fliehende Leichenprozession totenblasser Szenen. – Aber das Auge des Zuschauers versöhnet sich mit einer solchen blutigen Wirklichkeit nicht. Wie schon Gorgonen und Mißgestalten nicht aus dem Reiche der Malerei in das Gebiet der Bildhauerkunst auswandern dürfen: so dürfen sich noch viel weniger gewisse tragische Kolossen aus der unermeßlichen Geisterwelt der epischen Kunst in das enge hölzerne Rund der Bühne drängen, da der Unterschied des Umfangs zwischen dem epischen und mimischen Reiche größer ist als der zwischen dem malerischen und plastischen. Ja die Malerei kann sich erlauben, was sich die Mimik untersagen muß. Große körperliche Zerreißungen, lange Gegenwart eines Leichnams werden auf der Bühne entweder lächerlich oder schmerzhaft; denn entweder die Illusion wird vollendet – und dann tritt die Wirklichkeit mit ihren Schmerzen ein –, oder sie wird vertilgt – und dann quälet uns der Streit komischer Anwandlungen und ernsthafter Wünsche. Die schwerfällige Verkörperung des Theaters hebt alle Brüche der Einheit des Ortes und der Zeit stärker heraus; die Statuen-Gruppierung hält alle eilende Leidensstationen mit einer schmerzlichen Versteinerung fest, vergrößert und verknöchert alle Wunden und Tränen und beschwert überhaupt die ätherischen Gestalten des Dichters, alle seine verklären Leiber mit einem massiven Kubikinhalt und Blei-Inguß. Daher werden die meisten Tragödien mit schönerer Wirkung gelesen als aufgeführt; die Lustspiele aber umgekehrt. Besonders büßen zwei Tragödien durch die theatralische parastatische Verkörperung ein: die, worin der Zuschauer von einem Sturzbad und Blutbad wilder Szenen ins andere fället, z. B. Lear; und die bessern, worin statt der äußern oder körperlichen Aktion die innere oder psychologische verwaltet, ohne die im Grunde jene keine ist, z. B. Goethes Tasso. Die theatralische Tragödie würde die Diagonallinie zwischen beiden entgegengesetzten Stößen gehen.Daher ist der einsilbige Dialog, der in Ifflands neuern Stücken dem Leser mißfällt, dem Zuhörer angenehm. Ein für die Vorstellung bestimmtes Stück hat nur so wenige Worte nötig, als die zusammengehäufte körperliche Aktion zu Exponenten bedarf. Die bessern Schauspiele waren bisher immer die, deren dazu nötige Theaterkasse, Anziehstube, Theaterpersonale bloß in einem – Kopfe war.
Nach diesen Grundsätzen werden die Sterbebetten hinter die Kulissen geschoben, wenn man nicht gar auf den Dolch der mimischen Melpomene die Inschrift der Siener-Schwerter schreibt: ne occidas. Die Mimik legt bei einem theatralischen Tode die Poussiergriffel weg und überträgt dem weichern Pinsel der Phantasie den letzten gräßlichen Zug. Eine Totenglocke ist zehnmal mehr auf einer Bühne wert als zehn Sterbebetten.
Das ist aber nicht der einzige Grund, den wir den theatralischen Neuntätern entgegenzusetzen haben.
Zweitens setzen die häufigen Theatermorde einen ebenso gewissen, obwohl dünnern Kallus auf weichen Herzen an als Fechtermorde, Tierhatzen, Bürgerkriege. Nichts wird leichter kallös und schwielicht als das mitleidige Gefühl. Daher härten große Städte durch die Wiederholung schrecklicher Taten ab, deren eine ein Dorf, besser wie eine Mord-Predigt das Gewissen, wach und wund erhält. Dazu kömmt, daß eine dichterische Blutschuld immer auf ihre Nachahmung in der Wirklichkeit einigen verschönernden Dichter-Glanz wirft.
Drittens erhellet aus dem fünften Gebot und aus der Karolina und den Reichsabschieden, daß man nichts totschlagen soll: derselben Meinung fallen auch angesehene peinliche Rechtslehrer bei, ein Böhmer, Berger, Carpzov, Meister passim und unter den Neuern Quistorp. Ja das Ordensreglement der Franziskaner willigt nicht einmal in das Entleiben einer Laus, geschweige ihres Territorialherrn. Schon darum allein sollte man das tragische Blut nicht öfter als das des heiligen Januars in Fluß bringen.
Viertens ist es betrübt und bekannt, daß außer einem Friedensschluß wohl nichts auf der ganzen alten Welt zerbrechlicher ist als ein Akteur und seine Frau: ein Tropfen Dinte strecket sie hin, wie der Tropfe, der vom Schwert des jüdischen Todesengels rinnt. Es muß daher den dramaturgischen Stoßvögeln nichts Neues sein, daß der bloße Donnerschall eines Gewitters den gesündesten und fettesten Akteur, wie einen jungen Kanarienvogel, leichtlich erschlägt; denn der Blitz fährt bekanntlich nur aus Geigenharz und verfängt nichts, höchstens versehrt er nur den innern Menschen ohne Schaden des äußern, wie der obere Blitz nur den Degen, nicht die Scheide zerreißet. War nicht eine hohe Reichsversammlung nach den Sessionen abends Zeuge, daß wir vor wenigen Worten des zischenden Souffleurs, wie Ananias und seine Ehefrau vor denen des Petrus, maustot umgesunken sind? Haben nicht Front- und Seitenlogen es häufig durch Operngucker angesehen, daß wir – so sehr übermannt uns unsere Phantasie – völlig gleich den Delinquenten, denen man nur die bloße Todesangst anzutun vorhatte, vom bloßen Anstreifen des Richtschwertes erblichen vom Sessel gerollet sind? – Sooft man die giftigen Spezies, die vielleicht schon jeden von uns in die andere Welt gesendet haben, chemisch auseinandertat: so kams heraus, daß es bloßer Fusel oder Danziger Lachs oder gar nichts war, was den Jammer angestiftet; so leicht lassen sich aus unsern Bühnen die Beispiele der medizinischen Kasusbücher anhäufen, daß unzählige Male bloße Semmelkrumen, nacktes Wasser und dergl. im Patienten als echte Purganzen und Vomitive getrieben, bloß weil der Mann sich vorgestellt, er trinke und schlucke abführende Mittel.
Dennoch erfrechen sich die tragischen Schächter folgender zerstörlichen Exzeption: »Dato lebten und klagten ja die Theatertruppen noch – und nichts wäre lächerlicher als ihre Beschwerden über ihre Ermordungen. Etwas anders wär' es, wären die deutschen Theater die römischen, auf denen (nach Cilano) verurteilte Sklaven zu wahren Todesfällen genützet wurden, wiewohl auch dann das Sachsenrecht für den toten Spieler, der in den Rechten schon vorher tot war, in dem Falle, wo ers ohne Rechte und in der Wirklichkeit war, keine Buß auferlegte als den Schein oder den Schatten eines Mannes.«Hommel rhapsod. obs. DXLVI.
Unser dreistündige Tod gilt so gut einem immerwährenden gleich als ein anderer dreitägiger nach den Theologen dem ewigen. Allerdings sterben wir oft – aber schon Seneka sagt von allen Menschen: mors non una fuit, sed quae rapuit, ultima mors est. Die Hauptsache ist, man setzt immer seine gesunden Glieder zu, wenn man ums Leben kömmt – viele von uns wurden unpäßlich nach einer tödlichen Ration Mäusegift – in unsern Schlachten, worin wir gleich dem Zobel und dem Strauß nicht mit Kugeln, sondern mit Prügeln erleget werden, weil man wie bei jenen die Garderobe schonen will, in Schlachten bekommen wir immer Schläge – ein zarter Julius Cäsar, den das Riemenstechen von 23 Dolchstichen durchlöchert hatte, wurde mit blutendem Nasenloche fortgetragen – selten wird einer ohne alle Läsion des Kopfes dekolliert, und ein Sturz vom Naxos- oder vom tarpejischen Felsen hat manche Aktrice erschüttert.
Wir schreiten jetzt zu Bitten, die wir einer hohen Reichsversammlung vorzulegen wagen:
Wir halten die erste nicht für ungerecht, daß dem Tragikus für jeden ermordeten Akteur ein Wehrgeld (ein doppeltes für eine entleibte Aktrice) an seiner Benefiztragödie möge abgezogen werden – Stempelgeld und Totenfall müßt' er miteinander abreichen –, wiewohl ihm doch (er bringt sonst das Stück nicht zuwege) zwei steuerfreie Morde, die des Helden und der Heldin, nachgelassen sein können.
Unsere zweite Bitte ist, daß man von Reichs wegen die Autoren anhalte, uns dramaturgisch nur Seelenleiden zu machen: innere Wunden des Herzens, Verzweiflung, Angst, Selbstverachtung sollen uns willkommen sein, nur keine körperliche Läsion. Unser Gefühl zieht ferner auf dem Theater alle Todesarten einem Backenstreich, den der ehrliebende Deutsche niemals duldet, oder andern Schlägen vor. Mit Freuden sistieren und drängen wir uns wie die alten Blutzeugen zum Tode; ja wie die Bergknappen des Harzes den Tod im Schacht so rühmlich halten, daß sie nach der Stelle eines darin verschütteten eifrig ringen, so nehmen viele von uns gerade die Rollen am liebsten, in denen ihre Kollegen sterben mußten. Da die tragische Ligue gleich den Pariser Insurgenten aus dem Arsenal der Bellona und Melpomene Waffen aller Art wegschleift und umlegt, womit sie uns aus dem Theater und Leben wegschafft: so sollte das künftig untersagt und uns wie dem Sokrates die Wahl der Todesart verstattet sein; und dann wünschten wir von Herzen, entweder wie Hannibal an Gift oder wie Attikus vor Hunger zu sterben, welche letztere Todesart für uns an ihrer rechten Stelle (nämlich auf dem Theater) besondere Reize hat, weil sie wie andere sauere Sachen den Appetit schärft.
Auf die dritte Bitte werden wir außer unserer Neigung noch mehr von einem Könige in Dänemark gebracht, der anno 1707 allen jungen Weibspersonen auf der Insel Island vergönnte, sechs Bastarde – weil die halbe Insel ausgestorben war – ohne die geringste Schande zu gebären, damit sich das Eiland wieder füllte. Nun wissen wir nur gar zu gut, daß Zuhörer und Leser wie die Schweißhunde in Romanen und Tragödien nur verwundetem Wildpret nachlaufen und es aus dem unverletzten ausklauben; mithin werden sie immer unser langsames Sterben wie die Römer das des Fisches MullusSenec. nat. quaest. III. 18. Die Römer töteten den Fisch langsam auf ihren Tafeln, um sich am Wechsel seiner sterbenden Farben zu laben. lieben und fodern. Deshalb sind wir erbötig – wenn wir dürfen –, da wir einmal so sehr an der Vergrößerung der Sterbelisten arbeiten, auch das Unsrige für die Vergrößerung der Geburtslisten zu tun, die der vorige König in Preußen so gern durchsah. Hinter den Kulissen, wo bisher (wenigstens in Frankreich) der theatralische Mord geschehen mußte, setzten wir bisher diesem Mord die einzige mögliche Reaktion in transitorischen Kryptogamien nach Vermögen entgegen und hoben durch miracula restitutionis die Nachteile der tragischen Wunderwerke zeitig weg. Einem hohen Reichskorpus bleibt es, da man bisher in den Kulissen aus Mangel an Aufmunterung weniger agierte als auf der Bühne, überlassen, eine solche unentbehrliche Palingenesie (den besten Antagonismus gegen theatralische Rasur) durch ausdrückliche Befehle gemeiner zu machen.
Wir schließen unser langes Bittschreiben mit der Hoffnung, von einer hohen Reichsversammlung kein anderes Zeichen zu erhalten als das des – Kains; bescheiden uns aber gern, daß es sich vielleicht nicht eher machen lässet als in der nächsten kaiserlichen Wahlkapitulation – oder auch in der von geistlichen Kurfürsten –, wo man es als einen neuen Artikel leichter einschieben wird, daß des Türken, Papstes und der Theaterdichter Tyrannei, Gewalt und Blutvergießen gewehret werde. Die wir verharren
Euerer Exzellenzien, Hochwürden, Hochgeboren, Hoch- und Wohlgeboren, auch Wohl- und Hochedelgeboren
untertänigste etc.
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Ich aber bin (denn jetzt ist die Supplik aus), teuerster Freund, der
Ihrige
J. P.