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Schulmeister Knüppel

Nach dem Frühstück ritten wir jeden Morgen in die Pflanzungen. Die Kaffeebäume lagen in schöner Ordnung, so weit man sah, über die Wellen der Hügel aufgeschart. Rückwärts schauend, erblickte man, so oft die Pferde auf eine Höhe kamen, das Städtchen Botocatú, in die Flanke eines Hügels gebaut, neu, regelmäßig und nüchtern, wie alle Städtchen im Innern Brasiliens. Nach Osten sank das Land in eine von niedern Bodenwellen durchwogte weite Ebene, und an der Kante der Kaffeeberge, diese Ebene wie ein Wachtturm beherrschend, lag ein kleines Anwesen. Es leuchtete weiß aus der schwerfarbigen Landschaft heraus.

Weshalb reiten wir nie dorthin? fragte ich meinen Gastgeber, den Kaffeepflanzer, der ein Deutscher war.

Mein Kaffee geht nicht so weit! antwortete er. Aber wenn Sie wollen …

Die Pferde kletterten zu Tal.

Es ist sowieso ein alter Bekannter von mir, ein kleiner Kaffeepflanzer. Er hat nur ein paar Tausend Kaffeebäume. Ein Brasilianer.

Der Besitzer des weißen Anwesens hatte uns heraufreiten sehn und stand vor der Tür, als wir oben ankamen. Ein Knecht nahm die Pferde in Obhut, und wir gingen ins Haus hinein. Die Frau, die in der Stube saß, entfernte sich, als wir eintraten. Dann mußten wir uns setzen, und mein Gastgeber nannte dem anderen meinen Namen. Er fügte hinzu! Ein Freund aus Deutschland.

So, so, aus Deutschland, nickte der Brasilianer. Ein tapferes Volk! Ein edles Volk dort! Ich hatte auch einmal einen Freund, der aus Deutschland war. Alle Leute in Botocatú haben ihn lieb gehabt. Er ist gestorben.

Er schaute mit einem Gesicht, das schwer von Tränen bedroht zu sein schien, hinaus in die Weite.

In Botocatú? fragte ich in der Verlegenheit vor diesem Gefühlsausbruch.

Ja, in Botocatú! Da starb er. Da liegt er begraben. Und wenn Sie auf den Friedhof gehn, so finden Sie auf seinem Grab ein schönes Denkmal und immer Blumen, gewiß! Das Denkmal haben seine ehemaligen Schüler errichten lassen, und die Blumen pflanzen auch sie heute noch jedesmal zu seinem Todestag aufs Grab.

Ist er denn Lehrer gewesen? fragte mein Freund.

Gewiß. Haben Sie das Grabmal nie gesehn?

Nein, antwortete der Kaffeepflanzer. Ich war nie auf dem Friedhof in Botocatú.

O, rief der Brasilianer lebhaft, so gehen Sie bald hin! Ein schönes großes Denkmal und entzückende Blumen. Und es steht drauf:

 

In memoriam
Hier ruht der vielverehrte und bedeutende Professor
Knüppel
von seinem erfolgreichen Leben aus

 

Lehrer Knüppel! …

Mein Gastgeber und ich schauten uns an, als wir diesen deutschen Namen hörten. Die Übereinstimmung des Namens mit dem Attribut des Berufs: Lehrer und Knüppel … wirkte auf uns beide Deutschen, die die Beziehung kannten, erheiternd. Wir lachten uns an.

Der Brasilianer schien von unserm Lachen betroffen zu sein. Er schaute zweifelnd zu uns her und begann dann, um uns über die Wahrheit seiner Freundschaft mit dem bedeutenden Schulmeister Knüppel zu überzeugen, folgendes zu erzählen:

Gewiß, es ist mir ernst. Gehen Sie hin. Sie werden das herrliche Denkmal sehn. Er war ein teurer Freund von mir und hat mir sein Herz oft ausgeschüttet. Er ist ein Jugendfreund Ihres großen Bismarck gewesen und hatte deshalb als junger Mann aus Deutschland fliehen müssen, weil dort zunächst Bismarck sich nicht durchsetzen konnte. Und da kam er nach Brasilien und wurde später Lehrer in Botocatú. Man muß leben, he!? Und wie Bismarck dann den Krieg gewann und der erste Mann in Deutschland wurde, da hat er meinem verblichenen teuern Freund geschrieben:

»Lieber Knüppel!

Jetzt bin ich der oberste Minister von Deutschland. Du kannst zurückkommen. Es wird Dir nicht nur nichts geschehn, sondern Du kannst Dir eine Stelle auswählen, welche Du willst.«

Den Brief bekam mein Freund. Aber er ging nicht zurück nach Deutschland. Er mochte lieber bei uns in Botocatú bleiben und er schrieb Bismarck eine Postkarte. Da stand drauf:

»Lieber Freund!

Ich freue mich, daß es Dir so gut geht. Aber ich bleibe lieber in Brasilien. Denn die Stelle, die ich mir in Deutschland wählen würde, die hast Du ja schon, und die gibst Du gewiß nicht her.«

Und er ist in Botocatú bei uns geblieben und gestorben. Gehn Sie wirklich einmal sein Grabdenkmal anschaun. Es lohnt sich. Mein armer teurer Freund Knüppel …

Nun schwieg er und überließ uns den Eindrücken seiner Erzählung.

Wir lachten nicht mehr, wenigstens nicht nach außen. Denn wir fühlten, daß sich hier am Ausfluß der Welt ein deutsches Schicksal hinter dem Namen des Schulmeisters Knüppel verborgen und sich hinter dem Versteck dieses Namens vollzogen hatte, ohne daß es ihm gelungen wäre, ganz auch seinen Ursprung zu verbergen. Wieviel Deutsche waren in diesem Land schon als Schulmeister gestorben, die gedacht hatten, als Eroberer einmal nach ihrer Heimat im Triumph zurückzukehren! Es war das landesübliche Ende der Einwanderer, die nicht nur sich schwielige Hände erarbeiten, sondern auch die heimische Seele weiter etwas gelten lassen wollten.

Wir stellten uns den Schulmeister Knüppel vor, wie er zwischen seinen brasilianischen Freunden im Städtchen Botocatú herumging. Die gescheiterte Sehnsucht ließ ihn seinen wirklichen Namen mit der ironischen Groteske des Knüppels zudecken, der die überkommene Beigabe des Schulmeisters war. Denn das Schicksal zwang ihn, sein gestrandetes Leben als Schulmeister zu beenden, wo er doch wohl ganz anderswo hinaus gewollt hatte, als er nach Brasilien gekommen war. Ganz für ihn allein war dieser Selbstspott, denn niemand im Städtchen verstand den Nebensinn im Namen. Und wie er, so begraben in die Einsamkeit fremden Volkstums, die Seele in den Träumen seiner verlorenen Abstammung mitten aus der fremden Umgebung auffliegen ließ und sie in der erfundenen Verbindung mit einem der großen heimatlichen Männer zwischen Dichtung und Wahrheit auf einer Höhe erhielt, in der die Luft zu dünn für die Wirklichkeit war …

Bis er starb und für alle Zeiten die Schollen der allgegenwärtigen Mutter Erde auf seine Wirklichkeit häufen ließ. Dem Landsmann, der aus Zufall an diese Ausmündung der Völker verschlagen wurde, sollte er als Schulmeister Knüppel im Herzen bleiben, um es mit dem Galgenhumor der Selbstverspottung in Namen und Schicksal ergriffen zu machen und es zugleich zu erheitern.

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Das Jesuitenkreuz auf dem Friedhof von Santo-Angelo

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Die Ruinen der alten Jesuitenkirche von San Miguel


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