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VI.
Der afrikanische Sklavenhandel und die Negersklaverei.

Während theils durch unmittelbare Gesetzgebung, theils in Folge allmähligen Aufhörens jede juristische Form der Knechtschaft aus der Gesellschaftsordnung des europäischen Abendlandes verschwand, wurde der Welt die äußerst schwierige und noch immer ungelöste Aufgabe zu Theil, die endgiltige Stellung der Klassen zu bestimmen, deren Ursprung sich auf das frühere Sklaven- und Hörigenwesen zurückführen läßt.

Aber bald nachdem die Leibeigenschaft begonnen hatte, in den fortgeschritteneren Ländern zu verschwinden, sehen wir die Anfänge jener neuen Kolonialsklaverei entstehen, welche keineswegs ein spontanes Ergebniß gesellschaftlicher Nothwendigkeiten war und keinem vorübergehenden entwickelungsgeschichtlichen Bedürfniß diente, sondern nur eine politische und sittliche Verirrung bildete, die ausschließlich böse Folgen zeitigte.

Im Jahre 1442, als die Portugiesen unter Prinz Heinrich dem Schifffahrer die atlantische Küste Afrikas erforschten, machte einer seiner Offiziere, Antam Gonsalves, mehrere Mohren zu Gefangenen. Als er sie im Auftrag des Prinzen nach Afrika zurückbrachte, erhielt er von den Mohren als Gegengeschenk zehn Neger und eine gewisse Menge Goldstaub. Das erregte die Habgier seiner Landsleute, die nun eine große Anzahl von Schiffen ausrüsteten und an der afrikanischen Küste mehrere Forts errichteten. So für den Sklavenhandel vorbereitet, brachten sie aus diesen portugiesischen Niederlassungen zahlreiche Neger nach Spanien und der Kolonialsklavenhandel nahm zunächst die Gestalt der Einfuhr von Kindern und Nachkommen jener Neger in die kurz vorher entdeckte Neue Welt an. Als Ovando 1502 zum Gouverneur von Hispaniola ernannt wurde, traf die Regierung einerseits Bestimmungen – die sich freilich als illusorisch erweisen sollten – zum Schutz der Eingeborenen und gestattete anderseits, in Spanien geborene, als Christen erzogene Neger-Sklaven dahin zu bringen. Ein Jahr später befanden sich denn auch, wie aus einem Brief Ovandos hervorgeht, bereits sehr viele Neger dort und der Gouverneur bat, keine mehr hinzusenden. 1510 und in den folgenden Jahren ließ König Ferdinand eine Anzahl Afrikaner als Bergwerksarbeiter nach Hispaniola schicken.

Schon vorher hatte Kolumbus vorgeschlagen, spanische Handelsherren sollten Rindvieh nach dieser Insel senden und dafür seine karaibischen Gefangenen als Sklaven an Zahlung statt übernehmen. Er meinte, daß in dieser Weise Heiden bekehrt, der Staatsschatz durch einen Sklaven-Einfuhrzoll bereichert und die Ansiedler kostenfrei mit Vieh versehen werden könnten. Er schickte denn auch bereits 1494 über fünfhundert westindische Gefangene aus den Kazikenkriegen nach Spanien und rieth, sie in Sevilla als Sklaven zu verkaufen. Thatsächlich wurde der Verkauf durch einen königlichen Erlaß angeordnet, aber noch vor dem Vollzug desselben hörte Königin Isabella von dem sanften und gastfreundlichen Wesen der Eingeborenen und von ihrer Gelehrigkeit; ihr Interesse wurde rege und sie ließ an Bischof Fonseca, den Oberverwalter der westindischen Angelegenheiten, schreiben, daß der Verkauf der Sklaven verschoben werde, bis Klarheit in die Ursachen ihrer Gefangennahme und die gesetzliche Seite der Verkaufsfrage kommen würde. Da die Gottesgelehrten über die Berechtigung uneinig waren, verfügte Isabella die Rücksendung in die Heimath und forderte die Ersetzung der strengen Behandlung der Eingeborenen durch eine freundliche. Der erwähnte Vorschlag Kolumbus' bleibt auch dann ein Schandfleck auf dessen glänzendem Namen, wenn man zugiebt, daß es selbst höheren Naturen schwer fällt, sich über die Vorurtheile ihrer Zeit zu erheben.

Bartolomé de las Casas, der berühmte Bischof von Chiapa, begleitete Ovando nach Hispaniola und war Zeuge der Grausamkeit, mit der dieser Gouverneur die Eingeborenen behandelte. Um zu ihren Gunsten zu wirken, begab sich der Bischof 1517 nach Spanien und regte beim König die Erlaubniß an, daß jeder spanische Bewohner Hispaniolas ein Dutzend Negersklaven einführen dürfe. In seiner »Geschichte Indiens« bekennt er freimüthig, mit diesem Vorschlag einen schweren Irrthum begangen zu haben. Er gab »diesen Rath, ohne die Ungerechtigkeit in Betracht zu ziehen, mit welcher die Portugiesen die Neger rauben und zu Sklaven machen; hätte er sogleich gewußt, wie die Dinge stehen, so würde er den Vorschlag um alles in der Welt nicht gemacht haben. Er war der Ansicht, daß es eine Ungerechtigkeit und Tyrannei sei, die Neger zu Sklaven zu machen; mit Bezug auf sie hielt er es wie hinsichtlich der Indianer«. Andere wohlmeinende Männer traten um dieselbe Zeit mit ähnlichen Anregungen auf und die Praxis war, wie wir gesehen haben, keineswegs neu. Der junge König selbst hatte schon 1516, als er noch in Flandern weilte, seinen Höflingen gestattet, Neger in die Kolonien einzuführen, während in demselben Jahr Ximenes, der Regent von Kastilien, die Einfuhr ausdrücklich verbot.

Las Casas' Vorschlag beruhte zweifellos auf der Erwägung, daß die Neger sich besser als die Indier für die Bergwerksarbeiten eigneten, an welchen die Eingeborenen massenhaft zu Grunde gingen. Wie Robertson mittheilt, verminderten die Spanier in den auf die Entdeckung Westindiens folgenden fünfzehn Jahren die Zahl der Eingeborenen Hispaniolas von einer Million auf sechzigtausend! Manche haben deshalb den Bischof von jedem Tadel frei halten wollen, während er selbst, wie wir soeben gezeigt haben, keineswegs tadelfrei sein wollte. Verdient er auch alle Anerkennung für den ausdauernden Eifer, den er für die Eingeborenen der Neuen Welt an den Tag legte, so verdient er nicht minder Tadel ob seiner Verletzung oder Vernachlässigung sittlicher Grundsätze. Sein Rath wurde leider befolgt. König Karl gewährte einem seiner vlämischen Günstlinge das ausschließliche Recht, jährlich 4000 Neger nach Kuba, Hispaniola, Jamaika und Portoriko zu bringen, und dieser Günstling trat sein Privileg für 25,000 Dukaten an einige genueser Kaufherren ab, welche die Sklaven von den Portugiesen bezogen. So wurde, wie sich Robertson ausdrückt, »jener häßliche, seither in so erstaunlichem Maße betriebene Handel zwischen Afrika und Amerika« zum ersten Mal in ein System gebracht, denn das spanische Beispiel fand alsbald »Nachahmung seitens aller europäischen Staaten, die in den wärmeren Gegenden der Neuen Welt Gebiete erworben hatten«.

Der erste Engländer, der sich mit dem scheußlichen Sklavenschacher befaßte, war der spätere Marineschatzmeister Kapitän John Hawkins, der für seine »Verdienste« zum Ritter geschlagen wurde. Er gehörte zu den in der elisabethinischen Zeit in England wie anderswo sehr zahlreichen Männern, die mit Tapferkeit, Thatkraft und engherzigem Patriotismus Gewissenlosigkeit und Grausamkeit verbanden. Sobald er erfuhr, daß »Neger auf Hispaniola eine lohnende Waare seien«, schreibt Hakluyt, »und daß sie an der Küste von Guinea leicht erlangt werden können, beschloß er, einen Versuch zu machen.« 1562 segelte er nach Sierra Leone, »wo er einige Zeit zubrachte und sich, theils durch das Schwert, theils durch andere Mittel, mindestens dreihundert Neger verschaffte, abgesehen von anderen Gütern jenes Landes«. Da er auf Hispaniola alles mit gutem Gewinn verkaufte, machte er sich im nächsten Jahr mit der pekuniären Hilfe einiger hoher englischer Aristokraten mit fünf Schiffen abermals auf die Reise und unterwegs schlossen sich ihm noch drei Fahrzeuge an, die unter anderem Befehl standen. Auf diesen Raubzügen hielt er seine Mannschaften zu einem christlichen Lebenswandel an; namentlich prägte er ihnen die Grundsätze ein: »Dienet Gott täglich« und »Liebet einander«. Auf die Schwarzen dehnte er seine Frömmigkeit freilich nicht aus. Da er die kapverdischen Eingeborenen »sanftmüthiger, liebevoller und in Folge ihres steten Umganges mit den Franzosen zuthunlicher fand als die anderen Wilden«, traf er Vorbereitungen, eine Anzahl zu rauben. Als ihm dies mißlang, fuhr er südwärts weiter bis Rio Grande, wo er die Städte niederbrannte oder verwüstete und viele Eingeborene gefangen nahm, die er dann nach Spanisch-Amerika brachte, um die Ansiedler unter Anwendung von Waffengewalt zu zwingen, sie von ihm zu den von ihm selbst bestimmten Preisen als Sklaven zu erwerben. Nach seiner Heimkehr wurde dieser Verbrecher – obgleich es heißt, Elisabeths Gewissen habe sich anfänglich gegen seine Missethaten aufgelehnt – von Hof und Volk mit großen Ehren empfangen, in den Adelstand erhoben und mit einem Wappen belehnt, das einen gefangenen und gebundenen Halbmohren enthielt – in Hakluyts Worten: »zum Zeichen des schmählichen Gewerbes, das er in England populär gemacht hatte.«

Ursprünglich führten die englischen Sklavenhändler ihre »Waare« ausschließlich nach den spanischen Kolonien. Bekanntlich gab es am Schluß der Regierungszeit Elisabeths noch keine eigentlichen englischen Niederlassungen in Amerika. 1606 ertheilte James I. zwei Handelsgesellschaften Befugnisse, mittels deren es nach erheblichen Schwierigkeiten gelang, auf dauernder Grundlage die Ansiedlungen Virginia und Neu-England zu gründen. In Virginia wurde ausgedehnter Tabakbau getrieben, und als ein holländisches Sklavenschiff von der Guineaküste die Hauptstadt Jamestown anfuhr (1620), kauften die Tabakpflanzer einen Theil der Negerladung. Damit begann die Sklaverei in Britisch-Amerika und im Laufe der Zeit wurden immer größere Negermengen eingeführt. Allmählig gelangte fast die ganze Feldarbeit in die Hände von Sklaven. Im Jahre 1790 gab es im Staat Virginia (der aber nur einen kleinen Theil der ursprünglichen Kolonie gleichen Namens bildete) 200,000 Neger.

Der Handel Englands mit Afrika befand sich lange ausschließlich in den Händen bevorrechteter Gesellschaften; aber William und Mary gaben denselben allen Unterthanen der Krone frei. Doch bestand die große Afrika-Compagnie weiter und erhielt durch das Parlament von Zeit zu Zeit beträchtliche Zuschüsse. Der Vertrag (» asiento«) über die jährliche Lieferung von 4800 Negern an die spanischen Niederlassungen, Durch die sogen. »Abgrenzungsbulle« des Papstes Alexander VI. (1493), welche den Spaniern die Erwerbung von Gebiet im Osten des Meridians in der Entfernung von 20 Meilen westlich von den Azoren verbot, konnte Spanien an der afrikanischen Küste keine Niederlassungen errichten, sodaß es seine amerikanischen Besitzungen durch Verträge mit anderen Mächten mit Sklaven versehen mußte. der von den Holländern auf die Franzosen übergegangen war, fiel durch den Vertrag von Utrecht an Großbritannien. Vom 1. Mai 1713 an sollte eine englische Gesellschaft das Monopol auf dreißig Jahre erhalten. Aber schon nach 26 Jahren erreichten die Beschwerden sowohl der englischen Kaufherren als auch der spanischen Beamten einen so großen Umfang, daß Philipp V. seinen Entschluß ankündigte, den asiento aufzuheben, was zu einem Krieg zwischen Großbritannien und Spanien führte.

Zwischen 1680 und 1700, also in zwanzig Jahren, führte die Afrika-Compagnie ungefähr 140,000 Neger aus; dazu kamen 160,000 durch Privat-Unternehmer ausgeführte, sodaß der Gesammt-Export 300,000 betrug. Von 1700 bis 1786 wurden 610,000 nach Jamaika allein gebracht, das seit 1655 eine englische Kolonie war. Bryan Edwards schätzte in seiner »Geschichte Westindiens« die gesammte Negereinfuhr aller britisch-amerikanischen Kolonien und Westindiens von 1680 bis 1786 auf 2,130,000, was einem Jahresdurchschnitt von 20,095 gleichkommt, und er fügt hinzu, daß diese Ziffern hinter den zu seiner Zeit üblichen Annahmen weit zurückbleiben. Die größte Ausdehnung erreichte der britische Sklavenhandel kurz vor dem amerikanischen Unabhängigkeitskriege. Der Hauptexportplatz war damals Liverpool, aber auch London, Bristol und Lancaster führten viel aus. Die Gesammtzahl der von diesen Häfen verkehrenden Schiffe betrug 192 und sie hatten Raum für 47,146 Neger. Während des Krieges sank der Handel, nach demselben nahm er jedoch alsbald wieder zu.

Als Bryan Edwards sein vorhin erwähntes Werk veröffentlichte (1791), gab es an den Küsten Afrikas 40 europäische Faktoreien, darunter 14 englische, 3 französische, 15 holländische, 4 portugiesische, 4 dänische. Damals führten jährlich aus: die Briten 38,000, die Franzosen 20,000, die Holländer 4000, die Portugiesen 10,000, die Dänen 2000, das macht zusammen 74,000 Negersklaven. Somit genossen die Briten die »Auszeichnung«, die größere Hälfte des elenden Schachers in Händen zu haben. »Gegenwärtig«, lesen wir in Robertson's »Altem Indien« (1791), »überschreitet die Zahl der Negersklaven in den westindischen Niederlassungen Großbritanniens und Frankreichs eine Million. Da nun die Sklaverei, wie im Alterthum, auch in der Neuzeit der Bevölkerungszunahme äußerst hinderlich ist, bedarf man, um jene Ziffer aufrechtzuhalten, einer jährlichen Einfuhr von mindestens 58,000 Mann.« Die Sklavenmenge in Nordamerika und den spanischen Besitzungen schätzte Robertson ebenfalls auf ungefähr eine Million.

Das Jagen und Rauben von Menschen behufs Erlangung von Sklaven war in Afrika schon früher gang und gäbe gewesen, als es sich darum handelte, Zentral-Afrika, Nord-Afrika, die Türkei und andere mohammedanische Länder mit der kostbaren »Waare« zu versehen. Durch den hinzutretenden großen Bedarf der überseeischen Kolonien Europas verschlimmerten sich die jämmerlichen Zustände noch bedeutend. Die Häuptlinge der Eingeborenen unternahmen Streifzüge gegen andere Stämme oder selbst gegen die eigenen Unterthanen, um die Gefangenen als Sklaven für abendländische Handelsartikel auszutauschen. Häufig steckten sie nächtlicherweise Dörfer in Brand, um die aus den Häusern fliehenden Neger fangen zu können. Der ausländische Anreiz vervielfältigte die Niedertracht und Grausamkeit der einheimischen Sklavenhändler.

Zu dem bitteren Elend der Jagd oder des Fanges und dann der Ueberführung an die Küste behufs Verladung gesellten sich die furchtbaren Schrecken der Seefahrt. Mit Recht ist wiederholt behauptet worden, daß nie in so kleinem Raum so viel Jammer zusammengedrängt war wie in den Sklavenschiffen. Sir William Dolben schreibt: »Die Neger wurden an Händen und Füßen an einander gekettet und so eng zusammen gelagert, daß auf jeden nur anderthalb Fußbreit entfielen. Solchergestalt gleich Heringen eingepfercht, erkrankten sie oft schwer und erlagen nicht selten ihren Leiden, sodaß des Morgens die nachtsüber Verstorbenen von den unglücklichen Ueberlebenden losgekettet werden mußten«. An den entstandenen Ansteckungskrankheiten gingen überdies auch viele Matrosen zu Grunde. Aus dieser Ursache und in Folge der außerordentlichen Roheit der Sklavenschiffskapitäne starben in diesem Einen Handelszweig in einem Jahre mehr Seemänner als im ganzen übrigen Handel in zwei Jahren. Abgesehen von den Todesfällen von Sklaven vor dem Verlassen Afrikas, starben ihrer 12½ % während der Ueberfahrt nach Westindien. Auf Jamaika kamen 4½ % im Hafen oder sonst vor dem Verkauf um's Leben. Andere Ursachen – Geschwächtheit, Klimafieber u. s. w. – trugen dazu bei, daß nicht mehr als 50 % brauchbare Arbeiter übrig blieben. Ihre Lebensverhältnisse auf den Pflanzungen waren ihrer Fortpflanzung ungünstig. Während auf Jamaika im Jahre 1690 sich ihrer 40,000 befanden und seither bis 1820 etwa 800,000 dahingebracht wurden, gab es dort im letztgenannten Jahre nur 340,000. Zur Nichtvermehrung trug auch die Ungleichheit der Geschlechtszahlen bei; so z. B. lebten 1789 auf Jamaika um 30,000 mehr männliche als weibliche Negersklaven.


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