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Während, wie wir gesehen haben, die Sklaverei im Alterthum ein unter gewissen socialen Bedingungen zum Fortbestand geeignetes System war und eine bestimmte politische Aufgabe zu erfüllen hatte, bildete die der Vollbringung dieser Mission folgende Hörigkeit nur einen vorübergehenden Zustand, dem lediglich der Zweck innewohnte, die arbeitenden Klassen zu einer Zeit vollkommener persönlicher Freiheit hinüberzuleiten.
Wieso der Leibeigene in den Städten ein freier Lohnarbeiter geworden, läßt sich leicht denken: entweder er kaufte sich mittels seiner Ersparnisse los, oder er wurde freigelassen, weil es seinem Herrn nicht mehr lohnte, seine Dienste mit seiner Erhaltung zu bezahlen. Die Befreiung dieser ganzen Klasse wurde sehr begünstigt durch das Ueberhandnehmen jener Bewegung, welche zur Entstehung freier gewerbthätiger Gemeinwesen und zu deren Ausstattung mit eigener Gerichtsbarkeit führte. Was aber die Umwandlung des ländlichen Leibeigenen in einen freien Bauer betrifft, so ist es sehr schwierig, den einschlägigen Maßregeln und Schritten nachzugehen. In Adam Smith's »Reichthum der Nationen« lesen wir: »Zeit und Art des Zustandekommens dieser so wichtigen Umwälzung gehören zu den unaufgeklärtesten Punkten der neueren Geschichte.« »Wie über viele andere Punkte der Entwickelungsgeschichte der menschlichen Gesellschaft, herrscht auch über diesen großes Dunkel. Wir können den Stammbaum der Herrscher feststellen, ein vollständiges Verzeichniß der belagerten Städte und der verwüsteten Provinzen anfertigen, sogar das ganze Gepränge von Krönungen und anderen Festlichkeiten früherer Zeiten beschreiben, aber die wirkliche Geschichte der Menschheit vermögen wir nicht zu ermitteln.« (Hallam, »Geschichte des Mittelalters.«)
Adam Smith selbst schreibt die Wandlung zwei Ursachen zu: dem Umstande, daß auch der Grundeigenthümer besser fährt, wenn er den Bauer selbständig und für sich arbeiten läßt, und der Thatsache, daß die auf die großen Latifundienbesitzer eifersüchtigen Monarchen die Frohnbauern – unter diesem Ausdruck scheint Smith sämmtliche unfreien Pächter zu verstehen – ermuthigten, die Macht ihrer Herren zu schmälern. Diese wirthschaftlichen und politischen Gründe sind sicherlich zutreffend und wichtig, doch überschätzt Smith ihre ausschließliche Wirksamkeit und läßt die anderen Umstände – sittlicher und religiöser Art – die zu jenem Ergebniß beitrugen, unbeachtet, namentlich den persönlichen Einfluß der Geistlichen, welche die natürlichen Vermittler zwischen den Hörigen und deren Herren waren. Am besten wurden die Leibeigenen auf den Kirchengütern behandelt und viele Freilassungen seitens privater Bodenbesitzer erfolgten auf Bitte von Priestern, und zwar zumeist »aus Liebe zu Gott« oder – insbesondere auf dem Sterbebett – »zum eigenen Seelenheil.«
Wer die Geschichte der Aufhebung der Hörigkeit erforscht, soweit das vorhandene Quellenmaterial reicht, wird bald erkennen, daß diese Aufhebung, obgleich ein unerläßlicher und wichtiger Fortschritt im Leben der Menschheit, an und für sich keine so einschneidende Besserung der Lage des Bauers bedeutete wie man auf den ersten Blick glauben sollte. Sie befreite ihn zwar von mancherlei Erniedrigung und war geeignet, in ihm den Sinn für persönliche Würde zu erwecken; sie ebnete sofort die Bahn für den späteren, tiefergreifenden Fortschritt und rief das Bedürfniß für diesen hervor. Aber nach der Aufhebung blieb, wenn mit ihr nicht im Einzelfall weitere Begünstigungen verbunden wurden, der Bauer mit seiner Familie selbst dort, wo sein Lehnsbesitz ein beständiger war, einer Reihe von bedrückenden Dienstleistungen und oft unerschwinglichen, ja selbst ganz willkürlich festgesetzten Abgaben unterworfen. Das Gesetz fesselte ihn freilich nicht mehr an die Scholle; da diese jedoch seine einzige Hilfsquelle war, konnte er sie in den wenigsten Fällen verlassen, mußte sich den härtesten Bedingungen fügen und in manchen Fällen sogar die grundherrliche Gerichtsbarkeit erdulden, die vom Gesetz gutgeheißen wurde und ihn, wenn der Grundherr oder dessen Vertreter ihm Unrecht thaten, von der Erlangung seines Rechts ausschloß. Allerdings begünstigten die Zentralregierungen vieler Staaten schon im eigensten Interesse die Beseitigung dieser Mißstände, allein das Widerstreben des Adels, der hartnäckig an seinen Vorrechten festhielt, erschwerte und verzögerte alle Reformen.
Wir sehen also, daß die Umwandlung des Bauers, der kein Höriger mehr war, in einen Vollbürger ein langwieriger Vorgang war, der an das Verwaltungstalent, den festen Willen und die Ausdauer der Staatsmänner Ansprüche stellte, denen sie nicht immer gewachsen waren. Selbst dort, wo jede Spur von feudaler Unterthänigkeit verschwunden war und dem Bauer ein formell freiwillig eingegangener Vertrag zur Seite stand, hing er nicht selten von der Gnade seines Gutsherrn ab, der den Pachtschilling nach Belieben erhöhen und den Pächter durch Austreibungsdrohungen zur Bewilligung der Erhöhung zwingen konnte. Es kam auch vor, daß der Grundbesitzer ein Anwesen periodisch im Versteigerungswege dem Meistbietenden verpachtete und sich – wozu er auch berechtigt war – etwaige vom fortgeschickten Sassen vorgenommene Meliorationen ohne Entschädigung aneignete. Die gesetzgeberischen Aufgaben, die den Socialreformern aus diesen Uebelständen erwuchsen, haben zwar große Beachtung gefunden und zu ernsten Lösungsbestrebungen geführt, können aber durchaus noch nicht als endgiltig gelöst betrachtet werden. Es liegt nicht im Rahmen unsres Zweckes, die einschlägigen Vorgänge, welche mehr die neuere Geschichte der menschlichen Gesellschaft im allgemeinen und der landwirthschaftlichen Klassen im besondern berühren als die der Sklaverei, in ihren Einzelheiten zu verfolgen. Wir müssen uns auf die Erwähnung derjenigen Reformen beschränken, welche mit der Abschaffung der Hörigkeit in engem Zusammenhang standen, zur Durchführung der Abschaffung unerläßlich waren und, genau genommen, als wesentliche Bestandtheile derselben zu betrachten sind. Wir halten es für das Beste, unsre Untersuchung für jedes einzelne Land Europas abgesondert anzustellen.
Guérard hat gezeigt, Guérard's – des Verfassers von »Polyptique d'Irminon« und » Cartulaires de France« – Schlußfolgerungen werden von Hallam (»Geschichte des Mittelalters«) angezweifelt; aber dieselben sind durch eine lange Reihe von Beweisen belegt und scheinen im allgemeinen ganz richtig zu sein. daß in der Zeit zwischen der Eroberung des Landes durch Cäsar bis zur Beseitigung des Feudalismus die Lage der ursprünglichen Sklavenklassen eine stetige Besserung erfuhr. Er unterscheidet drei Perioden: die bis zur Eroberung Galliens durch die Barbaren dauernde der eigentlichen Sklaverei; die gegen das Ende der Herrschaft Karls des Kahlen – also um 877 – abschließende, in der die Knechtschaft einem Uebergangsstadium wich, das Guérard » servitude« nennt und in welchem die Rechte des » servus« von der Kirche und der Gesellschaft voll, von den Gesetzen einigermaßen anerkannt, geachtet und geschützt wurden; In jener Zeit wurden alle gesellschaftlichen Elemente nach dem Feudalsystem gemodelt, welches allein die Anforderungen der Epoche zu erfüllen vermochte. Daß diese Modelung zuweilen mit gewaltsamen Mitteln bewirkt wurde, steht außer Zweifel. Viele begaben sich freiwillig als Hörige unter die Obhut mächtiger Seigneurs oder Religionsverbindungen, um sich gegen Vergewaltigung zu schützen oder auch um in Zeiten der Noth, die damals sehr häufig eintraten, einen Ernährer zu haben. endlich eine dritte, in der die eigentliche Hörigkeit unter dem Walten eines hochentwickelten Feudalismus zur vollen Geltung kam und der hörige Pachtbauer lediglich ein unter den verschiedensten Namen ( homme de corps, homme de pôté, mainmortable, taillable, serf, vilain) erscheinender Abgabenzahler war.
In jeder dieser Perioden herrschten bis zu einer gewissen Ausdehnung diese drei Formen der Lage der niedrigen Schichten gleichzeitig, doch überwog in jeder Periode Eine Form bei weitem. Am Schluß des neunten Jahrhunderts erfreuten sich die Leibeigenen anerkannter Besitz- und Erbfolge-Rechte an ihren Anwesen. Unter der dritten Dynastie waren sie mehr Unterthanen als Pächter und ihre Abgaben mehr Steuern als Pachtschillinge. Kurz, sie waren Lehnsmänner, und zwar nahmen sie als solche die niedrigste Sprosse der Feudal-Leiter ein. Wie der Leibeigene zum Boden gehörte, gehörte auch der Boden ihm, und es war ebenso schwierig, ihm sein Anwesen zu nehmen, wie es schwierig war, den Seigneur seines Allodialbesitzes zu berauben.
Was die unmittelbaren Ursachen betrifft, die zur Freilassung der Leibeigenen führten, so zählte Guérard, abgesehen von dem sich in Schenkungen und Vermächtnissen äußernden guten Willen der Seigneurs, die folgenden auf: die Verjährung, welche der Flucht eines Leibeigenen nach einer bestimmten längeren Abwesenheit folgte; die Weihe zum Priester; Loskaufung aus eigenen Mitteln oder seitens Anderer; die Verheirathung mit einem Weibe aus einer besseren Klasse; gesetzliche Entscheidungen in gewissen Fällen von dem Hörigen durch den Herrn zugefügter Unbill. Daß auch die Kirche das erfreuliche Ergebniß herbeiführen half, geht aus vielen Beispielen hervor, von denen wir nur eines erwähnen wollen: Im neunten Jahrhundert erhielt der heilige Benedikt von Aniane, der Reformator des Klosterwesens in den Ländern der Karolinger, von Gläubigen viele Ländereien geschenkt; er nahm sie für seine Klöster an, befreite aber alle dazu gehörigen Leibeigenen.
Zuweilen stellten Grundherren gegen Entrichtung einer Geldsumme der Bevölkerung ganzer Dörfer Freilassungsbriefe aus. Doch wurde dieses Verfahren dem Vasallen durch die Nothwendigkeit erschwert, die Zustimmung aller seiner Feudal-Oberen zu erlangen; die Genehmigung wurde oft entweder aus persönlichen Gründen verweigert oder nur gegen Bezahlung ertheilt. Anderseits wurde diese Schwierigkeit dadurch theilweise wettgemacht, daß viele herrschaftliche Besitzungen an die Krone heimfielen, in deren Interesse es lag, die ländlichen Gemeinden ebenso sehr wie die städtischen dem Adel gegenüber zu begünstigen. Philipp August schuf im ganzen Reich eine neue Bürgerklasse – die »Königsbürger«, – indem er gestattete, daß die Pachtbauern der Kronvasallen oder ihrer Feudal-Unteren sich mittels einer eidlichen Erklärung von ihrem Herrn lossagten und gegen Entrichtung einer festgesetzten jährlichen Abgabe formell als Bürger dieser oder jener Stadt erklärt wurden, obgleich sie fortfuhren, auf ihrem Anwesen zu leben. Diesen Vorgang erleichterte der genannte Monarch den Bauern so sehr, daß viele Bauern es ablehnten, sich loszukaufen, wenn ihr Herr bereit war, sie gegen Lösegeld freizugeben – sie hatten es eben nicht nöthig.
Da Philipp IV. für seine vlämischen Kriege viel Geld brauchte, bewirkte er die Freilassung der Hörigen ganzer Grafschaften und Provinzen. Sein Sohn Ludwig der Zänker, der ebenfalls Goldes und Silbers bedurfte, befolgte dieselbe Politik, indem er sämmtlichen Pachtbauern der königlichen Güter die Freiheit anbot; aber er forderte so hohe Jahresabgaben, daß nur Wenige von seinem Anerbieten Gebrauch machen konnten. Wahrscheinlich bedeuteten die Edikte dieser Könige kaum mehr als die Anerkennung einer vollendeten Thatsache und gewährten nur der Form nach die Freiheit, welche die Hörigen in Wirklichkeit ohnehin schon besaßen. Gewiß ist, daß im Laufe des 14. Jahrhunderts die große Masse der französischen Ackerbautreibenden aufhörte, leibeigen zu sein. Freilich blieben sie schweren Abgaben und Lasten unterworfen, die theils persönlicher Natur waren, theils an dem Boden hafteten und in zwar milderer, aber immerhin bedrückender und empfindlicher Weise bis zum Ausbruch der Revolution fortdauerten. Was die Bauern in manchen Provinzen Frankreichs unter der Willkür des Adels selbst in der besten Zeit der Herrschaft Ludwigs XIV. litten, geht aus der in Fléchier's »Denkwürdigkeiten« gegebenen Schilderung der »großen Tage in der Auvergne 1665« hervor.
Werfen wir einen Blick auf die Lage der Bauern in jener Zeit. Meist waren sie Eigenthümer eines Theiles des von ihnen bearbeiteten Bodens. Die lange verbreitet gewesene Ansicht, daß die Kleintheilung der Ländereien von der Revolution her datirt, hat sich als ganz irrig erwiesen. Schon im 15. Jahrhundert, und sogar noch früher, hatten sehr viele Pächter ihre kleinen Anwesen von den Grundherren gekauft. Ja, französische Volkswirthschaftslehrer hatten sich schon vor der Revolution über die vermeintlich ungebührlich starke Zunahme der Kleingüter beklagt. Arthur Young war überrascht von der »erstaunlichen Kleintheilung des Bodenbesitzes,« wie er sich in seinem Buche »Reisen in Frankreich« ausdrückte. »Wahrscheinlich die Hälfte, vielleicht auch zwei Drittel des Königreichs gehörten Kleinbauern.« Das wird gegenwärtig für eine übertriebene Schätzung gehalten, immerhin aber gesteht man mindestens ein Viertel zu. Selbstverständlich kam es bei sehr vielen Bauern vor, daß sie außer ihrem eigenen Streifen Landes noch andre, gepachtete Anwesen betrieben – in der Regel nach dem Halbpachtsystem – und überdies verdangen sie sich gelegentlich als Lohnarbeiter.
Die Verwaltung der ländlichen Bezirke war aus den Händen der Gutsherren in die der Zentralregierung übergegangen, welche die Angelegenheiten sämmtlicher Sprengel durch die Intendanten und deren Untergebene leitete oder überwachte. Mit Ausnahme einiger Ueberbleibsel einer, überdies auch noch zumeist durch Stellvertreter ausgeübten örtlichen Gerichtsbarkeit, hatte der Adel aufgehört, an der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten theilzunehmen. Die Herrschaften wohnten in Paris oder Versailles und kannten keinen andern Ehrgeiz als am Hof zu glänzen und die Gunst des Königs zu erringen. Der Rang war ihnen geblieben, aber sie hatten keine politische Aufgabe mehr zu erfüllen und unterschieden sich von den übrigen Bevölkerungsklassen nur durch ihre Freiheiten und Vorrechte. Zu den letzteren gehörten ihre Feudalrechte. Diese hatten im Lauf der Zeit erhebliche Abänderungen erfahren und bestanden nunmehr hauptsächlich in Geldabgaben; sie waren in den verschiedenen Provinzen – und selbst in den einzelnen Gegenden einer und derselben Provinz – sehr verschieden, doch können die folgenden als die am allgemeinsten eingeführten und wichtigsten gelten:
Frohndienste, die aber bereits selten und leicht waren. Straßenmaut, Meß- und Marktgebühren. Das Kelter-, Mahl- und Bank-Monopol. Einziehung von Strafgeldern auf Landkäufe und -Verkäufe innerhalb des Herrschaftsgutes. Erbzins und andere in Barem oder Naturalien zahlbare Abgaben nicht einlösbarer Art. Das durch äußerst drückende Gesetze gewährleistete Jagdmonopol. Im ersten Kapitel des zweiten Buches seines berühmten Werkes »Das alte Regime und die Revolution« behandelt Tocqueville die Feudalrechte ausführlich auf Grund der Beschreibungen von Juristen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Nicht nur die weltlichen, sondern auch die geistlichen Seigneurs und die Häupter der Religionsverbindungen erfreuten sich dieser Privilegien. Sie erhoben dieselben Abgaben, ließen sich dieselben Frohndienste leisten und besaßen in einigen Gegenden des Ostens sogar noch durch Eroberung erworbene Hörige. So z. B. hatte der Bischof von St. Claude in Hochburgund vierzigtausend Leibeigene, deren sich Voltaire annahm und die erst kurz vor 1789 die Freiheit erlangten.
Was die Ueberreste der Feudalwirthschaft den Franzosen so verhaßt und unerträglich machte, war die Thatsache, daß die Ansprüche der Seigneurs nicht mehr durch Regierungspflichten wettgemacht wurden. Man mußte ihnen ohne jede Gegenleistung zahlen und dienen; die ihnen entrichteten Abgaben u. s. w. bildeten lediglich einen Tribut, den ein Grundbesitzer dem andern erpreßte. Die theilweise Beseitigung der Wirthschaftsordnung des Mittelalters in Frankreich ließ die Ueberbleibsel desto lästiger und unvernünftiger erscheinen, während in Deutschland weit schwerere Lasten verhältnißmäßig geduldiger ertragen wurden. In der Nachtsitzung vom 4. August 1789 fegte schließlich die Nationalversammlung die letzten Spuren des französischen Feudalismus hinweg.
Guérard betont in seiner » Polyptique d'Irminon« die durch die Doppelbedeutung, welche das Wort » servus« in den mittelalterlichen Quellenschriften hat, hervorgerufenen Forschungsschwierigkeiten. Demgemäß haben selbst so hervorragende Autoren wie Robertson, Hallam und Kemble in ihren Darlegungen über die Hörigkeit in England den Stoff dadurch verdunkelt, daß sie das Wort »Sklave« bald für »Sklave«, bald für »Leibeigener« gebrauchen. Stubbs dagegen hat sich in seiner »Englischen Verfassungsgeschichte« von diesem Fehler freigehalten und durch Bevorzugung der socialen Thatsachen vor dem Buchstaben des Gesetzes die Geschichte dieser Klasse in ein klares Licht gerückt.
Die Angelsachsen betrachteten nach Stubbs die Sklaven »als Inventarstücke ihrer Herren ... Der Herr war für des Sklaven Vergehen gegen Andere ebenso verantwortlich wie für den von seinem Vieh angerichteten Schaden ... Die Sklaven hatten kein Blutgeld, keine Glaubwürdigkeit, keine gesetzlichen Rechte; ihnen zugefügte Unbill galten als ihren Herren zugefügt.« Aber die Praxis war milder als das Gesetz; sie sicherte ihnen auskömmliche Nahrung und Feiertage; sie gestattete ihnen, ihre Ersparnisse für sich zu verwenden und ermöglichte ihnen so, sich loszukaufen; auch konnten kirchliche Vorschriften die Herren für die Mißhandlung ihrer Sklaven bestrafen. Ethelbert und Kanut verboten durch Gesetze den Menschenverkauf an Heiden, und dem Sklavenhandel, der hauptsächlich in Bristol betrieben wurde, bereiteten die Predigten des heiligen Wulfstan ein Ende.
Nach der normännischen Invasion unterdrückten Wilhelm der Eroberer und seine Nachfolger die höheren Klassen der angelsächsischen Bevölkerung planmäßig. Die Folge war, daß diejenigen freien Angelsachsen, welche noch einen Theil ihres Besitzes unter feudalen Bedingungen behalten hatten, und ihre unfreien Pachtbauern einander näher rückten. Das veränderte Feudalsystem Englands machte das Staatsoberhaupt viel unabhängiger vom Adel und von der hohen Geistlichkeit als dies auf dem Festlande der Fall war. Es mußten nämlich alle untergeordneten Vasallen dem König unmittelbar einen Treueid leisten, mittels dessen sie ihre Unterthanenpflicht gegen ihn für bindender erklärten als ihre Lehnspflicht gegen ihre Grundherren. So wurde England frühzeitig zu einer echten Monarchie und die Krone kam in die Lage, die niedrigen Klassen gegen die Anmaßungen der höheren zu schützen.
Der Frohnbauer oder Hörige (» villein«) des großen alten Reichsgrundbuches » Domesday Book« war kein Sklave, sondern ein Nachfolger des angelsächsischen » ceorl«, ein nicht-austreibbarer Landwirth, der Gewohnheitspächter eines Grundherrn. Wahrscheinlich verwechselten die normännischen Ritter die villeins mit anderen, minder günstig gestellten Pachtbauern (» bordarii«). Der freie ceorl wurde zum villein herabgedrückt und der Sklave (» servus, theow«) verschwand gänzlich. Die Lage der aus dieser Verschmelzung hervorgegangenen Klasse war »mit beträchtlichem persönlichen Wohlstand und einigem gesellschaftlichen Ehrgeiz vereinbar.« Die villeins erfreuten sich voller Sicherheit des Besitzes ihrer Anwesen, »Schutzes gegen Vergewaltigung durch ihre Herren;« sie »konnten, wenn sie ihr Anwesen verließen und in eine Stadt flüchteten, dort Mitglieder der Zunft werden und, falls der Herr sie nicht binnen Jahr und Tag zurückforderte, alle Rechte der Freien erlangen.« Wurden sie zurückverlangt, so begünstigte das Gesetz ihre Befreiung, indem es den Herren bei der Verfolgung Hindernisse bereitete. Stubbs schreibt: »Unter einem leidlich guten Herrn, unter einem Kloster oder einem college (Kollegium) genoß der Pachtbauer eine Freiheit und Sicherheit, um die ihn seine Vorgesetzten hätten beneiden dürfen. Er war gegen Unbill gerichtlich geschützt, konnte bei der Verwaltung seines Dorfes mitreden, vermochte mit etwas Schlauheit seine Kinder loszukaufen und sie auf eine höhere Lebensstufe zu stellen.« Walter Map erzählt, daß zu seiner Zeit (12. Jahrhundert) viele Pachtbauern ihre unedeln Sprößlinge in den freien Künsten ausbilden ließen. Während der langen Regierungszeit Heinrichs des Dritten wurden sie in Massen Lehnsbesitzer, die für sich und ihre Nachkommen ihre Anwesen so lange behalten durften, als sie die bei Gericht eingetragenen Bedingungen ihres Pachtvertrags einhielten. Vor und während dieser Massen-Emanzipation wurden viele einzelne Hörige von ihren Herren freigegeben oder von Wohlthätern losgekauft – meist in Folge priesterlichen Rathes. Im Jahrhundert der drei Edwarde verlangten zahlreiche freie landwirthschaftliche Tagelöhner so hohe Löhne, daß der König einschritt, um die Forderungen herabzusetzen, die Betreffenden waren zweifellos befreite Hörige oder die Söhne solcher. Im Anfang des 14. Jahrhunderts wurden die Pachtbauern »nur der gesetzlichen Form nach als weniger denn frei bezeichnet.«
Unter Richard III. scheint freilich die die Hörigen betreffende »gesetzliche Theorie«, welche der römischen Auffassung von der Sklaverei nachgebildet wurde, »so verschärft worden zu sein, daß sie fast die muthwilligste Bedrückung zuließ«; aber anderseits milderten gesellschaftliche Ursachen ihr Loos und die strengen Grundsätze, um deren Aufrechthaltung die Juristen sich mühten, konnten dem Umsichgreifen der Aufklärung und Menschenfreundlichkeit nicht standhalten. Ueber diesen Punkt finden sich vortreffliche Darlegungen in Professor Winogradows »Leibeigenschaft in England« (1892), 1. Essai, 2. Kapitel. Nicht, wie Froissart und Andere meinen, die normale Lage der Bauern führte zum Aufstand von 1381, sondern die Versuche der Lords, auf gesetzlichen Ansprüchen zu bestehen, die in der Wirklichkeit keine Geltung mehr hatten. Als die Barzahlungen allgemein wurden, verwandelten sich die Dienstleistungen in jährliche Abgaben und man betrachtete die Beziehungen zwischen Grundherren und Pächtern als Ergebnisse von Verträgen. Die Hörigkeit starb in England ohne irgendwelche besondere Aufhebungsgesetze aus. Sir Thomas Smith (geboren 1512, gestorben 1577), der in feinem nachgelassenen, 1588 erschienenen Werke »Die englische Republik« zwischen » villains in grosse« als – gleich den altrömischen servi und vernae – an eine Person und deren Erben gebunden und » villains regardant« als an die Scholle gefesselt unterscheidet, bemerkt sodann: »England hat von keiner der beiden Gattungen viele; von der ersteren kannte man zu meiner Zeit überhaupt niemanden und von der zweiten so wenige, daß es nicht lohnt, davon zu sprechen. Aber unsere Gesetze erkennen beide Arten an.« In einzelnen Ausnahmefällen erhielt sie sich jedoch in Großbritannien ebenso wie in Frankreich; daher rührt es, daß Hallam einer Emanzipationsurkunde erwähnen kann, mittels welcher Königin Elisabeth 1574 die Frohnpflichtigen einiger ihrer Güter freiließ, und daß in Schottland die Arbeiter in den Kohlen- und Salzbergwerken erst unter Georg III. aus dem Zustande der Hörigkeit erlöst wurden.
Die frühzeitige Entstehung mächtiger städtischer Gemeinwesen in Ober- und Mittel-Italien übte auf die Geschicke der Landbevölkerung zweierlei Wirkungen aus, die einander entgegengesetzt waren. Einerseits steuerte sie der Willkürwirthschaft der weltlichen und geistlichen Grundherren, indem die entfliehenden Hörigen in den Städten Zuflucht fanden. Dies geschah schon im Anfang des 12. Jahrhunderts und wiederholte sich so oft, daß die Kaiser den dadurch ungemein geschädigten Herrschaften auf ihre Bitten Gegenmaßregeln bewilligten. Dieselben erwiesen sich jedoch in der Regel als nutzlos. Die Flüchtlinge ernährten sich in den Städten mit Handwerkerarbeit oder sie wurden in die Bürgerwehr eingereiht. Die Furcht, in dieser Weise die Mehrheit ihrer Bauern zu verlieren, veranlaßte die Lords, sie menschlicher zu behandeln, ihnen das Loskaufen zu erleichtern und ihrem Pachtverhältniß größere Beständigkeit zu verleihen. Anderseits wirkte die Ausdehnung der Besitzungen der Städte durch Eroberungen – oder in anderer Weise – ungünstig auf die Landleute ein. Die einverleibten Dörfer und Bezirke litten nicht wenig unter der Steuerlast, die eine Folge der unaufhörlichen Fehden zwischen den um die Palme ringenden Republiken war. Dadurch kam es oft zu Empörungen, für die dann die Gemeinden mit Entziehung der örtlichen Freiheiten, deren sie sich erfreuten, bestraft wurden; zugleich unterstellte die Hauptstadt sie der Verwaltung eines Podestà. Dieser hatte die Macht, zu seinen und der Stadtbevölkerung Gunsten die Bauern recht sehr zu bedrücken. Viele Kleingrundbesitzer sahen sich in die Zwangslage versetzt, ihre Anwesen zu verkaufen, welche dann auf kurze Zeit – auf ein oder mehrere Jahre – Pächtern überlassen wurden, deren Pachtschilling man immer wieder erhöhte, was sie sich aus Furcht vor der Austreibung gefallen lassen mußten. Im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts nahm diese Verschlechterung der Verhältnisse der Kleingrundbesitzer in Ober- und Mittel-Italien immer mehr überhand.
Aber zu derselben Zeit hörte in diesen Landestheilen die persönliche Hörigkeit gänzlich auf. Den ersten Schritt zu ihrer vollständigen Beseitigung that Bologna, indem es im Jahre 1256 sämmtliche auf den öffentlichen wie den privaten Ländereien lebenden Leibeigenen emanzipirte und die Gutsherren aus Staatsmitteln entschädigte. Ungefähr vier Jahre später befolgte Treviso das gute Beispiel. Florenz erließ 1288 ein Edikt, das allen auf seinen Gebieten vorhandenen unfreien Personen erlaubte, sich loszukaufen und ihre Feudalpflichten – Abgaben und Dienste – baar abzulösen; gleichzeitig wurde die Veräußerung von Hörigen auch für den Fall des Verkaufs ihrer Anwesen verboten und die Bestimmung getroffen, daß jede solche Veräußerung die sofortige Befreiung der betreffenden Leibeigenen nach sich ziehen werde. Andere Städte handelten ähnlich; in ihnen war vor dem Schlusse des 14. Jahrhunderts die Hörigkeit entweder durch Gesetze aufgehoben oder hatte in anderer Weise ihr Ende erreicht.
Freilich blieb für das Loos der Befreiten noch viel zu thun übrig und es blieb lange ungethan. Die Habsburger schenkten den Interessen der Ackerbau treibenden Bevölkerung Toskanas und der Lombardei lebhafte Beachtung. Maria Theresia bedachte die letztgenannte Provinz mit der doppelten Wohlthat einer ehrlichen, genauen Landabschätzung und einer freisinnigen Landgemeinden-Verfassung, während Kaiser Leopold in Toskana alle Ueberbleibsel der Feudal-Dienstleistungen abschaffte und auf den großherzoglichen, kirchlichen und kommunalen Ländereien den jederzeit kündbaren Pächtern zu billigen Preisen oder für einen angemessenen Pachtschilling das Eigenthumsrecht ihrer Anwesen, bezw. ein erbliches Nutznießungsrecht an ihnen verlieh.
Wenden wir uns nach Unter-Italien, so finden wir, daß unter den Normannen- und Hohenstaufenfürsten beider Sizilien die Bauern auf den Ländereien des Adels und der Kirche größtentheils unfrei und an die Scholle gebunden waren, wogegen die königlichen Domänen sehr viele freie Pächter aufwiesen. So lange die Könige genug Macht besaßen, um die Adeligen im Schach zu halten, erging es den Pachtbauern der Krone ganz leidlich. Sie konnten über ihren eigenen Besitz nach Belieben verfügen, und beim Fehlen eines Testaments trat der gesetzliche Erbe den Besitz an. Die Menge und Beschaffenheit der Feudaldienste war genau bestimmt und das Gesetz gewährte Schutz gegen drückende Behandlung. Kaiser Friedrich II. beseitigte 1231 die Hörigkeit auf den Kronländern gänzlich und entzog den Großgrundbesitzern die Macht über Leben und Tod ihrer Leibeigenen.
Unter den neapolitanischen Anjous wandten sich die Dinge zum Schlimmeren. Die französischen Feudalrechte wurden eingeführt und die Adeligen übten eine Strafgerichtsbarkeit aus, die sehr oft nicht im Gesetz begründet war. Die aragonesischen Herrscher gewährten ihnen während der Wirren des 14. und des 15. Jahrhunderts auf der Insel Sizilien das Recht der unumschränkten Ausübung dieser Gerichtsbarkeit – sogar unter Ausschluß der Berufung an die Krone. Nach der 1504 erfolgten Vereinigung Neapels mit Sizilien unter spanischer Herrschaft hatte die ländliche Bevölkerung sehr viel durch hartherzige, bestechliche, eigennützige Vicekönige zu leiden, und die Bourbonen, welche 1735 ans Ruder kamen, verbesserten die Lage der bedauernswerthen Bauern durchaus nicht. Diese sahen sich noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vielen drückenden, erniedrigenden Feudallasten unterworfen. Die Anzahl der grundbesitzenden Bauern und der erblichen Pächter war ungemein gering; im allgemeinen gewährte man nur kurze Pachtfristen und erschwerte dabei den Sassen die Nutznießung ihrer Anwesen auch noch durch unbillige Bedingungen und ärgerliche Einschränkungen. Die vorhandenen Berichte vertrauenswürdiger Augenzeugen über die elende Lage der Bodenbebauer erinnern lebhaft an La Bruyères berühmte Schilderung des französischen Landlebens im 17. Jahrhundert.
In Piemont und Savoyen machten sich mehrere der sardinischen Fürsten um ihr Volk verdient, namentlich Viktor Amadeus II. durch die Aufhebung der feudalen Dienstleistungen und Karl Emanuel III. dadurch, daß er den Bauern gestattete, ihre Feudallasten mittels Summen abzulösen, deren Höhe von einer eigens eingesetzten amtlichen Kommission bestimmt wurde. Doch kann man nicht sagen, daß die letztere Reform ihren Zweck vollständig erreichte. Die gänzliche Abschaffung der feudalen Vorrechte wurde sehr gefördert durch die französische Besetzung Italiens nach der Revolution. Theils unmittelbar durch Gesetze, theils durch den Einfluß der Eindringlinge auf die Fürsten, denen ein Theil ihrer Länder verblieben war, theils durch die sich in Folge der Invasion geltend machenden aufständischen Tendenzen der italienischen Völkerschaften erhielt das Feudalsystem unter den Franzosen einen Stoß, den der Sturz Napoleons und die Wiederherstellung der alten Regierungen zwar abschwächten, aber nicht abwehren konnte. Diese Regierungen waren nur zu oft abgeneigt, die nöthigen Reformen auszuführen, und hatten sie den guten Willen, so fehlte es ihnen an der Festigkeit und Ausdauer, sich hinlänglich gegen den selbstsüchtigen Widerstand des Adels zu wappnen. Allein glücklicherweise gab es Ausnahmen, wie z. B. Karl Albert, der 1831 auf der Insel Sardinien eine friedliche Umwälzung bewirkte, die der preußischen von 1807 ähnelte.
Bei den christlichen Flüchtlingen in den asturischen Bergen wurden durch das, aus gemeinsamen Leiden und Gefahren hervorgewachsene Gefühl der Brüderlichkeit die höheren und die niedrigeren Klassen eng mit einander verknüpft und während der späteren allmähligen Wiedergewinnung der Halbinsel hielten es die Grundbesitzer für geboten, die Bauern gut zu behandeln, um dadurch aus den noch den Mauren unterworfenen Gebietstheilen Ansiedler anzulocken, damit die durch die langen Rassenkämpfe verwüsteten Ländereien wieder ordentlich bebaut werden. Demgemäß erfreute sich das Landvolk in Spanien schon frühzeitig einer besseren Lage als in den meisten anderen Staaten Europas. Freilich übertrieb Byron, wenn er schrieb, daß »in Spanien die unteren Klassen niemals Vasallen des Bodens waren«, und Hallams Schilderung der Verhältnisse der kastilischen Ackerbauer ist ebenfalls eine zu rosige. Immerhin hatte die Hörigkeit, obgleich in den Gesetzen der Westgothen anerkannt, in den neuerrungenen Gebieten eine ziemlich milde Form – mit Ausnahme der von den Franken eroberten, »spanische Mark« genannten Gebiete. Die weltlichen Gutsherren und die geistlichen Körperschaften gewährten den Dorfgemeinden Vorrechte und Begünstigungen, wie sie damals anderwärts unbekannt waren, und die betreffenden Freibriefe ( fueros) sind älteren Datums als die von der Krone den Stadtgemeinden bewilligten. Allen Ansiedlern wurde volle persönliche Freiheit zugesichert; sie kannten die drückendsten und gehässigsten Feudalpflichten nicht und ihr Pachtverhältniß war ein erbliches. Am Ende des 13. Jahrhunderts befanden sich bereits sämmtliche Gemeinden im Besitz von » fueros« und Hörige gab es nur noch in Katalonien und einem Theil von Aragon – Gebieten, die zur spanischen Mark gehörten. 1486 dehnte Ferdinand der Katholische das Befreiungswerk auch auf diese Provinzen aus und setzte feststehende Geldabgaben an die Stelle der Feudallasten.
Indeß sollte bald eine Wendung zum Schlimmern eintreten. Unter Kaiser Karl dem Fünften (in Spanien König Karl der Erste) stellten sich die Bauern in der Erhebung der um ihre Freiheit kämpfenden Städte ( comuneros) auf die Seite der letzteren, während der Adel sich für den König einsetzte. Nach dem Siege Karls bei Villalar (1521) wurden die Landleute des Schutzes der Krone verlustig und seitens der Aristokratie der ärgsten Willkür unterworfen. Von der Mitte des 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sie trotz aller persönlichen Freiheit so sehr zu leiden, daß Feyjoó anno 1739 das Loos der spanischen Bauern für ärger als das der Galeerensklaven erklärte. Die rückschrittliche Politik des Hofes und die träge Selbstsucht des Adels, der alle Pflichten seiner Stellung vernachlässigte, verschuldeten einen Verfall der ganzen Nation, am schlimmsten jedoch war die Landbevölkerung daran, sodaß binnen einhundertfünfzig Jahren die Einwohnerschaft Spaniens auf die Hälfte sank. Die Bourbonen, insbesondere Karl III. (1759-88), versuchten wiederholt, dem Uebel zu steuern, scheiterten damit aber an dem Widerstande der bevorrechteten Klassen.
Zur Erlangung von Reformen bedurfte es der Erhebung und des Bürgerkrieges. Das allgemeine Wiederaufleben des Landes – die Marksteine waren die Cortes von Cadiz und die Verfassung von 1812 – brachte auch die Schaffung eines unabhängigen Bauernstandes mit sich; die Pachtungen wurden durchweg erblich und viele Bauern erwarben ihre Anwesen eigenthümlich. Hand in Hand damit ging die Beseitigung der gutsherrlichen Gerichtsbarkeit, die ein Hauptmittel der Bedrückung gewesen war. Die Wirksamkeit all dieser Maßregeln konnte durch die Wiedereinsetzung Ferdinands VII. unterbrochen und verzögert, nicht aber vereitelt werden. Der Verkauf der Krongüter und die Verweltlichung des Kirchenbesitzes (1836-40) warf eine Fülle von Liegenschaften auf den Markt und zahlreiche Pächter benutzten diese günstige Gelegenheit zum Ankauf ihrer Anwesen.
In vielen Theilen Deutschlands besserte sich die Lage der Bauern zwischen der Mitte des 12. und der Mitte des 15. Jahrhunderts beträchtlich. Einigermaßen geschah dies durch die Bemühungen der im Aufschwung begriffenen, wohlhabenden Städte des Reichs, welche einen Stolz darein setzten, die Ackerbauer gegen ihre Herren zu schützen und in ihren Vororten flüchtige Hörige zu beherbergen, die man dann »Pfahlbürger« nannte. Diese Praxis nahm so sehr überhand, daß die Kaiser vergeblich dagegen auftraten. Die Lage der Leibeigenen in den zum Besitz der Städte gehörenden Landbezirken unterschied sich in der Regel sehr günstig von den einschlägigen Verhältnissen auf anderen Ländereien; auch war ihnen die Befreiung leichter gemacht. Allein die geringe Dichtigkeit der Landbevölkerung und der daraus folgende Mangel an Bodenbebauern – Ergebnisse langer Kriege und umfassender Wanderungen – bewog viele weltliche und geistliche Großgrundbesitzer, die Lage ihrer Pächter zu verbessern, ihr Vertragsverhältniß zu einem ständigen zu machen und ihre Lasten zu erleichtern. Namentlich in Schwaben, Franken, Westphalen und am Rhein entstanden zahlreiche freie Dorfgemeinden. Es gab jedoch auch Gegenden, in denen die Lage der Bauern nach wie vor die alte blieb.
In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts machten sich störende Einflüsse geltend. Die Einführung des römischen Rechts, das für eine auf Sklaverei beruhende Gesellschaft berechnet gewesen war, zielte darauf ab, die vielfach eingebürgerten freisinnigen Gebräuche durch strengere Auffassungen der Eigenthumsrechte zu ersetzen. Die verschiedenen Grade von Hörigkeit, die im Laufe der Zeit zur Anerkennung gelangt und theilweise sehr milde waren, wurden von den neuen Rechtslehrern zu Einem Typus zusammengefaßt und fielen allesammt unter die Bezeichnung »Leibeigenschaft.« Der Bauernstand verlor das Recht der Betheiligung an der Rechtspflege seiner Dörfer. Der wachsende Luxus, mit dem die Geistesbildung leider nicht Schritt hielt, steigerte den Geldbedarf der Fürsten und Adeligen, die sich nur durch schwere Mehrbelastung der pekuniären und leiblichen Kräfte der Pachtbauern zu helfen wußten. Die unablässigen Kriege und Fehden der Zeit zwangen ganze Schaaren freier Landleute, ihre Unabhängigkeit aufzugeben und sich unter den Schutz – damit aber auch unter die Herrschaft – mächtiger Männer zu stellen.
Die großen Beschwerden, denen Klassen, die sich früher einer gewissen Freiheit erfreuten, nunmehr unterworfen wurden, bildeten unstreitig die Hauptursachen des Bauernkrieges von 1525, der in manchen Gegenden eine sofortige Erleichterung der Lasten herbeiführte. Die Erinnerung an diesen Aufstand zügelte eine Zeit lang die Uebergriffe der Adeligen; allein während der durch den dreißigjährigen Krieg hervorgerufenen allgemeinen Verwirrung und Verarmung erneuerten sich die Uebergriffe und nahmen ärgere Formen an als je. Unmittelbar nach dem Abschluß des Westphälischen Friedens gelangte sowohl in den größeren als in den kleineren Staaten Deutschlands eine Art Absolutismus zur Einführung und die Willkür der Höfe wurde von den Edelleuten durch eine kleinlichere, drückendere Tyrannei nachgeahmt. Die Bauern blieben ohne Schutz gegen die Launen ihrer Herren, denn die Regierungen hielten es mit den letzteren, um sie mit der ihr Ansehen schädigenden Unterdrückung der Landtage auszusöhnen. Die Zeit zwischen der Mitte des 17. und der des 18. Jahrhunderts gehört zu den dunkelsten Blättern der Geschichte des deutschen Bauers. Im allgemeinen dem Gesetz nach kein wirklicher Leibeigener, sondern nur in beschränktem Maße hörig, hatte er dennoch sehr häufig die roheste Behandlung zu erdulden und hing hinsichtlich seiner Abgaben und Frohndienste thatsächlich von der Gnade seines Herrn ab. Der »Landesvater« kümmerte sich gewöhnlich sehr wenig um ihn und die Staatsbeamten gewährten ihm keinen genügenden Schutz oder sie bedrückten ihn sogar auch noch selber.
Die neuzeitlichen Bestrebungen zur Befreiung des Bauernstandes lassen sich in Deutschland mit mehr Klarheit verfolgen als anderswo, denn sie sind neueren Datums und durch eine größere Fülle von geschichtlichen Urkunden belegt. In dem engen Rahmen dieses Buches vermögen wir nicht alle Formen zu schildern, welche die Emanzipation in den verschiedenen Staaten und Städtchen des Reiches annahm; nur den Hergang in den beiden Hauptländern – Preußen und Oesterreich – können wir ausführlicher beschreiben, das übrige müssen wir ganz kurz erwähnen.
Der erste Anstoß zur Befreiung der Leibeigenen ging von der Kaiserin Maria Theresia aus, die dabei einerseits von dem menschenfreundlichen Geiste, der ihre ganze Regierungspolitik durchdrang, anderseits von der Erwägung geleitet wurde, daß die Hebung der Lage der ackerbautreibenden Bevölkerung diese in den Stand setzen würde, mehr Steuern zu zahlen und die damals unersättliche Kriegskasse besser füllen zu helfen. Ein Hemmniß fanden die Bestrebungen der Kaiserin in der Nothwendigkeit, mit dem Adel einiger Provinzen, der unter den Folgen des dreißigjährigen Krieges schwer gelitten und der Krone werthvolle Dienste geleistet hatte, auf gutem Fuß zu bleiben: allein Maria Theresia überwand diese Schwierigkeit durch eine zusammenhängende Reihe reiflich erwogener Maßregeln. Zunächst schränkte sie die gutsherrliche Strafgerichtsbarkeit ein, die nur zu oft mit arger Willkür ausgeübt worden war. Sodann führte sie, finanzielle Gründe vorschützend, den Grundsatz ein, daß Bauernanwesen niemals von Latifundien aufgesaugt werden sollten. In Böhmen, Mähren und mehreren Provinzen ermächtigte sie die Pächter mit begrenzter Pachtzeit, von den Herren die Umwandlung des Pachtverhältnisses in ein erbliches Besitzverhältniß zu verlangen. Um in dieser Beziehung möglichst genaue Werthabschätzungen der Anwesen zu sichern, ließ sie eine neue Vermessung und Schätzung vornehmen und unterstellte alle Kaufverträge der Ueberprüfung durch die neugeschaffenen Kreisbehörden. Dieser Plan bewährte sich trefflich und schuf eine große Anzahl von Kleingrundeigenthümern.
Die Frohnden (»Robott«) erheblich zu erleichtern, gelang der aufgeklärten Herrscherin erst spät. Der Umfang der Frohndienste war in vielen Fällen so unbestimmt, daß sie den Hörigen zu gewissen Zeiten des Jahres einen großen Theil der Arbeitswochen oder auch die ganzen Wochen in Anspruch nahmen. 1771 wurde ein Ausschuß eingesetzt, dem die Untersuchung der einschlägigen Zustände oblag und der zwei Mittel zur Abhilfe empfahl: die Einlösung und die »Robott- und Urbarial-Patente«. Da die Einlösung auf freier Vereinbarung hätte beruhen sollen, scheiterte sie meist, denn die Betheiligten konnten sich nur selten einigen. Besseren Erfolg hatten die erwähnten »Patente«, die für jede Provinz das Maximum der Robott festsetzte, auf die die Herren ein Recht haben sollten und die Summen bestimmte, gegen deren Entrichtung die Frohndienste ablösbar waren. Die Bauern Böhmens überschätzten die Bedeutung dieser Vorkehrungen, verweigerten in ihrer falschen Auffassung derselben die Robott ohne Ablösung und erhoben sich zu einem Aufstand, den die Regierung mit Militärgewalt unterdrückte. Dieser Zwischenfall hielt die Kaiserin nicht ab, ihre Reformen fortzusetzen. Sie verwandelte auf den böhmischen Krongütern alle Frohndienste in mäßige Geldabgaben und schaffte im privaten Großgrundbesitz mehrere Feudalsteuern ab, die sich als nicht in den Gesetzen begründet herausgestellt hatten.
Auf heftigen Widerstand stießen ihre humanen Bestrebungen in Ungarn, wo die Leibeigenen außerordentlich schlimm daran waren. Da sie den Magnaten für deren frühere politische und militärische Unterstützung zu Dank verpflichtet war, wollte sie dieselben nicht durch Zwang, sondern durch Ueberredung zur Einführung von Reformen bewegen. Allein unter Zuhilfenahme unlauterer Mittel gelang es ihnen, die guten Absichten der Monarchin zu durchkreuzen; auch die Bauern selbst, mit allem Guten und Neuen unbekannt, widerstanden der Durchführung des Urbarial-Patents in Ungarn – eine unglückselige Verblendung, welche Maria Theresia auf den Gedanken brachte, die Bildung der Landbevölkerung durch die allgemeine Errichtung von Dorfschulen (1770) zu heben.
Ihr Sohn und Nachfolger Josef II. hatte mit noch ärgeren Schwierigkeiten zu kämpfen, als er ihre ländliche Politik fortsetzte. Vergebens war er bemüht, die Leibeigenschaft gänzlich zu beseitigen und durch eine mildere Form der Unterthänigkeit – mit feststehenden Geld- und Dienstleistungen – zu ersetzen. Diese Versuche begannen 1781 zunächst in Böhmen, Mähren und Schlesien, um dann in die übrigen Provinzen verpflanzt zu werden. Sie mißglückten hauptsächlich, weil sie nicht mit der nöthigen Umsicht und Vorsicht verbunden waren, die umso gebotener gewesen wäre, als es dem Kaiser an einer genügenden Anzahl aufgeklärter, an der Durchführung seiner Pläne mit Lust und Liebe arbeitender Beamten fehlte. Da ist es denn nicht verwunderlich, daß namentlich die ungarischen, welche ganz besonders hartnäckig geblieben waren, mit ihrer Widerspenstigkeit Erfolg hatten. Schließlich kam es so weit, daß Josef II. kurz vor seinem Tode alle seine Reformen, ausgenommen das Toleranz-Edikt und die Aufhebung der Leibeigenschaft, für Ungarn widerrufen mußte. Die letztere Neuerung mußte aber von seinem Bruder Leopold II. geopfert werden, der gezwungen war, sich mit der Aufrechthaltung des Urbarial-Patentes zu begnügen. Auch in Nieder- und Ober-Oesterreich stieß die Krone mit ihren Reformen auf so lebhafte Abneigung, daß Kaiser Leopold sich genöthigt sah, in diesen Provinzen, in denen keine eigentliche Leibeigenschaft mehr bestand, die wichtigsten Verordnungen seines Vorgängers, die auf Befreiung der Bauern von der willkürlichen Ausbeutung ihrer Herren abzielten, zurückzuziehen. Ueberhaupt blieben die josefinischen Neuerungen nur in Galizien und Lodomerien in Kraft – jenen neuerworbenen Gebietstheilen, deren Ackerbauer, in Folge der Schwäche der polnischen Wahlherrscher dem Adel gegenüber, der ärgsten Willkür seitens des letzteren schutzlos preisgegeben waren. In dem ganz besonders lesenswerthen Kapitel »Das Volk« des im Jahre 1753 vom Polenkönig Stanislaus Leszczynski veröffentlichten, von gesundem Menschenverstand und vornehmer Gesinnung zeugenden Buches »Die freie Stimme des Bürgers« findet sich die folgende Schilderung der damaligen Lage der polnischen Bauernschaft: »Das Volk ist in Polen in einem Zustand äußerster Erniedrigung. Die Leute sind kaum zu unterscheiden von ihrem Zugvieh. Nur zu oft verkaufen wir sie mittels schmählichen Schachers an grausame Herren ... Nicht ohne Entsetzen erinnere ich hier an das Gesetz, welches den Edelmann, der einen Bauer tödtet, blos mit einer kleinen Geldstrafe von 15 Francs belegt ... Polen ist das einzige Land, in welchem das gemeine Volk aller Menschenrechte baar zu sein scheint ... Wir haben ihnen ein furchtbares Joch aufgehalst ... Mancher Adelige verurtheilt einen seiner Unterthanen ohne berechtigte Ursache zum Tode – häufig ohne Prozeß und ohne alle Umstände.« In diesen Landestheilen wurde die Leibeigenschaft 1782 abgeschafft und durch bestimmte begrenzte Dienstleistungen der Bauern ersetzt, deren Robott früher unbeschränkt gewesen war. Leopold II. und Franz II. widerstanden energisch und erfolgreich den Versuchen der Schlachzizen, die alten, liebgewordenen Verhältnisse wiederherzustellen. Als bei der dritten Theilung Polens (1795) Westgalizien an Oesterreich fiel, führte Kaiser Franz die einschlägigen Reformen auch dort ein.
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahre 1848 machte die Emanzipationsarbeit in Oesterreich keine sonderlichen Fortschritte. Wohl waren die Pachtbauern bereits persönlich frei und in manchen Gegenden Eigenthümer ihrer Grundstücke; aber in den meisten Reichsgebieten litten sie noch immer mehr oder minder unter willkürlicher Behandlung. In Böhmen, Mähren und Galizien durften sie keinen Streifen Landes erwerben. In Ungarn und Siebenbürgen verurtheilten die Gutsbesitzer in ihrer richterlichen Eigenschaft die Leute zur Prügelstrafe, obgleich sie die letztere in ihrer grundherrlichen Eigenschaft nicht mehr anwenden durften. Ihre Abgaben und Robotte waren nach dem Gesetz nicht ablösbar – auch dann nicht, wenn auf beiden Seiten die Neigung zur Ablösung vorhanden war. In den ungarischen Ländern konnte sich das ganze bewegliche Eigenthum des Bauers nur auf seine Kinder vererben; hatte er keine Kinder, so konnte er blos zwei Drittel Anderen vermachen, während das dritte Drittel der Herrschaft zufiel; starb er kinderlos, ohne ein Testament zu hinterlassen, so gingen seine Verwandten leer aus und die Herrschaft erhielt alles.
Josef II. hatte die Robott-Maxima geregelt. Nicht immer hielt man sich an seine Verordnungen; geschah es aber, so war die Frohnzeit eine außerordentlich unbillige – zwei bis drei Tage in der Woche. Einzelne freisinnigere Aristokraten strebten nach Ablösung dieser Leistungen, fanden aber bei ihren Standesgenossen nur wenig Unterstützung. Erst die Revolution von 1848-49 erzwang die Erledigung des wichtigen Gegenstandes. Der österreichische Reichstag schaffte am 7. September 1848 mittels Gesetzes die erbliche Leibeigenschaft der Frohnbauern ab und zerriß dadurch die Fesseln, an die der Ackerbau zu seinem Fluch gekettet gewesen. Und als die Revolution unterdrückt war und die eiserne Reaktion ihr Haupt erhob, blieb das Emanzipationsgesetz glücklicherweise in Kraft und die kleinen Anwesen gingen ins Eigenthum ihrer Bebauer über. Dieselben Reformen – und dazu die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit – wurden alsbald auch in den jetzt zur ungarischen Krone gehörenden Gebieten durchgeführt. Die Entschädigung der Gutsherren erfolgte theils aus dem Landessäckel der betreffenden Kronländer, theils durch Zwangsablösung auf Grund von Festsetzungen behördlicher Kommissionen. Das Verfahren, »Grundentlastung« genannt, nahm viele Jahre in Anspruch, aber es ging befriedigend von statten und bereitete den Betheiligten nicht viele Unannehmlichkeiten.
Die Hohenzollernkönige haben stets den Wunsch gehegt, die Lage der Bauern zu heben. Friedrich I. bekundete bereits 1702 seine Absicht, auf den königlichen Ländereien alle jene Hörigen zu befreien, welche die Baukosten der von ihnen bewohnten Häuser und die ihnen im Laufe der Zeit vorgestreckten Sämereien und Viehbestände zurückzahlen würden. Aber die Bauern waren zu arm, um diese Vorbedingung erfüllen zu können; auch fehlte es dem Herrscher an der Festigkeit, die nöthig gewesen wäre, um den Widerstand, der sich gegen seinen Plan erhob, zu überwinden. Friedrich Wilhelm I., der Anlagen zum praktischen Volkswirth hatte, bemühte sich vielfach, den bösen Folgeübeln des dreißigjährigen Krieges abzuhelfen, um nach den arg entvölkerten ostpreußischen Provinzen Ansiedler zu ziehen. Zu diesem Zweck beseitigte er auf den dortigen Krondomänen die Hörigkeit und verlieh den Bauern das erbliche Besitzrecht an ihren Anwesen. Allein er machte diese seine eigenen Reformen unwirksam, indem er die damals bestehende Einschränkung der Freizügigkeit und der freien Berufswahl bestätigte, das Maß der den Bauern aufzuerlegenden Lasten ungeregelt ließ und ihre Kinder zu Frohndiensten in den Herrenhäusern anhielt. In Preußen scheiterte die Aufhebung der Hörigkeit an dem Widerstand der Bauern selbst, die auf Grund ihrer Erfahrungen hinter der geplanten Neuerung andere als wohlthätige Absichten witterten.
Friedrich dem Großen war es ernstlich darum zu thun, die Bauern sowohl gegen ihre Herren als auch gegen die oft mit großer Willkür handelnden Staatsbeamten zu schützen. Die oft mißachtete Verordnung, daß auf den Krongütern nach dem Tode jedes Pachtbauern dessen Erbe sofort eingesetzt werden solle, wurde wiederholt in Erinnerung gebracht. 1749 bedrohte eine neue Verordnung jeden Beamten, der einem Bauer Stockprügel verabreichen würde, mit sechsjährigem Gefängniß; da aber die Gewohnheit des Prügelns in Folge des von Friedrichs Vater, der sogar hohe Offiziere zu züchtigen pflegte, beobachteten Verfahrens zu sehr eingewurzelt war, blieb das Verbot unwirksam. Da auch das von Friedrich Wilhelm im Jahre 1739 erlassene Edikt gegen die willkürliche Austreibung von Pächtern systematisch übertreten wurde, belegte Friedrich diese Uebertretung mit schwereren Strafen. Trotzdem blühte das Uebel noch unter seinem Nachfolger so sehr, daß neue Verordnungen dagegen ergehen mußten. 1763 dekretirte Friedrich die Abschaffung der Leibeigenschaft in Pommern; da jedoch die Provinzialstände entschieden erklärten, es sei ihnen unmöglich, die Reform einzuführen, widerrief er sie im nächsten Jahre. Ueberhaupt ließ er in seinem Streben nach Befreiung der Leibeigenen nach – theils in Folge des Widerstandes der Grundherren und der Staatsbeamten, theils in Folge seiner Vorliebe für den Adel, der seiner Ansicht nach allein Ehrgefühl hatte, theils – und wohl hauptsächlich – weil er von der Hörigen-Emanzipation eine ungünstige Einwirkung auf seine Soldatenaushebungen befürchtete, denn damals rekrutirte sich das preußische Heer größtentheils aus Leibeigenen. Dazu kam, daß er bei dem schlechten Stande seiner Finanzen nicht in der Lage gewesen wäre, die den Gutsbesitzern zu gewährenden Entschädigungen zu bestreiten. So hat denn Friedrich im großen Ganzen nicht viel positive Emanzipationsarbeit geleistet. Nur in dem neuerworbenen Westpreußen vollbrachte er Nennenswerthes. Bald nach der ersten Theilung Polens konnte er an Voltaire schreiben: »In Westpreußen habe ich die Sklaverei abgeschafft und manche barbarische Einrichtung reformirt.« Dort regelte er auf den Kronbesitzungen die Dienstleistungen der Bauern, sorgte für Verträge zwischen Gutsherren und Pächtern zum Zwecke der Herabminderung der Feudallasten und verbot die Austreibung von Pachtbauern ohne Dazwischentreten eines Gerichtshofes.
In der Zeit zwischen dem Tode Friedrichs des Großen und dem Stein-Hardenberg'schen Gesetzgebungswerk geschah sehr wenig für den preußischen Bauernstand. An die Stelle des Wortes »Leibeigenschaft« trat die Bezeichnung »Erb-Unterthänigkeit« und in das Allgemeine Landrecht von 1791 wurden außerdem einige unwesentliche Bestimmungen aufgenommen, die sich z. B. nicht einmal bis zur Beseitigung, sondern nur bis zur Milderung des grundherrlichen Prügelstrafen-Rechts aufschwangen.
Einen recht kräftigen Anstoß erhielt die Bewegung durch die der französischen Revolution folgenden Ereignisse. So sehr die Gebietsverluste an Napoleon und die Entstehung des Rheinbundes das nationale Empfinden verletzen mochten, so günstig waren diese Zwischenfälle für die betreffende Landbevölkerung, denn mit der Einführung der neuen französischen Gesetzbücher verschwand in den durch den Frieden von Lüneville abgetretenen Gebieten der Feudalismus mit seinen Abgaben u. s. w. ohne Entschädigung der Grundbesitzer. Der König von Westphalen und die übrigen Rheinbundfürsten sorgten für planmäßige freiwillige Vereinbarungen, die jede persönliche Unterthänigkeit des Bauers beseitigte, dem Herrn jedoch gewisse Abgaben und Zahlungen sicherte, die eine angemessene Entschädigung für das Innehaben des Anwesens bildeten; auch die Natural-Arbeitsleistungen wurden geregelt und ablösbar gemacht. Aber die einschlägige Gesetzgebung war überstürzt und bald stellten sich Zweideutigkeiten ein, die zu Zänkereien und Rechtsstreitigkeiten führten, sodaß die Ergebnisse der wohlgemeinten Gesetze sich als weit weniger wohlthätig erwiesen als sie bei größerer Umsicht gewesen wären.
Friedrich Wilhelm III. arbeitete vom Anfang seiner Regierungszeit an eifrig an der Aufhebung der Hörigkeit in Preußen. Er wollte den Bauer zum unabhängigen Vollbürger machen. Im August 1799 sagte ein preußischer Minister französischen Gesandten: »Der König ist in seiner Weise ein Demokrat. Er arbeitet unablässig, wenngleich mit langsam wirkenden Mitteln, an der Einschränkung der Adelsvorrechte, und in wenigen Jahren wird es in Preußen keine Feudal-Privilegien mehr geben.« Im Jahre 1799 schärfte er den Kron-Behörden ein, auf den königlichen Gütern die Abschaffung aller Zwangsdienste und die Gewährung freier Besitztitel an die Pächter zu beschleunigen, und in den nächsten Jahren führte er in mehreren Provinzen – namentlich in Ost- und West-Preußen – allerlei Reformen ein, obgleich er auf manche großen Schwierigkeiten stieß. Aber den letzten und entscheidenden Anstoß zu einer gründlichen socialen Wiedergeburt gab das nationale Unglück Preußens im Jahre 1806. Damals gelang es den gesinnungstüchtigen Rathgebern des Königs, das selbstsüchtige, vorurtheilsvolle Widerstreben zu brechen und die zur Aufrichtung des fast zu Grunde gerichteten Landes erforderliche Gesetzgebung zu schaffen.
Die von den führenden Geistern der öffentlichen Meinung gebilligten neuen Gesetze wurden von einem Sonderausschuß ausgearbeitet, welchem Altenstein, Schön und andere hervorragende Staatsmänner angehörten. Stein und Hardenberg unterstützten die Entwürfe mit ihrem ganzen Einfluß und so unterschrieb denn am 9. Oktober 1807 der Herrscher das so berühmt gewordene »Emanzipationsedikt«, welches wörtlich besagte:
»Mit der Publikation der gegenwärtigen Verordnung hört das bisherige Unterthänigkeitsverhältniß derjenigen Unterthanen und ihrer Weiber und Kinder, welche ihre Bauerngüter erblich oder eigenthümlich oder erbzinsweise besitzen, wechselseitig gänzlich auf. Mit dem Martinitage 1810 hört alle Gutsunterthänigkeit in unseren sämmtlichen Staaten auf. Nach dem Martinitage 1810 giebt es nur freie Leute, bei denen aber, wie sich von selbst versteht, alle Verbindlichkeiten, die ihnen als freien Leuten vermöge des Besitzes eines Grundstücks oder vermöge eines besonderen Vertrags obliegen, in Kraft bleiben.«
Auf den königlichen Domänen des eigentlichen Preußen hatte, wie bereits erwähnt, schon Friedrich Wilhelm I. jene Bauern, die unmittelbare Kronpächter waren, von der Hörigkeit befreit. Mittels Kabinetsordre vom 28. Oktober 1807 wurde die Befreiung auf sämmtliche Domänen erstreckt. Im Juli des folgenden Jahres erlangten alle Domänenpächter das volle Besitzrecht an ihren Anwesen, jedoch unter Beibehaltung der Leistung bestimmter Abgaben und Dienste. Gleichzeitig erfolgte die Einführung des freien Güterverkehrs. Bis dahin konnten Adelsgüter gesetzlich nur Adeligen gehören (»Personen bürgerlicher Herkunft« nur mit besonderer Erlaubniß des Königs), blos Bauern Bauernanwesen und blos Bürger Munizipal-Ländereien innehaben. Diese Bestimmungen wurden nunmehr (Juli 1808) aufgehoben und gleichzeitig trug man dafür Sorge, daß Bauernanwesen weder von Herrschaftsgütern aufgesaugt werden, noch auch übermäßig anwachsen. Auch alle kastenartigen Beschränkungen der Berufswahl und des Uebergehens von einer Klasse in eine andere wurden beseitigt und wichen gänzlicher Freiheit in diesen Dingen.
Später erfuhren die Wohlthaten des Emanzipations-Edikts beträchtliche Erweiterungen. Eine Verordnung vom 16. März 1811 verfügte auf den Kronländereien die Ablösung aller Abgaben und Dienstleistungen durch einmalige Geldzahlungen. Genau ein halbes Jahr später machte eine neue Verordnung die Bauern auf den Privatgütern zu Vollbesitzern ihrer Anwesen, sie gleichzeitig von allen grundherrlichen Abgaben und Frohnden befreiend; die Gutsbesitzer wurden entschädigt durch Befreiung von jeder Verpflichtung, zum Unterhalt oder zur Unterstützung der Pächter beizutragen und durch Abtretung eines Theiles der bäuerlichen Anwesen – ein Drittel bei erblichem, die Hälfte bei lebenslänglichem oder kürzerem Pachtverhältniß. An die Stelle dieser Bodenabtretung konnte die Vereinbarung einer einmaligen Kaufsumme oder eines jährlichen Pachtschillings treten. Dieser Krönung des Emanzipationsbaues ist die Entwickelung des jetzigen preußischen Bauerngutsbesitz-Systems zu verdanken.
Die unmittelbaren Wirkungen der Befreiungsgesetzgebung waren: erstens die Erweckung der die Ueberwindung der Fremdherrschaft herbeiführenden Begeisterung für nationale Einheit und Brüderlichkeit; zweitens das leuchtende Beispiel für die deutschen Kleinstaaten; drittens wurde verhindert, daß nach der Wiederkehr des Friedens der stürmische Kreuzzug der Deutschen gegen alles Französische zu einer rückschrittlichen Politik in Sachen des Bauernstandes führte. Preußen konnte und wollte in diesem Punkte nicht zurückweichen und so mußten die anderen deutschen Länder sich wohl oder übel bequemen, den vom bedeutendsten Gliede des neuen Bundes befolgten Vorgang allmählig mehr oder minder nachzuahmen.
Dies geschah aber keineswegs mit gleichmäßiger Raschheit und in gleichmäßig freisinniger Weise. In diesen Beziehungen machte sich eine sehr große Verschiedenheit des Verfahrens geltend. In Baden hatte der als Physiokrat wohlbekannte Landesfürst Karl Friedrich schon vor dem Ausbruch der französischen Revolution auf die Hebung der Lage der Landleute hingearbeitet, die daselbst übrigens längst ein verhältnißmäßig mildes Loos hatten, weil ihre schwersten Belastungen im Laufe der Jahre stillschweigend abgekommen waren. Daß in den zeitweilig unter französischer Herrschaft gestandenen Ländern die Befreiung der Hörigen und des Bodens eine vollständige war, wissen wir bereits. Dagegen gelangte die Emanzipation in den meisten Rheinbundländern nur theilweise zur Durchführung. In Bayern, Württemberg und Baden kam der Widerstreit zwischen den Interessen der Regierungen und denen des Adels dem Bauernstände zu statten.
Dem heftigsten Widerstreben begegnete das Befreiungswerk in Hannover, Kurhessen und Mecklenburg. In dem letztgenannten Städtchen waren die Ackerbautreibenden ganz besonders schlecht daran. Hatte Mecklenburg durch den dreißigjährigen Krieg furchtbar gelitten, so litt es noch mehr durch die demselben folgende schreckliche Willkür des Junkerthums. Noch 1802 war's so arg bestellt, daß Stein sich darüber sehr scharf aussprach und die Landsitze der mecklenburgischen Aristokraten mit den Höhlen von Raubthieren verglich, »die alles um sich her verwüsten und sich mit Grabesruhe umgeben.« Selbst nach der 1820 endlich erfolgten Aufhebung der Hörigkeit blieb die Lage der Landbevölkerung noch recht beklagenswerth, und das dauerte bis zur Mitte des Jahrhunderts fort. In Hannover, Kurhessen und Sachsen erhielten die Emanzipationsbestrebungen hinsichtlich der Ueberbleibsel von Erb-Unterthänigkeit einen kräftigen Anstoß durch die Juli-Revolution von 1830, und die Volksbewegungen des Jahres 1848 hatten zum Haupt-Ergebniß die Beschleunigung des Abschlusses der lange verzögerten Finanzmaßregeln, welche bestimmt waren, die Ablösung der im Prinzip bereits abgeschafften bäuerlichen Lasten gänzlich durchführen zu helfen.
In diesem Lande, dessen geschichtliche Antezedentien andere waren als die der westeuropäischen Staaten und das man in diesem Punkte besser zu den orientalischen rechnet, erhielt sich die Leibeigenschaft bis in die allerneueste Zeit. In der frühesten erforschbaren Zeit bestand die Landbevölkerung aus 1. Sklaven, 2. freien Bodenbearbeitern, 3. eigentlichen Bauern, welche Kleinpächter oder Häusler und Mitglieder einer Gemeinde waren. Wie anderwärts, waren auch in Rußland die Quellen der Sklaverei Kriegsgefangenschaft, freiwilliger Selbstverkauf mittelloser Freier, Verkauf zahlungsunfähiger Schuldner und gerichtliche Verurtheilung in Folge gewisser Verbrechen. Im 18. Jahrhundert finden wir alle Unterschiede zwischen jenen drei Klassen verwischt und in der Leibeigenenklasse aufgegangen. Die Leibeigenen gehörten entweder den Grundherren oder dem Staat. Sie durften ihren Aufenthalt nicht anderswohin verlegen, waren aber dennoch nicht an die Scholle gefesselt (» adscripti glebae«), denn sie konnten, wie es in einem kaiserlichen Ukas von 1721 heißt, »von ihren Besitzern wie Vieh einzeln verkauft werden«; es war nicht erforderlich, die Familien im Ganzen zu veräußern. Dieser Gebrauch, anfänglich von der Regierung, welche von jedem Verkauf eine Steuer empfing, stillschweigend gutgeheißen, wurde später durch mehrere kaiserliche Ukase offiziell anerkannt. Peter der Große erlegte allen Landleuten eine Kopfsteuer auf, machte die Grundbesitzer für die auf ihre Leibeigenen entfallenden Beträge verantwortlich und zwang jene freien Nomaden, die nicht Lust hatten, ins Heer zu treten, sich entweder als Mitglieder einer Gemeinde oder als Hörige irgend eines Gutsherrn fest anzusiedeln. Seine volle Entfaltung erreichte das russische Hörigkeitswesen unter Katharina II. Die Leibeigenen wurden mit oder ohne Anwesen familienweise oder einzeln gekauft, verhandelt oder weggeschenkt; nur der Verkauf durch öffentliche Versteigerung war »als eines europäischen Staates unwürdig« untersagt. Die Herren durften ihre widerspenstigen Hörigen ohne Prozeß nach Sibirien verbannen oder auf Lebenszeit in die Bergwerke schicken. Ein Leibeigener, der seinen Herrn verklagte, konnte mit Knutenhieben bestraft und zu Zwangsarbeit in den Minen verurtheilt werden.
Die ersten Anzeichen eines Umschwunges zeigten sich unter Paul (1796-1801), der mittels Ukases verbot, die Leibeigenen mehr als drei Tage jeder Woche grundherrliche Frohnarbeit leisten zu lassen. Auch sonst machten sich seit dem Anfang unseres Jahrhunderts mancherlei Bestrebungen zur Milderung des Looses der Hörigen und sogar zu ihrer gänzlichen Emanzipation geltend, jedoch ohne greifbare Ergebnisse. Erst unter Alexander II., der 1855 den Thron bestieg, geschah Erkleckliches. Nach Beendigung des Krimkrieges setzte dieser Kaiser einen aus den größten Staatswürdenträgern bestehenden geheimen »Hauptausschuß für bäuerliche Angelegenheiten« ein, der die Frage der Hörigenbefreiung zu studiren hatte und dem der Großfürst Konstantin als eines der eifrigsten Mitglieder angehörte. Um die Sache zu beschleunigen, griff die Regierung zu dem folgenden Mittel. Im Littauischen wurden unter Zar Nikolaus die Beziehungen zwischen Gutsbesitzern und Hörigen durch die sogen. »Inventarien« geregelt. Mit diesen unzufrieden, bat der littauische Adel unter Alexander II. um deren Abänderung. Die Regierung legte das betreffende Gesuch als einen mittelbaren Wunsch nach Aufhebung der Leibeigenschaft aus und beeilte sich, durch einen Erlaß die Bildung von Ausschüssen zu gestatten, welchen die Ausarbeitung von Vorschlägen für eine allmählige Emanzipation obliegen sollte. Bald darauf folgte ein Rundschreiben, mit dem die Regierung sämmtliche Gouverneure und Adelsmarschälle des Reiches von jenem Wunsche der littauischen Großgrundbesitzer verständigte und die Grundsätze darlegte, nach denen zu verfahren wäre, »falls die Adeligen anderer Provinzen ähnliche Wünsche äußern sollten.«
Die öffentliche Meinung trat entschieden für die geplante Reform ein und diejenigen Herren, welche gegen dieselbe waren, erkannten, daß sie, wenn es nun schon einmal zur Befreiung käme, besser thäten, ihre Interessen in die Hände des Adels zu legen als in die der Bureaukratie. Demgemäß entstanden 1858 in fast jeder Provinz, in der es Hörige gab, Emanzipations-Ausschüsse, welche Pläne ausarbeiteten. Behufs Abfassung eines allgemeinen Planes auf Grund all dieser Vorschläge wurde eine große kaiserliche Kommission eingesetzt. So entstand das die Leibeigenschaft beseitigende Gesetz vom 19. Februar (3. März) 1861. Den Rest von Widerstand seitens des Adels unterdrückte man bald. Die wichtigsten Bestimmungen des neuen Gesetzes waren die folgenden:
»1. Die Hörigen erhalten sofort die bürgerlichen Rechte freier Bauern und die Gewalt des Gutsherrn wird durch Gemeinde-Autonomie ersetzt. 2. Die Dorfgemeinden behalten, soweit wie möglich, die Ländereien, welche sie zur Zeit inne haben und entschädigen die Eigenthümer durch bestimmte jährliche Geldabgaben oder Dienstleistungen.« 3. Die Regierung verhilft den Gemeinden durch Darlehen zur Ablösung dieser Verbindlichkeiten, d. h. zum Ankauf der betreffenden Ländereien.« – Bezüglich der im häuslichen Dienst verwendeten Hörigen wurde bestimmt, daß sie ihren Herren noch zwei Jahre lang dienen und dann gänzlich frei werden sollen, ohne jedoch Antheile an den Gemeindeländereien zu erhalten.
Die Aufgabe, den Betheiligten das Gesetz zu erläutern und die neue Ordnung der Dinge durchzuführen, oblag in jedem Kreis einzelnen erlesenen Grundherren, die als »Friedensrichter« bekannt waren und – in der Regel im Einverständniß mit beiden Parteien – Satzungen verfaßten, welche die Beziehungen zwischen den Gutsbesitzern und den Gemeinden regelten. Diese Männer erfüllten ihre schwierige Aufgabe gewöhnlich in recht befriedigender Weise, sodaß der Uebergang sich ziemlich glatt vollzog. Die finanzielle Seite wurde folgendermaßen erledigt. Die Regierung kapitalisirte die Abgaben mit 6% und zahlte den Bodenbesitzern sofort vier Fünftel des ermittelten Werthes aus. Die Bauern hatten zu entrichten: an die Eigenthümer das letzte Fünftel sofort oder in Raten, an die Regierung 49 Jahre hindurch 6% Zinsen von den vorgestreckten vier Fünfteln. Konnte eine Gemeinde die Kaufverpflichtung nicht auf sich nehmen, so erhielt der Gutsherr gegen Abtretung des letzten Fünftels eine obligatorische Ablösung.
Zur Zeit der Emanzipation gehörten Grundbesitzern 20,158,231 leibeigene Bauern und 1,467,378 leibeigene Dienstboten. Dazu kamen die Staatshörigen, etwa die Hälfte der Landbevölkerung. Ihre Lage war meist eine bessere gewesen als die der privaten Hörigen; Wallace bezeichnet sie als »zwischen Leibeigenen und Freien in der Mitte stehend.« Unter ihnen befanden sich auch die Hörigen auf den einstigen Kirchengütern, die unter Katharina II. eingezogen und in Staatsdomänen verwandelt worden waren. Auf den Apanage-Ländereien der kaiserlichen Familie gab es nahezu 3½ Millionen Leibeigene. Insgesammt erlangten durch das Gesetz von 1861 über vierzig Millionen Hörige ihre Freiheit. Das war zweifellos nothwendig und nützlich; aber die sofortigen glänzenden Folgen, welche Viele in wirthschaftlicher und sittlicher Hinsicht von der Umwälzung erwarteten, sind nicht eingetreten. Jedenfalls sind die Wirkungen nicht in allen Gegenden des Reiches die gleichen gewesen und es wird wohl noch eines längeren Zeitraumes bedürfen, um die Ergebnisse zur vollen Entfaltung zu bringen. Wahrscheinlich werden neue gesetzgeberische Maßregeln nöthig werden, wenn die wohlthätigen socialen Keime, welche die Emanzipationsarbeit von 1861 in sich barg, in die Halme schießen sollen.