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I.
Die Sklaverei im Alterthum.

Der hervorragende französische Volkswirth Dunoyer behauptet in seinem Werk über »Die Freiheit der Arbeit«, daß die Wirthschaftsordnung jeder erst seit kurzer Zeit seßhaften Gesellschaft auf der Knechtschaft in den gewerblichen Beschäftigungen beruht. Umfassende Geschichtsforschungen haben die Richtigkeit dieser Behauptung bestätigt. In der Jägerzeit wurde der besiegte Feind vom wilden Krieger nicht geknechtet, sondern erschlagen. Nur die weiblichen Mitglieder eroberter Stämme pflegte man als Gattinnen oder Dienerinnen mit sich fortzuführen, denn damals oblag die Verrichtung häuslicher Arbeiten fast ausschließlich den Weibern. In der Hirtenzeit wurden Sklaven blos zum Zweck des Verkaufs gefangen; man behielt nur die wenigen, deren man zum Viehhüten oder zur Bodenbearbeitung bedurfte, welch letztere noch einen sehr geringen Umfang hatte. Erst mit dem Vorwiegen eines seßhaften Lebens und dem Ueberhandnehmen des Ackerbaus unter Beibehaltung kriegerischer Sitten steigerte sich die Verwendung von Sklavenarbeit, durch die der Herr mit Nahrung versehen und vor lästiger oder schwerer Arbeit bewahrt wurde. Die Knechtschaft scheint eine allgemeine, unvermeidliche Begleiterscheinung dieses Stadiums der socialen Entwickelung gewesen zu sein.

Ueberall dort jedoch, wo Gemeinwesen auf priesterlicher Grundlage entstanden, bildete sich die eigentliche Sklaverei nicht zu einem wesentlichen Element des Gesellschaftsgefüges heraus. Wo sich die Bevölkerung streng nach Kasten sonderte, unter die alle Aemter, Gewerbe und übrigen Berufe vertheilt wurden, blieb nur wenig Spielraum für Sklavenarbeit, nämlich blos im Gesindewesen oder bei großen öffentlichen Bauten, wie solche von den Beherrschern derartiger Gemeinwesen ausgeführt zu werden pflegten. In einer Gesellschaftsordnung dieser Gattung mag die niedrigste Kaste wohl sehr verachtet sein, aber deren Angehörige befinden sich nicht im Zustande der Knechtschaft; sie sind nicht einzeln Einzelnen, sondern insgesammt der Gesammtheit der höheren Kasten unterworfen.

Ihren eigentlichen natürlichen Platz fand die wirkliche Sklaverei in Gesellschaften, deren priesterliche Grundlage von der militärischen verdrängt worden war und die einen ausgesprochen kriegerischen Zuschnitt hatten. Da nun der Krieg in alten Zeiten eine Kulturmission erfüllte, so darf uns der gerechte Abscheu gegen gewisse Seiten der Sklaverei nicht abhalten, diese Einrichtung als eine nothwendige Stufe der socialen Entwickelung anzuerkennen. Daß diese wichtige Wahrheit noch nicht allgemein anerkannt ist, wird von dem nur zu begründeten Widerwillen des Publikums gegen die moderne Sklaverei verschuldet, wie sie bis vor Kurzem in den überseeischen Kolonien europäischer Staaten bestanden hat. Man sollte doch bedenken, daß die Kolonialsklaverei durchaus nicht, wie die des Alterthums, eine aus der Gesammtheit der Zeitverhältnisse von selbst herausgewachsene vorübergehende Nothwendigkeit war, die schließlich zu glücklichen Ergebnissen führte, und daß sie vielmehr nur eine ungeheuerliche, vollkommen künstliche, überaus kulturwidrige Verirrung bildete.

Daß die Knechtschaft ein wesentlicher Bestandtheil der Wirthschaftsordnung des Alterthums war, können wir schon daraus schließen, daß die bedeutendsten damaligen Denker sie im Princip anerkannten. Aber auch durch das Studium der Entwickelungsgeschichte der Menschheit gelangen wir zu jenem Ergebniß. Zunächst war die Einführung der Sklaverei ein gewaltiger Fortschritt, indem sie bewirkte, daß man die Gefangenen, während sie ehedem getödtet und häufig auch gefressen wurden, leben ließ und zu Gunsten des Siegers dauernd beschäftigte. »Ohne eine solche Wandlung würde die blinde Kriegsleidenschaft der Vorzeit höchst wahrscheinlich längst die fast gänzliche Ausrottung unserer Gattung herbeigeführt haben.« (Comte, »Positivistische Philosophie«, 53. Lection.) Minder allgemein anerkannt als dieser Fortschritt ist die Thatsache, daß die Sklaverei sehr bald zwei wichtige Aufgaben zu erfüllen hatte. Erstens ermöglichte ihr Vorhandensein dem militärischen Geist, den für das Eroberungssystem, welches dessen Bestimmung bildete, nöthigen Grad von Stärke und Ausdauer zu entfalten. Zweitens zwang sie die Gefangenen, die nebst ihren Nachkommen im Laufe der Zeit die Mehrheit der Bevölkerung des erobernden Landes bildeten, zu einer arbeitsamen Lebensweise und überwand dadurch die, namentlich in den frühen Zeiten der Gesellschaftsentwickelung tiefwurzelnde Abneigung der Menschennatur gegen regelmäßige und anhaltende Arbeit.

In letzterer Beziehung sei betont, daß der schaffende Fleiß sich nirgends in Gestalt freiwilligen Strebens entwickelt hat, vielmehr überall den Schwachen von den Starken aufgezwungen worden ist. Der freie Mann, einst vorwiegend Krieger, und der Sklave waren gegenseitig Helfer, die verschiedene, einander ergänzende Obliegenheiten erfüllten. Der eine war bezüglich seiner Ernährung und Thätigkeit auf den andern angewiesen; beide arbeiteten ohne Wettbewerb oder Widerstreit an einem gemeinsamen öffentlichen Ziel zusammen. Bei der neuzeitlichen Sklaverei dagegen kommt in Betracht, daß die Beschäftigungen beider Betheiligten gewerbs- und erwerbsthätige waren und daher der Bestand einer geknechteten Klasse nicht die Bürger für anderweite gesellschaftliche Leistungen verfügbar machte, sondern nur einerseits einer geringen Anzahl von Bürgern ein bequemes Faulenzerleben ermöglichte, anderseits eine große Anzahl zur Armuth und zum Nichtsthun zwang. Wir erinnern blos an die »gemeinen Weißen« Nordamerikas vor dem Bürgerkrieg. Hier hatte man es mit schädlichem Wettbewerb und Widerstreit zu thun.

In Griechenland war die militärische Thätigkeit planlos, oft auch zwecklos und blieb im Ganzen unfruchtbar – mit Ausnahme des durch die Expedition Alexanders des Großen vollendeten Widerstandes gegen Persien. In Rom hinwiederum erfüllte der Militarismus die sociale Aufgabe, die seine eigentliche Berechtigung bildete, vollauf und demgemäß war dort, solange diese Aufgabe nicht ihr Ende erreicht hatte, auch die Sklaverei an ihrem richtigsten Platze. Als die Eroberungspolitik ihre natürliche Grenze erreichte, begann man, das Sklavenwesen umzugestalten; und als das Reich in die verschiedenen Staaten eingetheilt wurde, die unter demselben entstanden waren, und an die Stelle des Angriffssystems des Alterthums das Vertheidigungssystem des Mittelalters trat, verschwand die Sklaverei allmählig und wurde durch die Leibeigenschaft ersetzt, die ihrerseits bestimmt war, mit der Entstehung des modernen Industriewesens der persönlichen Freiheit zu weichen.

Comte hat in seiner »Positivistischen Philosophie«, deren 53. Lection eine meisterhafte Behandlung der alten Vielgötterei enthält, nachgewiesen, daß das Aufkommen der Vielgötterei mit der Bildung seßhafter Gemeinwesen zusammenfiel oder ihr doch bald folgte. Daraus könnte man schließen, daß diese Religionsform gleichzeitig mit dem Sklavenwesen bestand. Thatsächlich herrscht zwischen ihnen eine natürliche Wechselbeziehung, ähnlich wie zwischen dem Fetischismus und der Abschlachtung der Gefangenen oder zwischen dem Monotheismus und der Freiheit. Der Fetischismus begünstigte die Ausrottung der Gefangenen, weil er als eine rein örtliche Religionsform zwischen den Siegern und den Besiegten kein geistliches Band herzustellen vermochte, das stark genug gewesen wäre, den Zerstörungstrieb zu zügeln. Jede Art der Vielgötterei jedoch ist empfänglich, anpassungsfähig und schließt die anderen Arten nicht gänzlich aus; demgemäß fanden Eroberer und Eroberte genug gemeinsame religiöse Berührungspunkte, um sich einigermaßen vertragen zu können, während die immerhin noch vorhandenen Unterschiede zur Aufrichtung einer Scheidewand hinreichten. Die Unterwerfung des Besiegten schloß das Zugeständniß in sich, daß seine Gottheiten niedriger stehen als die des Siegers – eine Anerkennung, welche zur Heiligung seiner dauernden Unterordnung genügte.

Eine ähnliche Wechselbeziehung gab es zwischen der Sklaverei und der für das Alterthum bezeichnenden Verquickung der weltlichen mit den geistlichen Gewalten. Die von dem Militärsystem erforderte strenge und beständige innere Zucht wurde durch die Vereinigung des materiellen Einflusses mit der geistlichen Macht begünstigt. Namentlich in den häuslichen Beziehungen erlangte durch diese Vereinigung die Oberhoheit des Herrn eine übernatürliche Bekräftigung, und gleichzeitig befreite sie ihn in der Ausübung seiner Gewalten von priesterlicher Einmischung, welche seine Rechte hätte schmälern müssen. Auch dort, wo die Sklaverei als Eroberungsergebniß zusammen mit Monotheismus herrschte, finden wir die Verquickung der beiden Gewalten, obgleich im allgemeinen die Eingötterei dem Grundsatz dieser Vereinigung abhold ist.

Wir haben die Sklaverei im Alterthum bisher lediglich in ihren politischen Ergebnissen betrachtet und haben gefunden, daß sie in mancher Hinsicht nützlich, ja unentbehrlich war. Aber ihre sittlichen Wirkungen müssen wir ganz entschieden als äußerst nachtheilige bezeichnen. Dem Sklaven schadete sie erheblich, indem sie die guten Folgen seines großen Fleißes dadurch nicht wenig verdarb, daß sie die Entfaltung des der Sittenlehre zu Grunde liegenden Bewußtseins der Menschenwürde verhinderte, die Pflege seines Geistes- und Gefühlslebens zumeist gänzlich vernachlässigte und ihm allzu oft die durch normale Familienbeziehungen gebotene spontane Erziehung vollständig entzog. Und was die Herren betrifft, so übte die Einrichtung auf deren persönliche häusliche und gesellschaftliche Sittlichkeit einen geradezu verhängnißvollen Einfluß aus.

Die der Menschennatur ohnehin stets gefährliche Gewohnheit des unumschränkten Herrschens mußte sich als ganz besonders verderblich erweisen, als sie unter dem Walten der Knechtschaft sämmtliche Gebiete des Alltagslebens durchdrang, ohne daß irgend eine Einmischung von außen her die Einwirkung persönlicher Willkür auf die Empfindungen und Geschicke der Untergebenen gezügelt hätte. Die unbegrenzte Selbstherrschaft zerstörte die Fähigkeit der Selbstbeherrschung, also die wichtigste Grundlage alles sittlichen Fortschritts, und setzte den Herren gleichzeitig dem unheilvollen Einfluß der Schmeichelei aus. Hinsichtlich der häuslichen Sitte begünstigte das System die Ausschweifung außerordentlich. Zweifelsohne waren die Sklavinnen nur zu oft Opfer der Lüste ihrer Herren, nicht selten schon in sehr zartem Alter. Der häusliche Friede litt nicht wenig durch die Verletzung der Würde und die Störung des Glücks der Ehefrau. Durch den innigen Verkehr mit einer verachteten, unterdrückten Klasse wurde die Sittlichkeit der Söhne frühzeitig untergraben und die Beschaffenheit des Gefühlslebens der Jugend überhaupt beeinträchtigt. Und was die allgemeinen gesellschaftlichen Sitten betrifft, so wurden sie von der Angewöhnung einer grausamen Behandlung und eines barschen Tones mächtig beeinflußt. Hume bemerkt in seinem »Essai über die Bevölkerungsstärke der Nationen des Alterthums«, daß man »bei Personen, die von Kindheit auf gewohnt sind, über Andere eine große Gewalt auszuüben und deren Gefühle mit Füßen zu treten, in der Regel wenig Menschlichkeit beobachtet. Die rohen Umgangsformen alter Zeiten haben denn auch höchst wahrscheinlich keine andre Ursache als den Bestand des Knechtschaftswesens, das jeden Mann von Rang zu einem Tyrannen machte und seine kleinen Kinder in der Umgebung schmeichelnder, niedriger, unterwürfiger Sklaven aufwachsen ließ.« In der That, wir wüßten keine bessere Erklärung für die dem Wesen der Alten anhaftende Rauhheit und selbst Wildheit, die sich nicht nur in ihren häufigen politischen Abscheulichkeiten, sondern auch bei ihren öffentlichen Unterhaltungen geltend machte und die sittlichen Grundzüge mancher sonst vortrefflichen Männer entstellte.

Selbstverständlich waren, wie alle Regeln, auch die beklagenswerthen Ergebnisse des Knechtschaftssystems nicht ohne Ausnahmen. Es gab sowohl unter den Herren wie unter den Sklaven rühmliche Beispiele – einerseits von schützendem Wohlwollen, anderseits von selbstloser Hingebung – die der Menschennatur zur Ehre gereichten. Allein das Ueberwiegen der schlimmen Folgen steht außer Zweifel.


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