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Der Sohn des Caciquen Astorpilco, ein freundlicher junger Mensch von 17 Jahren, der mich durch die Ruinen seiner Heimat, des alten Palastes, begleitete, hatte in großer Dürftigkeit seine Einbildungskraft mit Bildern angefüllt von der unterirdischen Herrlichkeit und den Goldschätzen, welche die Schutthaufen bedecken, auf denen wir wandelten. Er erzählte, wie einer seiner Altväter einst der Gattin die Augen verbunden und sie durch viele Irrgänge, die in den Felsen ausgehauen waren, in den unterirdischen Garten des Inka hinabgeführt habe. Die Frau sah dort kunstreich nachgebildet im reinsten Golde Bäume mit Laub und Früchten, Vögel auf den Zweigen sitzend, und den vielgesuchten goldenen Tragsessel (una de las andas) des Atahualpa. Der Mann gebot seiner Frau, nichts von diesem Zauberwerke zu berühren, weil die längst verkündigte Zeit (die Wiederherstellung des Inkareichs) noch nicht gekommen sei. Wer früher sich davon aneigene, müsse sterben in derselben Nacht. Solche goldenen Träume und Phantasien des Knaben gründeten sich auf Erinnerungen und Traditionen der Vorzeit. Der Luxus künstlicher goldener Gärten (jardines ó Huertas de oro) ist von Augenzeugen vielfach beschrieben: von Cieza de Leon, Sarmiento, Garcilaso und anderen frühen Geschichtsschreibern der Konquista. Man fand sie unter dem Sonnentempel von Cuzco, in Caxamarca, in dem anmutigen Tale von Yucay, einem Lieblingssitze der Herrscherfamilie. Da, wo die goldenen Huertas nicht unterirdisch waren, standen lebend vegetierende Pflanzen neben den künstlich nachgebildeten. Unter den letzteren nennt man immer die hohen Maisstauden, und Maisfrüchte in Kolben (mazorcas) als besonders gelungen.
Die krankhafte Zuversicht, mit welcher der junge Astorpilco aussprach, daß unter mir, etwas zur Rechten der Stelle, wo ich eben stand, ein großblütiger Daturabaum, ein Guanto, von Golddraht und Goldblech künstlich geformt, den Ruhesitz des Inka mit seinen Zweigen bedecke, machte einen tiefen, aber trüben Eindruck auf mich. Luftbilder und Täuschung sind hier wiederum Trost für große Entbehrung und irdische Leiden. »Fühlest du und deine Eltern«, fragte ich den Knaben, »da ihr so fest an das Dasein dieser Gärten glaubt, nicht bisweilen ein Gelüste, in eurer Dürftigkeit nach den nahen Schätzen zu graben?« Die Antwort des Knaben war so einfach, so ganz der Ausdruck der stillen Resignation, welche der Rasse der Urbewohner des Landes eigentümlich ist, daß ich sie spanisch in meinem Tagebuche aufgezeichnet habe: »Solch ein Gelüste (tal antojo) kommt uns nicht; der Vater sagt, daß es sündlich wäre (que fuese pecado). Hätten wir die goldenen Zweige samt allen ihren goldenen Früchten, so würden die weißen Nachbaren uns hassen und schaden. Wir besitzen ein kleines Feld und guten Weizen (buen trigo).« Wenige meiner Leser, glaube ich, werden es tadeln, daß ich der Worte des jungen Astorpilco und seiner goldenen Traumbilder hier gedenke.
Der unter den Eingebornen so weit verbreitete Glaube, daß es strafbar sei und Unglück über ein ganzes Geschlecht bringe, wenn man sich vergrabener Schätze, die den Inkas gehört haben können, bemächtige, hängt mit einem anderen, besonders im 16. und 17. Jahrhunderte herrschenden Glauben, mit dem an die Wiederherstellung eines Inkareichs, zusammen. Jede unterdrückte Nationalität hofft Befreiung, eine Erneuerung des alten Regiments. Die Flucht von Manco Inka, dem Bruder des Atahualpa, in die Wälder von Vilcapampa am Abhange der östlichen Kordillere, der Aufenthalt von Sayri Tupac und Inka Tupac Amaru in jenen Wildnissen haben bleibende Erinnerungen zurückgelassen. Man glaubte, daß zwischen den Flüssen Apurimac und Beni oder noch östlicher in der Guyana Nachkommen der entthronten Dynastie angesiedelt wären. Die von Westen nach Osten wandernde Mythe des Dorado und der goldenen Stadt Manoa vermehrte solche Träume. Raleghs Einbildungskraft war so davon entflammt, »daß er eine Expedition auf die Hoffnung gründete, die Inselstadt (imperial and golden city) zu erobern, eine Garnison von drei- bis viertausend Engländern hineinzulegen und dem Emperor of Guiana, der von Huayna Capac abstammt und sein Hoflager mit derselben Pracht hält, einen jährlichen Tribut von 300 000 Pfund Sterling aufzulegen, als Preis für die verheißene Restauration in Cuzco und Caxamarca.« Spuren von solchen Erwartungen einer wiederkehrenden Inkaherrschaft haben sich, so weit die peruanische Qquechhua-Sprache verbreitet ist, in den Köpfen vieler der vaterländischen Geschichte etwas kundigen Eingeborenen erhalten.
Wir blieben fünf Tage in der Stadt des Inka Atahualpa, die damals kaum noch sieben- bis achttausend Einwohner zählte. Die große Menge Maultiere, die der Transport unserer Sammlungen erheischte, und die sorgfältige Auswahl der Führer, welche uns über die Andeskette bis in den Eingang der langen, aber schmalen peruanischen Sandwüste (Desierto de Sechura) geleiten sollten, verzögerten die Abreise. Der Übergang über die Kordillere war von Nordost gen Südwest. Kaum hat man den alten Seeboden der anmutigen Hochebene von Caxamarca verlassen, so wird man im Ansteigen auf eine Höhe von kaum 9600 Fuß durch den Anblick zweier grotesker Porphyrkuppen, Aroma und Cunturcaga (eines Lieblingssitzes des mächtigen Geiers, den wir gewöhnlich Kondor nennen, kacca im Qquechhua der Felsen), in Erstaunen gesetzt. Sie bestehen aus fünf- bis siebenseitigen, 35 bis 40 Fuß hohen, zum Teil gegliederten und gekrümmten Säulen. Die Porphyrkuppe des Cerro Aroma ist besonders malerisch. Sie gleicht durch die Verteilung ihrer übereinander stehenden, oft konvergierenden Säulenreihen einem Gebäude von zwei Geschossen. Domartig ist dies Gebäude mit einer abgerundeten, nicht in Säulen gesonderten, dichten Felsmasse bedeckt. Solche Porphyr- und Trachytausbrüche charakterisieren, wie wir schon oben bemerkt, recht eigentlich den hohen Rücken der Kordilleren und geben denselben eine ganz andere Physiognomie, als die Schweizer Alpen, die Pyrenäen und der sibirische Altai darbieten.
Von Cunturcaga und Aroma steigt man nun im Zickzack an einem steilen Felsabhange volle 6000 Fuß hinab in das kluftartige Tal der Magdalena, dessen Boden doch aber noch 4000 Fuß über dem Meere liegt. Einige elende Hütten, von denselben Wollbäumen (Bombax discolor) umgeben, die wir zuerst am Amazonenflusse gesehn, werden ein indisches Dorf genannt. Die ärmliche Vegetation des Tals ist der Vegetation der Provinz Jaen de Bracamoros ziemlich ähnlich, nur vermißten wir ungern die roten Gebüsche der Bougainvillea. Das Tal gehört zu den tiefsten, die ich in der Andeskette kenne. Es ist eine Spalte, ein wahres Quertal, ostwestlich gerichtet, eingeengt von den gegenüberstehenden Altos de Aroma und Guangamarca. Es beginnt in demselben von neuem die mir lange so rätselhafte Quarzformation, welche wir schon im Paramo de Yanaguanga zwischen Micuipampa und Caxamarca in 11 000 Fuß Höhe beobachtet und die an dem westlichen Abfall der Kordillere eine Mächtigkeit von vielen tausend Fuß erreicht. Seitdem Leopold von Buch uns gezeigt hat, daß auch in der höchsten Andeskette diesseits und jenseits der Landenge von Panama die Kreideformation weit verbreitet ist, fällt jene Quarzformation, vielleicht durch vulkanische Kräfte in ihrer Textur umgewandelt, dem Quadersandstein zwischen der oberen Kreide und dem Gault und Greensand anheim. Aus dem milden Magdalenental hatten wir gegen Westen nun wieder drittehalb Stunden lang die den Porphyrgruppen des Alto de Aroma gegenüberstehende Wand 4800 Fuß hoch zu erklimmen. Der Wechsel des Klimas war um so empfindlicher, als wir an der Felswand oft in kalten Nebel eingehüllt wurden.
Die Sehnsucht, nachdem wir nun schon 18 Monate lang ununterbrochen das einengende Innere eines Gebirgslandes durchstrichen hatten, endlich wieder der freien Ansicht des Meers uns zu erfreuen, wurde durch die Täuschungen erhöht, denen wir so oft ausgesetzt waren. Von dem Gipfel des Vulkans von Pichincha, über die dichten Waldungen der Provincia de las Esmeraldas hinblickend, unterscheidet man deutlich keinen Meerhorizont, wegen der zu großen Entfernung des Litorals und der Höhe des Standorts. Man sieht, wie aus einem Luftball herab, ins Leere. Man ahndet, aber man unterscheidet nicht. Als wir später zwischen Loxa und Guancabamba den Paramo de Guamani erreichten, wo viele Gebäude der Inkas in Trümmern liegen, hatten uns die Maultiertreiber mit Sicherheit verkündigt, daß wir jenseits der Ebene, jenseits der Niederungen von Piura und Lambajeque das Meer erblicken sollten; aber ein dicker Nebel lag auf der Ebene und auf dem fernen Litoral. Wir sahen nur vielgestaltete Felsmassen sich inselförmig über dem wogenden Nebelmeere erheben und wechselsweise verschwinden: ein Anblick dem ähnlich, welchen wir auf dem Gipfel des Pic von Teneriffa genossen. Fast derselben Täuschung unserer Erwartungen waren wir auf dem Andespaß von Guangamarca, dessen Übergang ich hier erzähle, ausgesetzt. So oft wir, gegen den mächtigen Bergrücken mit gespannter Hoffnung anstrebend, eine Stunde mehr gestiegen waren, versprachen die des Weges nicht ganz kundigen Führer, unsere Hoffnung würde erfüllt werden. Die uns einhüllende Nebelschicht schien sich auf Augenblicke zu öffnen, aber bald wurde aufs neue der Gesichtskreis durch vorliegende Anhöhen feindlich begrenzt.
Das Verlangen, welches man nach dem Anblick gewisser Gegenstände hat, hängt gar nicht allein von ihrer Größe, von ihrer Schönheit oder Wichtigkeit ab; es ist in jedem Menschen mit vielen zufälligen Eindrücken des Jugendalters, mit früher Vorliebe für individuelle Beschäftigungen, mit Hang nach der Ferne und einem bewegten Leben verwebt. Die Unwahrscheinlichkeit, einen Wunsch erfüllt zu sehen, gibt ihm dazu einen besonderen Reiz. Der Reisende genießt zum voraus die Freude des Augenblickes, wo er das Sternbild des Kreuzes und die Magellanischen Wolken, die um den Südpol kreisen, wo er den Schnee des Chimborazo und die Rauchsäule der Vulkane von Quito, wo er ein Gebüsch baumartiger Farren, wo er den Stillen Ozean zuerst erblicken wird. Tage der Erfüllung solcher Wünsche sind Lebensepochen von unverlöschlichem Eindruck: Gefühle erregend, deren Lebendigkeit keiner vernünftelnden Rechtfertigung bedarf. In die Sehnsucht nach dem Anblick der Südsee vom hohen Rücken der Andeskette mischte sich das Interesse, mit welchem der Knabe schon auf die Erzählung von der kühnen Expedition des Vasco Nuñez de Balboa gelauscht: des glücklichen Mannes, der, von Franz Pizarro gefolgt, der erste unter den Europäern, von den Höhen von Quarequa auf der Landenge von Panama, den östlichen Teil der Südsee erblickte. Die Schilfufer des Kaspischen Meeres, da wo ich dasselbe zuerst an dem Mündungsdelta des Wolgastromes gesehen, sind gewiß nicht malerisch zu nennen; und doch war mir ihr erster Anblick um so freudiger, als mich in frühester Jugend auf Karten die Form des asiatischen Binnenmeeres angezogen hatte. Was so durch kindliche Eindrücke, was durch Zufälligkeiten der Lebensverhältnisse in uns erweckt wird, nimmt später eine ernstere Richtung an, wird oft ein Motiv wissenschaftlicher Arbeiten, weitführender Unternehmungen.
Als wir nach vielen Undulationen des Bodens auf dem schroffen Gebirgsrücken endlich den höchsten Punkt des Alto de Guangamarca erreicht hatten, erheiterte sich plötzlich das lang verschleierte Himmelsgewölbe. Ein scharfer Südwestwind verscheuchte den Nebel. Das tiefe Blau der dünnen Bergluft erschien zwischen den engen Reihen des höchsten und gefiederten Gewölks. Der ganze westliche Abfall der Kordillere bei Chorillos und Cascas, mit ungeheuren Quarzblöcken von 12 bis 14 Fuß Länge bedeckt, die Ebenen von Chala und Molinos bis zu dem Meeresufer bei Truxillo lagen, wie in wunderbarer Nähe, vor unseren Augen. Wir sahen nun zum ersten Male die Südsee; wir sahen sie deutlich: dem Litorale nahe eine große Lichtmasse zurückstrahlend, ansteigend in ihrer Unermeßlichkeit gegen den mehr als geahndeten Horizont. Die Freude, welche meine Gefährten, Bonpland und Carlos Montufar, lebhaft teilten, ließ uns vergessen, das Barometer auf dem Alto de Guangamarca zu öffnen. Nach der Messung, die wir nahe dabei, aber tiefer als der Gipfel, in einer isolierten Meierei, im Hato de Guangamarca, machten, muß der Punkt, wo wir das Meer zuerst gesehen, nur 8800 bis 9000 Fuß hoch liegen.
Der Anblick der Südsee hatte etwas feierliches für den, welcher einen Teil seiner Bildung und viele Richtungen seiner Wünsche dem Umgange mit einem Gefährten des Capitän Cook verdankte. Meine Reiseplane hatte Georg Forster früh schon in allgemeinen Umrissen gekannt, als ich den Vorzug genoß, unter seiner Führung das erste Mal (jetzt vor mehr als einem halben Jahrhunderte) England zu besuchen. Durch Forsters anmutige Schilderungen von Otaheiti war besonders im nördlichen Europa für die Inseln des Stillen Meeres ein allgemeines, ich könnte sagen sehnsuchtsvolles Interesse erwacht. Es hatten diese Inseln damals noch das Glück, wenig von Europäern besucht zu werden. Auch ich konnte die Hoffnung nähren, einen Teil derselben in kurzem zu berühren, denn der Zweck meiner Reise nach Lima war zwiefach: der, den Durchgang des Merkur vor der Sonnenscheibe zu beobachten und das Versprechen zu erfüllen, das ich dem Kapitän Baudin bei meiner Abreise von Paris gegeben, mich seiner Weltumseglung anzuschließen, sobald die französische Republik die früher dazu bestimmte Geldsumme darbieten könnte.
Nordamerikanische Zeitungen hatten in den Antillen die Nachricht verbreitet, daß beide Korvetten, le Géographe und le Naturaliste, um das Kap Horn segeln und im Callao de Lima landen würden. Auf diese Nachricht gab ich in der Havana, wo ich mich damals nach Vollendung der Orinocoreise befand, meinen ursprünglichen Plan auf, durch Mexiko nach den Philippinen zu gehen. Ich mietete schnell ein Schiff, das mich von der Insel Kuba nach Cartagena de Indias führte. Aber die Baudinsche Expedition nahm einen ganz anderen als den erwarteten und angekündigten Weg: sie ging nicht um das Kap Horn, wie es der frühere Plan war, als Bonpland und ich dazu bestimmt worden waren, sie schiffte um das Vorgebirge der guten Hoffnung. Der eine Zweck meiner peruanischen Reise und des letzten Überganges über die Andeskette war demnach verfehlt; aber ich hatte das seltene Glück, während einer ungünstigen Jahreszeit in dem Nebellande des Niederen Peru einen heiteren Tag zu erleben. Ich beobachtete den Durchgang des Merkur vor der Sonnenscheibe im Callao: eine Beobachtung, welche für die genaue Längenbestimmung von Lima und des südwestlichen Teiles des Neuen Kontinents von einiger Wichtigkeit geworden ist. So liegt oft in der Verwickelung ernster Lebensverhältnisse der Keim eines befriedigenden Ersatzes.