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Die berufensten und schwierigsten Staffeln sind Purimarimi und Manimi. Sie haben 9 Fuß Höhe. Mit Erstaunen habe ich durch Barometermessungen gefunden (ein geodätisches Nivellement ist wegen der Unzugänglichkeit des Lokals und bei der verpesteten, mit zahllosen Moskitos gefüllten Luft nicht auszuführen), daß das ganze Gefälle des Raudals, von der Mündung des Cameji bis zu der des Toparo, kaum 28 bis 30 Fuß beträgt. Ich sage: mit Erstaunen, denn man erkennt daraus, daß das fürchterliche Getöse und das wilde Aufschäumen des Flusses Folge der Verengung des Bettes durch zahllose Klippen und Inseln, Folge des Gegenstromes ist, welchen Form und Lage der Felsmassen veranlassen. Von der Wahrheit dieser Behauptung, von der geringen Höhe des ganzen Gefälles, überzeugt man sich am besten, wenn man aus dem Dorfe Maipures über den Felsen Manimi zum Flußbette hinabsteigt.
Hier ist der Punkt, wo man eines wundervollen Anblicks genießt. Eine meilenlange schäumende Fläche bietet sich auf einmal dem Auge dar. Eisenschwarze Felsmassen ragen ruinen- und burgartig aus derselben hervor. Jede Insel, jeder Stein ist mit üppig anstrebenden Waldbäumen geschmückt. Dichter Nebel schwebt ewig über dem Wasserspiegel. Durch die dampfende Schaumwolke dringen die Gipfel der hohen Palmen. Wenn sich im feuchten Dufte der Strahl der glühenden Abendsonne bricht, so beginnt ein optischer Zauber. Farbige Bögen verschwinden und kehren wieder. Ein Spiel der Lüfte, schwankt das ätherische Bild.
Umher auf den nackten Felsen haben die rieselnden Wasser in der langen Regenzeit Inseln von Dammerde zusammengehäuft. Mit Melastomen und Droseren, mit kleinen silberblättrigen Mimosen und Farnkräutern geschmückt, bilden sie Blumenbeete mitten auf dem öden Gestein. Sie rufen bei dem Europäer das Andenken an jene Pflanzengruppen zurück, welche die Alpenbewohner Courtils nennen: Granitblöcke, mit Blüten bedeckt, die einsam aus den savoyischen Gletschern hervorragen.
In blauer Ferne ruht das Auge auf der Gebirgskette Cunavami: einem langgedehnten Bergrücken, der prallig in einem abgestumpften Kegel sich endigt. Den letztern (Calitamini ist sein indischer Name) sahen wir bei untergehender Sonne wie in rötlichem Feuer glühen. Diese Erscheinung kehrt täglich wieder. Niemand ist je in der Nähe dieser Berge gewesen. Vielleicht rührt der Glanz von einer spiegelnden Ablösung von Talk- oder Glimmerschiefer her.
Während der 5 Tage, welche wir in der Nähe der Katarakten zubrachten, war es auffallend, wie man das Getöse des tobenden Stroms dreimal stärker bei Nacht als bei Tage vernahm. Bei allen europäischen Wasserfällen bemerkt man die nämliche Erscheinung. Was kann die Ursache derselben in einer Einöde sein, wo nichts die Ruhe der Natur unterbricht? wahrscheinlich die Ströme aufsteigender warmer Luft, welche, durch ungleiche Mischung des elastischen Mittels, der Fortpflanzung des Schalles hinderlich sind, die Schallwellen mannigfach brechen und während der nächtlichen Erkältung der Erdrinde aufhören.
Die Indianer zeigten uns Spuren von Wagengleisen. Sie reden mit Bewunderung von den gehörnten Tieren (Ochsen), welche zur Zeit, als hier die Jesuiten ihr Bekehrungsgeschäft trieben, die Canots auf Wagen auf dem linken Orinocoufer von der Mündung des Cameji zu der des Toparo zogen. Die Fahrzeuge blieben damals beladen und wurden nicht wie jetzt durch das beständige Stranden und Hinschieben auf den rauhen Klippen abgenutzt.
Der Situationsplan, welchen ich von der umliegenden Gegend entworfen habe, zeigt, daß selbst ein Kanal vom Cameji zum Toparo eröffnet werden kann. Das Tal, in dem jene wasserreichen Bäche fließen, ist sanft verflächt. Der Kanal, dessen Ausführung ich dem Generalgouverneur von Venezuela vorgeschlagen, würde, als ein schiffbarer Seitenarm des Flusses, das alte, gefahrvolle Strombette entbehrlich machen.
Der Raudal von Atures ist ganz dem Raudal von Maipures ähnlich: wie dieser, eine Inselwelt, zwischen welcher der Strom sich in einer Länge von 3–4000 Toisen durchdrängt; ein Palmengebüsch, mitten aus dem schäumenden Wasserspiegel hervortretend. Die berufensten Staffeln der Katarakte liegen zwischen den Inseln Avaguri und Javariveni, zwischen Suripamana und Uirapuri.
Als wir, Herr Bonpland und ich, von den Ufern des Rio Negro zurückkehrten, wagten wir es, die letzte oder untere Hälfte des Raudals von Atures mit dem beladenen Canot zu passieren. Wir stiegen mehrmals auf den Klippen aus, welche, als Dämme, Insel mit Insel verbinden. Bald stürzen die Wasser über diese Dämme weg, bald fallen sie mit dumpfem Getöse in das Innere derselben. Daher sind oft ganze Strecken des Flußbettes trocken, weil der Strom sich durch unterirdische Kanäle einen Weg bahnt. Hier nisten die goldgelben Klippenhühner (Pipra rupicola): einer der schönsten Vögel der Tropenwelt, mit doppelter beweglicher Federkrone, streitbar wie der ostindische Haushahn.
Im Raudal von Canucari bilden aufgetürmte Granitkugeln den Felsdamm. Wir krochen dort in das Innere einer Höhle, deren feuchte Wände mit Conferven und leuchtendem Byssus bedeckt waren. Mit fürchterlichem Getöse rauschte der Fluß hoch über uns weg. Wir fanden zufällig Gelegenheit, diese große Naturszene länger, als wir wünschen konnten, zu genießen. Die Indianer hatten uns mitten in der Katarakte verlassen. Das Canot sollte eine schmale Insel umschiffen, um uns, nach einem langen Umwege, an der unteren Spitze derselben wieder aufzunehmen. Anderthalb Stunden lang harrten wir bei furchtbarem Gewitterregen. Die Nacht brach ein; wir suchten vergebens Schutz zwischen den klüftigen Granitmassen. Die kleinen Affen, die wir monatelang in geflochtenen Käfigen mit uns führten, lockten durch ihr klagendes Geschrei Krokodile herbei, deren Größe und bleigraue Farbe ein hohes Alter andeuteten. Ich würde dieser im Orinoco so gewöhnlichen Erscheinung nicht erwähnen, hätten uns nicht die Indianer versichert, kein Krokodil sei je in den Katarakten gesehen worden; ja im Vertrauen auf ihre Behauptung hatten wir es mehrmals gewagt, uns in diesem Teile des Flusses zu baden.
Indessen nahm die Besorgnis, daß wir, durchnäßt und von dem Donner des Wassersturzes betäubt, die lange Tropennacht mitten im Raudal durchmachen müßten, mit jedem Augenblicke zu: bis die Indianer und unser Canot erschienen. Sie hatten die Staffel, auf der sie sich herablassen wollten, bei allzu niedrigem Wasserstande unzugänglich gefunden. Die Lotsen waren genötigt gewesen, in dem Labyrinth von Kanälen ein zugänglicheres Fahrwasser zu suchen.
Am südlichen Eingange des Raudals von Atures, am rechten Ufer des Flusses, liegt die unter den Indianern weit berufene Höhle von Ataruipe. Die Gegend umher hat einen großen und ernsten Naturcharakter, der sie wie zu einem Nationalbegräbnisse eignet. Man erklimmt mühsam, selbst nicht ohne Gefahr in eine große Tiefe hinabzurollen, eine steile, völlig nackte Granitwand. Es würde kaum möglich sein, auf der glatten Fläche festen Fuß zu fassen, träten nicht große Feldspatkristalle, der Verwitterung trotzend, zollang aus dem Gesteine hervor.
Kaum ist die Kuppe erreicht, so wird man durch eine weite Aussicht über die umliegende Gegend überrascht. Aus dem schäumenden Flußbette erheben sich mit Wald geschmückte Hügel. Jenseits des Stromes, über das westliche Ufer hinweg, ruht der Blick auf der unermeßlichen Grasflur des Meta. Am Horizont erscheint, wie ein drohend aufziehendes Gewölk, das Gebirge Uniama. So die Ferne; nahe umher ist alles öde und eng. Im tief gefurchten Tale schweben einsam der Geier und die krächzenden Caprimulge. An der nackten Felswand schleicht ihr schwindender Schatten hin.
Dieser Kessel ist von Bergen begrenzt, deren abgerundete Gipfel ungeheure Granitkugeln tragen. Der Durchmesser dieser Kugeln beträgt 40 bis 50 Fuß. Sie scheinen die Unterlage nur in einem einzigen Punkte zu berühren: eben als müßten sie, bei dem schwächsten Erdstoße, herabrollen.
Der hintere Teil des Felstals ist mit dichtem Laubholze bedeckt. An diesem schattigen Orte öffnet sich die Höhle von Ataruipe: eigentlich nicht eine Höhle, sondern ein Gewölbe, eine weit überhangende Klippe, eine Bucht, welche die Wasser, als sie einst diese Höhe erreichten, ausgewaschen haben. Dieser Ort ist die Gruft eines vertilgten Völkerstammes. Wir zählten ungefähr 600 wohlerhaltene Skelette, in ebenso vielen Körben, die von den Stielen des Palmenlaubes geflochten sind. Diese Körbe, welche die Indianer Mapires nennen, bilden eine Art viereckiger Säcke, die nach dem Alter des Verstorbenen von verschiedener Größe sind. Selbst neugeborene Kinder haben ihr eigenes Mapire. Die Skelette sind so vollständig, daß keine Rippe, keine Phalange fehlt.
Die Knochen sind auf dreierlei Weise zubereitet: teils gebleicht, teils mit Onoto, dem Pigment der Bixa Orellana, rot gefärbt, teils mumienartig zwischen wohlriechendem Harze in Pisangblätter eingeknetet. Die Indianer versichern, man grabe den frischen Leichnam auf einige Monate in feuchte Erde, welche das Muskelfleisch allmählich verzehre; dann scharre man ihn aus und schabe mit scharfen Steinen den Rest des Fleisches von den Knochen ab. Dies sei noch der Gebrauch mancher Horden in der Guyana. Neben den Mapires oder Körben findet man auch Urnen von halbgebranntem Tone, welche die Knochen von ganzen Familien zu enthalten scheinen.
Die größeren dieser Urnen sind 3 Fuß hoch und 5½ Fuß lang, von angenehmer ovaler Form, grünlich, mit Henkeln in Gestalt von Krokodilen und Schlangen, an dem oberen Rande mit Mäandern und Labyrinthen geschmückt. Diese Verzierungen sind ganz denen ähnlich, welche die Wände des mexikanischen Palastes bei Mitla bedecken. Man findet sie unter allen Zonen, auf den verschiedensten Stufen menschlicher Kultur: unter Griechen und Römern, wie auf den Schildern der Otaheiter und anderer Inselbewohner der Südsee, überall, wo rhythmische Wiederholung regelmäßiger Formen dem Auge schmeichelt. Die Ursachen dieser Ähnlichkeiten beruhen, wie ich an einem andern Orte entwickelt habe, mehr auf psychischen Gründen, auf der innern Natur unserer Geistesanlagen, als daß sie Gleichheit der Abstammung und alten Verkehr der Völker beweisen.
Unsere Dolmetscher konnten keine sichere Auskunft über das Alter dieser Gefäße geben. Die mehrsten Skelette schienen indes nicht über hundert Jahre alt zu sein. Es geht die Sage unter den Guareca-Indianern, die tapferen Aturer haben sich, von menschenfressenden Kariben bedrängt, auf die Klippen der Katarakten gerettet; ein trauriger Wohnsitz, in welchem der bedrängte Völkerstamm und mit ihm seine Sprache unterging. In dem unzugänglichsten Teile des Raudals befinden sich ähnliche Grüfte; ja es ist wahrscheinlich, daß die letzte Familie der Aturer spät erst ausgestorben sei. Denn in Maipures (ein sonderbares Faktum) lebt noch ein alter Papagei, von dem die Eingeborenen behaupten, daß man ihn darum nicht verstehe, weil er die Sprache der Aturer rede.
Wir verließen die Höhle bei einbrechender Nacht, nachdem wir mehrere Schädel und das vollständige Skelett eines bejahrten Mannes, zum größten Ärgernis unsrer indianischen Führer, gesammelt hatten. Einer dieser Schädel ist von Blumenbach in seinem vortrefflichen kraniologischen Werke abgebildet worden. Das Skelett selbst aber ging, wie ein großer Teil unsrer Naturaliensammlungen, besonders der entomologischen, in einem Schiffbruch verloren, welcher an der afrikanischen Küste unserem Freunde und ehemaligen Reisegefährten, dem jungen Franziskanermönche Juan Gonzalez, das Leben kostete.
Wie im Vorgefühl dieses schmerzhaften Verlustes, in ernster Stimmung, entfernten wir uns von der Gruft eines untergegangenen Völkerstammes. Es war eine der heiteren und kühlen Nächte, die unter den Wendekreisen so gewöhnlich sind. Mit farbigen Ringen umgeben, stand die Mondscheibe hoch im Zenit. Sie erleuchtete den Saum des Nebels, welcher in scharfen Umrissen, wolkenartig, den schäumenden Fluß bedeckte. Zahllose Insekten gossen ihr rötliches Phosphorlicht über die krautbedeckte Erde. Von dem lebendigen Feuer erglühte der Boden, als habe die sternenvolle Himmelsdecke sich auf die Grasflur niedergesenkt. Rankende Bignonien, duftende Vanille und gelbblühende Banisterien schmückten den Eingang der Höhle. Über dem Grabe rauschten die Gipfel der Palmen.
So sterben dahin die Geschlechter der Menschen. Es verhallt die rühmliche Kunde der Völker. Doch wenn jede Blüte des Geistes welkt, wenn im Sturm der Zeiten die Werke schaffender Kunst zerstieben, so entsprießt ewig neues Leben aus dem Schoße der Erde. Rastlos entfaltet ihre Knospen die zeugende Natur: unbekümmert, ob der frevelnde Mensch (ein nie versöhntes Geschlecht) die reifende Frucht zertritt.