Alexander von Humboldt
Ansichten der Natur
Alexander von Humboldt

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Die Natur des Bodens und der Eintritt des Guaviare und Atabapo in den Orinoco bestimmen den letzteren, sich plötzlich gegen Norden zu wenden. Aus geographischer Unkunde hat man den von Westen zuströmenden Guaviare lange als den wahren Ursprung des Orinoco betrachtet. Die Zweifel, welche ein berühmter Geograph, Herr Buache, seit dem Jahr 1797 gegen die Möglichkeit einer Verbindung mit dem Amazonenstrome erregte, sind, wie ich hoffe, durch meine Expedition vollkommen widerlegt worden. Bei einer ununterbrochenen Schiffahrt von 230 geographischen Meilen bin ich, durch ein sonderbares Flußnetz, vom Rio Negro mittelst des Cassiquiare in den Orinoco, durch das Innere des Kontinents, von der brasilianischen Grenze bis zur Küste von Caracas gelangt.

In diesem oberen Teile des Flußgebiets zwischen dem 3. und 4. Grade nördlicher Breite hat die Natur die rätselhafte Erscheinung der sogenannten schwarzen Wasser mehrmals wiederholt. Der Atabapo, dessen Ufer mit Carolineen und baumartigen Melastomen geschmückt ist, der Temi, Tuamini und Guainia sind Flüsse von kaffeebrauner Farbe. Diese Farbe geht im Schatten der Palmengebüsche fast in Tintenschwärze über. In durchsichtigen Gefäßen ist das Wasser goldgelb. Mit wunderbarer Klarheit spiegelt sich in diesen schwarzen Strömen das Bild der südlichen Gestirne. Wo die Wasser sanft hinrieseln, da gewähren sie dem Astronomen, welcher mit Reflexionsinstrumenten beobachtet, den vortrefflichsten künstlichen Horizont.

Mangel an Krokodilen, aber auch an Fischen, größere Kühlung, mindere Plage der stechenden Moskitos, und Salubrität der Luft bezeichnen die Region der schwarzen Flüsse. Wahrscheinlich verdanken sie ihre sonderbare Farbe einer Auflösung von gekohltem Wasserstoff, der Üppigkeit der Tropenvegetation und der Kräuterfülle des Bodens, auf dem sie hinfließen. In der Tat habe ich bemerkt, daß am westlichen Abfall des Chimborazo, gegen die Küste der Südsee hin, die ausgetretenen Wasser des Rio de Guayaquil allmählich eine goldgelbe, fast kaffeebraune Farbe annehmen, wenn sie wochenlang die Wiesen bedecken.

Unfern der Mündung des Guaviare und Atabapo findet sich eine der edelsten Formen aller Palmengewächse, der Piriguao, dessen glatter, 60 Fuß hoher Stamm mit schilfartig zartem, an den Rändern gekräuseltem Laube geschmückt ist. Ich kenne keine Palme, welche gleich große und gleich schön gefärbte Früchte trägt. Diese Früchte sind Pfirsichen ähnlich, gelb, mit Purpurröte untermischt. Siebzig bis achtzig derselben bilden ungeheure Trauben, deren jährlich jeder Stamm drei zur Reife bringt. Man könnte dieses herrliche Gewächs eine Pfirsich-Palme nennen. Die fleischigen Früchte sind wegen der großen Üppigkeit der Vegetation meist samenlos. Sie gewähren deshalb den Eingeborenen eine nahrhafte und mehlreiche Speise, die, wie Pisang und Kartoffeln, einer mannigfaltigen Zubereitung fähig ist.

Bis hierher, oder bis zur Mündung des Guaviare, läuft der Orinoco längs dem südlichen Abfall des Gebirges Parime hin; aber von seinem linken Ufer bis weit jenseits des Äquators, gegen den 15. Grad südlicher Breite hin, dehnt sich die unermeßliche, waldbedeckte Ebene des Amazonenstromes aus. Wo nun der Orinoco bei San Fernando de Atabapo sich plötzlich gegen Norden wendet, durchbricht er einen Teil der Gebirgskette selbst. Hier liegen die großen Wasserfälle von Atures und Maipures. Hier ist das Strombette überall durch kolossale Felsmassen verengt, gleichsam in einzelne Wasserbehälter durch natürliche Dämme abgeteilt.

Vor der Mündung des Meta steht in einem mächtigen Strudel eine isolierte Klippe, welche die Eingebornen sehr passend den Stein der Geduld nennen, weil sie bei niedrigem Wasser den aufwärts Schiffenden bisweilen einen Aufenthalt von zwei vollen Tagen kostet. Tief in das Land eindringend, bildet hier der Orinoco malerische Felsbuchten. Der Indianermission Carichana gegenüber wird der Reisende durch einen sonderbaren Anblick überrascht. Unwillkürlich haftet das Auge auf einem schroffen Granitfelsen, el Mogote de Cocuyza, einem Würfel, der, 200 Fuß hoch senkrecht abgestürzt, auf seiner oberen Fläche einen Wald von Laubholz trägt. Wie ein kyklopisches Monument von einfacher Größe erhebt sich diese Felsmasse hoch über dem Gipfel der umherstehenden Palmen. In scharfen Umrissen schneidet sie sich gegen die tiefe Bläue des Himmels ab: ein Wald über dem Walde.

Schifft man in Carichana weiter abwärts, so gelangt man an den Punkt, wo der Strom sich einen Weg durch den engen Paß von Baraguan gebahnt hat. Hier erkennt man überall Spuren chaotischer Verwüstung. Nördlicher gegen Uruana und Encaramada hin erheben sich Granitmassen von groteskem Ansehen. In wunderbare Zacken geteilt und von blendender Weiße, leuchten sie hoch aus dem Gebüsche hervor.

In dieser Gegend, von der Mündung des Apure an, verläßt der Strom die Granitkette. Gegen Osten gerichtet, scheidet er, bis zu dem Atlantischen Ozean hin, die undurchdringlichen Wälder der Guyana von den Grasfluren, auf denen in unabsehbarer Ferne das Himmelsgewölbe ruht. So umgibt der Orinoco von drei Seiten: gegen Süden, gegen Westen und gegen Norden, den hohen Gebirgsstock der Parime, welcher den weiten Raum zwischen den Quellen des Jao und Caura ausfüllt. Auch ist der Strom klippen- und strudelfrei von Carichana bis zu seinem Ausfluß hin: den Höllenschlund (Boca del Infierno) bei Muitaco abgerechnet, einen Wirbel, der von Felsen verursacht wird, welche aber nicht, wie die bei Atures und Maipures, das ganze Strombette verdämmen. In dieser meernahen Gegend kennen die Schiffenden keine andere Gefahr als die der natürlichen Flöße, gegen welche zumal bei Nacht die Canots oftmals scheitern. Diese Flöße bestehen aus Waldbäumen, welche durch den wachsenden Strom am Ufer entwurzelt und fortgerissen werden. Mit blühenden Wasserpflanzen wiesenartig bedeckt, erinnern sie an die schwimmenden Gärten der mexikanischen Seen.

Nach diesem schnellen Überblick des Laufs des Orinoco und seiner allgemeinsten Verhältnisse gehe ich zur Beschreibung der Wasserfälle von Maipures und Atures über.

Von dem hohen Gebirgsstock Cunavami aus, zwischen den Quellen der Flüsse Sipapo und Ventuari, drängt sich ein Granitrücken weit gegen Westen, nach dem Gebirge Uniama, vor. Von diesem Rücken fließen vier Bäche herab, welche die Katarakte von Maipures gleichsam begrenzen: an dem östlichen Ufer des Orinoco der Sipapo und Sanariapo, an dem westlichen Ufer der Cameji und der Toparo. Wo das Missionsdorf Maipures liegt, bilden die Berge einen weiten, gegen Südwesten geöffneten Busen.

Der Strom fließt jetzt schäumend an dem östlichen Berggehänge hin. Fern in Westen erkennt man das alte verlassene Ufer. Eine weite Grasflur dehnt sich zwischen beiden Hügelketten aus. In dieser haben die Jesuiten eine kleine Kirche von Palmenstämmen gebaut. Die Ebene ist kaum 30 Fuß über dem oberen Wasserspiegel des Flusses erhaben.

Der geognostische Anblick dieser Gegend, die Inselform der Felsen Keri und Oco, die Höhlungen, welche die Flut in dem ersten dieser Hügel ausgewaschen und welche mit den Löchern in der gegenüberliegenden Insel Uivitari genau in gleicher Höhe liegen: alle diese Erscheinungen beweisen, daß der Orinoco einst diese ganze, jetzt trockene Bucht ausfüllte. Wahrscheinlich bildeten die Wasser einen weiten See, solange der nördliche Damm Widerstand leistete. Als der Durchbruch erfolgte, trat zuerst die Grasflur, welche jetzt die Guareken-Indianer bewohnen, als Insel hervor. Vielleicht umgab der Fluß noch lange die Felsen Keri und Oco, die, wie Bergschlösser aus dem alten Strombette hervorragend, einen malerischen Anblick gewähren. Bei der allmählichen Wasserverminderung zogen die Wasser sich ganz an die östliche Bergkette zurück.

Diese Vermutung wird durch mehrere Umstände bestätigt. Der Orinoco hat nämlich, wie der Nil bei Philä und Syene, die merkwürdige Eigenschaft, die rötlich-weißen Granitmassen, welche er Jahrtausende lang benetzt, schwarz zu färben. So weit die Wasser reichen, bemerkt man am Felsufer einen bleifarbenen, mangan- und vielleicht auch kohlenstoffhaltigen Überzug, der kaum eine Zehntel-Linie tief in das Innere des Gesteins eindringt. Diese Schwärzung und die Höhlungen, deren wir oben erwähnten, bezeichnen den alten Wasserstand des Orinoco.

Im Felsen Keri, in den Inseln der Katarakten, in der gneißartigen Hügelkette Cumadaminari, welche oberhalb der Insel Tomo fortläuft, an der Mündung des Jao endlich: sieht man jene schwarzen Höhlungen 150 bis 180 Fuß über dem heutigen Wasserspiegel erhaben. Ihre Existenz lehrt (was übrigens auch in Europa in allen Flußbetten zu bemerken ist), daß die Ströme, deren Größe jetzt unsre Bewunderung erregt, nur schwache Überreste von der ungeheuren Wassermenge der Vorzeit sind.

Selbst den rohen Eingeborenen der Guyana sind diese einfachen Bemerkungen nicht entgangen. Überall machten uns die Indianer auf die Spuren des alten Wasserstandes aufmerksam. Ja in einer Grasflur bei Uruana liegt ein isolierter Granitfels, in welchen (laut der Erzählung glaubwürdiger Männer) in 80 Fuß Höhe, Bilder der Sonne, des Mondes und mannigfaltiger Tiere, besonders Bilder von Krokodilen und Boaschlangen, fast reihenweise eingegraben sind. Ohne Gerüste kann gegenwärtig niemand an jener senkrechten Wand hinaufsteigen, welche die aufmerksamste Untersuchung künftiger Reisenden verdient. In eben dieser wunderbaren Lage befinden sich die hieroglyphischen Steinzüge in den Gebirgen von Uruana und Encaramada.

Fragt man die Eingeborenen, wie jene Züge eingegraben werden konnten, so antworten sie: es sei zur Zeit der hohen Wasser geschehen, weil ihre Väter damals in dieser Höhe schifften. Ein solcher Wasserstand war also eines Alters mit den rohen Denkmälern menschlichen Kunstfleißes. Er deutet auf eine ehemalige sehr verschiedene Verteilung des Flüssigen und des Festen, auf einen vormaligen Zustand der Erdoberfläche, der jedoch mit demjenigen nicht verwechselt werden muß, in welchem der erste Pflanzenschmuck unseres Planeten, die riesenmäßigen Körper ausgestorbener Landtiere und die pelagischen Geschöpfe einer chaotischen Vorwelt in der sich erhärtenden Erdrinde ihr Grab fanden.

Der nördlichste Ausgang der Katarakten zieht die Aufmerksamkeit auf sich durch die sogenannten natürlichen Bilder der Sonne und des Mondes. Der Felsen Keri, dessen ich schon mehrmals erwähnt, hat nämlich seine Benennung von einem fernleuchtenden weißen Flecken, in welchem die Indianer eine auffallende Ähnlichkeit mit der vollen Mondscheibe zu erkennen glauben. Ich habe selbst nicht diese steile Felswand erklimmen können; aber wahrscheinlich ist der weiße Flecken ein mächtiger Quarzknoten, welchen zusammenscharende Gänge in dem graulich-schwarzen Granite bilden.

Dem Keri gegenüber, auf dem basaltähnlichen Zwillingsberge der Insel Uivitari, zeigen die Indianer mit geheimnisvoller Bewunderung eine ähnliche Scheibe, welche sie als das Bild der Sonne, Camosi, verehren. Vielleicht hat die geographische Lage beider Felsen mit zu dieser Benennung beigetragen, denn in der Tat fand ich Keri gegen Abend und Camosi gegen Morgen gerichtet. Etymologisierende Sprachforscher haben in dem amerikanischen Worte Camosi einige Ähnlichkeit mit Camosh, dem Sonnennamen in einem der phönikischen Dialekte, mit Apollo Chomeus, oder Beelphegor und Amun, erkennen wollen.

Die Katarakten von Maipures bestehen nicht, wie der 140 Fuß hohe Fall des Niagara, in dem einmaligen Herabstürzen einer großen Wassermasse. Sie sind auch nicht Flußengen: Pässe, durch welche sich der Strom mit beschleunigter Geschwindigkeit durchdrängt, wie der Pongo von Manseriche im Amazonenflusse. Die Katarakten von Maipures erscheinen als eine zahllose Menge kleiner Kaskaden, die reihenweise wie Staffeln aufeinander folgen. Der Raudal (so nennen die Spanier diese Art von Katarakten) wird durch einen Archipelagus von Inseln und Klippen gebildet, welche das 8000 Fuß weite Flußbette dermaßen verengen, daß oft kaum ein 20 Fuß breites freies Fahrwasser übrigbleibt. Die östliche Seite ist gegenwärtig weit unzugänglicher und gefahrvoller als die westliche.

An dem Ausfluß des Cameji ladet man die Güter aus, um das leere Canot, oder, wie man hier sagt, die Piragua, durch die des Raudals kundigen Indianer bis zur Mündung des Toparo zu führen, wo man die Gefahr für überwunden hält. Sind die einzelnen Klippen oder Staffeln (jede derselben wird mit einem eigenen Namen bezeichnet) nicht über 2 bis 3 Fuß hoch, so wagen es die Eingebornen, sich mit dem Canot herabzulassen. Geht aber die Fahrt stromaufwärts, so schwimmen sie voran, schlingen nach vieler vergeblicher Anstrengung ein Seil um die Felsspitzen, welche aus dem Strudel hervorragen, und ziehen, mittelst dieses Seils, das Fahrzeug empor. Bei dieser mühevollen Arbeit wird das letztere oft gänzlich mit Wasser gefüllt oder umgestürzt.

Bisweilen, und diesen Fall allein besorgen die Eingebornen, zerschellt das Canot auf der Klippe. Mit blutigem Körper suchen sich dann die Lotsen dem Strudel zu entwinden und schwimmend das Ufer zu erreichen. Wo die Staffeln sehr hoch sind, wo der Felsdamm das ganze Bette durchsetzt, wird der leichte Kahn ans Land gebracht und am nahen Ufer auf untergelegten Baumzweigen, wie auf Walzen, eine Strecke fortgezogen.


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