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Verunglückt.

I.

Lebt wohl nun, Vater und Mutter mein,
Mein Vaterhaus, ade!
Verleidet ist mir nun Feld und Hain,
Den bunten Garten seh' ich mit Pein,
Dazu den Wiesenklee.

Denn wandern, wandern und wandern ist
Mein wonniges Begehr.
Ich muß euch meiden auf kurze Frist;
Denn, lieber Vater und Mutter, wißt,
Mich hält's im Thal nicht mehr.

Vom Dachesfenster da sah ich heut'
Der Berge stolze Reih';
Ich meint', ich hörte das Kuhgeläut
Und säh' die Hütten am Hang verstreut –
Und ich bin nicht dabei!

O fühlt, was da ich an Heimweh litt,
Und laßt zu Berg mich gehn!
Ein Flügel trägt meinen kühnen Schritt,
Und Lust und Freude bring ich euch mit,
Wenn wir uns wiedersehn!

——————

II.

Hoch über meinem Vaterland
Auf einem Thron von Stein,
Den Strauß von Enzian in der Hand,
Sitz' ich im Sonnenschein.

Die Wolken wandern über mir
Und unter mir dahin;
Neugierig schaut das Murmelthier
Und weiß nicht, wer ich bin.

Der Wind um meinen Scheitel zieht
Und weht mir Kühlung zu.
O Land, so weit das Auge sieht,
Ist nichts so schön wie du!

Und wenn die Sonne westwärts wich,
Steig' ich zum Thal hinab
Und bitte Gott um Heil für dich
Und hier für mich ein Grab:

Wenn drüberhin die Gemse springt,
Und bei der Firne Schein
Der Sturm das Lied der Freiheit singt,
Dann zittert mein Gebein.

——————

III.

Den Berg hab' ich erklommen,
Von Wolken nur bewohnt,
Da kommt herangeschwommen
Im Dunstgewand der Mond.
Wie eine leere Wiege,
Kein Fuß bewegt sie mehr –
Es ist, als ob er fliege
Im dunklen Wolkenheer.

Doch wenn erst seine Schale
Mit Silber angefüllt,
Steig' ich vom Berg zum Thale,
Das Nebel jetzt verhüllt.
Das Wandern stets ich preise;
Doch eins preis' ich noch mehr,
Das ist: nach froher Reise
Die frohe Wiederkehr.

Fort über Thal und Hügel,
Was thut's, ob sanft, ob jäh!
Mich trägt ein Wunderflügel,
O Liebste, deine Näh!
Wie miss' ich dann so gerne
Das Schönste, was ich sah,
Und jauchze schon von ferne:
Dein Freund ist wieder da!

——————

IV.

In einer Felsenspalte
Find' ich ein zartes Edelweiß
Die Hände froh ich falte:
Du Zeichen mir in Schnee und Eis!

Dich pflück' ich meiner Liebe,
Der Erstling du zum reinen Kranz;
Wenn ihre Treu doch bliebe
Wie du von fleckenlosem Glanz!

Auf ihre braunen Locken
Will ich ihn drücken froh und bang –
Wann läuten wohl die Glocken
Für sie und mich zum Hochzeitsgang?

——————

V.

Wie hoch und fern der Himmel,
Der Mond wie kalt und weit;
Und tief in dunkler Ferne,
Wie über mir die Sterne.
Der Dörfer froh Gewimmel,
Fern wie die Ewigkeit!

Mich dünkt ein Jahr vergangen,
Seit ich zuletzt sie sah;
Doch mag es länger gehen,
Bis wieder sie zu sehen
Im lichten Tagesprangen
Die frohe Stunde da.

Mit geisterhaftem Gange
Schleppt wie ein trauernd Weib
Ein wolkig Luftgebilde
Entlang die Schneegefilde
Und beugt am Felsenhange
Hinab den dunst'gen Leib.

Sie beugt und neigt sich nieder,
Scheint zu vergehn im Harm.
Was sucht sie in der Tiefe?
Mir ist, als ob sie riefe.
Dann wächst sie langsam wieder
Und dehnt den Nebelarm.

Wie mich ihr Thun durchschauert
Und scheucht mir alle Ruh!
Zu fernen Traumesstätten
Möcht' ich mich schlafend betten!
Doch an der Pforte lauert
Der Tod und winkt mir zu.

——————

VI.

Längst schwand der Mond, doch die Sonne verzieht;
Mein tastend Auge den Weg nicht sieht.
Kein Wind, der hier weht, kein Ton, der hier klingt;
Die eisige Wüste mich schweigend umringt.

Tief unter mir, ich weiß es wohl wo,
Blüht unser Garten, des Sommers froh.
Manch finstrer Abgrund, manch felsige Wand
Liegt noch zwischen mir und dem theuren Stück Land.

Von fernher wälzt sich ein dumpfer Ton;
Ein Wetter naht sich, den Kampf mir zu drohn.
Nie hab' ich noch feige die Ruhe gesucht;
Hier aber geziemt mir die rasende Flucht.

Durch tiefen Schnee, über Berge von Eis,
Wo neben mir ich die Tiefe weiß –
Meine Hände sind wund, und mir zittern die Knie,
Aber vorwärts muß ich und raste mich nie.

Tief unter mir, wo der Schnee zerschmolz.
Krönt sanftere Hügel das tannschwarze Holz;
Und tiefer der lichtgrüne Buchenwald,
Da fänd' ich den Weg wohl zum Vaterhaus bald.

Im Garten, gepflegt von sorgender Hand,
Blühn duftende Blumen am Wegesrand;
Still sitzt ein Kätzchen im grünen Gras
Und blinzelt zur Sonne und denkt sich was.

Die Vögel pfeifen, ein jeder sein Lied;
Von lauen Lüften getragen umzieht
Ein Schwarm von Tauben den stattlichen Thurm –
Mich hetzt zu Tode der eisige Sturm.

Die Tageshelle in Wolken verschwand;
Kaum halt ich den Stab in der starren Hand
Zu fesseln den Muth, der so frisch einst und stark,
Beschleicht mich der Frost bis ins innerste Mark.

Ich mag nicht mehr sehen den blendenden Schnee,
Meine Augen sind matt, meine Füße sind weh.
Ach, könnt' ich vergessen im Vaterhaus
Die Felder von Eis und des Sturmes Gebraus.

——————

VII.

So steh' ich denn am Ende
Der kurzen Lebensbahn!
Wohin ich mich auch wende,
Es ist um mich gethan!
Mit Augen, die sich feuchten,
Schau' ich den Weg entlang –
Die grellen Blitze leuchten
Mir nur zum Untergang.

Die mir auf Erden theuer,
Euch grüß' ich insgesammt
In Asche sinkt das Feuer,
Das hier für euch geflammt.
Es kann mich nicht erwärmen
Im letzten kalten Haus;
Das Träumen und das Schwärmen
Bläst nun der Sturmwind aus.

Und muß ich hier verbluten,
Von keiner Hand gestillt,
So segn' ich noch die Gluthen,
Die lebend mich erfüllt.
Dem Edelsten ergeben,
Hab' ich gehofft, gestrebt;
Ein ganzes Götterleben
Hab' ich vorausgelebt.

Leb wohl du goldne Sonne,
Gieb mir den Abschiedskuß,
Weil ich von deiner Wonne
Auf ewig scheiden muß.
O segne mir das schöne,
Das theure Vaterland
Und alle seine Söhne,
Die noch dein Strahl umspannt.

——————

VIII.

Mit dumpfen Glockenschlägen
Zieht der Geliebte ein;
Ich geh' ihm nicht entgegen,
Und nimmer harr' ich sein.
Was auch der Zeiger weise,
Kein Tag bringt ihn mir her –
Von seiner dunklen Reise
Ist keine Wiederkehr.

Es strömen alle Leute
Zum traurigen Empfang;
Die er zumeist erfreute
Geht nicht den Liebesgang.
Ein Blümlein in den Locken,
Wie er zuletzt mich sah,
Lausch' ich dem Ruf der Glocken:
Dein Freund ist wieder da!

——————

IX.

Einen Sarg in der Mitte
Von Fahnen umweht,
Und mit zögerndem Schritte
Zum Friedhof es geht.
Im schwarzen Kleide
Begräbt man beide,
Wie den Greis, so den Knaben,
Ein Zeichen dem Schmerz;
Die den Jüngling begraben,
Umfloren das Herz.

Seht, da liegt unter Palmen
Im engesten Haus,
Den es trieb auf die Almen,
Die Berge hinaus,
Mit lock'gem Scheitel,
Auf Jugend eitel
An die Sterne zu rühren;
Doch tief in das Grab
Wir nun tragen und führen
Den Todten hinab.

Auf die freudigen Augen
Nun schütten wir Erde.
Und er muß nun taugen
Dem Wurm zum Heerde.
Dem jungen Leibe
Wird nicht beim Weibe,
Bei dem theuren, gebettet;
Zur Hochzeit voll Harm
Wird er ewig gekettet
Dem Tod in den Arm.

Eine Beute verfrühte
Dem gier'gen Geschick,
In der Knospe verblühte
Ein irdisches Glück.
Doch auch dem Kummer
Entriß der Schlummer
Die empfindende Seele.
Nimm ihn hin, der erlag
Deinem dunklen Befehle;
Aber uns, Gott, verhehle
Den kommenden Tag.

——————

X.

Niederblickend auf die Runde
Steht im Friedhof Stein an Stein;
Drunter im geheimen Grunde
Liegt das schwindende Gebein.

Hin zu dem entleg'nen Hügel
Dringt kein Laut des Lebens mehr;
Denn auf ungehörtem Flügel
Schwebt der Abend friedlich her.

Zu des Tages lauten Gästen
Spricht er: kommt in meine Hut!
Und gedämpft im fernen Westen
Sammelt er des Lichtes Gluth.

Da entschleiern sich die Sitze
Ew'gen Schnee's, in Eis getaucht,
Feierlich die reine Spitze
Von der Sonne angehaucht.

Unten dämmern schon die Schatten;
Auf der großen Städte Pracht,
Auf der Dörfer grüne Matten
Lagert sich die müde Nacht.

Alle Augen, matt von Schauen,
Schließen sich zur sanften Ruh;
Alle schlafen voll Vertrauen
Einem frohen Morgen zu.

Ruhevoll in langen Zügen
Athmet die lebend'ge Brust;
Neuen Tagen zu genügen,
Schöpft sie neue Kraft und Lust.

Schweigend schau'n die hohen Berge
Unverwandt herniederwärts,
Wo im stillen Reich der Särge
Schläft ein junges Menschenherz.

——————


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