Horaz
Briefe
Horaz

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3. An Lucius Calpurnius Piso und seine Söhne.

(Von der Dichtkunst.)

        Wenn zum menschlichen Haupte den Hals des Rosses ein Maler
Fügen wollt' und die rings zusammengetragenen Glieder
Bunt mit verschiedener Feder umziehn, daß garstig geschwärzet
Auslief' unten zum Fische das Weib, liebreizend von oben:
5   Als Zuschauer gestellt, enthieltet ihr, Freund', euch des Lachens?

Glaubt mir, edle Pisonen, es ähnele solchem Gemälde
Völlig ein Buch, worin, wie des Fiebernden Träume, die eitlen
Dichtungen wild umschwärmen, daß weder der Fuß noch das Haupt sich
Einer Gestalt anschließt. »Darstellende Maler und Dichter

10   Übeten, alles zu wagen, von jeher gleiche Befugnis.«

Wohl uns bekannt; wir erbitten, so gern wir gewähren, die Nachsicht.
Doch nicht, daß sich zu Mildem gesell' Unbändiges, nicht daß
Vögel mit Schlangengezücht sich vereinigen, Tiger mit Lämmern.

Einem erhabenen oft und vielversprechenden Eingang

15   Wird aus Purpurgewand, das weithin glänze, mitunter
Angenähet ein Streif: wann Hain und Altar der Diana,
Und des beschleunigten Bachs Umlauf durch lachende Felder,
Oder der strömende Rhein und ein Regenbogen gemalt wird.
Doch jetzt war nicht hierzu der Ort. Die Cypresse zu schildern
20   Weißt du vielleicht. Was dieses, wenn hoffnungslos aus dem Schiffbruch
Schwimmt der Mann, der das Täflein bedung? Ein gewaltiger Krug ward
Angelegt; um rollet die Scheib', und was wird es? Ein Tröpflein.
Sei, was immer du schaffst, nur gleich sich selber, ein Ganzes.

Alle wir Sänger beinah, o Vater und würdige Söhn' ihr,

25   Werden getäuscht vom Scheine der Tugenden. Kürze begehr' ich,
Und ich verirr' in das Dunkel; dem mühsamen Glätter versaget
Nerv' und belebender Geist; wer groß sich gebärdete, schwillt auf;
Niedrig kriecht, wer zu ängstlich Gefahr vermeidet und Sturmwind;
Wer den einigen Stoff höchstwunderbar strebt zu verändern,
30   Malt den Delphin in die Wälder hinein, in die Fluten den Eber.
Scheu des Fehls ist zum Fehle die Führerin, warnet die Kunst nicht.
Um des Ämilius Schul' ist der unterste Künstler in Nägeln
Ausdrucksvoll und in sanftem aus Erz vorschwellendem Haupthaar;
Doch unglücklich im Wesen des Werks: denn zu ordnen ein Ganzes
35   Weiß er nicht. Ihm gleichen, wenn ich was fertigen wollte,
Möcht' ich fürwahr so wenig, wie gehn mit scheußlicher Nase,
Als Schwarzäugiger sonst und Schwarzumlockter gepriesen.

Wählt die Materie wohl, die gleich sei eueren Kräften,
Schreibende; lang' auch wägt, was aufzunehmen sich weigert,

40   Was die Schulter vermag. Wer den Stoff nach Vermögen sich auskor,
Diesem mangelte nie Ausdruck noch leuchtende Ordnung.

Dies ist der Ordnung Verdienst und Grazie, wenn ich nicht irre,
Daß sie sogleich nun sagt, was sogleich nun mußte gesagt sein,
Aber das meiste verschiebt und zurücklegt nahem Bedürfnis.

45  

Auch in der Worte Gebrauch vorsichtig zugleich und enthaltsam,
Soll dies scheun, dies lieben, wer edlen Gesang uns verheißet.
Trefflich gesagt ist das, wo ein Wort von alter Bekanntschaft
Wird durch schlaue Verbindung wie neu. Wenn etwa die Not will,
Daß du verborgene Ding' in neuen Bezeichnungen aufführst;

50   Dann sei, Worte zu bilden, wie kein Altvater sie hörte,
Gerne vergönnt; nur werde bescheiden genutzt die Erlaubnis.
Gunst auch findet ein junges und neu aufkommendes Wort, wenn's
Griechischen Quellen entsprang, sanft abgebeuget. Wie aber?
Was dem Cäcil und Plautus erlaubt ist, soll's dem Vergil nicht
55   Oder dem Varius sein? Wenn mir zu erwerben ein wenig
Glückt, was sehen sie scheel? da Catos und Ennius Zunge
Doch die Sprache der Väter bereicherte und den Gedanken
Neuere Namen erfand! Frei war's, frei bleibt es auf ewig,
Auszugeben ein Wort, mit dem heutigen Stempel gepräget.
60   So wie die Wälder das Laub mit den flüchtigen Jahren verändern,
Voriges welkt, so vergehn absterbender Worte Geschlechter,
Und gleich Jünglingen blühn die neugebornen voll Lebens.
Sind wir doch schuldig dem Tod uns selbst und das Unsrige: ob nun,
Dringend ins Land, Neptunus vor Sturm die Fregatten verteidigt,
65   Königeswerk! ob der Sumpf, unfruchtbar lang' und berudert,
Nährt anwohnende Städt' und den Druck empfindet des Pfluges,
Ob auch den Lauf umwandte der Strom vom Verderben der Landfrucht,
Lernend die bessere Bahn. Was Sterbliche schufen, vergehet:
Und fort blüheten Sprachen in Ehr' und dauernder Anmut?
70   Vieles erwächst von neuem, was schon abdorrte; verdorrend
Sinken die jetzt ehrhaften Benennungen, wenn's der Gebrauch will,
Welcher mit Macht und Befehl und Entscheidungen waltet des Redens.
Traurige Krieg' und Thaten der Könige und der Gebieter,
Welcherlei Maß und Bewegung sie forderten, zeigte Homerus.
75   Wehmut klagte zuerst in dem ungleich wandelnden Verspaar;
Bald auch tönte darin das Gefühl des beseligten Wunsches.
Welcher Erfinder indes kleinlaut als Elegiker auftrat:
Eifrig führen den Streit die Grammatiker, und das Gericht säumt.
Wut erteilte zur Wehr dem Archilochos seinen Jambus.
80   Diesen nahm auch der Soccus zum Fuß und der hohe Kothurnus:
Weil er dem Wechselgespräch sich schmiegete und des Theaters
Lärmende Menge bezwang, wie gemacht für raschere Handlung.
Götter verlieh der Guitarr' und Göttersöhne die Muse,
Siegende Kämpfer der Faust, und das Roß, das gewonnen im Wettlauf,
85   Auch der Jünglinge Sorg', und entfesselnden Wein zu besingen.

Jedes verschieden Gedichts Tonart und Farbe zu treffen,
Was, wenn ich's nicht weiß noch vermag, werd' ich Dichter gegrüßet?
Warum, aus eiteler Scham, es vielmehr nicht wissen, als lernen?

Nicht im tragischen Vers will gezeigt sein komische Handlung.

90   Ebenso sträubt unwillig sich häuslichen und zu dem Soccus
Fast hinsinkenden Tönen das blutige Mahl des Thyestes.
Jedes behaupte den Ort, wie das Los ihn teilte, mit Anstand.
Oft auch hebet indes die Komödie höher die Stimme:
Und es vertont ein Chremes mit vollerem Munde den Eifer.
95   Auch der Tragiker klagt manchmal in der Rede des Umgangs.
Telephus traun und Peleus, in Armut jetzt und Verbannung,
Wirft Luftblasen hinweg und die zweithalbfüßigen Wörter,
Ist es ihm Ernst, durch Klage des Schauenden Herz zu bewegen,

Nicht ist genug, daß schön ein Gedicht sei, lieblich verlang' ich's,

100   Und daß, wohin es auch woll', es die Seel' hinreiße des Hörers.

Wie mit den Lachenden lacht, also auch den Weinenden folget
Gern des Menschen Gesicht. Du willst mich weinend? in Gram denn
Zeige dich selber zuerst; dann wird mich kränken dein Unglück,
Telephus, deins, o Peleus. Wenn schlecht du bestellest den Auftrag,

105   Werden wir bald angähnen und bald anlachen. Betrübt sei,
Trauert die Mien', auch das Wort; zur zornigen, schwell' es von Drohung;
Zur mutwilligen, scherz' es; und sei zur finsteren ernsthaft.
Denn uns bildet zuvor die Natur inwendig so vielfach,
Als abwechselt das Glück: sie belustiget, stürmet in Wut auf,
110   Oder sie beugt zur Erde mit lastendem Kummer und ängstigt,
Und dann heißt sie die Zunge der Seele Bewegungen kundthun.
Wenn zu des Redenden Lag' und Geschick das Geredete nicht stimmt,
Ringsum hebt Roms Ritter und Roms Fußvolk ein Gelächter.

Vieles verschlägt's, ob ein Gott sei der Redende oder ein Heros;

115   Ob wen Alter gereift, ob er noch von blühender Jugend
Braus'; ob stolze Matron' auftret', ob geschäftige Amme;
Ob weitschweifender Krämer, ob Wirt des befruchteten Gütchens;
Kolchier, oder Assyrer; ob Theben, ob Argos ihn aufzog.

Folge dem fabelnden Ruf, sonst dichte dir, was sich verträget.

120   Stellst du dar von neuem den hochgepries'nen Achilles,
Feurigen Muts, jähzornig, ein unerbittlicher Rächer,
Sag' er der Rechte sich los; nichts bleib' unertrotzt mit dem Schwerte.
Frech sei Medea gesinnt, unerschütterlich; weinerlich Ino,
Io gescheucht, Ixion verräterisch, finster Orestes.
125   Wenn du der Bühn' Unversuchtes vertraun willst und zur Erschaffung
Einer neuen Person dich erkühnst, laß völlig sie ausgehn,
Wie sie zuerst auftrat, und gieb ihr Bestand mit sich selber.
Schwer ist's, eigene Wesen aus Allgemeinem zu bilden,
Ratsamer denn, du webst aus der ilischen Sage die Handlung,
130   Als wenn bisher Unerhörtes zuerst aufstellen du wolltest.
Stoff, der öffentlich war, wird eigene Habe, wofern du
Weder im wimmelnden Raume des Alltagskreises dich umtreibst,
Noch dem Worte sein Wort zu geben dich quälst, ein getreuer
Dolmetsch, noch in die Enge, genau nachahmend, hinabspringst,
135   Wo zu rühren den Fuß hier Scham, hier Regel des Werks hemmt.

Auch nicht also beginn, wie dereinst der cyklische Dichter:
»Priamos Trauergeschick und die rühmliche Fehde besing' ich.«
Was bringt Würdiges wohl so offenen Munds der Verheißer?
Kreisend dreht sich der Berg und – hervorkommt winzig ein Mäuslein.

140   Wie weit löblicher er, der nichts anhebet mit Unschick:
»Sage mir, Muse, vom Manne, der einst, als Troja zerstört war,
Vieler sterblichen Menschen Gebräuch' und Städte gesehen.«
Nicht uns Rauch aus Glanz, nein Glanz aus dem Rauche zu geben,
Trachtet er; daß er darauf hellstrahlende Wunder enthülle:
145   Scylla, samt den Cyklopen, Antiphates auch und Charybdis.
Nicht Diomeds Heimfahrt beginnt er vom Tod Meleagers,
Noch den trojanischen Krieg vom Zwillingseie der Leda.
Immer zum Ausgang eilet er fort und hinein in die Sachen,
Gleich als kennte sie jeder, zieht hin er den Hörenden; und was
150   Durch die Behandlung sich stäubt hervorzuglänzen, verläßt er.
Und so täuscht er mit Lug, so menget er Wahres und Falsches,
Daß zum Ersten die Mitte, zur Mitt' einstimme das Ende.

Du, was ich und das Volk samt mir begehre, vernimm jetzt.
Wenn du den Hörer verlangst, der den Vorhang ruhig erwartet

155   Und fort sitzt, bis der Spieler sein »Klatsch in die Hände!« daherruft,
Zeichne du jeglichem Alter genau die Sitten und sorgsam
Gieb der beweglichen Jahr' unsteter Natur, was geziemet.

Weiß schon lallend das Kind zu verständigen und mit gewissem
Fuße zu gehn, dann behagt ihm das Spiel mit Gleichem, es zürnet

160   Oder entsaget dem Zorn um nichts und verändert sich stündlich.

Ein unbärtiger Jüngling, befreit nun endlich von Aufsicht,
Freut sich der Ross' und der Hund' und des sonnigen Grases im Marsfeld:
Weich wie biegsames Wachs Untugenden, starr dem Ermahner,
Träg' im Voraussehn dessen, was frommt, ein Verschwender des Geldes,

165   Hohen Muts und begierig und rasch, was er liebt, zu verlassen.

Andere Neigungen heget der Sinn des männlichen Alters:
Reichtum sucht er und Macht und Verbindungen, Würden und Ansehn,
Ängstlich, daß nichts ihm entgehe, was bald er zu ändern besorgt sei.

Endlich den Greis umringt viel Ungemächliches: teils weil

170   Kargend er stets das Erkargte sich aufspart und den Gebrauch scheut;
Teils weil jedes Geschäft er furchtsam treibt und mit Kälte,
Zauderer, weit forthoffend, entnervt und Künftiges haschend,
Schwierig und grämlichen Sinns, Lobredner vergangener Zeiten,
Als er Knabe noch war, Zuchtmeister entarteter Jugend.

175  

Viel Annehmliches bringen die kommenden Jahre des Lebens,
Viel auch rauben sie scheidend hinweg. Daß also des Greises
Rolle wir nicht dem Jüngling verleihn, noch dem Knaben des Mannes,
Weilen wir stets um das Eigne, was anhängt jeglichem Alter.

Bald geschieht in der Scen' und bald wird erzählet die Handlung,

180   Schwächeren Eindruck macht auf das Herz, was durch das Gehör kam,
Als was den Augen erscheint, den erprobeten Zeugen, und was sich
Selbst der Schauende sagt. Doch zeige du nicht auf der Bühne,
Was anständiger drinnen geschieht, und enthebe den Augen
Manches, das bald anmelde Beredsamkeit, welche dabei war.
185   Nicht vor dem Volk sei Medea die Mörderin eigener Kinder,
Noch koch' öffentlich Menschengeweid' ein entsetzlicher Atreus,
Auch nicht wandele Prokne zum Vogel sich, Kadmus zur Schlange.
Was du mir so vorführst, hinweg! ungläubig veracht' ich's.

In fünf Akte geteilt, nicht weniger noch mehr, sei das Schauspiel,

190   Welches verlangt sein will, und geschaut und von neuem geschauet.
Rette kein Gott, wo nicht ein rettungswürdiger Knoten
Eintrat. Dränge sich nie die vierte Person zum Gespräche.

Ein Mithandelnder werde der Chor und übe des Mannes
Amt und Pflicht. Nie sing' er im Zwischenraume der Handlung,

195   Was nicht völlig dem Zweck antwort' und genau sich verbinde,
Er sei Redlichen hold und helfe mit freundlichem Rate,
Lenke den Zorn und liebe zu sänftigen Stürme des Herzens;
Er auch lobe die Tafel der Mäßigkeit, er die Verwaltung
Heilsamer Recht' und Gesetz' und die Ruh' in offenen Thoren.
200   Fest bewahr' er Vertrautes und fleh' anbetend den Göttern,
Daß zu dem Elend kehre das Glück und scheide vom Hochmut.

Nicht war die Tibie sonst mit Metalle gefügt, und Drommeten
Gleich an Getön'; nur dünn, einfach, mit winziger Öffnung,
Hauchte dem Chore sie Mut, hilfreiche Begleiterin; aber

205   Füllte noch nicht mit Atem zu dicht gedrängete Sitze,
Wo traun zählbares Volk sich versammelte, weil es so klein noch,
Als haushälterisch war, und eingezogen und schamhaft.
Aber sobald es sein Land siegreich ausdehnte, die Stadt auch
Neu mit erweiterter Mauer umgab und an stattlichen Festen
210   Freier des Genius pflegte mit Wein in der Mitte des Tages,
Jetzo gewann Tonmaß und Musik machtvolleren Spielraum.
Welches Gefühl denn versprach der Naturmensch, rastend von Arbeit.
Landbewohner und Städter gemengt, Unedler und Edler?
So gab grauender Kunst mehr Schwung und üppigen Zierat,
215   Wer die Tibie blies, und schleppt' auf der Bühne sein Prachtkleid.
So auch wuchs an Saitengetön' die ernste Guitarre,
Und es erhub ungewöhnlich den Laut das stürmische Chorlied:
Voll tiefsinniger Worte des Heils, vorahnend die Zukunft,
Scholl sein lehrender Spruch dem prophetischen Delphi nicht ungleich.
220   Wer im tragischen Spiel wettkämpft' um den niedrigen Geißbock,
Ländliche Satyre bald auch dazu entblößt er, und beißend,
Unter gehaltenem Ernst, versucht' er Scherze: darum weil
Durch anziehenden Reiz und liebliche Neuheit gelockt sein
Mußte das Volk, ausruhend vom Fest, und berauscht und gesetzlos.
225   Doch so werde der Spott, so uns das Gelächter des Satyr-
Schwarmes empfehlbar gemacht, so Ernst mit Scherzen gewechselt,
Daß nicht jeglicher Gott und jeglicher Heros, der mitspielt,
Wann er königlich eben in Gold herwandelt' und Purpur,
Jetzt mit niedriger Sprach' abirr' in die Buden des Pöbels,
230   Oder, zu meiden den Staub, in Gewölk sich schwing und in Leerheit.
Zu leichtfertigen Späßen versinkt die Tragödie niemals,
Gleich der edelen Frau, die genötiget tanzet am Festtag,
Tritt sie ein wenig verschämt in der Satyre derbe Gesellschaft.

Nicht schmucklose Benennung allein und herrschende Worte

235   Sucht' ich mit Lieb', o Pisonen, wenn Satyrspiel ich verfaßte,
Noch arbeitet' ich so von tragischer Farbe hinweg mich,
Daß es um nichts abfiel', ob Davus spräch' und die dreiste
Pythias, die ein Talent abzapft dem geprellten Simon,
Oder des Pfleglingsgottes begleitender Hirte Silenus.
240   Aus dem Bekanntesten sucht' ich mein Werk zu bilden, daß jeder
Hoffte dasselbe zu thun; viel schwitzt' und umsonst sich zerquälte,
Wenn er dasselbe gewagt: so wirkt Anreihung und Bindung;
So wird edel ein Wort aus täglichem Leben und glanzvoll.

Hüten sich wohl, urteil' ich, dem Wald' entstiegene Faune,

245   Daß sie nicht, wie Geborne der Weg' und beinahe des Marktes,
Bald in zu artigen Versen der städtischen Flatterer tändeln,
Bald Unsauberes tönen und ehrenkränkende Schmähung.
Denn beleidiget wird, wer Roß und Vater und Gut hat:
Und was dem Käufer der Nüsse behagt und gerösteter Kichern,
250   Hört nicht jener sogleich mit Geduld noch windet ihm Kränze.

Läng' an Kürze gestellt, der Fuß wird Jambus genennet,
Feurig und rasch: daher er den jambischen Trimeter, dreimal
Doppelnd den Schritt, zunamte, wiewohl sechs tönten der Schläge.
Anfang ganz bis zum Ende sich selbst gleich, gab er vor kurzem,

255   Daß, langsamen Gangs, er gewichtvoll nahte den Ohren,
Festen Spondeen zugleich Aufnahm' in sein väterlich Erbreich,
Willig und duldsamen Sinns, nicht daß er die zweite der Stellen
Oder die viert' als Genoß einräumete. Hier auch, wie sparsam
Zeigt ihn des Accius Vers, und des Ennius, jener berühmte.
260   Wenn ein Trimeter so lastvoll herschreitet im Schauspiel;
Hastige Eil' entweder und zu nachlässige Arbeit
Strafet er, oder der Kunst Unwissenheit schmählich mit Vorwurf.

Nicht ein jeder erkennt schlechtklingende Verse, wer urteilt,
Und für römische Dichter besteht unwürdige Nachsicht.

265   Soll ich darum ausschweifen und wild hinschreiben? ob all' auch
Schaueten, wo ich gefehlt, sorglos, und nur in Erwartung
Milden Verzeihns vorsichtig? Gemieden zwar hab' ich den Tadel,
Doch kein Lob mir verdient. Ihr sollt die griechischen Muster
Stets in der Nacht aufrollen und stets aufrollen des Tages.
270   »Unsere Ahnen jedoch lobpreisten immer des Plautus
Vers nicht minder wie Witz.« Zu duldsam beides bewundernd,
Um nicht zu sagen, verkehrt; wofern wir wissen, ich selbst und
Ihr, unstädtischen Witz vom feingeschliffnen zu sondern,
Und wir geregelten Klang mit Ohr abmessen und Fingern.

275  

Neu erfand, wie man sagt, das Gedicht der tragischen Muse
Thespis und führt' auf Karren sein Schauspiel, daß mit Gesang es
Männer dem Volk vorstellten, bemalt mit Hefe das Antlitz.
Nach ihm fügte die Maske hinzu und die ehrsame Kleidung
Äschylus, welcher die Bühn' auflegete mäßigen Balken,

280   Und großartige Red' angab, samt hohem Kothurngang.
Bald nun folgte die alte Komödie, nicht ungebilligt,
Noch ungelobt. Doch die Freiheit entartete frech, und Gewaltthat
Forderte strenges Gesetz; das Gesetz ward gültig, und siehe,
Schmählich verstummte der Chor, nach genommenem Rechte zu schaden.

285  

Nichts auch haben bei uns unversucht gelassen die Dichter,
Und nicht war's ihr kleinstes Verdienst, daß griechischen Vortritt
Sie zu verlassen gewagt und heimische Thaten zu feiern,
Teils im verbrämten Gewand' und teils in der Toga des Bürgers.
Auch nicht mächtiger wäre durch Kraft und rühmliche Waffen

290   Latium, als durch Sprache, wenn nicht anekelte jeden
Unserer Dichter der Feile Geduld und Emsigkeit. Ihr sollt,
O pompilisches Blut, ein Gedicht mißbilligen, das nicht
Mancher Tag, manch tilgender Zug ausbesserte, ja und
Glättete wohl zehnmal bis zum sanft hingleitenden Nagel.

295  

Weil das Talent weit höher Demokritus schätzt als den armen
Kunstfleiß, weil von des Helikon Höhn er die nüchternen Dichter
Ausschließt, mag auch die Nägel ein gut Teil nimmer sich schneiden,
Noch abscheren den Bart, sucht Öden auf, meidet die Bäder.
Denn er erlangt unfehlbar den Preis und den Namen des Dichters,

300   Wenn er das drei Anticyren selbst unheilbare Haupt nie
Licinus unsrem Barbier vertrauete. O ich Verkehrter,
Der ich mit jeglichem Lenz mich reinigen lasse von Galle!
Traun kein anderer schüf' euch bessere Verse! Doch gilt mir's
So viel nicht. Drum werd' ich des Schleifsteins Stelle vertreten,
305   Welcher den Stahl scharf wetzet, er selbst unkundig des Schneidens.
Amt und Pflichten des Amts, auch selbst nicht schreibend, erklär' ich:
Wo man den Stoff hernehme; was nähr' und bilde den Dichter;
Was sich gezieme, was nicht; wie Trefflichkeit leite, wie Irrtum.

Trachtest du wohl zu schreiben; erkenn'! ist Regel und Urquell.

310   Stoff kann dir aus dem Schatze sokratischer Blätter sich aufthun;
Worte dann folgen dem Stoffe, dem vorbedachten, nicht ungern.

Wer, was Freunden gebühr' und dem Vaterlande, gelernt hat,
Und wie Vater, wie Bruder, wie Gastfreund müsse geliebt sein,
Was dem berufenen Rat und was obliege dem Richter,

315   Was, der den Feind abwehret, dem Feldherrn: dieser in Wahrheit
Weiß jedweder Person die geziemende Rolle zu geben.

Stell' auch thätiges Leben dem Blick und Sitten zum Vorbild,
Welches geschickt nachahmend, den Laut der Natur du erwerbest.
Manch Schauspiel, voll glänzender Züg' und getroffenen Lebens,

320   Ohne Gewicht und Kunst und leer einschmeichelnder Anmut,
Schafft nachdrücklicher Freude dem Volk und behagliche Kurzweil,
Als ein Gedicht von Sachen entblößt, und eiteler Klingklang.

Euch hat, Griechen, den Geist, euch hat den gerundeten Ausdruck
Freundlich die Muse verliehn, da ihr Ruhm, nichts weiter, erstrebtet.

325   Aber der römische Knabe, geübt in unendlicher Rechnung,
Kann durch Brüch' ein Ganzes zerstreun in die Hunderte. »Sag' uns
Doch das Söhnchen Albins: man hat fünf Unzen und hebet
Eine davon; was bleibt? Nur heraus! du weißt es.« – Ein Drittel. –
»Bravo! du sollst wohl schützen dein Gut! und die eine dazu, was
330   Wird es?« – Ein Halb. – Hat so anrostende Sorge des Sparguts
Einmal die Seelen getränkt, wie lassen Gedichte sich hoffen,
Würdig des Cedernöls und zu ruhn im cypressenen Schreine?

Bald auf Nützliches schaut und bald auf Vergnügen der Dichter;
Bald auch gesellt er zugleich Anmut und Lehre des Lebens.

335   Was du auch anempfiehlst, kurz fasse dich, daß das Gesagte
Rasch der gelehrige Geist erfass' und behalte getreulich.
Alles, was überladet, entrinnt dem gefüllten Herzen.
Wenn zur Belustigung bloß du dichtetest, grenz' es an Wahrheit,
Daß nicht, was sie nur wolle, geglaubt verlange die Fabel,
340   Noch aus der Lamia Bauch vorzieh' ein gefressenes Knäblein.
Greisende Zünfte verschmähn, was leer herzlabender Frucht ist:
Allzu herben Gedichten entflieht hochfahrende Jugend.
Jegliche Stimme gewann, wer Frommendes mischte zum Holden,
Wann er den Leser zugleich aufheiterte und ihn ermahnte.
345   Solch ein Werk trägt Gelder den Sosiern, über das Meer auch
Geht es und weithin bringt's dem gepriesenen Meister den Nachruhm.

Doch sind einige Fehler, die wir zu verzeihen geneigt sind.
Nicht giebt immer die Saite den Ton, den Finger und Geist will;
Und wer dunklen verlangt, dem sendet sie helleren oftmals;

350   Auch nicht trifft beständig, wohin er drohte, der Bogen.
Nein wo mehreres glänzt in Dichtungen, sei's mir kein Ärger,
Wenige Flecken zu sehn, die teils Sorglosigkeit ausgoß,
Und teils Menschennatur nicht ganz verhütete. Nun denn?
So wie der Buchabschreiber, der stets dasselbige fehlet,
355   Häufig gewarnt, leer ist der Entschuldigung: so wie der Lautner
Lachen erregt, der ewig dieselbe Saite vergreifet;
So wird mir, wer zu oft hinträumt, ein Chörilus endlich,
Den, ist mitunter er gut, ich lachend bewundere, wieder
Unmutsvoll, wenn einmal einnickte der Meister Homerus.
360   Doch beim längeren Werk ist vergönnt anwandelnder Schlummer.

Wie ein Gemäld' ist manches Gedicht, das, stellst du dich näher,
Mehr einnimmt, ein andres dafür, wenn du weiter dich abstellst.
Dies hat lieber den Schatten, und das will im Lichte gesehn sein,
Welches auch schärferen Blick nicht scheut urteilender Kenner.

365   Dieses gefällt einmal; das, siehst du es zehnmal, gefällt noch.

Ältester du der Gebrüder, obschon dich des warnenden Vaters
Zartes Gefühl recht führt, und eigenes, hebe das Wort dir
Achtsam auf: daß, mäßig zu sein und erträglich, in manchem
Dinge mit Fug man erlaubt. Ein Rechtsgelehrter, ein Anwalt,

370   Jenes mittleren Schlags, bleibt freilich entfernt von Messalas
Rednergewalt, nicht weiß er, so viel Cascellius Aulus;
Dennoch bleibet sein Wert. Den mittelmäßigen Dichtern
Sperrt der Mensch und der Gott und des Kaufmann Säule den Zugang.
Wie am fröhlichen Mahl mißhelliges Saitengeklimper
375   Und unlautere Salbe und Mohn mit sardischem Honig
Anstoß giebt; denn es konnte der Schmaus auch ohne das abgehn:
So ein Gedicht, das, den Geist zu belustigen, schuf der Erfinder,
Wenn nur wenig vom Höchsten es weicht, zum Untersten senkt sich's.

Wer nicht Spiele versteht, der entsagt den Geräten des Marsfelds,

380   Ist er des Balls unkundig, des Reifs und der Scheibe, so ruht er,
Daß nicht rings das Gedräng' ungestraft ein Gelächter erhebe.
Wer nicht Verse versteht, wagt's doch sie zu schaffen? »Warum nicht?
Frei und edler Geburt, und die Summe der Tausende zählend,
Welche zum Ritter gehört, und dabei fern jeglichem Tadel!«
385   Du wirst nichts je reden und thun ohne Huld der Minerva:
Darauf steht Urteil dir und Sinn. Doch wenn du einmal was
Schreiben willst, dann laß es den richtenden Mäcius hören,
Auch den Vater, und uns; dann sei's neun Jahre geborgen
Auf dem Papier im festen Verschluß. Austilgung verstattet,
390   Was nicht öffentlich ward; nie kehrt ein entflogenes Wort um.

Menschen der Waldungen hat als heiliger Bote der Götter
Ab vom Morde geschreckt und des Mahls Scheuseligkeit Orpheus;
Drum der Ruf, wie er Tiger gezähmt und grimmige Bergleun.
Auch sagt man, wie Amphion, der thebischen Festung Erbauer,

395   Felsen bewegt mit der Laute Getön und durch bittendes Schmeicheln
Hin, wo er wollte, geführt. Die altertümliche Weisheit
Schied, was dem Volk und dem Bürger gehört, was Menschen und Göttern
Hemmt' umschweifende Lager der Lust, gab Rechte dem Eh'mann,
Gründete Städt', und kerbte Gesetz' in hölzerne Tafeln,
400   So ward Ehr' und Name dem gotterleuchteten Seher
Und dem Gesange verliehn. Drauf kam der erhabne Homerus,
Kam Tyrtäus nach ihm, die zu tapferen Kämpfen den Mannsinn
Auf durch Lieder gereizt. Im Gesang weissagten Orakel;
Lebenstugenden wies der Gesang; auch der Könige Beifall
405   Ward in pierischen Weisen versucht, und erfunden das Schauspiel,
Welches die Jahrarbeit froh endigte. Nicht zu Beschämung
Sei dir die Muse des Saitengetöns und der Sänger Apollo.

Ob durch Natur lobwürdig, ob mehr durch Kunst ein Gedicht sei,
Hat man gefragt. Mir scheinet der Fleiß ohn' ergiebige Ader,

410   Und ungezüchtiger Geist gleich unnütz. Also verlanget
Eines des anderen Hilf' und bittet um freundliches Bündnis.
Wer das ersehnete Ziel im Lauf zu erreichen sich anstrengt,
Viel hat geduldet der Knab' und gethan, hat geschwitzt und gefroren,
Hat sich gescheut vor Mädchen und Wein. Wer mit pythischer Flöte
415   Wettkämpft, lernte zuvor, und fürchtete Strenge des Meisters.
Nicht auch genug, daß man sagt: »Mir fließet der Vers zum Bewundern!
Treffe den letzten die Pest! Ich sollte unrühmlich zurückstehn,
Und, was ich nimmer gelernt, das nicht zu wissen bekennen?«

Wie Ausrufer das Volk zum Kauf der Waren heranziehn,

420   Also ruft die Schmeichler heran zum Gewinne der Dichter;
Reich an liegendem Gut und reich an wuchernden Geldern.
Ist er aber ein Mann, der den Gast weiß wohl zu bewirten,
Der sich verbürgt für den armen Kompan, der dem leidigen Handel
Vor dem Gericht ihn entreißt; dann wett' ich alles, ob unter-
425   Scheiden den lügenden Freund und den redlichen könne der Große.

Du, wenn du einen beschenkt, wenn einst zu beschenken dir vornimmst:
Hüte dich, Verse von dir ihm vorzulesen, so lang' ihn
Freude berauscht. Dann schreit er gewiß: Schön, herrlich, entzückend!
Ja er erbleicht vor Rührung, sogar aus zärtlichen Augen

430   Tröpfelt er Thränen herab, auf springt er und stampfet den Boden.
Wie am Leichenbegängnis gedungene Jammerer fast noch
Mehreres sagen und thun, als wer von Herzen sich grämt, so
Stellt sich der spottende Lober noch mehr denn der wahre beweget.
Oft hat ein Mächtiger den mit gewaltigen Humpen genötigt,
435   Und wie gefoltert mit Wein, wen durchzuschauen ihm Ernst war,
Ob er wert des Vertrauns sich zeigete. Mache du Verse,
Und nie täuscht dich der Schalk, der anschleicht unter dem Fuchsbalg.

Wenn dem Quintilius einer was vorlas: Bessere, Lieber,
Das, ermahnt' er, und das. Nichts Besseres, sprachst du, ersinn' ich,

440   Denn zwei, dreimal versucht' ich umsonst. Dann tilge, gebot er,
Und das verbildete Werk auf den Amboß wieder geleget.
Wenn du, anstatt zu ändern, den Fehl zu verteidigen suchtest,
Nicht ein Wort noch Mühe verlor er weiter und ließ dich
Frei vom Nebenbuhler dich selbst und das Deine bewundern.

445  

Ein gutdenkender Mann und verständiger tadelt die Leerheit,
Straft die Härten im Vers, Unzierlichem streicht er den schwarzen
Querstrich an mit dem Kiel, den allzu prangenden Hochmut
Schneidet er weg und zwinget dem Dunkleren Licht zu verleihen,
Züchtiget Doppelsinn und bemerkt, was Änderung heischet,

450   Kurz, er wird Aristarch. Nicht saget er: Soll ich dem Freunde
Weh um die Kleinigkeit thun? Die Kleinigkeit führet in ernstes
Unglück ihn, der einmal verlacht und höhnisch begrüßt ward.

Wie, wen garstige Krätze plagete oder die Gelbsucht,
Oder fanatische Wut, und die Wechselseuche der Luna,

455   Flieht den tollen Poeten und scheut die Berührung, wer klug ist;
Ihn treibt Knabengewühl, das unvorsichtig ihm nachrennt.
Wenn er, das Haupt in der Luft, nun Vers' aufstoßend einhertobt,
Und dem Vogeler gleich, der Amseln erlauscht, in den Brunnen
Oder den Graben einstürzt, dann laßt ihn: Helft mir! in eins weg
460   Rufen, io! helft, Bürger! kein einziger woll' ihn herausziehn.
Wollte ja wer ihm helfen, das Seil hinunter ihm werfend:
Wissen wir, sagt' ich, ob nicht mit Bedacht er niedergestürzt sei,
Und die Errettung verschmäh'? und erzählt' ihm des Sikulerdichters
Kläglichen Untergang: Ein unsterblicher Gott zu erscheinen
465   Wünscht' Empedokles einst und kalt in den brennenden Ätna
Sprang er hinab. Frei sei's, nach Belieben sterben den Dichtern.
Wer Unwillige rettet, der thut, wie der Mörder, Gewaltthat.
Nicht ja das erste Mal sprang er, und wird nicht, kommt er heraus, gleich
Wieder ein Mensch, ablegend die Sucht des berüchtigten Todes.
470   Auch nicht sehen wir klar, warum er mit Versen sich abgiebt,
Ob er des Vaters Asche beharnt, ein gesühnetes Blitzmal
Freventlich habe verletzt. Toll raset er, und wie ein Brummbär,
Der zu durchbrechen vermocht die sperrenden Latten des Zwingers,
Scheucht er, ein grimmiger Leser, wer ungelehrt und gelehrt ist.
475   Wen er aber gepackt, den hält er, und liest ihn zu Tode,
Wie nicht läßt von der Haut, bis Blut ihn schwellte, der Egel.

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