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Der Hof des roten Brozen stand an der Straße, die nach den Bergen führt. Nicht droben im Dorfe war sein Heim, sondern hier draußen am Weg, unter den Kleinhäuslern, unter den »Sternguckern,« wie diese armen Leute von dem Gesetzgeber Kreitmayer seiner Zeit genannt worden waren, weil es ihnen meist an Mitteln gebrach, die Schindeln, die sich von ihren Dächern lösten, zu ersetzen, und sie demnach, wenn sie des Nachts im Bette lagen, durch das löcherige Dach gar wohl in die Sterne gucken konnten. Der Schmidhuber fühlte sich unter diesen zerlumpten Gestalten trotz seiner eigenen Wohlhabenheit recht behaglich. Sie ließen die Gelegenheit nicht ausgehen, daß er über das Elend der Welt, über den Druck der Behörden, über die Not des armen Mannes fluchen und schelten konnte, und gewährten ihm doch auch wieder das bewußte Vergnügen, daß er sich etwas Besseres dünken durfte als seine nächste Umgebung.
Er war um die Mittagszeit vom Felde nach Hause gegangen. Seine Knechte schliefen. Er wollte nicht schlafen. Er stand am Brunnen und sah den einzelnen Tropfen zu, die langsam nachzügelnd aus dem Rohr geronnen kamen, eine Zeitlang an dem metallenen Beschlage hingen und sich rundeten und dann niederklatschten in den Steintrog. Ihm gingen allerhand Gedanken durch den Sinn, aber keine freundlichen. Er war schlecht mit sich zufrieden, daß er hinterrücks um ein Frauenzimmer angehalten hatte, welches von ihm nichts wissen wollte, daß er dem hochfahrenden Böswirt Gelegenheit gegeben, ihn abzuweisen, ihn vor die Türe, ja gar über die Treppe zu werfen, daß er endlich, um sich zu rächen, nichts Besseres gewußt hatte, als den Florian und die Urschi beim Alten zu verklatschen. Es war daraufhin etwas geschehen. Aber was? Die Leute aus des Böswirts Dorfe munkelten dies und das. Einer wußt' es immer besser als der andere und keiner wurde aus dem andern klug. In jedem Falle war er, der schlaue Hachinger, der Geprellte, der, über welchen sie alle lachen würden.
Wer ihm jetzt so ein richtiges Gaunerstückchen verraten hätte, das ihnen allen einen empfindlichen Schabernack spielte, das ihnen allen das Lachen vertriebe und ihnen den Schmidhuber gehörig ins Gedächtnis schriebe! Seine zuchthäuslerische Phantasie geriet ins Schwärmen, sein Ehrgeiz schwelgte in schimärischen Verbrechen.
Also in Gedanken versunken hatte er gar nicht darauf geachtet, was für Leute auf der Landstraße daherkamen. Jetzt erst, da die Schritte dicht an seiner Seite klangen, hob er den Kopf. Zwei Männer gingen an ihm im wallenden Staube vorüber. Ein Gendarm, der einen Übeltäter einbrachte. Der eine trug über der Schulter das kurze Gewehr mit dem schwarzen Bajonett, auf dem selbst die hellste Sonne kein Funkeln zuwege brachte; dem andern waren die Hosenträger und Knöpfe abgeschnitten; er mußte die Beinkleider mit den Händen halten, so daß er nur mäßig ausschreiten und an ein Entlaufen nicht denken konnte. Der rote Broz sah den beiden lange nach und machte sich neue Gedanken über solch' schlimme Situation und unbequeme Gangart. Er kannte den Ort, dem jener arme Teufel also zugeführt wurde.
Da weckten ihn Hufschlag und Rädergerassel aus seinen Erinnerungen. Er wandte den Kopf nach der andern Seite und gewahrte des Böswirts Wägelchen.
Was wollte der alte Schory hier auf dem Wege nach dem Gebirg? Und wo war denn der alte Schory, daß man ihn nicht sitzen sah und das Pferdchen so mit nachschleifenden Zügeln in die Welt hineinlief?
Hundert Gedanken, dumme und gescheite, wirbelten ihm blitzschnell durch den Kopf. Er ging dem Gefährt entgegen, und da er sich, näher kommend, überzeugte, daß der Böswirt hinten im Sitz unter dem Lederdach lag und, wie er noch glaubte, schlief, griff er dem Braunen, ob dieser auch heftig mit dem Kopf auswich, in die Zügel und brachte ihn zum Stehen.
Schon wollte er den Alten anrufen, da sah er dicht neben ihm das Kind der Urschi hocken. Als der Alte die zornigen Augen zugetan und aufgehört hatte, so gottsjämmerlich zu schnarchen, war auch Alysi eingeschlafen. Der rote Broz von Haching, der in der ganzen Gegend herumschnüffelte und die Leute nach ihren Geschichten ausfragte, kannte den Jungen genau. Er hatte sich oft genug beim Bader-Wastl rasieren lassen und aus guten Gründen.
Und der Enkel fuhr da mit dem Großvater, der niemals von ihm ein Sterbenswörtel hatte wissen wollen? Und wohin fuhr er? Sollte er den alten Schory wecken und selber fragen? Schon tat er den Mund auf, aber aus dem offenen Munde ging kein Ruf, denn seine offenen Augen sahen jetzt, wie's mit dem Böswirt stand. Unwillkürlich zuckte der rote Broz zusammen und schaute die Straße hinan, wo über niederem Gebüsch die Wachstuchkappe und das Bajonett des Gendarmen noch recht deutlich wahrzunehmen waren.
Das wäre so ein Fressen für den Grünrock dort! Und gerade vor seinem Hof gefunden! Wie ihn die vom Gericht dafür ins Gebet nehmen würden! »Nein, mein Rösserl, den Weg dem Polizeihund nach, den sollst du nicht weiter laufen!«
Er führte das Pferd im Bogen über die Straße und kehrte den Wagen nach der Seite um, von welcher er gekommen war, immer dabei den Grünrock im Auge behaltend. Der aber wandte keinen Blick nach ihm zurück.
Wie nur der Wagen auf diese Straße gekommen war? Offenbar hatte der Kutscher selbst es so gewollt, denn ein führerloser Gaul trabt nicht aus eigenem Willen am Wege vorüber, der nach seinem Stall führt. Was nun? Sollte der Rote das Kind vom Toten wegnehmen? Es dem Bader zurückschicken? oder gar der Urschi bringen?
Seine Bauernschlauheit brauchte sich nicht lange zu besinnen. Er konnte dem Schory keinen übleren Streich mehr spielen, als wenn er ihn im Tode zwang, den Enkel ins eigene Haus einzufahren, das er ihm zeitlebens verschlossen zu halten geschworen hatte. Und wer durfte ihn, den Schmidhuber, noch darum auslachen, wenn der Böswirt ihm die Tochter nur aus dem Beweggrund abgeschlagen hatte, weil er sie dem alten Liebsten, dem Florian, dem Vater seines Enkels, endlich denn doch geben mochte? Er band die Zügel am Kutschbock fest und schob das schlafende Kind in den Wagen zurück. Er zog des Böswirts herabgefallene Peitsche unter dem Kutschbock hervor und knallte das Pferd in Trab. Er ging rasch, er lief zuweilen in mäßiger Entfernung hinter dem Wagen her und, sobald der Braune sich's bequemer machen wollte, knallte er wieder mit der Peitsche hinter ihm her. So ging's in mäßiger Eile fort bis an die Wegscheide.
Er hatte sich nicht geirrt. Auch ohne jegliche Führung kannte der Gaul den Weg zum Stall und wählte aus freiem Antrieb keinen andern. Der rote Broz blieb noch ein Weilchen am Weiser stehen und sah dem Fuhrwerk nach, das nun auch im gemütlicheren Schritt seine Straße ziehen mochte. Jetzt war keine Gefahr mehr, daß es fehl ging. Über das Gesicht des roten Brozen breitete sich ein zufriedenes Lächeln. Er sah voraus auf den Feldern etliche Leute arbeiten, die das langsame Wägelchen bemerken mußten. Er hörte hinter sich in der Ferne Rädergerassel und hurtiges Hufgetrampel, das in solchem Trab den Böswirt bald einholen werde. Er wollte nicht dabei gesehen sein, warf die Peitsche über den Straßengraben ins Gras und ging mit argloser Miene nach seinem Hof unter den »Sternguckern« zurück.