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16.

Der Böswirt ging nicht auf dem bekiesten Pfade, sondern stieg um nicht gehört zu werden, durch die weichen Beete. Seinen Weg bezeichneten noch nach manchem Tag zerdrückte Nelken und Rosen, ins Erdreich getretene Knospen. Hinter hohen dicht belaubten Bohnenstangen hielt er still. Kaum vier Schritt vor ihm, an der Schattenseite des Hügelchens saß sein Kind und neben ihm – der Florian. Ihm gerade gegenüber klaffte die Lücke des Staketenzauns, dessen Stämmchen seit jenem Tag, da Florian zum Militär gegangen, zum Aus- und Einstecken geeignet, nur locker eingefügt geblieben waren. Alles um ihn her und besonders das Gebaren der beiden Liebesleute hatte den Anstrich, als ob diese Zusammenkunft durchaus nichts Außerordentliches wäre. Wenn der Böswirt je einmal an den Florian gedacht, so hatte er sich ihn immer auf einem Exerzierplatz der fernen Residenzstadt herumstolpernd vorgestellt; auch war er stets der ungetrübten Überzeugung gewesen, daß Urschi weder mit ihrem verbotenen Geliebten noch mit ihrem verstoßenen Kind in irgend welchem Verkehr stünde, und daß überhaupt keines von allen den dreien auch nur einen leisen Atemzug gegen seinen Willen und seine einmal ausgesprochenen Verbote zu erheben sich getrauen könnte. Wie erstaunte da der selbstherrliche Mann, als er vernahm, daß nicht nur Florian seit Jahresfrist in Urlaub und in dem selben Dorfe, wo sein Söhnlein in Kost und Pflege lebte, bei einem wohlhabenden Bauern seiner Bekanntschaft in Brot und Lohn stand, sondern daß auch sein eigen Kind fast jede Woche einmal, den tiefen langen Schlaf des Vaters benützend, nächtens ihren Jungen bei seinen Kostleuten besuchte.

Des Böswirts krampfhaft geballte Fäuste rüttelten leise zitternd vor Wut an den schwankenden Bohnenstangen, und auffahrend sprach Ursula: »Flori, mir war, als hätt' sich was g'rührt!«

Florian faßte die entzogene Hand der Geliebten rasch wieder und sagte: »Ah bah, es is nix als der Wind, der zum Mittagessen blast.«

»Ja, 's is Zeit, daß d' gehst, Flori. Grüß' mir mein'n Herzensbuben recht tausendmal!«

Florian kratzte sich am Kopf, und dann sein Gesicht mit Urschis Händen überdeckend, sagte er langsam und unterbrochen: »Mein Gott, wann wird die Zeit kommen, wo wir zwei miteinander beim Essen sitzen werden und der Bub' zwischen uns! Das tät' uns schmecken! – So is 's grad' zum Verzweifeln! – Ja, wenn i nur öfter bei dir sein könnt'! – Aber wenn i so draußen steh' auf mein'm Holzschlag und taglang nix erschau' als die graden langen Stämm' und oben drüber a Stück vom Himmel, und nix hör' als mein eigens Beil und no vielleicht an Häher oder an versprengten Dachel (Dohle), da denk' ich alleweil an dich und ans Kind, und meine Gedanken würgen mir's Herz z'samm und den Verstand auch, und nachher mein' i immer, i seh's vor mir, wie morgen oder übermorgen der oder der konnt und dein Jawort verlangt, und du gibst's und gehst dahin!«

»Geh',« sagte Urschi, »wie d' nur wieder so daher reden magst! Wenn i dös wollt, könnt' i net scho lang im Meier sein Kramlad'n sitzen und dir dein Packl Tabak verkaufen oder beim reichen Achleitner wirtschaften oder gar drüben beim Hachinger?«

»Was kann der Mensch für seine Gedanken! Unsere schönsten Jahr' müssen wir vertrauern und versauern und wegen nix, als weil ein eigensinniger stolzer Mann dein Vater is. I wollt' –«

»Versündig' di net!« fiel ihm Urschi ins Wort. »Was auch g'schehn is, wir haben alle zwei noch Grund g'nug, ihm recht dankbar z' sein.«

»I weiß net,« erwiderte Florian wild, »z' viel hat er auf di net g'wend't, und was die Wohltaten betrifft, die er mir erwiesen hat, so wär's vielleicht g'scheiter gewesen, i wär' a Geiger blieb'n. Und wenn i ihm auch mein Leben und jeden Tag drin zu danken hätt', es is alles, alles wett g'macht mit mein'm bittern Elend und dein'm, du arm's, arm's Ding, du; und er is selber dran schuld, wenn i kein'n andern Wunsch für seine Guttaten hab' – als daß er bald sterben möcht'!«

Urschi weinte bitterlich; sie wollte reden, aber Florian fuhr ernst, wenn auch mit etwas schwankender Stimme fort: »Urschi, sei g'scheit! Red' net von deiner Lieb' zu mir; i frag' di grad': liegt dir dein Vater mehr am Herzen als dein eigens Kind? Schau', i hab' dir's schon amal g'sagt, wie vor drei Wochen ein Stadtherr bei uns heraußen war, der uns alles genau expliziert hat: wie's drüben überm Meer in Amerika fleißige Leut' brauchten, und wie der Boden so fruchtbar wär' und wie keiner verderben könnt', der seine Hand' nur rühren wollt'. Damals hast g'sagt, du wolltest dir's überlegen. Was hast da noch viel z'überlegen? Schau' unser Elend an und pack' auf und geh'! Dein Alter gibt uns nie z'sammen, das weißt. Also fort! denn z'sammenkommen müssen wir, das weißt auch. Mein Erspart's langt bis in die neue Welt, meine Militärzeit is aus, wir nehmen unser arm's Kind, und wenn der Bub' grad' kein Wirt werden soll, so wird er doch ein braver Mensch werden, der nicht dazu auf der Welt is, um anderen ihr Leben zu verbittern.«

Urschi schluchzte einige unverständliche Worte, Florian umhalste sie, und dringend ihre Hände pressend sprach er weiter: »Gelt, du willst dein Vater net so allein lassen in seinen alten Tagen? Aber dein Kind hat laufen und reden lernen müssen ohne dich, dein Kind wachst auf unter fremden Leuten und sieht sei' Mutter nur hie und da einmal, zwischen Schlaf und Traum aufg'schüttelt. Ist dir der Wurm denn auch nix oder hast gar kein Erbarmen weder mit dir selber noch mit mir armem Hund?«

Florian brach vor seinem Schatz zusammen und barg das Haupt in seinem Schoß. Ursula hatte die Hände vors Gesicht geschlagen; sie wollte sich die Tränen abwischen und den Flehenden aufheben, da riß ihr lautes: »Jesus, Maria und Joseph!« dem Geliebten den Kopf herum. Vor ihm stand glühenden Angesichts und mit geballten Fäusten der Böswirt.

»No, no!« schrie er, »sag's nur raus, daß d' mit dem Kerl in die weite Welt laufen willst, du verlorene Dirn, du! Was brauchst denn nach 'm Vater z' fragen? Geh' nur, i geb' dir mein'n Segen dazu!«

Damit wollte er wütend auf sein Kind los, aber Florian stand breit dazwischen und rief ihn an: »Der Horcher an der Wand hört seine eigne Schand'! Rühr' mir's Mädel net an!«

Jedoch der Wirt besann sich nicht lang, sprang auf Florian los und umfaßte ihn mit klammernden Armen um Leib und Ellbogen so schnell und rasch, daß Florian, der sich des Anfalls schlecht versehen hatte, sich nicht rühren konnte. Der Böswirt, einst weit und breit der stärkste Mann, erfreute sich trotz seiner schwammigen Korpulenz noch immer einer beträchtlichen Leibeskraft und Florian mußte sich fest auf die Beine stemmen, um nicht von dem wütenden Alten zu Boden gerissen zu werden.

Urschi schrie auf bald »Vater,« bald »Florian« und zerrte an den Ringenden; derweil preßte der Alte den Soldaten, daß diesem der Atem ausgehen wollte und er endlich rief: »Böswirt, jetzt laß aus, laß gut sein, sonst reut's dich!«

Der andere jedoch grinste schnaubend: »Nix is, hin mußt d' werd'n, du oder i!«

Florian lachte, er hatte aus natürlichem Respekt sich bisher nur abwehrend verhalten; nun aber mußte ein Ende gemacht werden. Der Böswirt preßte und würgte immer wütender, da fiel jenem ein altes Kunststück ein. Mit einem Ruck gelang es ihm, den linken Arm aus der schmerzhaften Umarmung zu befreien, und flugs fuhr er mit dem gabelförmig steif ausgestreckten Zeige- und kleinen Finger in des Böswirts Augenhöhlen, daß dieser laut aufbrüllend zurücktaumelte und stolpernd rücklings in die zerkrachenden Bohnenstangen stürzte.

Florian sprang begütigend auf Urschi zu, diese aber stieß ihn von sich und eilte weinend und klagend ihrem Vater zu Hilfe. Da kroch der also hart Abgewiesene langsam durch den Zaun und riß sich wie zum Andenken ein Stämmchen heraus, indem er noch hörte, wie Ursula knieend dem sich erhebenden und noch die Augen pressenden Schory zurief: »Vater, Vater, nie in meinem Leben verlass' ich dich, niemals geh' ich von dir und nie will ich dem Florian sein Weib werden, wenn du nicht selber deine Einwilligung dazu gibst! In Gottes Namen! und so wahr er mir helfen soll und alle seine Heiligen!«


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