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8.

Am Sonntag in der Früh fuhr des Böswirts zweispännig Wägelchen über die Brücke des eingefrorenen Erlenbachs. Die Wölkchen seiner Tabakspfeife zogen weithin sichtbar in der schneidigen Morgenluft, und die kleine Urschi sang und lachte aus ihrem roten Kopftuch, das sie über die neue Otterpelzmütze geschlagen hatte, schallend in den jungen Wintertag hinaus; denn sie freute sich über die Maßen, daß sie die weite Reise machen durfte und ein neues Leben bei der alten Tante beginnen sollte, von der sie sich in ihrer kindlichen Phantasie eine Vorstellung aufgebaut hatte, wie sie die alten Königinnen und freundlichen Waldfrauen aus Florians Neunkreuzergeschichten in ihr hervorgezaubert hatten.

Auch dieser Florian war wenig oder gar nicht über das schleunige Verschwinden seiner elfjährigen Freundin erbost, denn er trat eben in ein Alter, wo man und besonders auf dem Lande beginnt, an reiferen Reizen Gefallen zu gewinnen.

So arbeitete er denn rüstig fort in des Böswirts wohlnährendem Dienst. Er war, als er kaum siebzehn Jahre zählte, schon so groß und breit und stark als später mit dreiundzwanzig. Sein Brotherr hatte nicht über ihn zu klagen und seine Gesellen schätzten in ihm einen lustigen Kauz und faustfertigen Kumpan, der eben jung war, wie man jung sein soll. Die so sehnsüchtig erwünschte Geige wurde zwar, nachdem sie einmal im unstreitigen Besitze des Exmusikanten war, weniger gebraucht, als man aus dem Vorhergehenden hätte schließen mögen. Immerhin zog er sie zuweilen an fröhlichen Abenden aus ihrem alten Sack hervor, um lustigen Brüdern eine Überraschung zu bereiten oder ihrer hitzigen Aufforderung Genüge zu tun.

Derweilen hatte sich Urschi, die freilich in der alten Witwe und ihrer ganzen Umgebung nichts Märchenhaftes oder Kaiserliches gefunden, denn doch mit Fleiß und gutem Willen in das fremde Hauswesen und dessen strenge Ordnung geschickt; sie lernte spinnen und weißnähen, buttern und sittsam sein, bergsteigen und stillsitzen, und, war sie in ihres Vaters Haus unter lauter Männern herangewachsen, so wuchs sie hier weiter unter lauter Weibern. Die Frau Susi lebte auf ihrem Einödhof allein mit ihren drei Mägden, und nur im Vorübergehen kehrte ein Wanderer des Gebirges oder ein Hausierer, ein Sennhirt, ein Metzger bei ihnen ein.

Auf den Hof ihres Vaters kam Urschi selten, öfter kam der Alte ins Gebirg, und brachte sie auch das eine oder andere Mal eine Woche im väterlichen Hause hin, so sah sie den Florian wenig oder gar nicht. Tags über war er bei der Arbeit, und so früh er Feierabend machen konnte, eilte er dem untern etwa eine halbe Stunde entfernten gleichnamigen Dorfe zu, wo er eine Liebschaft angebändelt hatte, die ihn für den weiten nächtigen Heimweg schadlos hielt. Als er Urschi dritthalb Jahre nach ihrer Ausfahrt wieder sah, mußte er geradezu auflachen, denn das Mädel kam ihm drollig häßlich vor. Das Haar war etwas dunkler geworden, aber unter ihren Bubenaugen stachen starke Backenknochen aus dem magern Gesichte hervor; sie war ziemlich lang, jedoch es hatte den Anschein, als wären allein die Beine an ihr gewachsen, während der Oberleib durch vorgebogene spitzige Schultern gedrückt war, die immerwährend eine Richtung annahmen, als wären die Arme mit Stricken beschäftigt.

Die letzten zwei Jahre ihres nahezu fünfjährigen Aufenthalts im Berghof war sie gar nicht mehr daheim erschienen. Da sehnte sich der alte Böswirt, der nunmehr seine einsamen Stunden verspürte, nach seinem einzigen Stück Nachkommenschaft, und da der Florian, den er wie sein Kind lieb gehabt hatte, nun auch fortging, so sollte die Urschi wieder ins Vaterhaus heimkehren. Aus Kindern werden Leute, und wie einst aus dem Musikanten ein Knecht, so war nun aus dem Knecht ein Konskriptionspflichtiger geworden Florian, der sein einundzwanzigstes Lebensjahr hinter sich hatte, schnürte seine sieben Sachen in ein leichtes Bündel und war eben im Begriff, nach der Haupt- und Residenzstadt München zu marschieren, um dort aus dem Glücksrad eine Nummer zu ziehen, die ihn entweder zu den Soldaten zählen oder von der Wehrpflicht befreien mußte. Des andern Abends sollte die Urschi ankommen.


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