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21.

»Wo fahr'n wir denn jetzt hin?« fragte das Kind, welches wieder zutraulicher geworden war, den Alten, und dieser erwiderte, ohne das Auge vom Grat seines Gauls abzuwenden: »Das wirst du schon sehen.«

Bei sich selber aber wiederholte er nachdenklich die Worte seines Enkelchens: Wo fahr'n wir denn jetzt hin?

Er war heut' am frühen Morgen mit dem feststehenden Entschluß ausgefahren, den Buben, ohne irgend einer Menschenseele ein Sterbenswort zu sagen, von dem treulosen Bader-Wastl, der ihn hintergangen hatte, wegzuholen und an einen andern Ort in sichere Pflege zu verbringen, wo seine Eltern ihn zu suchen sich nicht beikommen lassen sollten, wohin es auch schon so weit des Weges wäre, daß Urschi während seiner Schlafenszeit selbst nicht mit vier Pferden hin und zurück gelangen könnte. Das war bei der alten Frau Susi im Gebirge, woselbst einst auch Alysis Mutter aufgewachsen war. Besagte Frau Susi hatte sich merkwürdigerweise noch in späten Tagen ein zweites Mal verheiratet an einen handfesten Wirtschafter gleichen Alters.

Diese beiden erschienen gar sehr geeignet, den struppigen Knaben Aloysius in der Furcht Gottes und seines Großvaters zu erziehen. Die Urschi freilich und gar den Sappermenter, den Florian, die trifft's schlimm. Und justament deswegen soll es so sein und nicht anders!

Als der Böswirt den bestürzten Barbier verließ, ja selbst noch in dem Augenblick, da er den Jürgel um einen frischen Trunk anging, stand dieser Entschluß noch unangefochten in seinem Willen aufrecht. Hier aber, am Heckenzaun dieses »Glücklichen,« war eine bisher fremde Anschauungsweise in den gewohnten Kreis seiner rauhen Vorstellungen getreten.

Es ist immer ein hartes Ding, wenn ein Mann, und wär's selbst in der Befangenheit des Zorns und des Schmerzes, mit aller Entschiedenheit gesagt hat: Ich mag nun einmal durchaus nicht, und ich werd' es nun und nimmermehr zugeben! Es ist doppelt hart, wenn es ein alter Mann, dreifach hart, wenn es ein alter Bauer ist, der seine Hartnäckigkeit mit diesen verhängnisvollen Worten besiegelt hat.

Nun war es auch jetzt noch nicht die leiseste Ahnung von begangenem Unrecht, was die Seele des Böswirts überkam. Vom »ewigen Rechte der Leidenschaft« stand begreiflicherweise nichts in seinem Katechismus; und wer ihm etwas von der Selbstbestimmungsfähigkeit des weiblichen Wesens vorgesagt hätte, würde ihm ein unverständliches Märchen erzählt haben. Ursulas vielgeprüfte Treue war ihm nichts als eitel Trotz und Eigensinn eines hartköpfigen im Unglück mißratenen Kindes, und Florian galt ihm als der Verabscheuungswürdigste der Sterblichen, der lediglich in der schnöden Absicht, ein sicheres Mittel zu ergaunern, womit er sich in des reichen Schorys Verwandtschaft und Vermögen presse, sein übel gehütetes Kind durch List und Gewalt verführt habe. Auf die Wucht der Überraschung, auf die zwingende Furcht vor der Schande habe der schlaue Bösewicht gerechnet, daß sie dem Vater die Einwilligung abdrücken, ihm keinen andern Ausweg lassen würden, als in Gottes Namen gute Miene zum bösen Spiel zu machen und den weiten Abstand, der den Verführer von seinem Opfer unter allen übrigen Umständen auf immer fernhalten mußte, zu überbrücken. Denn dem Böswirt wäre es lange nicht so anstößig und ungereimt vorgekommen, daß des Königs Tochter einen Schreiber vom königlichen Landgericht geheiratet, als daß er, der reiche, der angesehene Hofbesitzer, seine schöne Urschi einem armseligen Kerl an den Hals gehängt hätte, der ohne seine schlimm vergoltenen Wohltaten jetzt vielleicht einem räudigen Bären auf den Jahrmärkten zum Tanz aufspielte oder unter einem jämmerlich beklecksten Stück Wachsleinwand die neuesten Mordtaten heraborgelte. Der Böswirt war einmal der Böswirt, der sich auf jeden Deckelkrug in seiner Schenke, auf jede Hahnenfeder in seinem Hof etwas einbildete; seine Tochter war seine Tochter, auf, die er in der Tat ein vollgültiges Recht hatte stolz zu sein; der Florian aber war ein armer Teufel, der im sauren Schweiße seines Angesichts um ein paar Kreuzer taglöhnerte – Schorys Recht war sonnenklar, war über alle Zweifel erhaben.

Aber ein Hauch von Kindesliebe hatte an sein rauhes Herz, gerührt, als er fremde Menschen mit aller bewußten Behäbigkeit ein Glück auskosten sah, das sein Kind kniefällig und mit wie bitteren Tränen erfleht hatte, ein Glück, das er ihm mit einem armen Wörtlein hätte gewähren können und doch nicht gewährt hatte. Wider seinen Willen wuchsen in seiner Vorstellung farbenfrische Bilder häuslicher Glückseligkeit; er sah sich in seinem Gärtlein an der Landstraße sitzen, rotköpfigen Enkeln Pfeifen schneiden und Geschichten erzählen; vom Hause her scholl die geschäftige liebe Stimme seiner ihn mit jedem Atemzug segnenden Tochter, und am Staketenzaun blieben die vorübergehenden Landleute stehen und sagten: »Gelt, alter Schory, du bist doch recht glücklich?«

Schon sah er auch den kräftigen Burschen, den er von Jugend auf denn doch so lieb gehabt, der ihm, manche seiner Eigentümlichkeiten, aus welche er im Vollgefühl seiner persönlichen Würde große Stücke hielt, treulich abgelernt hatte, mit rüstigen Händen in der schweren Wirtschaft an seiner Seite hantieren – Doch da war auch mit einem Schlage die Szene verändert: Florian streckte die ruchlose Gabelfaust riesenhaft vergrößert nach seinen ehrwürdigen Augen, und die von Entbehrung und Trotz verzerrten Lippen wünschten ihm in monotoner Wiederholung der bitteren Worte einen baldigen Tod.

Aber es war schon weniger das Gefühl der Entrüstung, das dieses Bild in ihm hervorrief, als ein wahrer, Schmerz, daß er es nicht von den Augen seiner Seele mit einem kräftigen Spruch verbannen konnte, und während er mit seinen mächtigen Fingern freundlich durch die roten Löckchen seines ihn fortwährend unverwandt betrachtenden Enkels fuhr, sagte er mit einer Stimme voll Mitleid: »Du armer Bub'!«

Da mußte er nun gleich wieder denken, wie sein ungehorsames Kind um dieses Bankerts willen seinen Schlaf mißbraucht hatte und nächtens mit dem Landstreicher über Feld gelaufen war, um die ärgste Sünde zu begehen, die es in seinen Augen gab: seinem ausdrücklichen Gebot zuwider zu handeln. Heischte solcher Frevel gegen einen Vater, wie er einer war, nicht strenge Strafe?

Über die blutrote Stirne des gequälten Mannes rann kalter Schweiß. Da lief die Stundensäule vorüber – Noch eine, und bald ist der Kreuzweg da, vor dem es entschieden sein muß, ob rechts oder links gefahren werde; denn rechts geht's zur weinenden Urschi nach Hause, zur Verlobung mit dem Florian, zur Verwirklichung seiner häuslichen Gedankenbilder; links führt die Straße ins Hochgebirg zur strengen Frau Susi, zur dreifach verdienten Bestrafung trotzigen Ungehorsams und teuflischer Verführungskunst. Mit jedem Radumschwung kommt das Fuhrwerk der Kreuzstraße näher. Es will, was zu tun ist, wohl bedacht sein. Aber das mühsame Denken ist nicht des Böswirts Lieblingsbeschäftigung, am allerwenigsten auf der Landstraße in sprühender Mittagshitze, um die Zeit, da er tagaus tagein sein Schläfchen zu machen gewohnt ist. Er lehnt das schmerzende Haupt an das vorgeschlagene Wagendach. Langsamer geht das fliegenumschwärmte Rößlein. Der Böswirt merkt es kaum. Die Augen werden ihm so schwer. Mechanisch reißt seine Hand noch einmal unwillig am Leitseil, doch das Gewicht des gewohnten Schlafes schlägt ihm ins Genick und sein Kinn sinkt auf die Brust.


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