Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17.

Die Sonne schien so heiter und noch nicht belästigend über die Straße her, die Vögel pfiffen um die Wette und Florian hatte sich sein Schicksal und seine Liebe die Meile des Weges, die er bereits zurückgelegt hatte, reiflich überdacht.

Nach der gestrigen Begegnung in des Böswirts Garten war er trotzig verstimmt an jene Arbeit gegangen, welche zu verrichten er alle acht oder vierzehn Tag in Urschis Dorf kam. Als er damit zu Ende gediehen, war's schon zwischen Abend und Nacht, und wie gewohnt und ausgemacht, schlich er wieder an seiner Liebsten Gartenzaun. Sie war ja immer da, wenn er von der Arbeit in die Nacht hinein nach Hause ging, um ihm einen herzhaften Schmatz und tausend Grüße an den Buben mitzugeben, wohl auch das eine oder andere Mal selbst mitzugehen, wenn der alte Wirt schon eingeschlafen war. Gewiß, gewiß, sie wird, sie muß auch heute kommen, ja heut erst recht nach all dem Wirrwarr um Mittagszeit. Sie muß ihm ja sagen, daß ihr das einfältige Versprechen nur so in der Angst entschlüpft sei, weil sie geglaubt habe, dem Vater sei in der Tat Schlimmes widerfahren, und wie sie nun mit ihm und ihrem Kinde fortzuwandern bereit sei, und ging's bis ans Ende der Welt.

Er nahm sich vor, ihr recht liebevoll zu begegnen und ja nicht aufzubrausen, selbst wenn sie sich noch nicht zum letzten entschließen könnte. Da schlug es vom Kirchturm.

Es war ziemlich dunkel, Florian setzte sich auf einen Haufen Chausseesteine und sah den losen Stämmen am Staketenzaune zu, die heute nicht wie sonst fein säuberlich wieder eingefügt worden waren, sondern vom Winde knarrend in ihrem letzten Nagel bewegt wurden; er sah ihnen zu, bis es so finster war, daß er nichts mehr sah. Da kroch er durch den Zaun und setzte sich auf die Bank auf dem Hügel, um von da nach der äußern Gartentüre zu lugen, durch welche Urschi des Wegs kommen mußte. Er sah das hölzerne Viereck recht wohl und daneben den Strauch, der ihn zuweilen ein Mensch zu sein dünkte; aber Urschi kam nicht und der Strauch blieb Strauch.

Öfters vermeinte er, plötzlich etwas zu vernehmen wie Schuhe, die über Kies gingen; da spannte er seine Ohren und drückte die Augen so weit er konnte aus den aufgerissenen Lidern, aber er hörte nichts als über sich die kaum vernehmbar rauschenden Zweige und sah auch nichts als die flüchtig zerrinnenden Schatten seiner Einbildung.

Er warf sich auf den Kiesgrund des Hügels und stöhnte: »O, komm' nur heut, Urschi, nur heut!«

Allein es kam nichts.

Vom Turm schlug's Mitternacht: er war so todmüde von seiner schweren Arbeit, und doch hielt ihn der erhitzte Kopf mit empfindlichen Schmerzen noch eine Zeitlang wach, bis endlich die Ermattung siegte.

Als er mit dem ersten Tagesgrauen erwachte, fühlte er noch einen dumpfen Druck über der Stirn. Er ging rasch seines Weges und nahm ein erfrischendes Bad im Erlenbach. Je rüstiger er dahinschritt, je höher die Sonne stieg, desto weiter rückwärts verschwanden die Schatten der vergangenen Nacht und eine trotzige Fröhlichkeit überkam ihn.

So soll's denn sein, wie sie will! dachte er bei sich. Meinethalben! … Mein Gott, ich hab's so gar viel lieb g'habt und war ihr treu, wie kein anderer Bursch seiner Dirn' treu war, und hab' ihr zulieb getragen und ausg'standen für fünfe – und jetzt laßt's di laufen wie ein'n Hund, bloß weil du 'n Alten abg'wehrt hast, daß er di net verdrosselt! 's is ihr halt z' lang und z' harb worden. No, i kann ihr's grad' net verdenken, und der Vater is ihr halt lieber als der arme Florian. In Gott's Namen! Wer weiß, wofür 's gut is? Geh' allein in die weite Welt, wo schon so mancher sein Glück g'macht hat, und nachher is hier allen g'holfen! Die Urschi braucht sich vor dir nimmer z'fürchten, wenn's ein anderer heiraten will, und den Buben nimmt der Alt' gern ins Haus, sobald er nur sicher weiß, daß er sein'n Vater nimmermehr vors G'sicht kriegt. Bis du nach ein zwanzig Jahrln aus Algier wieder heimkimmst, sitzt dein Bub' auf'm Böswirt sein Haus und reißt Maul und Augen auf, wenn ihm die Leut' sagen, der französische Offizier mit Ordensbandeln und Fangschnür' wär' sein Vater und seiner Frau Mutter ihr alter Schatz. Ja, wahr is, Offizier muß i werden in Algier, wo's viel andere auch worden sind; und warum denn i grad' net? Ich hab' ein'n guten Abschied und ein couragierts Herz und bin ein ganzer Soldat, und Korporal war ich schon, und wenn's mi z'samm'nschießen, no ja nachher, um mich is auch kein Schad'. Justament, nach Algier gehst, und das gleich morgen – Na, übermorgen. Alter Soldat! Huiauf! mir is so feurig zu Mut wie ein'm Rekruten! I begreif's jetzt grad' gar net, wie i nur ein'n einzigen Tag so hirndumm hab' sein können und glauben, daß jemals aus mir ein stiller Ehemann und sittsamer Hausvater werden möcht'? Du und ein Ehekrüppel, Florian, das is ja rein zum lachen! Ha, ha!

So in sich hineinredend, war er immer weiter fortgeschritten in den lichten Morgen hinein. Dort drunten über die Hügelecke stach schon der auf beiden Seiten abgedachte Kirchturm seines Dorfes hervor, und er jauchzte laut auf und sang, daß es schallte:

»Alleweil über ein Stiegel steig'n?
Alleweil bei ein'm Dirndl bleib'n?
Alleweil überex, überex! »überex« wahrscheinlich so viel wie »überigs,« mehr als hinlänglich.
Alleweil fünf, sechs!«

»Du bist aber kreuzlustig, Florian! Hast ein'n Terno g'macht in der Lotterie, oder wo kommst denn schon her so in aller Früh?« sagte ein breiter freundlicher Mann, der über den Zaun seines Gehöftes dem singenden Wanderer seinen guten Morgen wünschte.

»Von der Arbeit, Jürgel, von der Arbeit,« erwiderte der Angeredete. »In der Lotterie wie in der Liab' hab' i kein Glück, aber weißt, i geh' dieser Tag' fort, weit fort, und da is gut, wenn man sich den Abschied und 's Heimweh gleich miteinander verjodelt und versingt.«

»So, du gehst fort?« fragte überrascht der Bauer, indem er bald auf seine Schaufel, bald auf Florian sah. »Ja, und was g'schicht denn nachher mit dein'm Buben?«

»Den nimmt der Böswirt ins Haus,« antwortete der zukünftige Zuavenoffizier mit einer Sicherheit, als wäre was er vorhin nur gedacht hatte bereits ausgemachte Sache; um aber doch weitere Fragen zu vermeiden, fuhr er flugs fort: »Wie geht's denn bei dir? was machen denn deine Kinder?«

»Da sichst's,« versetzte jener, mit dem Spaten nach dem Hofbrunnen deutend, wo ein Weib, so Anfang der Dreißiger, am Trog stand und Gemüseköpfe reinigte. Zwei Knaben standen neben ihr, die kleinen Hände am Schwengel, um auf ihr Geheiß beim Pumpen behilflich zu sein. Das Dritte, ein Nesthäkchen weiblichen Geschlechts, zerrte mit liebevoller Emsigkeit an der mütterlichen Rockfalte.

Eben hielt die Frau die Hand übers Auge und sagte, als sie den vor dem Zaun erkannte, mit lauter tiefklingender Stimme: »Grüß' di Gott, Florian!«

Da sprangen auch die beiden Bürschchen eiligst zum Vater heran, und während der Ältere am Zaun hinaufstieg, um dem Wanderer die Hand zu geben, streckte der Kleinere lachend seine fünf Finger gen Himmel, und von beiden klang, wie ein Echo des mütterlichen Zurufs, ein helles: »Grüß' di Gott, Florian!«

»Gelt, du bist wohl recht glücklich, Jürgel?« sagte dieser und jener erwiderte: »Ja, und Gott sei Dank dafür heut und allezeit!«

»Amen,« sagte Florian und ging wieder seines Weges dahin, ohne sich nach Jürgels Hof, der einzeln an der Straße stand, umzusehen, und doch dachte er an nichts, als an ihn und sein Weib und seine lieben Buben, und was er jetzt wohl triebe und was in einer Stunde später, und alle Hantierungen einer gottgefälligen eingelebten Häuslichkeit gingen mit fröhlichen Gesichtern, wie aus der Ferne grüßend, an jenem Menschen vorüber, der sie vor kurzen Minuten für alle Zeit hatte verreden wollen. Er versuchte es zwar, wiederum in seinen frühern Gedankengang einzulenken, aber er verspürte einen heftigen Widerwillen dagegen, und mit einem ratlosen »o Gott!« kratzte er sich, langsam weiterschreitend, hinter den Ohren. Abermals fing er an zu singen, leise, dann immer lauter und lauter. Und was er sang, hieß also:

»Vom Wald bin i füra,
Wo d' Sonn' so schön scheint, und
Mei Schatz is mir lieba
Als all meine Freund'.
Als all meine Freund' und
Als all ihra Geld;
Mei Schatz is mir lieba
Als all's auf der Welt! Und
Mei Schatz is mir lieba
Als all's auf der Welt!

»Mei Vata, mei Muata,
Mei Schwesta, mei Bruada,
Mei ganze Freundschaft hat
Mir's Schatzerl veracht't.
Und eh' i mei Schatzerl lass',
Eh' lass' i all's,
Die Schuh' und die Strümpf' und
Das Tüchel vom Hals. Und
Die Schuh' und die Strümpf' und
Das Tü–«

Da rasselte ein Wagen hinter ihm drein, und eh' er zur Seite springen konnte, traf ihn ein wohlgezielter Geißelschlag an den Kopf, der vielleicht seinen Augen gegolten hatte. Diese aber sahen frisch und unversehrt, wie in hohen Staubwolken der Böswirt und sein Wägelchen holpernd verschwanden.

Ja, was tut denn der Herr Schory beim Bader-Wastl? Er hat ja nach dem Buben seit mehr als drei Jahren sich nicht umg'schaut. Ei, dem wütigen Menschen ist ja gar all's zuzutrauen.

Florian stand einen kurzen Augenblick still, um dann plötzlich, von innerer Angst getrieben, mit aller nur möglichen Hast die letzte Wegstunde zurückzulegen, die ihn noch von seinem harrenden Brotherrn und von seinem vielleicht gefährdeten Kinde trennte.


 << zurück weiter >>