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Als das Fuhrwerk vor einem der äußersten Häuser des Dorfes anhielt, wo sich der Schuster einer Kette kleiner duftiger echter Regensburger Würste zu entledigen hatte, sprang Florian von der andern Seite des Wagenbocks herab und drückte sich in jener beengenden Verlegenheit, welche den Menschen zuweilen befällt, wenn er nicht genau weiß, ob er nun einen dummen Streich zu machen im Begriff ist oder nicht, ohne dem freundlichen Gelegenheitskutscher schön Dank zu sagen, hinten ums Dorf herum, bis an die Planken vor des Böswirts abgesondertem Garten. Auf der vom Wohnhaus entferntesten Ecke befand sich ein kleiner Hügel und auf diesem ein aus natürlichen Stämmen zusammengezimmertes Ruheplätzchen, »Parapluie« genannt, unter dessen Schirmdach man weit auf die im Zickzack dahinschleichende Landstraße sehen konnte.
Florian schob sich durch die dichte Hecke, die den Zaun von der Landstraße schied, weil er fürchtete, durch Übersteigen den Hausbewohnern auffällig zu werden, zog drei oder vier der runden Stämmchen, welche den Zaun bildeten, mit samt den Nägeln nicht ohne einige Kraftanstrengung aus dem sie verbindenden Querbalken, schlüpfte durch die Lücke und nahm dann unter dem Dach des kleinen Luginsland festen Sitz. Guckend und horchend saß er da, halb freudig, halb ängstlich, und hatte Zeit genug, über sein sonderbares Wollen zu sinnen, das ihn drei deutsche Meilen in der Nachmittagshitze zurücklegen, dann diebischerweise in seines alten Herrn und Wohltäters Garten einsteigen hieß, und alles das warum? Um ein Dirnchen zu sehen, das ihn nichts angeht, um das er sich in seinem Verhältnis der Armut und Dankbarkeit gegen den geldstolzen Vater gar nichts kümmern darf und das ihm auch bis zum heutigen Tag mehr häßlich als schön vorgekommen ist. Die Sonnenstrahlen fielen schräg auf die leere Straße, ringsum herrschte feierabendliche Stille, die nur von dem abgerissenen Gequake der Frösche des nahen Teichs, seltener durch einen fernen Ruf oder das Bellen eines Hofhundes unterbrochen wurde. Mehrmals meinte er in der Ferne einen Wagen rasseln zu hören, aber es war, wenn er länger zuhorchte, nur der Wind in den Weidenbäumen gewesen oder auch gar nichts, als sein unbändiges Wünschen, das ihm durchs Gehirn sauste.
Er mochte gegen zwanzig Minuten, die seine Ungeduld wohl eben so viele Stunden deuchten, ruhig gesessen und unverwandt ins Weite hinausgeschaut haben, als er wieder glaubte die Ohren spitzen zu müssen. Da fingen aber plötzlich die Frösche ganz unbarmherzig an zu schreien. Florian fluchte laut auf, und als er, nachdem wieder Stille eingetreten war, nichts vernehmen noch gewahren konnte, jagte ihn plötzlich der Gedanke auf, daß ja die Urschi schon längst daheim sein könnte und all sein Zaudern und Passen nur für den Wind wäre, denn ohne vernünftigen Grund noch einmal in des spöttischen Böswirts Haus einzusprechen, schämte er sich.
Je unangenehmer diese Vorstellung schmeckte, desto mehr gewann sie an Wahrscheinlichkeit, so daß es nicht lange währte, bis er zornig aufsprang, durch die Bresche im Zaun wieder hinauskroch, und nachdem er die Stangen, so gut es eben rasch gehen wollte, wieder an ihren alten Platz gefügt hatte, schritt er, über das Mißgeschick, »das nur ihm so passieren konnte,« grollend, auf der stillen Landstraße dahin.
Aus Zorn über die getäuschte Hoffnung ging er sogar so weit, im stillen über die jedenfalls schuldlose Urschi zu schelten. Er gefiel sich darin, sein ungezogenes Gemüt mit allen Reminiszenzen zu kitzeln, in denen dasselbe Mädchen, das er doch so eifrig wiederzusehen bestrebt war, eine komische oder mißliebige Rolle gespielt hatte; und so in seinen Ärger und sein Erinnern vertieft, überhörte er, wie näher und näher ein rasches Wägelchen daher gerollt kam, auf dem die Zipfel zweier roten Kopftücher wie Schiffswimpel in der Luft flatterten.
Als er's endlich merkte, war er verdutzt, überrascht; er besann sich, ob er auf der rechten oder auf der linken Seite der Straße besser daran wäre, und mußte dann da stehen bleiben, wo ihm die Sonne ins Gesicht schien und er wenig oder nichts sah, als das Wägelchen vor ihm anhielt und eine lustige wohlbekannte Stimme rief: »Ei, grüß' dich Gott, Florian! Schau', das ist hübsch! Ich hab' mir immer gedacht, wer wird dir wohl zuerst begegnen, wenn du wieder heimkommst in dein altes Dorf? Denn das ist immer ein gut's oder ein bös's Zeichen.«
Florian hielt sich die Hand vors Auge und seine Blicke verschlangen mit all dem Eifer eines Menschen, der sich sagt: Das siehst du jetzt noch einen Augenblick und dann lange, lange nicht mehr! die frischen Züge, die ihm aus dem roten Kopftuch entgegengrüßten. Das war nicht mehr der halbgewachsene Backfisch, an dem das Untere nicht zum Obern zu passen schien; das war ein fertiges ganzes prächtiges Frauenzimmer, voll und groß, mit einem fremden Gesicht, an welchem nur die alten unbändigen Augen und die kurzen halboffenen lachenden Lippen, dahinter die blanken Zähne hervorsahen, den Florian noch bekannt deuchten. Diese freilich nur allzusehr.
Urschi hatte in ihrer Rede innegehalten, wie sie die verwunderten Blicke des alten Kameraden unverwandt in ihr Gesicht sich bohren sah, das immer mehr die Farbe ihres Kopftuchs annahm.
»Is denn das ein gut's Zeichen,« sprach nun Florian, ohne das Auge von ihr zu verwenden, »wenn du mir begegnest? Gott geb's, daß 's wahr is! Schau', ich hab' dich nur grad einmal sehen wollen, wie du dich herausgewachsen hast, drum bin ich noch einmal um(ge)kehrt, denn jetzt geht's in die Stadt und Gott weiß, ob ich dich noch einmal erschau' in meinem Leben.«
»Gehst!« lachte Urschi; »du wirst gar lang auf dich warten lassen! Aber hörst, sei fein brav in der Stadt und tu' halt net gar zu viel schön mit den sauberen Stadtfräulein und laß dich bald auf'm Dorf heraußen sehen in deiner blauen Montur!«
Florian, den das frische Wesen von seiner zimperlichen Laune rasch kuriert hatte, lachte nun auch und sagte: »Ja, ich komm' ganz g'wiß! B'hüt dich Gott, schöne Urschi!«
»B'hüt di Gott, Herr von Grenadier!« erwiderte jene, und das Wägelchen rasselte dahin.