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20.

Es springt zuweilen ein Ton durch die windstille Luft, man weiß nicht recht, hat man etwas gehört oder hat man nichts gehört, und glaubt wohl bald das letztere. Aber warum schlägt das Herz auf einmal beschleunigter, als hätt' es etwas zu befürchten, zu erwarten? Warum überhaucht uns plötzlich der Schatten eines unbekannten Leides, das fern, ohne uns zu berühren, vorüberwandelt?

Just als der arme Florian im Staube der Landstraße zusammenbrach, ward der kleine Alysi auf des Großvaters Kutschersitz unruhig. Bisher hatte ihm der Wagen und besonders der dunkelbraune Gaul mit dem auf- und abhüpfenden schwarzen Schweife viel Vergnügen gemacht, denn ein eigenes Fuhrwerk war der höchste seiner kindischen Wünsche.

Nun aber währte ihm die Fahrerei schon zu lange. Hungrig mocht' er auch sein, denn es war Essenszeit vorüber. Und so fing er bitterlich zu weinen an und rief: »Laß mi runter, i mag nimmer fahren, i möcht' zu mein'm Vater!«

»Dalketer Kerl!« erwiderte der zornige Wirt, »du bist bei dein'm Vater. Bist net bei dein'm Großvater?«

»Du bist gar net mein Großvater!« bellte der Kleine mit schluchzender Stimme ihn an.

»Net?« fragte der Zornige, »no wart', i zeig' dir's.« Und damit wischte er dem Bürschchen mit der flachen Hand übers Ohr, daß ihm die Zähne klapperten.

Der Getroffene zog den kurzen rechten Arm wie abwehrend in die Höhe, legte ihn an die Stirn und sah darunter hervor dem schlagfertigen Ahnherrn ins zornglühende Gesicht, als wollt' er es prüfen, ob denn der Großvater seiner bisherigen Vorstellung wirklich so aussehen möchte. Dabei drückte er sich in die Ecke des Wägelchens hinein und schwieg, während ihm einzelne nachzügelnde Tränen langsam über die dicken Backen liefen.

Sie waren wieder an Jürgels Hof gekommen. Sowie der Böswirt ihn im Schatten seines Hauses sitzen und seinen Buben, die ihm lernbegierig auf die Hände guckten, Pfeifen schneiden sah, hielt er den Gaul an und rief mit heiserer, aber lauter Stimme: »O Jürgel, mir is gar so grimmig heiß. Geh', i, bitt' di schön, gib mir was z' trinken.«

»Bst!« flüsterte der Angeredete, »weck' mir 's Weib nit auf!« Und indem er den Knaben mit einem Wink Stillsitzen gebot, einen Milchwaidling vom Tische nahm und damit dem Zaune zuschritt, fuhr er halblaut fort: »Weißt, der letzte Bub' vom vorigen Vierteljahr, der hat ihr a bisl arg zug'setzt. Sie is noch alleweil a wengerl schwach, da is's eing'schlafen nach 'm Essen. Es is ihr die Ruh' von Rechts wegen zu vergunnen.«

»Du hast a brav's Weib,« fuhr der Böswirt fort, der nun zuerst den Kleinen am Milchnapf saugen ließ.

»Das weiß Gott! ja, recht a brav's.«

»Gelt, du bist glücklich, Jürgel, so unter dein'm Viech mit deine Buben und deine Knecht und –«

Weiter brachte der Böswirt seine Rede nicht, denn er dachte wohl an ein anderes Glück und fand, es sei Zeit, nunmehr auch den eigenen Durst zu löschen.

Der Jürgel aber, ein wenig überrascht, die selbe Frage zweimal an einem Tage zu vernehmen, erwiderte: »Ich hätt's freilich nie 'glaubt, daß's noch einmal so werden sollt'. Aber am End' hat er sich halt doch dreingeben, der Garandere. Die ältere Schwester, die bei ihm blieben is im Allgäu drüben, hat wohl 's mehrere Geld kriegt; aber das soll ihr von Herzen vergunnt sein.«

War's, daß der Böswirt an Milch nicht gewohnt war, war's, daß er zu jäh in Zorn und Hitze hineingetrunken hatte, es schüttelte ihn plötzlich am ganzen Leib und ein vorübergehender Druck widerlichen Unbehagens durchdrang ihn.

Der andere bemerkte es nicht und fuhr fort: »Weißt, es g'hört net allemal gar so unmenschlich viel zum Glück; und oft freilich geht's auch wieder grad' auf ein bißl z'samm'n. Aber die Hauptsach' bei allem, was man auf der Welt anfangt, is der feste Willen, und dann, daß man lebt und leben laßt. Wenn mir net alles allein fressen wollen, sondern dem andern geben was recht is, nachher geben uns die anderen Leut' auch, was uns g'hört. Und wenn just amal durchaus net, nachher muß's halt biegen oder brechen.«

»Biegen oder brechen!« wiederholte der Böswirt.

Während er den leeren Waidling dankend zurückgab, fragte der andere, vielleicht nicht ganz frei von bäuerischer Hinterlist: »Was hast denn du da für ein'n Mordsbuben? G'hört der dir?«

»Nein, nein!« unterbrach ihn rasch der Angeredete, der auf das eben Verhandelte hin am allerwenigsten und vor dem Jürgel schon gar nicht sein Verfahren rechtfertigen wollte. Der g'hört ein'm frühern Knecht von mir, dem ich ihn aus der Tauf' g'hoben hab', und jetzt hat der mich beten, ich sollt' ihm den Buben in a gute Kost und Pfleg' b'sorgen.«

In diesem Augenblick mußte sich der Böswirt umschauen. Es war ihm, als müßte jemand hinter ihm stehen und sagen: Du hast gelogen, alter Sünder! Du hast gelogen!

Eilig bedankte er sich beim freundlichen Jürgel, knallte mit der Geißel über dem Rücken des Braunen, und bald war der Hof des Glücklichen weit hinter ihm.

Jürgel sah dem Böswirt lange nach und wälzte allerlei Gedanken, denn er konnte sich die Reden und das Tun des Alten wie des Florian nicht recht zusammen reimen. Da, als er eben das Wägelchen aus dem Gesicht verloren hatte, brachten, von der andern Seite kommend, drei seiner heimkehrenden Knechte den kranken blutbesudelten Florian getragen und legten ihn, der mit stieren Augen um sich blickte, wie einer, der gern ins Weite rennen möchte und sich nicht erheben kann, in des hilfreichen Jürgel gastliche Stube.


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