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Vom Sohn des Molopelope.
Die falsche Schlange.

Es war einmal ein Dorf, das gehörte dem Häuptling Molopelope, dem Sohne Thutloas. Nach Häuptlingsart besaß er viele Frauen. Einer seiner Söhne war ein böser Mensch. Die jungen Mädchen des Dorfes hatten große Furcht vor ihm, weil sie ihn gesehen hatten, wie er sich in eine Schlange verwandelte. Dieweil er aber des Häuptlings Sohn war, fürchteten sie sich, es seinem Vater anzusagen. Da ging eine der Töchter Molopelopes zum Häuptling, und weil sie ein Kind der »großen Frau« war, faßte sie sich ein Herz und bat: »Laß uns von hier wegziehen und das Dorf an anderer Stelle aufbauen!« Sie wollte dem Vater aber nicht ansagen, was sie zu dieser Bitte veranlaßte. Und alle jungen Mädchen des Ortes gingen eine jede einzelne zu ihrem Vater und baten: »Laß uns von hier wegziehen und das Dorf an anderer Stelle aufbauen!« Molopelope aber wurde zuletzt müde und berief alle Männer zu einer großen Versammlung. »Männer!« sagte er, »ich bin müde geworden ob der Bitten meines Kindes; fort und fort liegt sie mir in den Ohren: laß uns von hier wegziehen und das Dorf an anderer Stelle aufbauen! Aber sie sagt mir nicht, was sie von diesem Orte hinwegtreibt!« Da antworteten die Männer einer nach dem andern: »König, auch mein Kind ist mit derselben Bitte gekommen, verschweigt aber gleichfalls die Ursache zur Bitte.« Da stand einer aus der Versammlung auf und sprach: »König, laßt uns hören auf die Kinder, laßt uns ausziehen!« Da zogen sie aus. Aber eine Tochter des Häuptlings zog nicht mit.

Das Mädchen blieb zurück in dem verlassenen Dorf und sprach: »Ich ziehe nicht von dieser Stätte weg!« und so blieb sie und wohnte einsam in den zerfallenden, niedrigen Hütten. Ihre Mutter aber, eine Nebenfrau des Häuptlings, brachte ihr täglich den Hirsebrei; denn es jammerte sie ihres Kindes. Und jedesmal, wenn sie die Speise brachte, sprach sie: »Ntscheelane, mein Kind, die du mein Herz in seiner Langmut prüfst, hier ist der Hirsebrei! iß, Ntscheelane, die du mein Herz in seiner Langmut prüfst, die du gesagt hast, das Leben zwischen den Ruinen wirst du aushalten« (Wechselgesang des Erzählers und der Zuhörer).

»Da kam eines Tages ein Mann zu dem Mädchen und sprach: »Du wirst sterben, Ntscheelane, umkommen wirst du, der Hunger wird dich töten. Sieh', deine Mutter wohnt weit; eines Tages wird sie müde werden und dir keine Speise mehr bringen, dann wirst du vor Hunger umkommen; komm zu uns!« Da verließ sie die Ruinen und folgte ihm nach seinem Dorf. Der Mann aber war ihr Stiefbruder, jener böse Mensch, um derentwillen die jungen Mädchen ihre Väter gebeten, auszuziehen. Nach kurzer Zeit machte er Ntscheelane einen Antrag und wollte sie heiraten. Sie aber lehnte ihn ab.

Da belauschte sie eines Tages ein Gespräch zwischen dem Manne und seiner Mutter. Sie vernahm, wie er zu dem alten Weibe sagte: »Ich gehe aufs Feld, bleibe du und überrede das Mädchen, daß sie sich das Haar scheren läßt. Und wenn du dann dabei bist, so schneide ihr den Hals ab, und wenn sie tot ist, so koche ihr Fleisch, damit ich es esse, wenn ich wieder nach Hause komme.« Als der Mann nun fort war, erhob sich Ntscheelane von ihrer Strohmatte, auf welcher sie unter dem gegerbten Kuhfell scheinbar geschlafen hatte. Da sprach das alte Weib zu ihr: »Komm, daß ich dir das Haar schneide; es ist so lang; du siehst so häßlich aus!« »Ja,« gab sie zur Antwort, »bringe nur das Schermesser, laß uns auch vorher sehen, ob es scharf genug ist!« Und sie brachte das Schermesser. »Beuge nur deinen Kopf ein wenig, daß ich prüfe, ob es auch scharf genug ist!« Da setzte sich die Alte nieder auf die Erde und neigte ihr Haupt. Ntscheelane aber faßte das Schermesser fest und schnitt ihr den Hals ab, so daß das alte Weib den Geist aufgab. Nun zerstückte sie das Fleisch und kochte es in einem großen irdenen Topf. Dann nahm sie die Kuhfelldecke der Alten und legte sich in den Schatten des hohen Rutenzaunes, der den Hof umgab, wo jene stets pflegte zu liegen. Gegen Abend kam der Mann nach Hause. »Mutter!« sagte er zu der unterm Kuhfell Liegenden. »Ja,« kam es fragend mit dünner Stimme unter der Decke hervor. »Hast du getan, was ich dir sagte?« Das Mädchen verstellte ihre Stimme und antwortete, die Alte nachahmend: »Ja, ich habe alles in die Hütte hineingesetzt.« Da ging er hinein und aß das Fleisch seiner Mutter. Als er sich sattgegessen, kam er wieder herausgekrochen aus der niedrigen Hüttentür. In demselben Augenblick erhob sich das Mädchen. Eine fürchterliche Ahnung stieg nun in dem Manne auf, und mit überlauter Stimme schrie er Ntscheelane an: »Wo ist meine Mutter?« Die Angeredete schrie ein lautes Geschrei aus und rief: »Schlange hat seine Mutter gefressen und dachte, er esse das Fleisch der Jungfrau!« Wütend sprang der Sohn Molopelopes jetzt auf und hinter dem fliehenden Mädchen her. Die aber lief, was ihre Füße sie tragen konnten, und schrie noch lauter: »Schlange hat seine Mutter gegessen und dachte, er esse das Fleisch der Jungfrau!« (Der Erzähler singt es, und die Zuhörer fallen im Chor ein.)

Die Verfolgte aber war schneller als der Verfolger. Sie nahm die Richtung nach der neuen Niederlassung Molopelopes, der Mann hinterdrein. Im Dorf der Angehörigen angekommen, rief sie: »Schnell, sucht Schermesser!« Im Nu brachten die Aufgeschreckten scharfe Schermesser zusammen, und nach Anweisung Ntscheelanes wurden dieselben auf den schmalen Kafferfußweg in die Erde gegraben, so daß die scharfen Schneiden oben heraussahen. Da kam auch schon der Verfolger in Gestalt einer Schlange herangerasselt. Nicht auf die scharfen Messer im Wege achtend, geriet die Schlange da hinein, schnitt sich heftig und wandte das Haupt, den heimtückischen Gegner zu suchen und zu beißen. Dabei biß sie sich selbst und starb. Die Männer des Dorfes kamen mit Knütteln und gaben ihr den Rest.

Das Mädchen aber wurde von allen ob ihrer Besonnenheit und Tapferkeit sehr gepriesen. Sie antwortete auf alle Lobeserhebungen mit den Worten: »Daß ich im verlassenen Dorfe zurückblieb, geschah um dieser Schlange willen. Sie hat uns lange geängstigt. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, sie zu vernichten.«

Nun bekannten auch alle übrigen Mädchen ihren Eltern und sprachen: »Seht, was uns veranlaßte, euch zu bitten, auszuziehen, war nichts anderes als diese Schlange. Aber wir fürchteten uns, es anzusagen, dieweil sie der Sohn des Häuptlings war.«

Molopelope aber machte seiner Tochter ein großes Fest.


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