Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Vom Sohne des Maschilo.

Maschilos Sohn war König geworden und nahm sich als vornehmer Herr viele Weiber. Es brach aber eine Hungersnot aus, und der Hunger ward so groß, daß selbst der König nicht mehr wählerisch war mit den Speisen. Eines Tages tötete er mehrere Mahuhumedi, das sind große, häßlich aussehende Eidechsen, die schon mehr dem Legoan ähnlich sind und in Felsklüften wohnen. »Nimm hin,« sprach er, der großen Frau die häßlichen Tiere reichend, »koche mir dies Fleisch!« Die aber weigerte sich, warf sie weg und sagte: »Ich mag nicht solch schlechtes Zeug essen, das jedermann verachtet.« Maschilos Sohn aber hob seine Mahuhumedi auf und brachte sie einer seiner übrigen Frauen. Die aber gab ihm dieselbe Antwort wie die große Frau. Desgleichen taten alle seine Weiber. Da trug er das verachtete Wildpret zu der allergeringsten unter ihnen. Und siehe da, diese allerverachtetste tat nach seinem Geheiß und kochte ihm die Mahuhumedi. Da kam der König und aß. Von dieser Stunde an zeichnete er das verachtete Weib vor allen anderen durch Gunstbeweise aus. Hatte er mit seinem Wurfspeer irgendein schönes Wildpret erlegt, so brachte er es stets zu ihr; sie bereitete es zu, und er aß und ließ die schönsten Bissen für sie liegen, und sie aß. So geschah es, daß beide bald sehr wohlgenährt aussahen. Die übrigen Weiber aber mußten hungern.

Die große Frau aber ward neidisch und sann auf Rache. Eines Nachts erhob sie sich, schlich an die grasgedeckte niedrige Hütte ihrer Nebenbuhlerin, schob die aus Baumstämmen gehauenen dicken Brettstücke von der Türöffnung hinweg und kroch auf allen Vieren hinein. Die Tür einer Kafferhütte ist nur sehr niedrig. Da lag das früher verachtete Weib unter ihrem gegerbten Kuhfell auf einer Strohmatte und schlief; ihr Kopf ruhte auf der Kopfunterlage. Sie ist von Holz und bildet bei den Schwarzen das Kopfkissen.

Die Frau befand sich im tiefsten Schlaf. Das Fleisch eines Wildbockes hing an einer Schnur aus dem räuchrigen Dache der niedrigen Hütte herab. Ein großes Stück lag indessen bereits fertig gekocht im irdenen Topf am Feuerherd. Das stahl die eingedrungene große Frau, floh nach Hause und aß es auf. Als aber Maschilos Sohn am nächsten Morgen von dem Diebstahl hörte, ward er zornig, rief alle seine Leute zusammen und sprach: »Wer hat das Fleisch gestohlen?« Die aber schüttelten verwundert die Köpfe und antworteten: »Wir sind es nicht gewesen.« Und die große Frau antwortete mit ihnen: »Wir sind es nicht gewesen.« Als der König nun sah, daß er auf diese Weise nicht zum Ziele gelangen könnte, spann er eine lange Schnur. Darauf versammelte er abermals alle seine Untertanen und ging mit ihnen nach einem tiefen, steil abfallenden Wasserloch. Da band er die Schnur an einen Baum und zog sie über den Abhang, um sie am anderen Ufer abermals an einen Baum zu binden. »Hört nun meine Rede!« rief er aus: »Ein jeder von euch hat an dieser Schnur über das tiefe Wasserloch zu gehen!« Da trat der erste herzu, faßte mit beiden Händen das straffgezogene Seil und ging an demselben hinüber. Während er über dem Abgrund schwebte, stand die Menge abseits, klappte mit den Händen und sang:

»Sehne zerreiße, Seil zerreiße dem,
Der dem Sohne Maschilos das Fleisch aufgegessen!«

Dann kam der zweite an die Reihe, dann der dritte, bis schließlich das ganze Volk hinübergegangen war. Und jedesmal mußten die am Ufer Stehenden jenes Verslein singen. Zuletzt war nur noch die große Frau übrig. Sie griff nach dem Seil, und das Volk klappte mit den Händen und fang:

»Sehne zerreiße, Seil zerreiße dem,
Der dem Sohne Maschilos das Fleisch aufgegessen!«

Da – o Graus – zerriß das Seil, und sie stürzte in die Tiefe.

Der König aber rief laut: »Singt ihr ein Spottlied!« Und das ganze Volk stimmte ein Spottlied an, stampfte mit den Füßen den Takt und klappte mit den Händen dazu. Das war das Ende der Fleischdiebin.

siehe Bildunterschrift

Märchen: Vom Sohne des Maschilo.
Sehne zerreiße, Seil zerreiße dem, der dem Sohne Maschilos das Fleisch aufgegessen.

Die Tochter aber der Hingerichteten sah, was man ihrer Mutter getan, und ging still nach Hause, kroch in die Hütte und legte die Perlenkette, ihrer Mutter königlichen Schmuck, um den Hals. Dann bekleidete sie sich mit ihren besten Kleidern, d. i. mit den mit roten, grünen, weißen und anderen Glasperlen besetzten Lendenfellen, und ging davon. Die weiblichen Glieder der Häuptlingsfamilie, wenn aus reinem »königlichen« Blut, also von »der großen Frau« abstammend, tragen als Erkennungszeichen eine ganz besondere Perlenkette. Die ältere Schwester aber dieses Mädchens war verheiratet an den Häuptling eines Nachbarstammes. Dahin wollte sie gehen. Als sie nun auf dem Wege war, begegnete ihr ein fremdes Mädchen, die sprach zu ihr: »Du, Königstochter, leihe mir doch einmal dein Geschmeide, daß ich mich auch einmal ein klein Weilchen damit schmücke.« Die Angeredete war so gutmütig, daß sie ihren Schmuck der anderen wirklich lieh. »Ich werde es dir alles wiedergeben dort oben am Wege,« sprach die Fremde, und damit legte sie die königliche Perlenkette um ihren Hals. Doch sie gingen weiter und weiter, und sie machte keine Miene, das Geliehene wieder zurückzugeben. Da faßte sich die Häuptlingstochter ein Herz und bat: »Gib mir meine Perlen wieder!« Aber sie erhielt zur Antwort: »Ich werde sie dir wiedergeben, wenn wir bei der Rinderweide angekommen sind.« Aber sie dachte gar nicht daran, das Geschmeide zurückzugeben. Denn bei der Rinderweide antwortete sie: »Du sollst deine Perlen bekommen, wenn wir bei der Ziegenweide angekommen sind.« Und bei der Ziegenweide antwortete sie: »Du wirst sie wiederbekommen, wenn wir bei der Zickelweide angelangt sind.« Und bei der Zickelweide sprach sie: »Du wirst sie erhalten am Dorftor, wo die Männer sitzen.« So betrog sie das unglückliche Kind. Denn als sie am Tor der Männer angekommen waren und die Königstochter zum letzten Male verzweifelt ausrief: »Gib her!« da ward die Fremde zornig und schrie: »Willst du mich gar in der Leute Mund bringen?« So gingen sie ins Dorf hinein und kamen zur Lapa des Häuptlings, wo die Schwester wohnte. Ein übermannshoher, dichter Rutenzaun umgab dieselbe. Sie schritten durch die schmale Türöffnung. Da, vor der runden Hütte, im Hof, der mit Kuhmist bestrichen und glatt wie eine Tenne war, saß auf der Erde an der runden Feuerstelle die große Häuptlingsfrau und rührte mit einem Quirl gerade das Hirsemehl im kochenden Wasser, ihrem Manne den steifen Hirsebrei zu bereiten. Da traten die beiden Gäste ein, die eine geschmückt mit dem königlichen Geschmeide, die andere ohne Abzeichen. Was Wunder, daß die Häuptlingsfrau der ersteren glaubte, daß sie ihre Schwester sei. Hatten sie sich doch vor undenklicher Zeit gesehen, als die, welche jetzt als Gast bei ihr eintrat, noch ein kleines Kind war. Bald war im ganzen Dorf die Kunde von der Ankunft der Fremden verbreitet. Die Leute liefen zusammen, die Schwester der großen Häuptlingsfrau zu schauen und zu grüßen. Die falsche Königstochter nahm alle Huldigungen lächelnd an, während die wahre überhaupt gar nicht beachtet wurde. Sie galt als Dienstmagd. Und so geschah es auch, daß, als es zum Essen ging, man dem armen Kinde den steifen Hirsebrei in eine alte, zerbrochene Holzschüssel tat; aber der Betrügerin wurde die Spelte in einer blendend weißgescheuerten Holzschüssel aus Morulaholz dargereicht. Am anderen Morgen aber hieß es: »Die Dienstmagd, das Lumpenmädel, kann im Hirsegarten die Vöglein scheuchen!« Da saß nun die echte Königstochter im Hirsegarten und scheuchte die Vögel. Und wenn die Feldtauben sich niederlassen wollten, dann schrie sie, klappte mit den Händen, bis sie fort waren. Die Leute aber, welche in den Nachbargärten waren, wunderten sich über die sonderbaren Worte, welche das Kind dabei sprach; denn während sie die Tauben aufscheuchte, sang sie jedesmal:

»Gurre, gurre, husch, ihr Tauben,
O du Halm, wackle, wackle,
Bringe mich zu meiner Mutter in der Tiefe!
Meine Schwester Tlakalebala tut mir Unrecht,
Reicht mir die Spelte in einem Mäusenapf
Und der Moßelampscha in der Schüssel!«

»Da steckt etwas hinter!« sprachen die Leute, kamen wieder und wieder aus ihren Lauscherplätzchen, den sonderbaren Gesang des Mädchens zu vernehmen. Schließlich erzählten sie es der großen Häuptlingsfrau. »Geh' selbst in den Garten und höre, was sie fort und fort den Tauben und Hirsestengeln vorsingt.« Da machte sie sich auf zum Garten, versteckte sich gut und lauschte. Horch, da sang das Mädchen:

Gurre, gurre, husch, ihr Tauben,
Tlakalebala, meine Schwester, tut mir Unrecht;
Husch, ihr Tauben!«
O du Halm, wackle, wackle,
Bringe mich zu meiner Mutter in der Tiefe!
Tlakalebala, meine Schwester, tut mir Unrecht,
Reicht mir die Speise in einem Mäusenapf
Und der Moßelampscha in der Schüssel!«

Und das Kind sang weiter und immer wieder jene klagenden Worte. Ihre Schwester erschrak sehr, kam herbei, ergriff sie und schaute ihr in die Augen; wirklich, es war ihre Schwester, jetzt hatte sie dieselbe erkannt. Und nun weinte sie sehr: »Ach, daß ich dich so schlecht behandelt habe!« Unterdessen hatten sich die Leute aus den Nachbargärten versammelt. »Was sollen wir nun tun?« fragte die ältere Schwester. »Denn jene Betrügerin trägt den königlichen Schmuck.« »Laßt uns zum Häuptling gehen!« antworteten die Leute; »wir wollen ihm die Sache vortragen.« Das taten sie und gingen zu ihm. Der aber rief alle seine Leute zusammen und sprach: »Auf, laßt uns eine Grube graben!« Da gruben sie eine sehr tiefe Grube. Der falschen Häuptlingstochter aber wurde nichts von dem Zweck derselben verraten. Alsdann goß der Häuptling bezauberte Milch in einen Topfscherben und stellte denselben tief unten in die Grube. Der Schuldige füllte dadurch hinabgezogen werden. »Kommt zu Hauf'!« rief der Häuptling abermals. »Höret meine Rede!« sprach er; »jedermann, wer er auch sei, soll über dies Loch springen; legt die hindernden Kleider ab und springt hinüber.« Und einer nach dem anderen sprang hinüber. Zuletzt kam auch die Reihe an den Gast im königlichen Schmuck. Diese aber weigerte sich bis aufs äußerste; da baten die Leute, drangen auf sie ein und sprachen: »O nicht doch, Tochter des Königs, auf und springe hinüber; auf und springe hinüber!« Da wurde sie matt und gab nach, legte den Schmuck ab und sprang. Die Zaubermilch aber zog sie in die Grube, das Weib fiel hinab. – Ein lautes Jubelgeschrei erhob sich alsbald aus dem Munde der großen Versammlung. Schnell wurde die Grube zugeschüttet, und jedermann half dabei mit Freuden, dieweil jene Fremde die richtige Königstochter und alle anderen so arg betrogen hatte. Das königliche Geschmeide aber legten sie nun dem bisher so verachteten Mädchen an, und das ganze Dorf freute sich mit ihr, daß noch alles zum guten Ende gekommen war.

Aber siehe da, nach einer Weile wuchs ein Kürbis auf dem Grabe Moßelampschas und brachte Frucht. Eines Tages, als die Kinderwärterin auf des Häuptlings Lapa vor dem Hause saß, rollte der Kürbis heran und bat um Speise. Und sie gab ihm. Fortan rollte der Kürbis regelmäßig jeden Tag auf die Häuptlings-Lapa und aß. Die Mutter aber merkte gar bald, daß ihre Kinder immer magerer wurden. »Woran liegt das doch, daß ihr so abnehmt?« fragte sie; »wir arbeiten den ganzen Tag im Felde, und kommen wir abends nach Hause, so finden wir jedesmal, daß eure Backen wieder etwas dünner geworden sind.« »Daran ist der Kürbis schuld, der von dort kommt«, sagten die Kinder und zeigten nach dem Grabe hin. Die Mutter aber erzählte es dem Häuptling. Der kam und fragte seine Kinder abermals: »Wo kam der Kürbis her?« »Von Moßelampschas Grabe; denn dort ist eine Kürbisstaude gewachsen, die hat Frucht gebracht, und dieselbe rollt täglich auf unsere Lapa und ißt unsere Speise weg.« »Es ist gut!« antwortete der Vater. Am anderen Tage aber, als die Frauen auf die Kafferhirsefelder gegangen waren, legte er sich auf die Lauer. Es dauerte nicht lange, da rollte der Kürbis zum offenen Hoftor herein und sprach: »Jetzt jage ich wieder die Kinder vom Hirsebrei!« Doch siehe, da brach der Häuptling aus seinem Versteck hervor, und mit einem dicken Stock zerschlug er den Kürbis. Darauf rief er seine Diener und gab ihnen Befehl und sprach: »Nehmt Kohlen vom Herde und tragt sie zu Moßelampschas Grabe, zündet ein großes Feuer an und verbrennt alles, was darauf steht!« Die Diener aber taten, wie er geboten hatte. Und von Stund an war Ruhe im Dorf, und der Geist der Missetäterin blieb gebannt.


 << zurück weiter >>