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Eine Schar schwarzer Mädchen zog singend in den Wald, Reisig zu sammeln. Dort wohnte jedoch ein wilder Mann, der hieß Dimo. Die Kinder hatten wohl manchmal vom wilden Mann gehört, wußten aber nicht, daß es derselbe sei, der ihnen jetzt mit fröhlicher Stimme entgegenrief: »Kommt, ihr Kinder, ich werde euch ein schönes Liedlein lehren; ihr könnt dazu tanzen und lustig mit den Händen klappen!« Das gefiel den Mädchen, und sie gingen hin. Der ebenholzfarbene Mann begann denn auch gleich ein lustiges Liedlein, und die Kinder stellten sich händeklappend auf im Kreise. Mit ihren Füßen stampften sie tanzend und im Takt den Erdboden, daß die Messingringe an Hand- und Fußgelenken nur so klirrten. Da plötzlich nahm Dimo aus seinem Munde einen Zahn, der wuchs und wurde armlang. Und ehe die Kinder noch wußten, was eigentlich vor sich ging, hatte der Mann bereits eines der Mädchen mit dem Zahn zu Boden geschlagen. Ein großes Wehklagen erhob sich. Aber Dimo beschwichtigte die Schreienden und sagte: »Seid still, ich werde sie gleich wieder lebendig machen mit dem Zahn, der sie erschlug!«, hob die Tote auf und trug sie hinter seine niedrige Strohdachhütte. Dort fraß er sie auf. Als er wiederkam, tat er, als sei gar nichts vorgefallen, tanzte und sprang mit den Kindern im Reigen. Doch plötzlich hielt er wieder inne, nahm abermals den Zauberzahn aus seinem Munde und schlug ein zweites Mädchen nieder. »Weh, weh, weh!« schrien die Genossinnen der Erschlagenen und wollten fliehen. Dimo aber hielt sie zurück, tat verwundert und sagte: »Ich weiß auch gar nicht, was heute mit meinem Zahn los ist; doch seid ganz ruhig, die Tote mache ich schon wieder lebendig!« Sprach's und trug auch sie hinter seine runde, strohgedeckte Pfahlhütte. Die jüngere Schwester der Getöteten lief ihm aber nach und sagte: »Ich will doch sehen, auf welche Weise er sie lebendig macht!« Doch wie groß war ihr Schrecken! Dimo hatte sich hinter der Hütte in einen Löwen verwandelt und war gerade dabei, die Tote aufzufressen. Zitternd wie Espenlaub fuhr das Mädchen zurück, eilte zu ihren Gespielinnen und hauchte: »Kommt ganz leise heran und seht!« Auf den Zehenspitzen schlichen sie heran. Hu, wie erschraken sie! Der Dimo hatte sich wirklich in einen Löwen verwandelt und fraß den Leichnam der Erschlagenen. Da ergriffen sie alle die Flucht und liefen, so schnell ihre Füße sie nur tragen konnten. Aber o weh, der Fluß, der sie vom heimatlichen Dorfe trennte, war unterdessen angeschwollen. Es hatte gestern am oberen Ende desselben stark geregnet. Die Mädchen weinten heiße Tränen und liefen vor Angst am Ufer hin und her. Zuletzt erschien noch rechtzeitig die Hilfe. Am gegenüberliegenden Ufer erschien ein herrlicher Vogel, der Pfau; der erbarmte sich ihrer, flog herüber und nahm sie allesamt unter seine Flügel, also brachte er sie in Sicherheit nach dem anderen Ufer. Kaum war er drüben, da kam Dimo angelaufen; atemlos hielt er vor dem vollen Fluß, spähte den Strom hinauf und hinunter; aber die verfolgten Kinder konnte er nirgends entdecken. Schließlich fiel sein Blick auf das jenseitige Ufer. Er sah den Pfau. Alsbald schrie er ihn auch an mit seiner garstigen Stimme: »Halloh, Pfau!« »Was willst du von mir?« fragte dieser zurück. »Pfau,« fuhr der Mann fort, »sage an, hast du nicht Mädchen hier vorübergehen sehen?« »Ach,« versetzte der Gefragte, »was achten wir Pfauen auf Menschen, die vorüberlaufen; sage selbst, ist's nicht so?« »So sage mir die Zauberformel dieses Flusses!« schnaufte der Menschenfresser. »Die kenne ich nicht,« war die Antwort. Jetzt versuchte Dimo alle seine Künste, um dennoch über das Wasser zu kommen. Er beschwor es auf allerlei Weise, damit es ablaufen möchte; vergebens. Er warf alle seine Perlenketten und Ringe zum Opfer in die Flut. Sie trieben ab auf Nimmerwiedersehen, aber auch ohne irgendeine Wirkung auf den reißenden Strom auszuüben. Zuletzt beraubte er sich sogar seines einzigen Kleidungsstückes, des Schurzfelles, und warf es in die Wellen. Doch auch dieses Opfer vermochte nicht, den Fluß zu bezaubern. Er war und blieb voll. Da trat der Menschenfresser endlich vom Fluß zurück, wutschnaubend; im nächsten Augenblick hatte er sich in einen Löwen verwandelt. Der Pfau aber faltete jetzt seine Schwingen auseinander, hieß die Kinder aus ihrem Versteck hervorgehen und sprach: »Schaut da, jenseits des Flusses, da steht jener Mann, der euch verfolgte!« Die Kinder aber erschraken sehr, denn sie erblickten einen großen Löwen. Sie flüchteten schnell wieder unter die Flügel ihres Erretters. Der nahm sie auf und machte sich mit ihnen auf zum Heimatdorf der Kinder. Unterwegs begegnete er den Rinderhirten; sie hüteten die große Herde der Dorfbewohner. Beim Anblick des herrlichen Pfauen brachen sie in einen Ruf des Erstaunens aus und sprachen: »Bist du nicht der schöne Vogel, würdig, dem Könige zu Ehren getötet zu werden, ihm zum Schmuck seines Hauptes?« Der Pfau, welcher die Rede vernahm, erschrak und antwortete: »Nicht schlachten sollt ihr mich zu Ehren des Königs, ihm zum Federschmuck seines Hauptes; denn ich habe Kinder errettet; aus den schäumenden Fluten des großen Stromes zog ich sie; der Strom war voll Wasser; so erschrocken noch ist meine Seele, daß ich weinen und klagen möchte!« Die Schreier verstummten. Unbehelligt zog der stolze Vogel vorüber. Bald aber traf er auf die Ziegenhirten mit ihren Herden. Die Jungen rissen vor Staunen über die Schönheit des Vogels die Augen weit auf und lallten: »Ah, bist du nicht der schöne Vogel, würdig, dem Könige zu Ehren getötet zu werden, ihm zum Federschmuck des Hauptes?« Der Pfau antwortete stolz: »Ich bin nicht der schöne Vogel, den man zu Ehren des Königs schlachtet, ein Federschmuck seines Hauptes zu sein; Kinder habe ich errettet; aus den schäumenden Fluten des Stromes zog ich sie; noch bis jetzt ist meine Seele erschrocken, daß ich weinen und klagen möchte!« Die Ziegenhirten verstummten und ließen ihn unbehelligt vorbeigehen. Da begegnete er den kleinen Knaben mit der Herde der Ziegenlämmer. Die Bürschlein blieben starr vor Verwunderung über die herrlichen Federn des großen Vogels, der so ruhig und sicher an ihnen vorüberschritt. »Ach, welch schöner Vogel! Bist du nicht der schöne Vogel, den man zu Ehren des Königs schlachtet, ein Federschmuck seines Hauptes zu sein?« Sie erhielten die gleiche Antwort wie die Ziegen- und Rinderhirten. Endlich war das große Baßuthodorf erreicht. Im Tor saßen die Männer, nur mit Schurzfell bekleidet, und gerbten, der eine ein Dachsfell, der andere ein Schakalfell; der dritte nähte eine große Schlafdecke aus sechs gegerbten Tigerfellen, ein anderer eine Schlafdecke aus 28 Silberschakalfellen. Der Pfau aber flog auf einen der sehr hohen Pfähle, die – einer Palisade gleich – den Dorfeingang umgeben. Die dort aufgespießten Menschen-, Affen- und Ochsenschädel schreckten ihn nicht. Er schaute stumm auf die auf der Erde hockenden Männer nieder. Sie ließen gerade ein kleines hölzernes Gefäß, wie eine winzige Flasche aussehend, im Kreise herumgehen. Ein jeder schüttete sich aus derselben ein schwarzbraunes Pulver auf den Rücken seiner Hand und führte diese dann zur äußerst breiten Nase, worauf ein lustiges Niesen entstand, bis allen die Tränen in die Augen traten und sich backenabwärts ergossen. Einer der Männer hatte eben mit dem Rücken seiner Hand die größten Tränen aus seinen Augen entfernt, da erblickte er den Pfau hoch oben über'm Tor des Dorfes. »Ah!« sagte er und sperrte den Mund auf. »Ah!« sagten nun plötzlich auch alle übrigen, vergaßen selbst den Schnupftabak und starrten mit gläsernen Augen den schönen Vogel an. »Bist du nicht der schöne Vogel, würdig, dem König zu Ehren getötet zu werden, ihm zum Federschmuck seines Hauptes?« »Der bin ich nicht,« antwortete der Gefragte stolz; »aber Kinder habe ich errettet; aus den schäumenden Fluten zog ich sie; der Strom war voll; ich bin noch jetzt so erschrocken, daß ich weinen und klagen möchte!« Einer der Männer lief nun eiligst zum Häuptling und sagte ihm alles an. Der kam, so schnell es seine runde Gestalt gestattete. Ein Löwenfell wallte von seinen ebenholzfarbenen Schultern. »Ah!« sagte er, als er den schönen Vogel über dem Kraaltor erblickte, und ließ den Mund offenstehen, als solle der Pfau da hineinfliegen. »Ah, ja, du bist der schöne Vogel, würdig, getötet zu werden zur Zierde meines königlichen Hauptes!« Der Angeredete aber erwiderte: »Nicht um dir zu Ehren mich schlachten zu lassen, bin ich in deinem Tor erschienen; sondern als Retter eurer Kinder stehe ich vor euch; ich zog sie aus den schäumenden Fluten eines reißenden Stromes; erschrocken war mein Herz, als ich sie dort erblickte in ihrer Angst, es war zum Herzzerbrechen, wie sie jammerten!« Nun begriff der Häuptling und ließ sofort das große Kuhhorn blasen, damit alle Leute zusammenkommen sollten. »Auf zum Fest!« rief er, »schlachtet Rinder, kocht schmackhaften Hirsebrei, mahlt Schnupftabak auf den Mahlsteinen, vergeßt auch das Bier nicht zum kräftigen Trunk! Auf zum Fest zu Ehren des glückbringenden Boten!« Das gab ein geschäftiges Hin- und Herlaufen, bis alles vollendet war. Dann aber sandten mächtige Töpfe Fleisch bezaubernden Geruch in die harrende Volksmenge. Noch teilte sich ihre Aufmerksamkeit, wie man deutlich an ihren Augen sehen konnte, die bald der Richtung des süßen Bratenduftes nachgingen, bald voll Neugierde auf die Veranlassung des Festessens, den Vogel über'm Dorftor, schauten. Endlich gab der Häuptling dem obersten Rat das Zeichen, daß das Fest eröffnet sei. »König, Gebieter!« so wandte sich dieser alsbald an den Pfau, »der Mund des Löwen läßt dir sagen: Steig hernieder, wir haben dir ein Huhn geschlachtet, da ist es!« und damit wies er auf die umfangreichen Töpfe, aus denen der Dampf des Rinderbratens, Kaffersinn verwirrend, emporstieg. Da ließ sich der herrliche Vogel langsam herab von den hohen Pfählen des Dorftors, schwebte nieder auf die ausgebreiteten Strohmatten. Dann breitete er seine Flügel weit auseinander, und herausgingen im krausen Durcheinander alle die Kinder, die er so herrlich errettet hatte vor dem Menschenfresser Dimo. Da brach ein heller Jubel los; die Mütter umhalsten die vom Tode Erretteten, und die Kinderschar des großen Heidendorfes klatschte vor Freuden in die Hände und schoß Purzelbäume.
Aber zwei Kinder fehlten, und die Mutter stand abseits und weinte bitterlich. »Warum weinst du denn?« fragte teilnehmend eine Nachbarin. »Ach,« lautete die Antwort, »ich habe mich versündigt; als der Häuptling das Fest ausrufen ließ, dem Pfau zu Ehren, da habe ich verächtlich gespottet: Was kann solch dummer Vogel uns Gutes bringen! Und nun folgt die Strafe. Ihr alle habt eure Kinder wieder; nur die meinigen hat der Pfau nicht wiedergebracht!« Und bitterlich weinend ging sie von dannen.
Die übrigen aber feierten das Fest mit großer Freude, lobten und priesen den schönen Vogel.