Friedrich Hölderlin
Gedichte
Friedrich Hölderlin

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An Hiller

            Du lebtest, Freund! – Wer nicht die köstliche
Reliquie des Paradieses, nicht
Der Liebe goldne königliche Frucht,
Wie du, auf seinem Lebenswege brach,
Wem nie im Kreise freier Jünglinge
In süßem Ernst der Freundschaft trunkne Zähre
Hinab ins Blut der heilgen Rebe rann,
Wer nicht, wie du, aus dem begeisternden,
Dem ewigvollen Becher der Natur
Sich Mut und Kraft, und Lieb und Freude trank,
Der lebte nie, und wenn sich ein Jahrhundert,
Wie eine Last, auf seiner Schulter häuft. –
Du lebtest, Freund! es blüht nur wenigen
Des Lebens Morgen, wie er dir geblüht;
Du fandest Herzen, dir an Einfalt, dir
An edlem Stolze gleich; es sproßten dir
Viel schöne Blüten der Geselligkeit;
Auch adelte die innigere Lust,
Die Tochter weiser Einsamkeit, dein Herz;
Für jeden Reiz der Hügel und der Tale,
Für jede Grazien des Frühlings ward
Ein offnes unumwölktes Auge dir.

Dich, Glücklicher, umfing die Riesentochter
Der schaffenden Natur, Helvetia;
Wo frei und stark der alte, stolze Rhein
Vom Fels hinunter donnert, standest du
Und jubeltest ins herrliche Getümmel.
Wo Fels und Wald ein holdes zauberisches
Arkadien umschließt, wo himmelhoch Gebirg,
Des tausendjährgen Scheitel ewger Schnee,
Wie Silberhaar des Greisen Stirne, kränzt,
Umschwebt von Wetterwolken und von Adlern,
Sich unabsehbar in die Ferne dehnt,
Wo Tells und Walthers heiliges Gebein
Der unentweihten freundlichen Natur
Im Schoße schläft, und manches Helden Staub,
Vom leisen Abendwind emporgeweht,
Des Sennen sorgenfreies Dach umwallt,
Dort fühltest du, was groß und göttlich ist,
Von seligen Entwürfen glühte dir,
Von tausend goldnen Träumen deine Brust;
Und als du nun vom lieben heilgen Lande
Der Einfalt und der freien Künste schiedst,
Da wölkte freilich sich die Stirne dir,
Doch schuf dir bald mit ihrem Zauberstabe
Manch selig Stündchen die Erinnerung.

Wohl ernster schlägt sie nun, die Scheidestunde;
Denn ach! sie mahnt, die unerbittliche,
Daß unser Liebstes welkt, daß ewge Jugend
Nur drüben im Elysium gedeiht;
Sie wirft uns auseinander, Herzensfreund!
Wie Mast und Segel vom zerrißnen Schiffe
Im wilden Ozean der Sturm zerstreut.
Vielleicht indes uns andre nah und ferne
Der unerforschten Pepromene Wink
Durch Steppen oder Paradiese führt,
Fliegst du der jungen seligeren Welt
Auf deiner Philadelphier Gestaden
Voll frohen Muts im fernen Meere zu;
Vielleicht, daß auch ein süßes Zauberband
Ans abgelebte feste Land dich fesselt!
Denn traun! ein Rätsel ist des Menschen Herz!
Oft flammt der Wunsch, unendlich fortzuwandern,
Unwiderstehlich herrlich in uns auf;
Oft deucht uns auch im engbeschränkten Kreise
Ein Freund, ein Hüttchen, und ein liebes Weib
Zu aller Wünsche Sättigung genug. –
Doch werfe, wie sie will, die Scheidestunde
Die Herzen, die sich lieben, auseinander!
Es scheuet ja der Freundschaft heilger Fels
Die träge Zeit und auch die Ferne nicht.
Wir kennen uns, du Teurer! – Lebe wohl!

 


 


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