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Ugandabahnfahrt

So gegen dreitausend Kilometer Weg durch Nordafrika, auf eigenen und Reittierbeinen, hatten mich ein bißchen müde gemacht. Da ich in Äquatorialafrika noch einige weitere tausend zu machen gedachte, schob ich zwischen Mokadijo in Somaliland und Mombasa in Britisch-Ostafrika eine kleine Erholungsreise zur See ein.

Nachdem ich mir dann Mombasa gründlich angesehen, ein paar hundert Wörter der Suahelisprache aufgeschnappt und im Gedächtnis zum sofortigen Bedarf wohl geordnet hatte, begann ich ein anderthalbstündiges »Schauri« (Unterhaltung) mit einem indischen Schuhhändler über den Ankauf von einem Paar nägelbeschlagener, für die Ewigkeit fabrizierter Schuhe. Meine bisherigen Rappen waren von den scharfen Steinen der ägyptischen Wüstengebirge sehr mitgenommen; ich mußte sie in den sehr wohlverdienten Ruhestand versetzen. Der edle Hindu machte anerkennenswerte Anstrengungen, bei dem Geschäft ein hundertprozentiges Extraprofitchen herauszuschlagen, aber als ich zum drittenmal zum Laden hinaus war, rannte er mir mit einem Galopp nach, daß er seine Schnabelpantoffeln verlor, und gab mir die Schuhe doch noch für 13 Rupien anstatt 25. Hiermit dachte ich nun vollständig ausgerüstet zu sein, um die Nase nach dem Victoria-Njansa-See zu richten und in gewohnter Weise loszustiefeln. Leider war das ein kleiner Irrtum. Schon im Hotel hatte ich alle Farmer und sonstigen Kenner des Landes über die Verhältnisse ausgefragt, und was ich da hörte, war nicht sehr erbaulich; doch ich glaubte nicht alles und ging vor die richtige Schmiede, zu dem alten Einwanderungskommissar.

Aber der bestätigte mir alles.

»Ja, mein lieber Herr,« sagte er, »wenn Sie sich kein Gewehr kaufen wollen, so müssen Sie ein paar Polizeisoldaten mitnehmen und natürlich auch bezahlen. Die sind zum Schutz Ihrer Träger. Das ist ein Gesetz. Sie selbst, wenn Sie durchaus allein gehen wollen, können natürlich machen, was Sie wollen. Aber zwischen hier und Voi haben Sie fünf Tagesmärsche, wo Sie keinen Tropfen Wasser finden, und wie Sie das ohne Träger machen wollen, bin ich neugierig zu erfahren. Hierzulande kann man Fußreisen eben nur mit einer Karawane machen, und das kostet schweres Geld. Fahren Sie doch mit der Eisenbahn.« –

»Eisenbahn, Eisenbahn,« knurrte ich auf dem Wege vor mich hin, »erstens sieht und erlebt man da nichts, und zweitens« – mir stand immerfort die Summe von 150 Rupien vor Augen, die ich mal irgendwo als Fahrpreis gelesen hatte. Trotzdem lief ich nach dem Bahnhofe der Uganda-Railway, strich erst nachdenklich und mißtrauisch ein paar mal drum herum und nahm dann den braunhäutigen Schalterbeamten aufs Korn.

»– – Yes, Sir, erster Klasse 150 Rupie, zweite 75«, schnarrte der. –

»Und dritte?«

»Ist selbstverständlich nur für Eingeborene, Sir!« sagte er nach einer erstaunten Pause und guckte mich an, als ob ich ihn um einen Schilling hätte anpumpen wollen.

»Hören Sie mal«, knurrte ich, »das Wort »selbstverständlich« lassen Sie in Zukunft selbstverständlich weg, ich habe einen kleinen Abscheu dagegen.« Dabei sah ich das Männchen so liebevoll an, wie ungefähr ein hungriger Tiger ein Schaf. Er lächelte verlegen.

»Entschuldigen Sie, aber da ist ja noch »Intermediate«-Klasse, die ist billiger.«

»Intermediate? What's that?«

»O, sie ist eingerichtet wie die dritte, aber extra abgeteilt und für Europäer erlaubt. Sie kostet 35 Rupie bis Kisumu, Rückfahrkarte 52,50.«

Ich rechnete nach: 68 Mark, immer noch viel, aber dafür kann ich auch zurück, und das mußte ich sowieso; denn was ich hier über Fußreisen erfahren hatte, das galt auch, wenn ich durch Deutsch-Ostafrika zurückgehen wollte, und eine Bahn vom See aus gibt's da drüben noch nicht. –

Ich entschloß mich rasch: »Gut, ich fahre morgen nach Kisumu«.

»Allright Sir, ich werde Ihnen ein Abteil reservieren«, sagte das braune Männchen, machte einen Kratzfuß und verschwand.

Am Bahnhof gab's eine bunte, schreiende, wild durcheinander wirbelnde Menge, Europäer, Inder, Suahelis, Araber und Neger von allen Stämmen Ostafrikas. Ein wie eine Klappermühle schnatternder Inder versuchte hartnäckig einen ungeheuren hölzernen Bottich, in dem sich eine ganze Familie hätte baden können, mit in die dritte Klasse zu bringen. Er zerrte unaufhörlich schimpfend hinein, ein Schaffner zerrte am anderen Ende hinaus. Da kam der Zugführer gestürzt beförderte den Bottich mit einem Fußtritt hinaus, daß er polternd über den Bahnsteig rollte, und schickte den jammernden Besitzer mit einem zweiten Fußtritte hinterher. Am anderen Ende des Zuges schrie das braune Männchen:

»Hallo, hallo!«, winkte mir, schloß eine Abteiltür auf und rannte geschäftig davon. Als ich mich endlich bis zu meinem »reservierten« Abteil durchgedrängt hatte, war ich nicht wenig erstaunt einen Neger darin zu finden, der sich unterdessen darin eingerichtet hatte. Und wie der Kerl aussah! Er war vom Kopfe bis zu den Füßen mit Straußenfedern behangen; dieser »Anzug« repräsentierte ein kleines Vermögen. Um den Hals trug er eine Kette von kleinen weißen Knochen, um sich herum hatte er zwei große kupferne Trommeln, einen Sack und ein Leopardenfell aufgestapelt Ich war mir außer Zweifel: das war ein Medizinmann, wie er im Buche steht, er hatte wahrscheinlich eine Kunstreise aus dem Inneren nach der Küste gemacht. Der Kerl fühlte sich augenscheinlich in meinem Abteile ganz behaglich und grinste mich an wie ein Gorilla. Ich schmiß ihn natürlich sofort hinaus, machte mir's bequem und sah dem Treiben auf dem Bahnsteig zu, den die mit Holz geheizte Lokomotive mit beißenden Rauchwolken erfüllte.

Der Zug schoß sofort nach dem Abfahrtsignal in einem Tempo davon, als ob er jetzt schon ein paar Stunden Verspätung hätte. Ein kurzer Aufenthalt in Kilindini auf der anderen Seite der Insel, dann donnerten die Wagen über die hohe hölzerne Brücke, die den schmalen Meeresarm zwischen der Insel Mombasa und dem Festlande überspannt. Drüben ging's sofort steil bergan, rechts und links glitten Kokospflanzungen, Mais- und Zuckerrohrfelder und Bananenfarmen vorüber, dann folgten Kautschukpflanzungen – viele tausend Hektar waren in schnurgeraden Linien mit den schönen, schlanken, hellgrün belaubten Bäumen bepflanzt, aber zwischen den silbergrauen Stämmen wucherte mannshohes Unkraut, und die Schilfhütten der Pflanzungsarbeiter lagen still und verlassen im heißen Sonnenschein. Auch diese Pflanzungen waren durch den gewaltigen Preissturz des Kautschuks wie so viele Tausend andere lahmgelegt und wertlos gemacht worden! Weiter ging's über Hügel und kleine Ebenen; alle Stunden einmal gab's eine kleine Station, wo sehr notdürftig bekleidete Negermädchen Bananen, Milch und geröstete Maiskolben feilhielten. Die Sonne sank blutrot hinter ferne, hohe Berge hinab, und in wenigen Sekunden tauchte die Landschaft unter in dunkle, sternflimmernde Nacht. Dämmerung gibt es in den Tropen nicht,

In Voi war eine halbe Stunde Zeit, das in der Bahnhofswirtschaft bereitstehende Abendbrot einzunehmen. Ich benutzte die Zeit, um einen kleinen Spaziergang vor die Station zu machen sah aber außer Leuchtkäfern durchaus nichts und fiel auf der Wiese, auf die ich geraten war, aus einem Loch ins andere. Als ich zurückkam, stand ein Mann vor meinem Abteil, den ich nur an der Kleidung als Inder erkannte; seine scharf geschnittenen glattrasierten Gesichtszüge waren weißer als die meinigen. Er bat mich in ausgezeichnetem Englisch um die Erlaubnis, in meinem Abteil mitreisen zu dürfen; seine »Intermediate« hatte er zu spät bestellt. Ich nahm ihn gern mit hinein. Er war ein angenehmer und verhältnismäßig gebildeter Mann.

Eine Weile sah ich noch in die schattenhaft vorbeihuschende Landschaft hinaus, dann machte ich mir aus Mantel und Decke ein prächtiges Bett; mein Inder rollte sich wie ein Igel zusammen.

Der Zug raste mit 80 Kilometer Geschwindigkeit in die finstere, schweigende Wildnis hinaus, und obwohl der Wagen jetzt hoppste und sprang wie ein Ziegenbock, schliefen wir beide vorzüglich.

Gegen Mitternacht weckte mich ein Heidenskandal. Wir hielten auf der Station »Simba«, d. h. »Löwe«. Hier waren nacheinander drei Stationsvorsteher von Löwen gefressen worden. Der letzte hatte nachts nach der nächsten Station telegraphiert; »Haltet den Zug auf, ich kann nicht heraus und die Weiche stellen, denn vor meiner Tür sitzt ein Löwe!« Es war sein letztes Telegramm gewesen; am anderen Morgen fand man in seinem Dienstraum ein zertrümmertes Fenster und ein paar Blutflecken, von ihm selbst nie wieder eine Spur. Jetzt waren die Fenster vergittert und die Tür von Eisen.

Vor dem Bahnhofe lagerte eine Karawane abgelöhnter Träger, die nach ihrer Heimat, dem Kilimandscharobezirk, zurückmarschierten. Sie hatten einen Kranz von flackernden Feuern um ihr Lager brennen; drei Mann bearbeiteten sechs große dröhnende Trommeln, die anderen tanzten mit kurzen Schritten, Hüftenwiegen und Grimassenschneiden um die Trommler herum und stießen in regelmäßigen Zwischenräumen langgezogene, schrille Schreie aus. Es war ein wildes, phantastisches Bild; leider ließ es sich wegen der Dunkelheit nicht aufnehmen.

»Eine lustige Gesellschaft!« sagte ich zu meinem Inder.

»Oh no, Sir!« antwortete der »die sind weit gelaufen und würden lieber schlafen; aber sie haben Angst vor »dem Herrn mit dem dicken Kopfe«, wie die Araber den Löwen nennen!«

Weiter ging's durch Urwälder, in denen der Nachtwind rauschte, langsam steile Berge hinan und in rasender Geschwindigkeit in tiefe, finstere Täler hinab, über donnernde Brücken und weite, in tiefer Nacht schlafende Grassteppen. –

Der Morgen leuchtete schon über einer Kette ferner blauer Berge am östlichen Horizont; wir zwei standen vor Kälte zitternd am Fenster. Wir waren jetzt schon über 1000 Meter hoch, und wenn man seit Monaten an 40 und 50 Grad Hitze gewöhnt ist, so vermag man bei 15 Grad sehr wohl mächtig zu frieren.

Die Station »Kiu« konnte nicht mehr weit sein; wir freuten uns auf den heißen Tee, der uns dort erwartete. Da gab's plötzlich einen so gewaltigen Stoß, daß wir mit den Köpfen gegen die Wand flogen. Die Bremsen kreischten, und die Pfeife heulte plötzlich und schrill, wie erschrocken. Aus den Wagen dritter Klasse, die vollgepfropft mit Schwarzen waren, erscholl ein wahnsinniges Angstgeheul. Ich war mit einem Satze zum Wagen hinaus, der Zug hatte in voller Fahrt gebremst, er rollte noch ein paar Meter weit und stand. Weit vorn sah ich auf der Strecke im grauen Dämmerlicht ein paar Gestalten, die kleine Fahnen schwangen, angesaust kommen.

Ich blickte mich nach meinem Inder um, der mir immer als Dolmetscher diente. Zu meinem Erstaunen kam er auf allen Vieren am Damme heraufgekrochen; er war mir nachgesprungen, aber verkehrt herum, und darum hinuntergeflogen. Außer einem Brummschädel hatte er nichts davongetragen. Vorn erfuhren wir, daß ein Güterzug entgleist war, der hinter der Station auf ein Nebengeleis gewollt hatte, um uns auszuweichen (die Ugandabahn ist nur eingleisig) und uns nun den Weg versperrte. Die Station war nicht weit, und so zog bald eine Karawane von weißen und schwarzen Passagieren durch den taufrischen Morgen. Zähneklappernd rannten wir, ein paar hundert Menschen, in einer endlosen Schlange auf dem Bahndamme dahin, als ob der Teufel hinter uns her wäre. Bald hatten wir die Unfallstelle erreicht. Es war nicht so schlimm; nur zwei Wagen waren entgleist. Ein englischer Ingenieur, den ich fragte, sagte mir, daß es drei bis vier Stunden dauern würde, ehe wir weiter könnten. Ich war nicht böse darüber und beschloß sofort, einen kleinen Ausflug zu machen; ich hoffte, irgendwelches Wild auf die Platte zu bekommen.

Damit wurde es aber nichts, so hielt ich mich an weniger gefährliche Vierbeiner und knipste eine friedlich grasende Herde von Buckelochsen ah. Nach vier Stunden hatten die indischen und schwarzen Arbeiter die entgleisten Wagen wieder in den Schienen, und mit einer wahnsinnigen Eile raste der Zug durch die Parklandschaft. In weiter, sanftwelliger Steppe verstreut standen malerische Gruppen von Schirmakazien, mir unbekannte hohe, pinienartige Bäume mit eigenartig silbergrauem Laub und riesige Armleuchterkakteen. Dann und wann huschte noch in einem Kranze von Maisfeldern ein Eingeborenendorf mit grasgedeckten Hütten, aus der leuchtend roten Erde Ostafrikas zusammengeklitscht, vorüber, dann hörte auch das auf, es ging noch einige steile, waldbestandene Hügel hinan, und nun dehnte sich vor uns die tellerflache, grasige Hochebene, die »Athi-River-Plains« aus, von Horizont zu Horizont eine unendliche graugrüne, eintönige Fläche.

»Jetzt passen Sie auf«, sagte mein Reisegefährte, »das sind die Wildreservate!«

Und nun bekam ich etwas zu sehen, was ich noch nie geschaut hatte. Erst einzeln, dann in Trupps und zuletzt in ungeheueren, nach Tausenden zählenden Herden tummelten sich Gazellen, Antilopen, Busch-, Spring- und Wasserböcke, Gnus und Säbelantilopen, Büffel und Zebras auf der weiten Ebene. Nur einige Meter vom Zug entfernt standen die starken gelben Buschböcke und sahen uns aus großen glänzenden Augen an, zwei zottige junge Büffel kamen mit gesenkten Hörnern in mutwilligem Spiel auf den Zug losgeschossen und blieben greifbar nahe plötzlich stehen; von einer Straußenherde löste sich ein gewaltiger Bursche los und raste wenigstens 10 Minuten lang neben dem Zuge her, bis er plötzlich anhielt und ruhig weiter graste; junge Zebras feuerten auf possierliche Weise mit beiden Hinterbeinen gegen den Zug aus und trollten mit grotesken Sprüngen davon. Zeitweise war der Horizont eine einzige wogende Masse von Gazellen und Antilopenherden, und einmal hatte ich das Glück, ein riesiges Nashorn zu sehen, das aus einem Tümpel Wasser nahm. –

In vier Stunden hatte unser Zug diesen wundervollen Tierpark durcheilt. Dann tauchten riesige Viehfarmen zu beiden Seiten der Bahn auf, bedeckt mit zahllosem grasenden Rindvieh, dann Wellblechschuppen, einzelne Häuser, Eisenbahnwerkstätten, und wir waren in wenigen Minuten aus einer urwüchsigen Wildnis in eine aufblühende Großstadt, Nairobi, die Hauptstadt Britisch-Ostafrikas, gekommen. Hier wollte ich für einen Tag Aufenthalt nehmen, klemmte als einziges »Gepäck« meine Kamera unter den Arm, das andere gab ich in die Aufbewahrungsstelle, bestellte für mich und meinen Inder, der morgen auch nach Kisumu weiter wollte, ein »Intermediate«-Abteil und zog los, um mir den Platz zu besehen. Es war wirklich nicht viel Bemerkenswertes. Alles sah sehr neu aus – der Ort Nairobi ist erst fünfzehn Jahre alt – alles sehr vorläufig, unter reichlicher Verwendung von Wellblech, Holz und Pappe erbaut, aber überall bemerkte man zielbewußtes Vorwärtsstreben, Bauen und Arbeiten, um aus den unerschöpflichen natürlichen Hilfsquellen dieses reichen und wilden Landes Geld und Behaglichkeit zu schaffen. Es machte einen eigenartigen Eindruck, wenn man neben urwüchsigen Ochsenkarren, halbnackten speerbewaffneten Negern und drängenden Viehherden auf einmal Automobile, Motor- und Fahrräder durch die schlammigen Straßen sausen sah, daß der Dreck aufspritzte, und neben kristallblitzenden hocheleganten »Bars« sich elende Schlammhütten von Negern duckten.

Ich wohnte in einem kleinen Hotel am Eingange der »Mainstreet«, in der es Kinos, Cafés, Warenhäuser und alle Errungenschaften moderner Kultur gab, und dabei heulten in der Nacht aus einem schlammigen, buschbestandenen Platze vor meinem Hotel ganz gemütlich ein paar Schakale.

Am Vormittag des nächsten Tages kam ich gerade noch rechtzeitig auf den Bahnhof. Mein Inder war schon da, und fünf Minuten später fuhr der Zug hinaus.

Wieder rollte die Landschaft wie gestern vorüber, Wälder und Grasebenen, Berge und Täler, Negerdörfer und Pflanzungen mit Kaffee-, Sisalhanf- und Baumwollkulturen. An einer Station tauchten plötzlich ganz andere Neger auf, als ich bis jetzt gesehen hatte. Es waren wunderschön gehaute, kräftige, große Menschen von mehr roter als schwarzer Hautfarbe, manche halb, die meisten ganz nackt. Die Männer trugen alle breitklingige Speere und kurze, schwere Schwerter; was ihnen aber das fremdartige, wilde Gepräge gab, war ihr Haar. Es war länger als das anderer Negerstämme und durch und durch mit einer Mischung von blutroter Erde und Fett eingeschmiert, so daß es eine feste, glatte, rote Masse gab. Ich sprang auf jeder Station heraus und beschlich sie mit meinem Apparate wie ein alter Indianerhäuptling auf dem Kriegspfade; sie liefen nämlich stets davon, wenn sie merkten, daß sie geknipst werden sollten. Das tun übrigens fast alle wilden Völker, da sie sich vor dem »bösen Blick« der Kamera fürchten.

Noch eine Stunde bergab, immer bergab, dann funkelte wie ein blau aufleuchtender Blitz aus tiefem, grünem Tale der Victoriasee empor. Endlos wie ein Meer dehnte sich die Wasserfläche dieses größten Binnensees der Welt (er ist so groß wie Bayern) im goldenen Morgensonnenglanze aus. Mit steifen Beinen kletterten wir aus dem Zuge. Ein Beamter fragte mich sehr zuvorkommend, ob ich in den Gasthof gehen oder den sogenannten »Dak-Bungalow« (ein der Eisenbahn gehöriges Unterkunftshaus) benutzen wollte. Die erste Nacht ist frei, die zweite kostet zwei Rupie. Natürlich machte ich von dieser schönen Einrichtung Gebrauch und war in einer Viertelstunde schon in einem hübschen Zimmerchen des Bungalows wie zu Hause. Hier sah ich auch die splitternackten Neger wieder, die mir schon unterwegs aufgefallen waren. Es sind Kawirondo; sie bewohnen alles Land östlich des Victoria-Njansa. Die englische Regierung, die Missionen und Schulen, bohren schon seit Jahrzehnten an diesen unglaublichen Kawirondo herum, aber auf irgendwelches Schamgefühl ist der Bohrer in ihren verstockten schwarzen Seelen noch nicht gestoßen. Wohl aber nach übereinstimmendem Urteil auf eine erstaunliche Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit im Charakter dieser Neger und auf einen stark ausgeprägten Familiensinn, der in seiner Achtung und Ehrfurcht den Alten gegenüber geradezu rührend ist. Vor einigen Jahren fuhren einige englische Damen, die einer menschenfreundlichen Gesellschaft angehörten, nach dem Victoriasee, sahen diese Negerlein in ihrer unschuldigen Nacktheit prangen und sagten sich, daß hier vielleicht weniger durch Belehrung, als durch praktisches Handeln Abhilfe zu schaffen wäre. Auf ihr Betreiben hin wurden also in England Gelder gesammelt, dafür Tausende von schön knallrot gefärbten Wolldecken gekauft und diese nach Kawirondoland verschifft und dort unentgeltlich an die schwarzen Adame verteilt.

Nach etwa einem halben Jahre forderten die Geber Bericht über den Erfolg der Kawirondobekleidungsaktion ein. Der kam und lautete: »Die Kawirondo haben mit Dank und freudigem Grinsen die Decken in Empfang genommen und tragen sie auch. Aber leider nur als Turban um die Köpfe geschlungen. Alles übrige am Kawirondo ist nackt, wie es immer gewesen ist.«

Von meinem Dak-Bungalow aus sah ich jeden Tag die zum Markte nach der Stadt kommenden Kawirondo in langen Karawanen die Berge herabsteigen, auf dem Kopfe einen Korb mit Landesprodukten, die sie verkaufen wollten, am Körper Schmuck und Waffen, doch sonst nichts. Aber siehe da, dicht vor meinem Hause war ein Gebüsch, dort hinein verschwand erst einmal jeder Ankommende, nachdem er seinen Korb abgestellt und etwas herausgenommen hatte. Nach ein paar Augenblicken kam er, angetan mit einem niedlichen Lendenschurze, wieder heraus, nahm seinen Korb auf und zog sittsam bekleidet zu Markte. Dort gab es nämlich nach einer Polizeiverordnung für jeden Nackten eine Tracht Prügel und keine Verkaufserlaubnis. Zu Mittag war der Markt zu Ende; die Kawirondo verließen die Stadt, und da ging die Sache mit dem Gebüsch, Korb und Lendenschurz noch einmal los, aber umgekehrt. Der verhaßte Schurz wurde herabgerissen, in den Korb gelegt und dieser selbst oben hinauf auf den Kopf gepackt, und in ihrer so geliebten stolzen Nacktheit zogen sie über die sonnigen Höhen wieder in die heimatlichen Dörfer zurück.


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