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Der große transatlantische Passagierdampfer der Holland-Amerika-Linie verließ Hoboken, den Hafen von New York. Es gab das gewöhnliche Lebewohlrufen in einem Dutzend Sprachen, Abschiedsszenen, Tücherschwenken, Tränen und Blechmusik der Stewardkapelle. Auf den Promenadendecks drängten sich elegante Passagiere. Ganz zuletzt kam noch ein Trüppchen sonderbarer Gestalten, angeführt von einem pfiffig dreinblickenden Yankee. Der handelte mit solchen Gestalten, das Stück drei Dollar. Es waren Menschen, die das Dollarland auf seinen Strand gespien hatte. Schiffbrüchige des gierigen, raffenden Lebens, das man drüben lebt. Auch wohl einige, die etwas erübrigt hatten und es der Schiffahrtsgesellschaft nicht geben wollten. Er verkaufte sie alle, die »Hand« drei Dollar. Sie mußten die Heizer und Kohlenzieher ersetzen, die der Nimbus Dollarias angesaugt hatte wie ein Exhaustor den Staub. Dafür bekamen sie freie Überfahrt, genügend Brot und Margarine, um arbeiten zu können, und zwei Dollar »Lohn« im Heimathafen; das ist Gesetz.
Irländer, Holländer, zwei Polen, noch in den heimischen Schaftstiefeln und mit schweren Koffern bewaffnet, ein versoffener Skandinavier, ein Spanier, der mit furchtbarer Geschwindigkeit Zigaretten drehte und rauchte, zwei gute Moslems, Hammeldiebe aus Albanien, und noch einige andere von fremdartigem Aussehen, die eine unchristliche Sprache redeten und resigniert vor sich hin glotzten. Dann noch zwei baumlange, knochige Deutsche mit Gesichtern so braun wie ein alter Stiefelschaft und ebenso dürr und ausgetrocknet. Allen hatten Enttäuschungen und Not eine Geschichte ins Gesicht geschrieben, die man nur abzulesen brauchte. – Der Yankee lieferte seine Ware ab, bekam einen Lieferschein und verschwand mit pfiffigem Lächeln. Die Namen wurden aufgeschrieben, dann wurde der Trupp verteilt. Die beiden Deutschen kamen auf ihre Bitte zusammen in ein Logis und bekamen den Spanier mit, der immer noch qualmte wie ein Räucherkerzchen.
Jetzt steckten sie hier unten im Heizraum. Der Spanier hatte vor Schreck die Zigarette fallen lassen, als sie die endlosen, heißen Treppen hinuntergestiegen waren, die sie zuletzt mit den Taschentüchern angreifen mußten, und nun in Halbdunkel und Höllenhitze vor dem wütenden Lodern der Kesselfeuer standen. »Santa Madonna, el inferno!« murmelte er und drehte sich mechanisch eine neue Zigarette. Da schrie eine Stimme aus rotglänzendem Gesicht ihm etwas zu, eine riesige Faust nahm dem zierlichen Kerlchen das Röllchen weg, tat selbst ein paar Züge, und es flog wie ein Leuchtkäfer davon. Die Faust zog den Spanier hinter sich her nach einem dunklen, gähnenden Loche zwischen den Kesseln. Der Jüngere der Deutschen wurde von einem dicken Maschinisten in den Maschinistenraum genommen, den anderen zog ein hagerer Bursche mit sich fort.
Er lächelte über das Kauderwelsch des Holländers. »Mich sprechen nicht Deutsch, aber Englisch sehr gut! – Haben gewesen arbeitend auf englisch Schiff. Wie ist der Name?« – »Fred,« sagte der Deutsche. »Wieviel Feuer haben wir?«
Den Holländer verließ bei dieser Zahl sein sehr gutes Englisch. Er streckte nacheinander achtzehn Finger in die Höhe und kletterte dann eilig über einen Haufen Kohlen und Schürhaken hinweg.
»Haben schon Trimmer gewesen du?«
Fred nickte; der Holländer grinste freundlich und schuftete drauf los. Dann sprang er fort und holte einen leeren Wagen. Er spuckte in die Hände, stemmte sich ein und fuhr mit dem beladenen ab, seine Holzschuhe klapperten eilig auf dem eisernen Boden. Mit gleichmäßigen, schnellen Bewegungen schippte unterdessen Fred seinen Wagen voll. Der andere kam leer zurück, wischte sich den strömenden Schweiß aus dem Gesichte, nahm einen Schöpflöffel voll Wasser aus dem aufgehängten Wassereimer, in dem eine schwarze Staubschicht schwamm, trank und verschwand wieder polternd nach den Feuertüren zu, die wie die Augen eines Ungeheuers rötlich glühten. Immer in Eile. Der Vorrat vor den Feuern durfte nie alle werden!
In den Heizräumen der Passagierdampfer herrscht das Faustrecht. Kohlenschaufeln, Holzschuhe und Leibriemen sind die Mittel, die Arbeitskraft bis auf den letzten Rest gründlich herauszuholen.
An der Tür stand der Oberheizer, ein junger, kräftiger Mann mit sehr energischen Zügen, der einzige, der eine Bluse auf dem Oberkörper hatte. Er sah nach der Uhr im Lederarmbande. »Rure!« rief er laut und hell und trommelte einen förmlichen Marsch mit einer kurzen Eisenstange auf dem Boden. »Rure!« antwortete es aus den anderen Heizräumen, begleitet vom selben Marsche. Krachend flogen die Feuertüren herauf, weißglühend flammte es, lange Eisenstangen fuhren in die glühenden Rachen, lockerten die zusammenbackenden Schlacken. Rotglühend an den Enden, wurden die Stangen zurückgerissen; zuckende Reflexe huschten über sechs gebeugte, nackte Rücken, und sechs Schaufeln fuhren gleichzeitig knirschend in die Kohlen. Dann fraßen die Feuer, hungrig knisternd, vier, fünf Schaufeln voll. Die Türen klappten herunter, jeder Heizer nahm sein zweites Feuer, lockerte und fütterte es, dann das dritte. Mit einem schmetternden Schlage flogen die Türen in allen Heizräumen fast gleichzeitig zu, und triefende, keuchende Männer sprangen unter den eisigen Luftstrom der Windhuzen.
»Hallo!« schrie der Oberheizer Fred zu, »komm und hole Trinkwasser!« Fred warf einen besorgten Blick auf seinen halbgefüllten Kohlenwagen und riß den Eimer vom Haken. Der Oberheizer ging ihm rasch voran in den Maschinenraum, Hier war ein Hahn am Tank. Wie der Deutsche den Eimer voll ließ, huschte sein Freund an ihm vorbei. Er sah schon furchtbar verschmiert aus, lachte aber im Vorbeigehen. »Ich muß hier reinmachen, ganz schöne Arbeit, aber verflucht heiß ist's hier.« – »Heiß?« lachte Fred. »Komm mal rüber zu uns. Das hier ist der reine Eisschrank dagegen.« Er rannte im Laufschritt hinaus, daß ihm das Wasser in die Pantoffeln schwappte. Er hätte gern selbst einmal getrunken, aber hinten am Bunker schaufelte sein Kollege wie rasend, den Wagen vollzubringen. Er sprang hinter und half mit.
Der Holländer spuckte etwas aus, so schwarz wie Tinte, rang sein klitschendes Schweißtuch aus, trocknete sich flüchtig das Gesicht ah, schlang es wieder um den Nacken und fuhr ab. Der Deutsche warf in größter Geschwindigkeit den Wagen voll, er troff und tropfte von Schweiß. – »Sleisse!« rief der Oberheizer und trommelte seinen Marsch. Da packten die Heizer lange Schürhaken, fuhren damit in die Flammen und brachten große, funkensprühende Schlackenschollen heraus. Sie fielen vor den Feuern nieder, Rauchwolken wälzten sich durch die heiße Luft, die Gestalten der Männer verschwammen in rotleuchtendem Qualme. Fred trank einen Schluck, er sah die mit Holzschuhen bekleideten nackten Füße der Feuerleute gleichmütig in den aufzüngelnden Flammen tappen, der Rauch drang ihm stechend in die Lungen, ein Schwindelgefühl überkam ihn. Matt von unendlichem Schwitzen stolperte er nach dem Bunker, beherrscht von dem Gedanken an seinen noch leeren Wagen. Der Schweiß rann ihm in Bächen über den nackten Oberkörper, er biß die Zähne zusammen, dort – nein, dort war doch der Bunker! Was war das? Ein Gefühl furchtbarer Todesangst klemmte ihm die Brust zusammen, er stolperte einigemal mit verwirrten Sinnen im Kreise herum. Warum brannten die Lampen plötzlich so trübe? Jetzt gingen sie ganz aus. »Verfluchte Schwäche!« knirschte er; die Schaufel entfiel seiner Hand. Er griff haltsuchend in die Luft – da, ein furchtbarer Stoß in die Kniekehlen, er wurde vorwärts geschleudert, ein Knall im Kopfe, als würde ein Gewehr drin abgeschossen, dann wurde es Nacht. – Hinter seinem Wagen würgte der andere Trimmer. Er stemmte seinen hageren Körper ein, schob stöhnend und verbissen wie ein Stier. Es ging nicht »God verdoeme!« Er sprang vor und bückte sich nach dem Hindernis. »God soll mij verdoeme!« – Vor den Rädern lag sein Partner! Er zerrte ihn aus dem Wege unter eine Lampe und rief. Der Oberheizer kam, sie faßten den Bewußtlosen und legten ihn auf einen Kohlenhaufen. Der Trimmer sauste mit dem Wagen nach dem Bunkerloche und schippte rasend los. Jetzt hieß es den zweiten ersetzen! – Ein Heizer brachte einen Eimer Seewasser und goß es dem Ohnmächtigen über den Kopf. Der Oberheizer betastete die nassen Haare: da schwoll eine runde, hohe Beule auf. Der Heizer sah Blut am linken Fuße, es kam von einer bösen, tiefen Schmarre am Knie herabgelaufen.
»Ho, ist das mein Landsmann?« fragte eine Stimme aus einem dicken, rosigen Gesicht. Es war der dritte Maschinist, er brachte die übliche Ration Genever, jedem Manne zwei Glas voll. Fred bekam die Pulle angesetzt, er hustete, schluckte und stand unsicher auf. »Was ist los?« fragte er erstaunt. »Au,« er griff sich nach dem geschwollenen Schädel. »Hier, trink! – Dicke Luft hier unten und ein bißchen warm, nicht?« – »Na, müßt es erst gewohnt werden.«
Fred trank einen Schluck, nahm seine Schaufel auf und sprang, ohne noch ein Wort zu verlieren, vor das Bunkerloch. Er warf mit den Händen einen Haufen großer Kohlenstücke in den Wagen, das machte ihn schnell voll. Der Oberheizer kam hin und sah eine Weile stumm zu; aber Fred sah zum erstenmal einen wohlwollenden Zug auf seinem Gesichte. – Jetzt wechselten die beiden. Fred schob den Kohlenwagen vor die Feuer, kippte ihn um und rannte zurück, immer im Trabe, mit der Sekunde geizend. Alle drei Minuten trommelte die Stange des Vormanns »Rure«, dann »Sleisse«, immer abwechselnd.
Fred rechnete: aller drei Minuten in jedes der achtzehn Feuer fünf Schaufeln Kohle, die wollten herangeschafft sein! »Also spring, Trimmer,« flüsterte er im Laufen. – Der trocknende Speichel bildete mit dem Kohlenstaub einen zähen Schleim auf Lippen und Zunge, Schweiß biß in die Augen und rann in hüpfenden Tropfen und Rinnsalen über die staubbedeckte Haut, sein Knie schwoll an und wurde steif, und der Kopf brummte wie die Dynamo drüben. Aber ja nicht schlappmachen! Er wußte, daß es von den Heizern hier unten Prügel und oben Schikanen aller Art gab, wenn Kohle fehlte. Von denen wurde Dampf, von ihm Kohlen verlangt. – Der Oberheizer kam herbei. »Gleich wird die Asche weggeschafft,« sagte er, »haltet euch dazu, daß ihr einen Vorrat von Kohlen vor die Feuer bringt. Dann ist Freiwache!«
Die beiden Trimmer arbeiteten wie verrückt. Sie brachten es fertig, vor jeder Tür ein Häufchen Kohlen anzusammeln. Aber die Lungen der beiden arbeiteten fliegend und röchelnd vor Anstrengung, Staub und Hitze. Adern und Sehnen traten wie Stricke aus den Armen, und ihre Knie zitterten. – Ein schallender Ruf in gurgelndem Holländisch tönte durch das brausende Lied der Arbeit. Dann die Wiederholung in englischer Sprache für die anderen Nationalitäten. »Reinigt die Feuer!«
»Nimm die Karre, zweiter Heizraum, Asche holen, dort!« schrie Freds Kollege und wies auf das Loch zwischen den Kesseln. Der Deutsche fuhr polternd darauf los. Zwischen den Wölbungen zweier Kessel führte der Gang hinüber. Ein singender Luftstrom fauchte ihm entgegen, er schloß unwillkürlich für einen Augenblick die Augen.
Eng, finster und schaurig heiß war es. Er hörte Wasser und Dampf hinter den vibrierenden Eisenwänden summen. Da war er durch. Eine glutübergossene Gestalt stand vor einem geöffneten Feuer. Ein holländisches Wort schlug an sein Ohr, der Deutsche verstand nicht. Der Heizer riß den Schürhaken aus der Glut und stieß mit dem Fuße in die hochaufsprühenden Schollen vor ihm. Da wußte er, was zu tun war. Wütend schaufelte er die Feuerkuchen in den Wagen, machte einen Haufen darauf. Dem Heizer war es noch nicht genug, er deckte noch eine riesige, flammende Platte darüber und half mit anschieben. »Happ!« machte er und hielt den Deutschen vor dem Gange zurück. Da drinnen wälzte sich der Rauch entlang wie in einer Feueresse. Fred begriff, »Happ!« machte auch er, holte tief Atem und fuhr hinein. Herrgott, wie das in den Augen brannte. Seine feurige Ladung strömte eine furchtbare Glut aus, er fühlte, wie es ihm Haar und Wimpern sengte. Blutrot war der Qualm vor ihm, die Flammen gaben Licht. Er keuchte, ihm wollte die Brust zerspringen vor Anstrengung und Luftmangel. Da sprang der Wagen polternd über einen Schlackenhaufen, der Fahrer holte pfeifend Atem, die Räder prallten klirrend drüben an die Türe des Maschinenraums und standen. – Da war ein neues Geräusch, ein zischendes, drohendes Brüllen im Boden. Im gleichen Takte flogen fünf Schaufeln, heiße, stiebende Asche und dunkelrote Schlacken vereinigten sich zu einem flimmernden Strome, der durch ein Loch im Boden verschwand. Dort kam das Brüllen herauf. – Das Loch ging durch den Schiffsboden in die See. Unten drehte sich blitzschnell ein Flügelrad, zerhackte die Schlacken, preßte sie hinunter und ließ das Wasser nicht herauf. Aber manchmal kam ein zu großer Happen. Dann knirschte und würgte es, rauschend schoß eine baumstarke Wassersäule herauf, klatschte über die schaufelnden Trimmer und die zischenden Schlacken, ein Ruf, die Schaufeln ruhten, ein starker eiserner Deckel glitt über die wilde und doch so herrlich kühlende Schlammfontäne, und ruhig hantierte der Vormann am Hebel, ließ das Rad vor- und rückwärts gehen, bis ein hohles Sausen verkündete, daß es Sieger über das Wasser geworden war. Dann flog der Auswurf der Höllenfeuer wieder hinein. Fred hatte sich an seinem Wagen verschnauft, nur ein paar Sekunden, »Look out!« schrie er, kippte die Ladung um, nahm einen Luftvorrat und ratterte wieder in den Rauch.
Ein Trimmer fuhr an dem Deutschen vorüber, beleuchtet vom Feuerschein seiner Ladung. »Der kleine Spanier! Armer Teufel, wie wird er durch den Gang kommen!« Ein langer Kerl rannte in den Gang. Fred folgte mit dem Wagen, sprang im Fahren über einen flammenden Haufen hinweg und schoß in wahnsinnigem Tempo in den Gang hinein. Lieber den Kopf zerschmettern als ersticken!
»Look out!« Donnernd pflanzte sich der Ruf an den Kesselwänden fort. Er schoß darüber hinaus, es klirrte und krachte, die Hälfte seiner Ladung flog heraus und zischte wütend in dem schwappenden Seewasser, das im Raume auf und nieder kroch. Vorne war was los; sie hatten ihm eine Stange ins Rad geworfen! – »Mister Lookout kommt heraus wie der Teufel,« lachte ein riesiger Heizer. Aber er war stolz auf den Trimmer. Der war ein anderer Kerl als der Dago »Dago« ist der Spitzname aller romanischen Nationen bei den nordischen Seeleuten.. Den hatte ein Kollege von drüben halberstickt aus dem Gange gebracht. Er hatte ihm auf den Armen gehangen wie ein totes Kaninchen. Sie zerrten ihn gerade durch die Tür des Maschinenraums. – Fred wischte sich stöhnend mit der nassen Hand über das schmerzende Gesicht. Die Haut war ihm vor Hitze aufgesprungen. Sie warfen seine Karre um, aus dem Rauche tauchte ein lächelndes Gesicht und ein Schöpflöffel voll Wasser auf. Fred goß es hinunter. Er hätte aufschreien mögen vor Freude über diese Wohltat. – »Danke!« sagte er aufatmend. – »Oh, bitte sehr!« antwortete der Heizer in fließendem Deutsch. – Fred hatte keine Zeit, sich zu wundern. Wieder fuhr er los, holte Asche und Schlacken Wagen um Wagen, immer im Galopp, ohne Gedanken, fast ohne Besinnung. – »Der letzte,« schrie ihm einer zu. Die Asche war alle, vier Stunden, eine Wache, waren um. Hinter seinem leeren Wagen sank der Deutsche auf einen Kohlenhaufen und keuchte schwer. – Ein Schwarm dunkler Gestalten klapperte in Holzschuhen die Treppen herunter. Fred stand ächzend auf, sein Kamerad stützte ihn, sie kletterten hinauf. Unten tosten Feuer und Maschinen in dämmerndem Halbdunkel, ein brausender, glühender Hauch drang durch die Gitterdecke und stand im Sonnenscheine zwischen den gelben Rundungen der Schornsteine. Ein eisiger Luftstrom pfiff an den beiden vorüber, als sie in den Gang des Mitteldecks traten, sie holten tief und freudig Atem. Aus einer Türe winkte ein nackter, schwarzer Arm, dort war der Waschraum. Drei große Holzbottiche mit warmem Wasser standen in der Mitte, tropfende, nackte Männer plätscherten darin herum und rieben mit Lappen und Schmierseife die schwarze Schicht von den muskulösen, mit Malen ihrer Arbeit bedeckten Körpern. – »Du mutt you ook en beten Smerseep geve late. De Officier van de Maschine geves het!« sagte ein kurzer, dicker Heizer in merkwürdigem Kauderwelsch, hielt aber beiden kameradschaftlich seinen gefüllten Seifennapf hin. Die Deutschen hatten ganz gut verstanden, dankten und warfen die nassen, schmutzigen Sachen ab. Rein wurde niemand in dem dicken Schlammwasser, in dem sich zwanzig Mann wuschen. Aber das Gröbste ging doch herunter. Sie schlangen sich die Hosen um die Hüften und rannten im Laufschritte durch den kalten Gang nach dem Volkslogis. Der Schmierer hatte einen kleinen Verbandskasten, reinigte und verband Freds Wunde. – »Sie sagen, du hast gut gearbeitet, da helfen wir jedem!« – Der Deutsche lächelte und bedankte sich. »Was ist mit dem Spanier?« fragte er. – Der arme Bursche lag mit weißem Gesicht und schwer atmender Brust auf den rohen Brettern, ohne Matratze und Decke. Die Deutschen packten ihn in eine von ihren Decken ein. Sie hatten gewußt, was sie an Bord brauchten, und sich in Hoboken mit dem Nötigsten versehen. – »Kommt der Doktor und sieht nach ihm?« fragte Karl. Fred lachte bitter. – »Der Doktor?« lachte auch der Rotbart, »ja, mein Junge, der kommt erst, wenn man tot ist, und stellt den Totenschein aus.« Er spuckte grimmig aus. »Gemeldet hat's ihm mein Maschinist aber immerhin.« – Im Speisesaal war es hell und leidlich sauber. »Der Krumme«, ein Trimmer mit schiefem Beine, der auf einer früheren Reise im Bunker verunglückt war, brachte große Bleche voller Schmorkartoffeln, Fleisch, das von der Tafel der Passagiere übriggeblieben war, und zerlassene Butter. Es schmeckte leidlich. Die Kost ist auf holländischen Schiffen immerhin besser als auf deutschen. – Unter lärmender Unterhaltung und ziemlich blutigen Witzen aßen sie. Das Fleisch wurde streng gerecht verteilt, ohne Ansehung der Person. Sie machten auf der fettig glänzenden Tischplatte soviel Portionen daraus, als Leute da waren. Einer hielt dem Krummen die Augen zu, und der älteste Heizer rief: »Wem ist das?« Der Krumme nannte einen Namen, und der Betreffende holte es sich in seinen Napf. »Wem ist das?« – »Mister Lookout!« Klatsch, flog ein handgroßes Beefsteak in Freds Schüssel. Er hatte seinen Spitznamen weg. – Fred ging zu dem Heizer und fragte, ob der Dago auch etwas abkriegen sollte. Da teilte er die letzten vier Portionen, machte fünf daraus und sagte etwas auf Holländisch. Der Rotbart übersetzte es ins Englische. »Du sollst es ihm mit nach vorn nehmen; wenn er es nicht will, sollst du es essen, weil du genug Kohlen gebracht hast!« – Die Holländer verschlangen unglaubliche Mengen, und die beiden Polen, die mit zur Wache gehörten, taten ihr möglichstes, mit ihnen gleichen Schritt zu halten. Aber während der eine noch schmatzend braune Butter mit dem Löffel aß, sank ihm plötzlich der Kopf schwer in die Schüssel, und er schlief ein. Sie hatten ihm da unten jedenfalls einen Begriff von der Seefahrt beigebracht. Zuletzt gab es noch gutschmeckende Margarine und frisches Brot. – Die Deutschen schafften dem Spanier Fleisch, Brot und heißen Tee in das Logis. Er schlief ruhig. Sie wollten ihn nicht wecken, stellten es ihm auf das Bordbrett in der Koje und gingen. Die meisten ihrer Kollegen lagen rauchend oder schlafend in ihren Kojen, ein paar spielten mit wütenden »God verdoemes« Karten. – Nach und nach wurde es ruhig im schwülen Dunste. Die Männer mußten die achtstündige Pause ausnutzen, um Kräfte für ihre furchtbare Arbeit zu sammeln. Dann und wann stöhnte der Spanier in seiner Koje, oder ein Verspäteter kam polternd in seinen Holzschuhen hereingeklappert. – Eine Faust rüttelte Karl wach. »Du mußt aufstehen, Kaffee holen, denn du brauchst nicht zu trimmen!« Schlaftrunken stand er auf. Das erste, was er sah, war ein blauer Streifen, der aus der Koje des Dagos schwebte. Er ging hin und sah zu seinem grenzenlosen Erstaunen den Spanier dasitzen und Zigaretten rauchen. – »Mann, du hast ja eine Natur wie eine Katze! Schmeckt's denn schon wieder?« fragte er. »O ja, ich bin zäh, bin ja neun Jahre Vaquero (Rinderhirt) gewesen, unten in Neu-Mexiko. Jetzt kann ich wieder in meine Heimat zurück. Und ich will mein Spanien sehen, ich werde hier nicht sterben. Herzlichsten Dank, daß Sie für mich gesorgt haben, Senjor!« – Karl nickte ihm ermunternd zu, ging in die Küche und holte Kaffee, Brot und einen Kübel Margarine. Der Krumme weckte die anderen. Fred aß mit in Karls Koje, weil sie nur eine Tasse hatten. Dann nahmen sie ihre Schweißtücher, und klappernd und eilig huschten die bleichen Männer mit den schwarzgeränderten Augenlidern wieder hinab in die heiße, tosende Nacht. Auch der Dago war dabei, noch ein bißchen unsicher auf den Beinen.
In wirbelndem Kohlenstaub, sengender Hitze und dröhnender, brüllender Finsternis verging die Wache. Karl wischte altes Oel auf zwischen den glänzenden, sausenden Maschinen, holte neues in Kannen herbei und putzte die Armaturen. Dann kroch er in den Wellentunnel und wischte auf. In ihrem Mantel von Stahlblech verrichteten die Wellen geräuschlos ihre Titanenarbeit. Nur ganz hinten, wo die riesigen Stopfbüchsen saßen, drang ein wirbelndes Sausen dumpf durch die Kielplatten herein, es waren die Schrauben, die draußen mit ihren langen, wasserglänzenden Händen in den Wogen wühlten. Den Deutschen überkam ein fast unheimliches Gefühl, als er so allein in dem endlosen matt erhellten Tunnel zusammen mit diesen ungeheuerlichen Kräften stand. Er beendigte rasch seine Arbeit und kehrte in den Maschinenraum zurück.
Dann und wann kam Fred kohlengeschwärzt und schweißtriefend herüber und holte Trinkwasser. Karl sah bedauernd, wie heftig seine breite, nackte Brust und die Hand am Wasserhahn zitterte.
Der Oberheizer kam und holte Karl zum Ascheschaufeln herüber. Er sah ihm finster zu, als er den Deckel von der Aschenpfeife schraubte. Wie alle sehr großen Leute war Karl ein bißchen langsam und schwerfällig. Das war der gerade Gegensatz zu des Vormanns nervöser Energie. »Mach ein bißchen schnell! Schlaf nicht!« schnauzte er ihn an. Karl warf ihm einen zornigen Blick zu. Der war nicht sein Freund, das fühlte er.
Hinten am Bunker schufteten die beiden Trimmer in wildem Eifer. Die Kohlen stürzten in dem bis an Deck durchgehenden Bunker nicht nach. Große Stücke hatten ihn wahrscheinlich verstopft. Sie hatten den Schieber hochgezogen und kratzten und stießen die Kohlen heraus. So entstand eine Höhle, aber wehe, wenn sie zu groß wurde und die Tausende von Zentnern herunterbrachen! »Der Krumme haben die Kohlen sein Bein zerschlagen, bei solcher Loch machen! Vorsicht!« warnte Freds Partner. Der wuchtete mit einer Brechstange keuchend die Kohlen los, der Holländer schippte sie in die Wagen und brachte sie vor die Feuer. Das hielt auf, gleich begann das »Aschepusten«, und sie hatten noch keinen Vorrat! Da mußte etwas geschehen. Sie krochen hinein und nahmen eine der langen Stangen vom Heizer mit. »Vorsicht!« sagte der Trimmer nochmals, dabei war ihm selbst ziemlich unklar, wie sie jetzt unter der hängenden Kohle vorsichtig sein sollten. Sie zielten nach einem hereinhängenden riesigen Zapfen, holten zu einem furchtbaren Stoße aus. Knirschend fuhr das Eisen in die schwarze Wölbung, ein Krach, ein riesiger Block kam herunter, zersprang knallend auf dem Boden, der Holländer bekam eins an den Kopf, daß er einen Purzelbaum zum Loche hinausschoß. Fred kam gut weg, die herunterbrechende Kohle drückte ihn an die Wand, es gab nur ein paar kleine Schrammen. Leise und drohend rieselte es noch von oben herab, aber ein schöner Haufen war unten, für ihre Wache genug. Sein Kollege schippte schon von außen weg.
»God verdoeme! Nicht tot?« lachte er, als er den Deutschen sah. »Haben Loch im Kopf,« setzte er hinzu und wischte sich gleichmütig das Blut aus dem Gesicht.
Mit wütender Energie luden und fuhren sie. Atemlos sauste der Holländer hinter seinem Wagen her und Fred warf große Brocken hinein. Es hämmerte schmerzend bei jedem Bücken in seiner Beule am Kopfe, der rinnende Schweiß schwemmte das glitzernde Kohlenpulver aus dem Bunker von seinen Armen, die Hose klebte und straffte naß am Körper, – aber Kohlen vor die Feuer! Er spähte nach den rotglühenden Augen. Gott sei Dank, da lagen einige kleine schwarze Haufen. Er leckte einmal über seine aufgesprungenen, trockenen Lippen, schüttelte den Schweiß aus dem Haar, und in rasendem Tempo flog wieder die Schaufel auf und nieder.
»Clean the fires!« – Karl hatte den Deckel auf, das Rad sauste, er packte eine Schaufel, und wie die glühenden Massen aus dem nächsten Feuer quollen, nahm er sie auf, keine war für die Herkulesarme zu schwer, und schleuderte sie nach dem Loche. Der Oberheizer am Hebel spannte wie ein Luchs. Die sprühenden, glühenden Vögel hatten eine unverkennbare Richtung nach seinen Beinen. »God dame you bitch!« brüllte er plötzlich wütend auf. Da hatte ihn einer getroffen.
Karl machte erstaunte Augen und warf mit zuckendem Gesichte weiter in langem flammenden Bogen und jetzt vollkommen zielsicher.
In regelmäßigen Zwischenräumen fuhren donnernd die Aschewagen aus der qualmenden Feueresse. Der Dago konnte drüben bleiben und einschaufeln, ein feister Pole fuhr prustend für ihn die Glut herüber. Der Rauch trieb ihm die hellen Tränen über die Backen, und ein dünner Blutfaden mischte sich darunter. Einen Widerstand gegen das Geräuchertwerden hatten sie drüben mit einem Faustschlag auf seine breite Nase gebrochen. So bekam er einen erinnernden Vorgeschmack an seine russische Heimat. Hier schwebten die Fäuste der Heizer über ihm, dort Väterchens Knute. Der Mensch ist da, um geprügelt zu werden. –
Dann kam der erlösende Ruf: »Der letzte!« Ausgepumpt und erschöpft kletterten die Heizraumleute hinauf an die Luft.
Fred lag noch eine Stunde an Deck und lauschte dem ewigen Lied des Meeres. Seine Augen folgten dem Silberstreifen des Monds über den dunkeln Wogen. Er führte direkt nach Westen der Küste zu, die er verlassen hatte. Jetzt wurde es ihm erst klar, wie lieb er das schöne Land da drüben gewonnen hatte, trotz aller Not. »Auf Wiedersehen!« sagte er und streckte grüßend die Hand danach aus, als er hinunterstieg ...
So »schoben« sie Wache um Wache in gleichförmiger Reihe. Stiegen schlaftrunken, mit noch lahmen Knochen und schmerzenden Schrammen zu dem hungrigen Brüllen der Feuer hinunter und kamen schweißklitschend und keuchend mit neuen Wunden wieder herauf. Der Sonntag brachte zum Mittagessen einen Pudding und Milch für den Tee. Unten im Heizraum bei der Abendwache, kurz vorm Aschepusten, einen merkwürdigen Gast.
Der dicke Maschinist teilte gerade den Genever aus, als ein Wortwechsel im Maschinenraume entstand. Eine helle Stimme schrie: »Lassen Sie mich, auch hier gibt's Verlorene! Auch hier ist die Verdammnis nahe, die Hölle!«
»Ein wahres Wort, aber Verlorene gibt's hier nicht drin, nur Heizer und Trimmer!« rief eine lachende Stimme.
Karl horchte gespannt, der nasalen Aussprache des Englischen nach war's ein Yankee und der Stimme nach ein Quäker oder Methodist, ein doppelter Schrecken.
Karl setzte sein Glas an, da schoß eine schwarze Gestalt durch die Türe. »Wehe, dreimal wehe!« heulte sie. »Auch hier hat der Teufelstrunk, der Whisky – –«
»'s ist Genever, Sir!« meinte Karl treuherzig.
»Clean the fires!« schrie der Oberheizer.
»Wehe!« schrie der Schwarzrock.
Donnernd flogen die Feuertüren auf, es krachte und klirrte, aber alles übertönend schwoll ein Lachen, aus fünfzehn rauhen Kehlen kommend, an; sie lachten, krümmten sich vor den Feuern mitten im schweren Arbeiten, die Maschinisten drängten sich in der Türe und lachten, der dicke Maschinist, dem der Missionar die Pulle wegnehmen wollte, lachte; selbst die flackernden Feuer schienen mitzulachen über den Mann Gottes.
»Er sucht Stoff für eine Abendpredigt über das Fegefeuer!« schrie eine Stimme. Der Vormann zog ihn am Rocke. »Fallen Sie nicht in die Aschenpfeife, Mann; machen Sie sich fort, wir haben hier keine Zeit für Ihre Kindereien!« sagte er eindringlich.
»Wehe!« heulte der rasende Schwarzrock auf. Da polterte und dröhnte es vor ihm. »Look out!« brüllte eine heisere, röchelnde Stimme, ein Feuerschein flammte auf, darüber ein in Rauchwolken gehülltes, glühendes Gesicht; das war zu viel auch für einen Yankee-Missionar, er fuhr zum Loche hinaus.
»Jetzt dachte er, der Teufel käme und wollte ihn holen!« schrie der Rotbart und schoß quiekend einen Purzelbaum auf einen Kohlenhaufen. Fred, der von nichts etwas wußte, schüttelte verwundert den Kopf über die vielen lachenden Gesichter, rieb sich den Schweiß ab und sauste ratternd davon.
Die Kohlen gingen zur Neige, Karl hatte seinen Ruheposten in der Maschine eingebüßt. Mit höhnischem Lächeln hatte ihn der Oberheizer in den obersten Querschott des Bunkers geschickt, die Kohlen aus den Ecken durch die Öffnung in der Mitte zu schaufeln. Er steckte die ganze Wache hindurch mit dem Krummen zusammen darin. Hier war die Luft noch dicker als im Heizraum und vollständig unbewegt, die Eisenwände ließen kein Geräusch durch, still und schwarz war's drin wie im Grabe. Dick mit Staub bedeckt, tropfend vor strömendem Schweiß, kletterten die beiden manchmal an das Mittelloch und keuchten erstickend nach einem Atemzuge frischer Luft. An den gewaltigen Nieten der Eisenplatten hing die Glühlampe am Leitungsdraht und pendelte mit dem leisen Schwanken des Schiffs hin und her. Gerade genug Licht warf sie in der zum Schneiden dicken Luft, daß die beiden sehen konnten, wo sie die Kohlen hinzuwerfen hatten; sie verschwanden in dem unersättlichen Loche. Manchmal dröhnten dumpfe Schläge an den Wänden herauf, dann brauchten sie Kohlen da unten. Taumelnd vor Anstrengung und Höllenglut schleuderten sie wieder die schwarzen Stücke in den Schlund, hell klang das Kratzen der Schaufeln herauf, noch mehr mußten hinunter, Kohlen, Kohlen. – Verzweifelt preßte der Riese den Arm vors nasse Gesicht und schnappte mit weitgeöffnetem Munde nach Atem, nach einem Quentchen reiner Luft. Was da in die gequälten Lungen drang, war ja reiner, erhitzter Kohlenstaub.
Da schwebte die Lampe in die Höhe, ein wildes, schwarzes Gesicht mit wutblitzenden Augen spähte herab. »Schläfst du schon wieder, Fauler? Unten sind keine Kohlen!« Mit einem Wutschrei schnellte der Deutsche vor und schlug mit der Schaufel nach dem Gesicht. »Was, Fauler, du Hund? Ich habe seit einer Stunde schon mehr gearbeitet als du auf der ganzen Reise. Komm herunter, wenn du Mut hast ich will dich hinunterschicken, vielleicht machst du auch Dampf!«
»Es ist der Oberheizer,« sagte der Krumme erschrocken und hing sich ihm an den Arm. Er flog wie ein Ball in die Ecke zurück, Karl stand am Rande und schrie dem Kopf neben der Lampe mit heiserer Stimme wilde Verwünschungen zu. Er schüttelte die Fäuste, erfüllt von rasender Wut. Der Mann hatte ihn, seit er im Bunker war, schon höllisch schikaniert. Der Vormann hütete sich zu kommen, er war ein starker Mann, aber gegen diesen riesigen, wilden Kerl da unten war er ein Kind. Das wußte er und begnügte sich, höhnisch zu lächeln.
»Schaufle, Fauler!« rief er nochmals, ließ die Lampe herunter und verschwand. Und sie schaufelten! Sonst drohten oben im Logis Holzschuhe und stählerne Heizerfäuste. Und in der Seemannsordnung handelten fünfundzwanzig Paragraphen von den Rechten des Kapitäns und der Offiziere und den Pflichten des Seemanns. Vom umgekehrten Verhältnis stand kein Wort darin ...
Am achten Tage der Reise näherten sie sich der Biskaya. Die See ging hohl und schwer. Ein gelber Streifen stand im Westen und schimmerte fahl über die brechenden, schwarzleuchtenden Wogen, die lang und schnell herangejagt kamen wie dunkle Pferde mit weißen, flatternden Mähnen. Eine steife Brise stand an und drohte zum Sturme zu werden.
Fred lag in seiner Koje und hörte das Wasser gleichmäßig an die Bordwände klatschen. Das Geräusch war ihm wohlbekannt. Drüben im sonnigen blauen Golf von Mexiko, auf dem gemütlichen, kleinen Fruchtdampfer – Bananen von Jamaika nach New York – da war er selbst Heizer gewesen, jetzt Trimmer. Ja, seine ganze Zeit in Amerika war ein Niedergang gewesen – und trotzdem »Auf Wiedersehen!« – Er schlief ein ...
Mitten in der Nacht gab's einen Krach. »Ho, den Dago hat's aus der Koje geweht! Hallo, du Mann von fünfzig Pfund, entere ein, entere ein! Binde dich fest! Daß du ausgeschlafen hast bei der Wache und Kohlen bringst. Blutiges Kaninchen von einem Dago!«
Der Spanier kletterte wieder in seine Koje. Das Schiff schlingerte stark, auf dem Boden kollerten Holzschuhe und die Kaffeekanne herum. »Jesus Christus, steh auf und hole deine Kaffeekanne, sie geht kaputt!« schrie der Krumme. Karl sprang heraus und fuhr polternd zur Tür hinaus. Fred holte die Kanne, er wußte, was los war; sein Freund war seekrank. Da konnte er sich freuen im Bunker, der arme Junge! Beim Frühstück aßen Karl und der Spanier gar nichts. Bleich und mit müden Bewegungen stiegen sie hinunter.
Die Wache ging an, der Oberheizer brüllte und drohte in den Bunker hinein. Deswegen kamen aber nicht mehr Kohlen heraus. Sie mußten sie aus den tiefsten Ecken hervorholen. Da schickte der Vormann noch einen Mann hinein.
Mechanisch stocherte Karl m den finsteren Ecken herum. Ein unbeschreibliches Ekelgefühl würgte ihm im Magen. Wenn der Oberheizer zehnmal »Fauler« schimpfte, lächelte er gleichgültig, lehnte sich öfter an die Schottenstützen, erbrach und würgte qualvoll. Erst kam das gestrige Abendbrot, dann nur noch bitterer, galliger Magensaft. Und immer wieder würgte er, ihm war, als sollte er die Eingeweide herausbringen. Sem Kopf brannte und die Beine wollten durchaus zusammenbrechen. »Wenn der verfluchte Kasten doch absackte, mir wäre es wahrhaftig gleichgültig,« murmelte er. Nahm aber doch immer wieder die Schaufel und half dem Krummen und dem andern Kollegen.
Auch denen vor den Feuern spielte der Sturm zu einem Tanze auf. Dann und wann kam ein Sprühregen durch die Windhutzen herab, Brecher, die bis an deren Öffnungen oben an Deck schwappten. Die Wagen wollten immer allein losfahren, wenn der Dampfer sich neigte.
»Sleisse!« klang es, der Marsch wirbelte. Glutbälle flogen aus den geöffneten Feuern. Das Schiff stampfte, tauchte mit dem Vorderteile ins Wasser. Fred kriegte seinen Wagen nicht vom Flecke. Er stemmte sich ein und drückte, da scholl ein Aufschrei vom nächsten Feuer herüber. Entsetzt starrte Fred hin, die Feuertür war einem Heizer durch das Stampfen des Schiffes auf die nackten Arme gefallen. Zwei, drei Mann sprangen hinzu, aber der Heizer war schon heraus. Bleich, mit fest zusammengepreßten Lippen rannte er an den Helfern vorüber und in den Maschinenraum hinein. Sie hatten alle die zwei tiefen, schwarzen Furchen über seinen Armen gesehen. Auch von drüben tönte ein lautes Schreien herüber. Der Oberheizer eilte hinüber, gefolgt von dem Dicken mit dem Genever.
Der letztere kam bald wieder. »Es ist weiter nichts,« antwortete er auf eine Frage Freds, »sie verprügeln die Polacken und den Dago. Die haben zu viel gegessen, sind seetoll bis da hinaus und wollen nicht arbeiten.« Er zuckte die Achseln und ging fort.
Dann kam die Asche daran. Fred wurde mit seinem Karren im engen Kesselgange hin und her geschleudert. Er stieß sich rechts und links an die heißen Kesselwände und riß ganze Stücken Haut und Fleisch von den Knöcheln der Finger. Der Rauch war dichter denn jemals, der Sturm drückte in die Windhutzen und ließ ihn nicht hinauf. Unaufhörlich heulte der Deutsche sein »Look out!« in das Höllengetöse hinein. Zu sehen war nichts vor ihm als von den Flammen beleuchteter, roter, wogender Qualm. Ging der Dampfer vorn hinab, konnte er den Wagen kaum aufhalten, donnernd und polternd raste er durch den Gang, verlor Glutstücke und verbrannte sich die Füße daran. Dann bäumte das Schiff wieder auf, der Wagen stand und wollte rückwärts über den Fahrer weg. Keuchend mit fast aus den Höhlen tretenden Augen stemmte er sich ein, Muskeln und Sehnen strafften sich aufs äußerste an, die Knie zitterten, und die Füße scharrten haltsuchend auf dem Boden. Dann kam der Wagen wieder in Bewegung, schneller, immer schneller, bis er drüben krachend an die Türe schmetterte.
Er trank einmal, packte mit blutrünstigen Händen die Eisengriffe und fuhr wieder los. Eine wilde Gleichgültigkeit hatte ihn erfaßt. »Look out!« donnerte sein Ruf an den Eisenhäuten der Kessel entlang.
Da, ein blutrot aufzuckender Schein vor ihm, helle Flammen loderten auf, der Pole kam mit einem vollen Wagen. Sie hatten drüben nicht aufgepaßt!
Hinter ihm senkte sich der Soden, eilig rannte er rückwärts, stolperte, rutschte aus, sprang blitzschnell wieder hoch und weiter zurück, verfolgt von dem dumpfrollenden, funkensprühenden Ungetüm. Der Pole hatte die Gewalt über den Wagen verloren.
»For heavens sake, look out!« schrie der Deutsche noch einmal auf, machte einen letzten verzweifelten Sprung und stürzte rücklings über eine vorgehaltene Eisenstange. Sie hatten natürlich einen Wagen zuerst erwartet, keinen Menschen. Er fiel, rollte fort, riß noch zwei Heizer mit um, das Wagenrad schnitt dem einen haarscharf am Kopfe vorbei; brüllende Menschen und klirrende Schürhaken bildeten einen Knäuel am Boden. Wie eine Schlange wand sich der Deutsche vom Gange weg. »Der Pole, der volle Wagen!« keuchte er. Aber der Pole kam nicht. Den hatte der zurücksinkende Boden zum Loche hinausgejagt, durch das er gekommen war. Keiner hatte ernstere Verletzungen, und Schrammen und Beulen zählen im Heizraum nicht.
Die Trimmer schippten blitzschnell Asche und Schlacken in das dumpf murrende Loch. Freds Partner schrie etwas herüber, er war noch am Bunkerloch. Fluchend sprang der Oberheizer auf, übergab den Hebel einem Heizer und kletterte die Leitern hinauf.
»Was ist das wieder; wo ist der verdammte Deutsche? Warum kommen keine Kohlen hinunter?« schrie er in die Finsternis des Bunkers hinab. Die Lampe schwang tief unten in weitem Bogen, die Schatten der Schottenstützen huschten über die leeren Wände, Kohlenpulver rieselte von Nieten und Spieren herab, das Schiff rollte, stampfte und schlingerte wie ein toll gewordener Ziegenbock. Vom untersten Bunker schrie eine Stimme etwas Unverständliches herauf aus der schwarzen, brütenden Nacht.
Der Vormann kletterte tiefer hinab, da fiel ein Lichtstreifen auf den erhöhten Rand des Mittellochs, ein schwarzes Etwas rutschte über die rollenden Kohlen, ein gellender Aufschrei – –
Erschrocken starrte der Oberheizer hinunter, war das ein Klumpen Kohle oder ein Mensch gewesen? Mit hastigen Griffen turnte er tiefer. »Der Deutsche ist hinuntergefallen!« heulte jemand herauf, ein weißes Gesicht wandte sich aufwärts. Unschlüssig stockte er, dann sauste er wieder hinauf, zum Mannloch hinaus und drüben wieder hinab.
Ein Knäuel drängte sich um die Schiebetür am Bunker. Freds Kollege zerrte Karl am Beine heraus. Sie trugen ihn in den Maschinenraum, der Oberheizer faßte die herabhängende, nasse Hand, der Puls schlug noch! Der deutsche Maschinist mühte sich um den Verunglückten, der Vormann stand bleich daneben. »Nun?« »Ohnmächtig, nichts gebrochen, vielleicht innere Verletzungen!« – er zuckte die Achseln. Dann kam der Doktor, klein, dick mit Glatze und goldenem Klemmer. Er untersuchte ihn flüchtig, dann legten sie ihn auf eine Bahre und schafften ihn hinauf.
Beim letzten Wagen erfuhr Fred das Geschehene, er sagte kein Wort, ließ alles stehen und klomm blitzschnell wie ein Affe die Leitern hinauf. Wo war er? Er stürzte m den Gang und auf einen Steward los. »Speak English?« »Yes.« »Wo ist der Doktor, das Lazarett?« Der Steward wies auf eine offenstehende Tür am Ende des Ganges.
Fred stürzte hinein. Ein uniformierter Offizier packte ihn an der Brust. »Hinaus!« Der Deutsche packte seine Handgelenke. »Wo ist er? Er ist mein Bruder!« zischte er.
Der Offizier verstand. »Seien Sie ruhig, Mann!« sagte er deutsch, »er ist bei Bewußtsein, nur ein Riß im Kopfe, der wird ihm geflickt. Lassen Sie mich los, machen Sie sich nicht unglücklich, ich bin der erste Ingenieur!«
»Herr, ist es wahr?«
»Ich versichere es Ihnen. In einer Viertelstunde ist er im Logis!«
Fred murmelte eine Entschuldigung, wandte sich ab und ging hinaus. Vor der Tür faßte er Posto. Ein Steward wollte ihn wegjagen, der Deutsche beachtete ihn gar nicht, die glühenden Augen fest auf die Tür gerichtet. Der Steward tippte ihn vorsichtig, um sich nicht schmutzig zu machen, an die Brust. »Sie, hören Sie nicht!« Da faßte ihn der Deutsche wortlos am Kragen, trug ihn an die Treppe und warf ihn hinunter.
Die Tür ging auf, Karl kam heraus, einen Verband am Kopfe und ein wenig bleich. Er lachte Fred an. »Keine Sorge! – Jetzt brauche ich nicht wieder in den Bunker. Ich bin jetzt krank.« Sprach's, marschierte stracks ins Logis, legte sich in seine Koje und stand erst am andern Nachmittage wieder auf, als er hörte, daß die Maschine stand. Seine einzige Sorge war, nicht herauszufallen, er machte sich krumm wie ein Fragezeichen. Seekrank war er nicht mehr. Auf jede Frage, wie es ihm gehe, antwortete er prompt: »Schlecht!«
Donnernd schlugen die Wogen an die Schiffswände. Die Lampen an der Decke, Schüsseln und Tassen auf dem Tische und die Menschen auf den Bänken schwankten, rutschten und tanzten wild umher. Nur die Hälfte der Wache saß im Speisesaale, die Polen, der Dago und auch einige der Holländer fehlten. Sie brachten der Biskaya ihr Opfer. Die fordert das fast hei jeder Reise.
Der Teekessel sang gemütlich, und die Pfeifen qualmten. Ein Heizer las in einer schmierigen Zeitung. »Fünfzehn Prozent Dividende gibt unsre Gesellschaft. Was die Leute verdienen!«
»Verdienen?« höhnte der Rotbart und schlug krackend auf den Tisch. »Wir, wir verdienen sie. Unser Schweiß und Blut jagt die Kasten über die See! Unsre zerschundenen, verbrannten Knochen erarbeiten die Dividende! Wir und allenfalls noch die paar Deckhände und Navigationsoffiziere. Alle andern an Bord sind mehr oder minder unnütz, Parasiten! Da oben wird Platz, Licht und Luft verschwendet, in den Staatskabinen, den Salons. Wir, die Unentbehrlichsten, arbeiten, essen und schlafen in schmierigen, wahnsinnig heißen und stinkenden Löchern! Wir, die die Kasten hinübertreiben in mörderischer, übermenschlicher Arbeit! Wir bringen sogar unser Leben dafür. Auf der drittletzten Reise, wer dabei war, der Franzose, der über Bord sprang, wir fanden seine Pantoffeln an Deck, er ging noch lieber in den Tod, als wieder in den Heizraum hinab. So könnte ich euch fünfzig Fälle erzählen, ich fahre achtzehn Jahre zur See! Redet mir nicht vom Verdienen, ich könnte mich aufregen!«
Einen Moment herrschte Schweigen im Kreise. Da klang ein sausendes, wie aus tausend Kehlen brüllendes klagendes Heulen durch das Toben des Sturms. Es war die Schraube, die aus dem Wasser tauchte. »Sie heult um die Toten, die die Seefahrt erfordert!« sagte ein älterer Heizer ...
Dann kam die letzte Wache. Sie hatten Boulogne sur Mer angelaufen, Passagiere und Post gelandet und dampften jetzt in einem echten Kanalnebel mit Viertelkraft der Schelde zu. Die Feuer murrten leiser, und das Summen der Kesselungeheuer klang gedämpfter, als wären auch sie einmal müde geworden. Die beiden Trimmer kratzten die letzten Kohlen aus dem Bunker. »Werfen Sie nichts mehr vor die Feuer,« sagte der Oberheizer, »wir brauchen jetzt nur die Hälfte Dampf, ruhen Sie sich mal aus, Sie haben sich wacker gehalten!«
»Ja, unser Mister Lookout!« lachte ein großer Heizer. »Come on, nimm einen Drink.« Der Dicke mit der Geneverflasche war da. »Prost.« Sie tranken sich zu, warfen dann die letzte Asche in die »Pfeife«, und die neue Wache löste ab. Dann stiegen sie hinauf. »Rure,« donnerte es durch den Raum, als Fred auf der ersten Sprosse stand, und »Sleisse« auf der letzten; der eiserne Schlägel wirbelte, die Feuer öffneten ihre glühenden Mäuler – Er schüttelte sich und sprang aufatmend in den Gang hinein ...
Die Rüberarbeiter bekamen ihre zwei Dollar in holländischem Gelde vom Zahlmeister ausgezahlt und packten dann ihre Habseligkeiten zusammen.
Die Polen standen in frisch geschmierten Schaftstiefeln an Deck, daneben der kleine Spanier mit einer Zigarette im Munde und die zwei Deutschen, Karl mit einem frischen Verbande um den Kopf.
Die untergehende Herbstsonne vergoldete die Kuppeln und Türme Rotterdams. Zwei kleine schwarze Schlepper zogen keuchend den Dampfer durch einen engen Kanal in die Stadt hinein. Eine Stunde später blies zischend der Dampf ab, die Pfeife brüllte grüßend, und die engen, dunkeln Gassen der alten Handelsstadt verschluckten die davoneilende Mannschaft des Dampfers.