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Eine ägyptische Eisenbahnfahrt

Durch die einsame Stille der ägyptischen Nacht trug mich ein trippelndes Eselein nach der mehrere Kilometer weit entfernten Eisenbahnstation Senuris. Ich wollte nach Assuan fahren. Das Züglein hielt schon auf dem Geleise. Ich drückte mich in die Ecke eines fast leeren Abteils; ein paar Minuten später jagte der Zug in dem flotten ägyptischen Tempo, das einen so grellen Gegensatz zu dem sonstigen orientalischen Schlendrian bildet, durch die weiten Fluren der Oase. Ein kurzer Aufenthalt in Medinet el Fayum; mit Bündeln, Flaschen und Körben bepackte Araber strömten in die Wagen, dann ging's weiter durch grüne Felder und große, lichte Palmenhaine. Nach halbstündiger Fahrt schnitt das Kulturland ab, und in gleichmäßigem Auf und Nieder rollten die Sanddünen der Wüste dem dahinschießenden Zuge entgegen. Zu beiden Seiten der Strecke sind niedere Wälle aufgeworfen, auf denen aus Gestrüpp geflochtene Schutzwände die Geleise gegen den andringenden Flugsand schützen. Trotzdem ist ständig ein Heer von Arbeitern mit Schaufeln im Kampfe gegen den hartnäckig herüberrieselnden Sand.

»El Wasta, ja Nas iki barra!« (Wasta, o Menschen kommt heraus!) So feierlich wird im Arabischen das barsche deutsche »Alles aussteigen!« umschrieben.

In dem strahlenden Scheine der Bogenlampen wimmelten Hunderte von Arabern durcheinander, die alle den Nachtschnellzug nach Oberägypten benützen wollten. In die dritte Klasse wird von ihnen alles mitgenommen, was nur fortzuschleppen ist, Teppiche, Betten, Bündel, Kasten und Körbe, Hühnersteigen mit Inhalt, Ziegen und Schafe mit zusammengebundenen Beinen. Man sieht manchmal einen »Effendi« (Vornehmen) ankommen, der von drei bis an die Grenzen der Möglichkeit beladenen Gepäckträgern begleitet ist. Unter fürchterlichem Gebrüll und Geschrei begann der Sturm auf den von Kairo ankommenden Schnellzug. Die Wagen waren schon von dort aus gut besetzt, aber unbekümmert sprangen und kletterten die braunen Gestalten in den flatternden Gewändern in die Wagen, durch die Fenster flogen Gepäckstücke herein und den Fahrgästen an den Kopf; ein gesegneter Familienvater verlud ein halbes Dutzend Kinder auf demselben Wege.

Ich machte, daß ich aus dem bisherigen Zuge herauskam, rannte trotz des eifrigen Protestes eines Stationsbeamten gleich über die Geleise statt über die Brücke und jagte im Galopp bis an die letzten Wagen des Schnellzugs. Meinen Rucksack wie einen Sturmbock vor mich herschiebend, zwängte ich mich durch die tobende Menge hinein und hatte das Glück, eine freie Bank zu erwischen. Die anderen drei Plätze wurden von fünf schrecklich schmutzigen und zerlumpten Fellahs besetzt, die mit Hacken und gewaltigen Säcken bewaffnet waren. Sie bauten eine Art Turm zu Babel davon und kletterten hinauf. Doch sie thronten nicht lange da oben: ein europäisch gekleideter »Effendi« mit goldener Brille, gefolgt von zwei tief verschleierten Frauen, kam an, er sah sich spähend um, dann trat er an die Fellahs heran: »Macht Platz hier, ich brauche drei Plätze für mich und die Frauen!« Die Fellahs küßten stumm und demütig ihre Fingerspitzen und legten sie an die Stirn, das Zeichen der Unterwürfigkeit, dann stapelten sie ihre Säcke in dem Mittelgang auf.

Die arabische Schöne mir gegenüber legte ihre zierlichen belackstiefelten Füßchen auf meinen Rucksack und sah mich aus ihren großen dunklen Augen hinter dem dünnen weißen Gesichtsschleier hervor neugierig an. Ein Europäer, der dritter Klasse fuhr, war ihr wohl noch nicht vorgekommen. Mit ihrem Mann, einem Doktor der Medizin, der fließend Englisch sprach, unterhielt ich mich bis Assiut vorzüglich. Hier stieg er aus, und die fünf Fellahs bauten wieder ihren Turm, kletterten wie Affen hinauf und kauten Zuckerrohr. Das ausgekaute Zeug warfen sie auf den Boden und auch auf meinen Rucksack. Ich sah sie drohend an, aber da ich nichts sagte, dachten sie, ich verstände nicht Arabisch und machten sich in ihrer Sprache über mich lustig.

Schließlich riß mir der Geduldsfaden, ich zeigte auf die Schweinerei und sagte scharf: »Nimm das weg, du Hund!«

Sie stierten mich blöd an, da trat ich mit dem Fuße gegen ihre Säcke, und unter dröhnendem Gelächter der anderen purzelte ihre Festung zusammen und die fünf Ruppsäcke herunter. Ich hatte nicht nötig, mich weiter mit ihnen zu befassen; denn sie purzelten einigen auf den Rücklehnen der Bänke hockenden erschrockenen Schläfern auf den Kopf. Diese fielen wütend über die Störenfriede her, und im nächsten Moment gab's ein fürchterliches Geschrei und Gewürge, das schließlich auch den Schaffner herbeilockte. Der ließ sich die Sache erklären, packte die Kerle im Verein mit fünfzig anderen hilfsbereiten Fäusten und warf sie samt ihrer Habe einfach auf die Plattform hinaus. Der Bremser, ein herkulischer Neger, stand an der Tür Schildwache, daß sie nicht wieder hereinkamen, und hielt ihnen eine halbstündige feierlich-komische Strafrede.

Eine kurze Zeit hatte ich ein bißchen Platz; aber schon an der nächsten Station quollen neue Passagiere herein, alle bepackt, und trotz der schon vorhandenen Fülle fanden alle Platz. Diese Orientalen sind anspruchslos und geduldig; sie saßen, kauerten und lagen durch- und übereinander – ein Junge kroch einfach unter meinen Sitz, ein anderer ließ buchstäblich die Beine aus Mangel an anderem Platz zum Fenster hinaushängen. Neben mir bildeten drei kleine Mädchen einen verworrenen Knäuel wie junge Hunde.

Eintönig ratterte der Zug durch die Nacht. Stunde um Stunde verrann; ich versuchte ein bißchen zu schlafen, aber auf meinen Beinen stand unten ein schwerer Korb, in dem irgend etwas Lebendiges rumorte, und auf meinen Knien lag der schwarze Krauskopf einer kleinen Araberin. Sie klammerte sich im Schlafe unbewußt an mich an und kratzte sich manchmal mechanisch. Ich beschäftigte mich mit dem angenehmen Gedanken, daß ich das morgen auch tun würde, und daß diese schlafende Unschuld jetzt meinen neuen Tropenanzug gründlich verlauste.

Trotz der Enge schliefen fast alle; nur ein alter Mann, der seinen kleinen Gebetsteppich in ein freies Eckchen gezwängt hatte, kniete darauf und machte die feierlichen tiefen Verbeugungen des mohammedanischen Gebetes.

Endlich glomm ein blasser Schein im Osten auf, die blitzenden Sterne erloschen, und der rotglühende Ball der Sonne rollte hinter den violett schimmernden Bergketten der arabischen Wüste hervor. Im goldenen Morgenlichte lag das Niltal; aber es war nicht mehr die Landschaft Unterägyptens. Die sechshundert Kilometer, die der Zug in südlicher Richtung durchrast hatte, machten sich bemerkbar. Die Hochplateaus der beiden Wüsten rückten dem Strome näher; ganz schmal nur war noch der grüne Streifen an seinen Ufern, und der Nil selbst machte nicht mehr den ruhigen, majestätischen Eindruck wie bei Kairo – gedrängter und hurtiger eilten seine blitzenden Wellen dem Norden zu. Eine Reihe von Stationen passierte der Zug, die Wagen leerten sich, ich streckte meine eingeschlafenen Beine aus und verzehrte ein Frühstück, das ich einem Fellah abgekauft hatte: ein kleines arabisches Brot und drei gekochte Eier, zusammen für 10 Pfennig. Eine Kulla (ein poröser Tonkrug, der das Wasser auch in der größten Hitze kühl hält) kostete ebenfalls 10 Pfennig; den Inhalt, ein Liter gutes Nilwasser, bekam ich kostenlos dazu.

Endlich, kurz nach 8 Uhr, lief der Zug in Luxor ein. Ich schüttelte einen Schwarm aufdringlicher Hotelagenten und Gepäckträger ab und sah bei einem Täßchen Mokka zu, wie der Schmalspurzug nach Assuan an den Bahnsteig geschoben wurde. Er besteht aus kleinen, schneeweiß angestrichenen Wagen mit vorspringenden grünen Jalousien. Ein messingfunkelndes Lokomotivchen wurde vorgespannt – alles sah aus wie aus einer Spielzeugschachtel, so klein und blitzblank!

Ich machte mich bald hinein in das kühle Halbdunkel eines Wagens und tat erst einmal einen langen Schlaf. Es war schon Mittag, als ich aufwachte – und zwar in einem fremden Lande! Lange, dürre Gestalten mit kohlschwarzen Gesichtern und riesigen weißen Turbans lagen im Wagen herum und redeten eine klangvolle, aber mir ganz unbekannte Sprache. Es waren Nubier. Ein feiner wirbelnder Staub drang durch alle Ritzen herein. Ich sah hinaus: soweit das Auge reichte, weite, trostlos dürre Sandflächen, über die gerade mit wilder Wut ein »Chamsin«, ein heißer Wind, hohe Staubsäulen jagte.

Das emsig schnaubende und ratternde Züglein passierte Edfu, das mit seinem Kranze grüner Felder wie eine Oase in der Wüste anmutete; noch zwei Stunden Fahrt in immerfort zunehmender fürchterlicher Hitze und wirbelnden Sandwolken – die Felsengürtel der beiden Wüsten umklammerten den wild rauschenden Nil fast mit ihren steinernen Armen –, dann erweiterte sich das Tal zu einem Kessel steil aufragender, in bunten Farben glühender Felsen, und mit kreischendem Bremsen rollte der Zug in das freundliche, von Palmen und blühenden Gärten umgebene Assuan hinab.


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