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Die Nacht lag in drückender Schwüle über dem Lande. Es war zwei Uhr. Die Welt schlief tief. Nur Tausende von Moskitos waren wach und erfüllten die Luft mit ihrem Gesumme. Der Wind auf seiner großen Reise aus dem Golf von Mexiko fuhr heiß übers Land, und wenn er im Norden verschwunden war, schüttelten sich die Menschen in den Schauern des kalten Fiebers.
Die Riesenbäume der großen dunklen Wälder Missouris rauschten und raunten sich ihre Sorgen zu. So viele ihrer Brüder lagen schon da unten in langen Reihen weiß und tot, und ihre Äste türmten sich in hohen Haufen. Die Axt hatte wieder ein großes Loch in den Wald gefressen. Unten lag ein neues Anwesen breit und behäbig. Seine Mauern leuchteten weiß aus der Dunkelheit, in den Glasurziegeln des Hausdachs spiegelten sich die Sterne.
Da regte sich etwas im Hause. Ein Lichtschein blinkte auf, huschte an den Fenstern vorüber, die Gazetüre an der Veranda knarrte, und ein Mann trat heraus, eine brennende Laterne in der Hand.
Er war groß und kräftig mit breiten Schultern und glattem jugendlichen Gesicht Mit schleppenden Schritten ging er die Stufen hinab. Seine Augen blinzelten unter einer ungeheuren Müdigkeit. Der Nachtwind fuhr in sein Haar und versuchte damit zu spielen, aber es war naß von Schweiß, klebte über der Stirn und den Augen und machte sein von der Sonne der Erntetage schwarzbraun gebranntes Gesicht finster und abstoßend.
Am Fuß der Treppe blieb er stehen und starrte auf seine Hand am Geländer, sie zitterte wie die eines Greises.
»Wohin will das noch?« murmelte der Mann.
»Mit meinen Kräften geht's zu Ende – und es sind immer noch zehn Tage!«
Eine Minute stand er in tiefem Sinnen mit zusammengepreßten Lippen und starrte in die Nacht hinaus. Der Wind fuhr stöhnend durch den Wald, verdurstete Blätter wirbelten herab, ein Ast krachte hoch über ihm. Er schreckte auf und hastete nach dem Brunnen.
Er beugte sich über den Rand des Trogs. In dem dunklen Wasser schwamm ein Abglanz funkelnder Sterne. Während er ein paar Hände voll Laub herausfischte, schüttelte er langsam den Kopf, als könne er etwas nicht fassen. Dann tauchte er hinein und wusch sich, warf sich das Wasser mit den hohlen Händen förmlich ins Gesicht, als wolle er den Feind, den Schlaf, ersäufen. Die Tropfen perlten an ihm herab und verdampften zischend auf dem heißen Deckel der Laterne.
Er trocknete sich nicht ab und hastete nach der hinteren Seite des Hofes. Ein Drahtzaun grenzte hier den Wald ab. Zwei Stangen in Lederschlingen bildeten die Tür. Er hob sie aus, lief in den Wald hinein und rief:
»Oho horses! Oho, Kate, Jinny!« –
»Kate, Jinny, Jinny«, rief das Echo.
Immer rufend eilte er zwischen den schimmernden Stämmen der Gumbäume hin bis auf eine Lichtung, die Viehweide.
»Wo mögen die Tiere sein?« murmelte der Arbeiter im Selbstgespräch, hob die Laterne hoch und spähte in die Dunkelheit.
»Ob sie das sind?«
Eine dunkle Masse trat aus der Nacht.
»Oho horses,« rief er beruhigend.
Ein paar Kühe standen auf, und eine Herde schwarze Schweine fuhr grunzend hoch und flüchtete prasselnd in das Unterholz des Waldes.
Enttäuscht setzte er sich in Trab und rannte, immer um sich spähend, über die Lichtung und drüben wieder in den Wald hinein. Er fiel über die runzligen Stöcke des wilden Weins und riß sich an den Dornen die Hände blutig. Schallend klang sein monotones »Oho, Jinny, Kate!« in die schweigende Finsternis.
Da antwortete ein Schnauben und Stampfen zwischen den Stämmen. Am Rande einer sumpfigen Lache standen eine Gruppe Pferde und Maultiere. Er ging auf sie zu, da liefen sie langsam in den Wald.
»Ihr habt keine Lust, ich auch nicht und muß doch!« sagte der Arbeiter, stellte seine Laterne auf den Boden, huschte leise davon, umging die Tiere und wartete hinter einem dicken Stamme.
Als das erste Pferd vorüber wollte, faßte er es mit rauhem Griffe an der Mähne. Es bäumte auf, aber gegen diese sehnenstarrenden Arme gab's kein Widersetzen, er zwang es nieder und klopfte ihm beruhigend den Hals.
»Oho Jinny, komm mein Pferd, sei brav.«
Dann stieg er auf, holte seine Laterne und ritt in den Hof zurück. Kate, das zum Gespanne gehörige Maultier, folgte von selbst nach; ein Maultier hält sich immer zu Pferden.
Während die beiden tranken, kauerte der Arbeiter auf dem Troge und bemühte sich krampfhaft die Augen offen zu halten, die der Schlaf mit eisernem Finger schließen wollte. Er wühlte sich in den Haaren, und traurige quälende Gedanken gingen ihm durch den Kopf.
Vierzig Dollar für zwei Monate hielten ihn hier in der Hölle von Arbeit, Hunger und Hitze und hielten ihn sehr fest. Er lachte auf, und ein verzweifelter Zug glitt über sein Gesicht.
Mit von der Malaria zerrüttetem Körper, hungrig und zerlumpt von langer Wanderschaft, war er hierher gekommen und hatte sich für zwei Monate als Erntearbeiter verpflichtet. Er mußte etwas verdienen, um nach New York und dann heimgehen zu können. Aber die Arbeit war übermenschlich, in sechzehnstündiger Fron dörrte die grausame Sonne jeden Tag seinen Körper aus. Und dann der ewige Hunger! Drei Mahlzeiten am Tage, zwischen jeder acht Stunden harte Arbeit! In der Nacht fünf Stunden Schlaf, und die machten ihm die Moskitos streitig.
Und doch mußte er aushalten; hörte er früher auf, so gab's kein Geld. Das stand im Kontrakt, der war auf sein verhungertes Gesicht und seine zerlumpte Kleidung zugeschnitten. Es waren immer noch zehn Tage, und er fühlte, daß er sie nicht aushalten würde, er konnte nicht mehr. Umsonst gearbeitet!
In verzweifelter Wut schlug der einsame Mann hart auf den Trog und brütete vor sich hin. Lange saß er und vergaß die verrinnende Zeit.
Die Tiere hatten sich sattgetrunken, das Pferd kam zu ihm hingetrottet, stieß ihm zutraulich mit seinem nassen Maule ins Gesicht und rieb den Kopf an seiner Schulter.
Erschrocken fuhr der Grübler hoch.
»Oh du bist's, Jinny, hast recht, wir müssen weitermachen, es hilft nichts, aushalten, es muß, es muß gehen! Come on, Jinny!«
Er führte das Pferd in den Stall, das Maultier trottete hinterdrein. Eilig schüttete er ihnen Maiskolben in die Krippe und putzte sie. Die verlorene Zeit mußte eingeholt werden. Die emsig kauenden Tiere bekamen die Geschirre aufgelegt; das Lederzeug war hart und steif vor Schweiß und verbreitete einen scharfen Geruch im Stalle.
Dann rannte der Arbeiter hinaus auf den Hof, packte die Deichsel eines großen flachen Wagens, wie ihn die westlichen Farmer zur Ernte brauchen, und versuchte ihn herumzulenken. Es ging nicht. Fluchend holte er die Laterne und leuchtete vor die Räder. Das hintere saß zwischen zwei Baumstümpfen festgeklemmt. Keuchend, mit fast aus den Höhlen tretenden Augen hob er den schweren Wagen hoch.
»Dazu gehören auch zwei«, flüsterte er, griff sich plötzlich an den Kopf und hustete schwer und röchelnd.
»Das sah doch bald aus« –, er brach ab und starrte schweigend und erschrocken den Auswurf an, er war blutig rot. Dann richtete er sich straff auf.
»Und trotzdem, es ist keine Wahl, aushalten oder –«
Mit einem Bock und einem kurzen Stamm drückte er dann den Wagen hoch und schmierte die Achsen.
Im Hause regte sich etwas. Aus dem Küchenfenster brach Lampenschimmer. Jemand rasselte am Herde und klapperte mit Geschirr. Der Arbeiter hörte es und arbeitete mit verdoppeltem Eifer, den Wagen fertig zu bekommen. Endlich war die letzte Mutter angeschraubt.
Die Verandatür knarrte, eine Frauenstimme rief:
»Fred, komm rein, Frühstück ist fertig.«
»All right!« schrie er, wusch sich hastig die Hände und rieb sie an den Hosen trocken, während er die Stufen hinaufsprang. Je früher er hineinkam, desto länger konnte er essen.
Die junge Frau stand am Herde. Fred grüßte kurz und setzte sich an den Tisch. Sein Frühstück stand schon bereit, zwei gebratene Eier, zwei kleine Schüsseln, eine mit Apfelmus, die andere mit Honig gefüllt, in der Mitte des Tisches eine irdene Pfanne mit frischgebackenen Biskuits, fast wie Pfannkuchen aussehend, das Brot der Farmer. Er langte sofort zu, aß schnell und gierig.
Der Farmer kam aus seiner Kammer, ein untersetzter Mann mit brünettem Gesicht, hart und unbeweglich wie aus Bronze gegossen. Seine kalten Augen ruhten einen Moment auf dem eingefallenen Gesicht des Arbeiters.
»Guten Morgen, Fred. Noch müde, was?«
»'n Morgen« brummte Fred kurz. Er sah rasch auf, die beiden beobachteten ihn nicht, da langte er in die Pfanne und schob zwei Biskuits in die Tasche.
Das Ehepaar trat an den Tisch, der Farmer sprach laut das Vaterunser. Der Arbeiter ließ sich nicht im Essen stören, er räumte sorgfältig seinen Teller ab und kratzte die Schüsseln aus.
»Willst du noch etwas?« fragte sein Arbeitgeber.
Fred sah in den leeren Eiertiegel und schüttelte den Kopf.
»Ist das Gespann fertig? Es ist schon spät!«
»Ja, sehr spät, drei Uhr!« sagte Fred ironisch und stand auf.
Dann hing er sich seine Jacke über, stülpte den Strohhut auf und ging hinaus. Er zerrte die Zugtiere aus dem Stalle und spannte sie an. Sie hatten ihren Mais noch nicht aufgefressen und waren widerwillig, aber einige drohende Worte machten sie gefügig.
Aus dem offenen Küchenfenster klang ein Wortwechsel, er hörte die vorwurfsvolle Stimme der Frau und dann den Farmer sagen:
»Ach was, ich muß auch arbeiten.«
»Ja arbeiten, arbeiten« – –, sagte Fred draußen und stieg auf den Wagen.
»Get up!«, der Wagen holperte über den Hof, der Farmer leuchtete mit der Laterne nebenher bis auf die Straße. Hier fielen die Tiere von selbst in Trab, der Wagen fuhr ratternd in die Nacht hinaus.
Der Wald trat schwarz und stumm zu beiden Seiten an den Weg heran. Nur die Hufschläge der Pferde, das Klirren der Ketten am Geschirr und das Rasseln der Räder unterbrach seine tiefe feierliche Ruhe. Ueber ihm zog sich ein schmales, flimmerndes Band hin, ein Streifchen Sternenhimmel, den die düsteren Wipfel frei ließen. Dann und wann einmal kam eine Lichtung, eine weiße Linie schwang sich darum, ein Zaun. Dahinter eine schlafende Farm. Hell klang ein hallendes Echo von ihren Wänden herüber. Sie huschten an dem eilenden Gefährt vorbei, versanken hinter ihm in der Dunkelheit und träumten weiter. Dann senkte sich die Straße, ein Flüßchen seicht und breit schoß rauschend und eilig dahin. Eine Brücke hatte es nicht benötigt, die Straße ging einfach hindurch. Maultier und Pferd tranken ein paar Schlucke und stiegen dann tropfend am anderen Ufer hinauf.
»Get up, get up, horses!« rief der Kutscher, und weiter ging's in kurzem Galopp, daß die Geschirre auf ihren Rücken im Takte auf und nieder klopften; eine gute Stunde lang. Fred stand einmal auf, reckte sich die steifgewordenen Glieder und spähte nach Osten. Gott sei Dank, es lag noch kein heller Streifen im Osten, der Tag war noch so fern wie sein Ziel. Bald im Schritt, bald im Galopp ging's die endlose Straße entlang.
Dann wurden die Sterne bleich, ein lichter Schleier zog über den Himmel. Von einem fernen Gehöft herüber klang das Muhen eines Stieres. Eine Lichtwelle flutete plötzlich am Horizont empor, die Sonne war aufgegangen, schnell und unvermittelt, wie sie es im Süden tut. Fred hatte es heute gut getroffen.
Vor ihm dehnte sich eine unübersehbare gelblichgraue Fläche, ein riesiges Getreidefeld. In endlosen Reihen standen die Garben und weit unten eine Masse, von der ein Glitzern im Schein der Morgensonne blinkte, die Dreschmaschine. Eben stieg eine kleine weiße Dampfwolke von ihr auf, ein Pfiff schrillte übers Feld. Fred blickte scharf hinüber. Da weit rechts unten winkte ein Mann im hellroten Hemd mit der Gabel, seine Aufläder. Er lenkte ein und fuhr hinüber. Ein Wagen, in eine Staubwolke gehüllt, donnerte an ihm vorüber, das rote lachende Gesicht seines Freundes Mac Hallan rief ihm ein »Good morning, wie geht's?« zu.
»Danke, schlecht«, antwortete Fred lakonisch. Der Schotte nickte ermunternd, der Deutsche lenkte scharf zwischen zwei Garbenreihen hinein. Zwei schwarze Arbeiter traten an den Wagen heran.
»All right, Sir?« Fred nickte und streifte die Hemdärmel hoch. Er stand sich nicht gut mit seinen Auflädern, als er das Laden noch nicht verstand, hatte es ein paarmal Krach gegeben.
Die beiden stießen ihre kurzen Gabeln in die Garben, die ersten sechs Stück flogen herauf. Er griff sie an den Fäden, die die Mähmaschine schon um sie gebunden hatte, und legte sie reihenweise im Kreise herum. Das mußte schnell, sehr schnell geschehen, die beiden waren darin geübt, arbeiteten im Akkord. Fred schichtete rasch und sicher, in einigen Wochen lernt man schon etwas.
Bei dieser Arbeit beherrschte ihn nur der eine Gedanke, keinen Vorrat zu bekommen. Jedesmal wenn die grauen Bündel über dem Wagenrand erschienen, mußte er sich eben aufrichten vom Legen des letzten Paares, sonst kam er nicht nach.
Die Pferde standen geduldig wartend, wenn die Arbeiter ihr »Get up« riefen, zogen sie den Wagen ein Stückchen weiter in die Reihen hinein. So ging's eine Weile, bis er seine hundertzwanzig Garben hatte. Dann warfen ihm die Arbeiter die Zügel herauf, er setzte sich zurecht, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und fuhr im Trabe mit seiner schwankenden Ladung übers Feld nach der Maschine.
Die sauste lärmend und prustend, in dicke Staub- und Rauchwolken gehüllt, inmitten einer Menge geschäftiger Menschen. Der letzte Wagen wurde eben leer, der Kutscher warf schweißtriefend die letzten Garben in die Transportrinne, die sie hinauftrug unter die zwei blitzenden Messer. Die hieben in die Längsrichtung des Strohs hinein, zerschnitten die Fäden, dann verschluckte sie das gierige Maul des Getriebes. Hinten wirbelte das kurzgeschlagene Stroh durch Ventilatoren in ein Rohr getrieben, zu dessen sich langsam hin und her bewegender Öffnung hinaus, eine graue, leise rauschende Masse, die sich in einem halbmondförmigen Walle aufhäufte. Unten wurde Sack nach Sack über ein Rohr gezogen, mit schweren Körnern gefüllt zugebunden und auf bereitstehende Wagen geschleudert. Die fuhren sie in die gewaltigen Scheunen der großen Farm.
Nun rückte Fred an die Maschine. Ein kleiner dicker Mann, der Besitzer der Farm, reichte ihm eine Gabel herauf, und sofort schlugen die ersten Garben klatschend in die Rinne. Der Wind trieb ihm beißende Staubwolken ins Gesicht. In einigen Minuten war der große Wagen leer. Keuchend bückte er sich nach den Zügeln und fuhr davon immer im Trabe, nach seiner Ecke des Feldes.
So ging's den ganzen Vormittag ohne Unterbrechung, von den Garben an die Maschine, von da wieder zurück.
Die Sonne stieg höher und höher, warf ihre Flammenpfeile herab, daß der Schweiß vom Körper in kleinen Bächen herabrieselte, und der juckende Staub legte sich auf die Haut, bildete mit dem Schweiße eine graue dicke Schmiere, die ätzend in den Pickeln fraß, die die Stiche der Moskitos verursacht hatten.
Dann fing der Hunger an zu wühlen und im Magen zu brennen. Er würgte die mitgenommenen trocknen Biskuits herunter, aber das hielt nicht lange an, der Vormittag war lang. Da rieb er Ähren zwischen den Händen und aß die Körner.
Die andern waren besser dran, es waren meistens Farmersöhne, sie brachten etwas von zu Hause mit. Er bekam nichts. Sein Boß hatte selbst kaum satt zu essen, er war ein Anfänger.
Dreizehn Farmer hatten die Maschine gemeinsam gekauft. Sie fuhr von einem zum andern, jeder der übrigen zwölf mußte einen Mann und ein Gespann stellen und beim andern mithelfen. Übermorgen kam Colton, Freds Boß, dran, und der baute noch am Scheunendach. Deswegen bekam sein Arbeiter auch keine Ablösung hier. Seufzend wischte sich Fred das glühende Gesicht ab, es gab nichts als aushalten, er mußte die vierzig Dollar haben. Die Sonne flammte oben in lodernder Weißglut, Menschen und Tiere schwitzten, die Rufe der Arbeiter, das Knarren der Wagen und das Stöhnen der Pferde vermischten sich mit dem Rasseln der Maschine zu einem brausenden Lied der Arbeit, das heraufstieg aus Staub und Hitze und die zitternde flimmernde Luft erfüllte.
Die Mittagstunde rückte heran. Wieder eilten Maultier und Pferd im stolpernden Trabe übers Feld. Fred saß zusammengesunken oben und focht einen verzweifelten Kampf mit dem Schlafe aus. Jeden Tag kam der um dieselbe Stunde, er war noch heimtückischer als der nagende Hunger, saß im Gehirn schwer und übermächtig und lähmte jede Bewegung. Wütend krampfte sich der Arbeiter die Nägel ins Fleisch und rieb sich Schweiß und Staub in die brennenden Augen. Wie gern hätte er nur eine Stunde geschlafen, aber es ging ja nicht. Aushalten! Mit einem Satze sprang er vom Wagen herunter, brüllte die Pferde an und sauste in langen Sprüngen nebenher. Nur ja nicht einschlafen vor all diesen fremden feindlichen Gesichtern. Wieder lud er seinen Wagen mit blinzelnden Augen schweißtropfend und staubbedeckt, zitternd vor Anstrengung und Schwäche.
Da pfiff die Maschine. Im Augenblicke stand alles. Er spannte seine Tiere aus und hastete mit ihnen nach der Farm. Ließ sie saufen und führte sie in den Stall an die vollen Krippen. Dann wusch er sich den Schmutz ab und ging zum Essen in die Wohnstube. Etwa dreißig Mann saßen um die reich gedeckte Tafel. Fred stopfte alles in sich hinein, was er erreichen konnte, und lief in den Obstgarten. Im Schatten eines alten Apfelbaumes legte er sich nieder und schlief augenblicklich ein.
Ihm war's, als könnte er nur ein paar Minuten gelegen haben, als ihn jemand wachrüttelte. Er sah verwirrt in das Gesicht des Schotten.
»Auf, auf, Fred, du schläfst ja wie tot. Hier sind deine Pferde. Mach zu, sie sind alle schon hinaus.«
Fred stand taumelnd auf. Was war denn los, alle sind hinaus? Wo hinaus? Ach so, aufs Feld, an die Arbeit! Jetzt begriff er erst richtig. Er rieb sich die Augen, hastete mit seinen Tieren hinaus aufs Feld und spannte an. Dann lud und entlud er wieder seinen Wagen mit Anspannung der letzten Kräfte, stumpf und mechanisch. Aushalten, aushalten, hämmerte es monoton wie ein Uhrwerk in seinem Kopfe.
Die Stunden verrannen, er wunderte sich fast, als er die Sonnenstrahlen so rot und rund übers Feld gleiten sah und die Maschine Feierabend pfiff. Langsam kletterte er vom Wagen und stolperte mit dumpfem Kopf und schweren Gliedern übers Feld. Die Sonne spann Goldfäden um die fahlgelben Stoppeln, sank dann groß und rot und still im Westen, und die Nacht umfing die arbeitsmatte Erde mit dunklen Armen.
Er aß fast nichts beim Abendbrot. Ein Ekelgefühl saß ihm in der Kehle, kalte Schauer jagten ihm am Rücken hinab, und vor den Augen war ein Schwirren wie von Insekten. Die quälenden Gedanken waren verschwunden, in seinem Kopfe war's still und schwer, als läge ein großer dicker Stein darin.
Er brach mit dem Schotten zusammen auf. Auf der Straße machte er die Zügel fest und legte sich lang hin. Ein Weilchen noch hörte er das Rattern des Wagens, Fieberfröste schüttelten ihn, dann schlief er ein.
Die Pferde wußten ihren Weg und rannten im scharfen Trabe heimwärts. Im Flusse tranken sie und warteten auf den Zuruf; der kam nicht, da zogen sie selbst an. In später Nacht hielt der Wagen auf dem Hofe. Der Kutscher schlief noch immer.
»Fred, warum spannst du denn nicht aus?« schrie der Farmer herunter.
Da fuhr der Schläfer hoch, spannte mit müden Händen die Tiere aus und ließ sie in den Wald. Die Geschirre warf er auf den Wagen und schlich dann schwankend in seine Kammer. Der Farmer rief ihm auf dem Korridor etwas zu, Fred antwortete nicht.
In der dunstigen Luft der Kammer summten ganze Schwärme von Moskitos. Er achtete auf nichts, brannte mechanisch die Lampe an und warf sich angekleidet aufs Bett. Nur schlafen, schlafen jetzt. Aber nach der Erschöpfung ergriff ihn nun eine nervöse Unruhe. Er wälzte sich ruhelos im Bett, schlug nach den wütenden Moskitos.
So vergingen ein paar Stunden. Verzweifelt starrte er mit brennenden Augen an die Decke, die kostbare Zeit verrann. Morgen mußte er wieder aufs Feld. Er dachte an die Sonne, den nagenden Hunger und an die Arbeit die Arbeit. Ein Schauder ergriff ihn.
»Aushalten!?« flüsterten seine fiebernden Lippen.
Draußen rauschte der Wind in den Zweigen, ein Tier schrie im tiefen wilden Wald. Endlich fielen ihm die schweren Augen zu, der Schlaf gab seinem Körper Ruhe, aber nicht seinen zitternden Nerven. Ein anderer übernahm die Regie, hieß sie ihre Fäden weiterspinnen zum Gewebe des Alltags, der Traum.
Die Stunden wurden zu kurzen Augenblicken, die Uhr schlug zwei hallende tiefe Schläge, er fuhr wieder auf schlafenden Straßen durch den nachtstillen Wald nach dem Felde. Die Arbeit begann.
Die Schwarzen warfen heute herauf, als wären sie verrückt. Die Garben bildeten eine rauschende dunkle Masse über ihnen, fielen auf ihn in blitzschneller Folge. Er arbeitete mit zusammengebissenen Zähnen in fieberhafter Geschwindigkeit. Der Schweiß schoß ihm in Strömen am Körper herab, die Sachen klitschten an ihm, der Staub schlug an ihn nieder, entzündete ein fressendes Feuer auf der Haut und drang in stechenden Schwaden in die Lungen. Er keuchte erstickend und schnaufend und spie rote Flocken. Und immer prasselte das Getreide auf ihn herab, türmte sich zu hohen Wällen und verdunkelte das Licht.
Stöhnend schichtete und schichtete er, wühlte sich stampfend hoch. Verzweifelt schrie er auf, aber die Neger warfen weiter, daß die Gabeln blitzten, und höhnische Rufe tönten zu ihm herauf. Noch einmal schrie er auf, dann fiel er nieder, und Berge von Getreide stürzten auf ihn. Das Rufen schnitt ihm noch immer ins Ohr.
Da faßte ihn eine Hand und zerrte ihn hoch. Er konnte wieder atmen und schlug die Augen auf. Sein Boß beugte sich über ihn, er hielt seine noch immer brennende Lampe in der Hand.
»Was ist denn mit dir, Fred? Du wühlst in den Decken herum und brüllst wie ein Stier. Hast wohl geträumt? – 's ist übrigens Zeit zum Aufstehen!«
Ja, er hatte geträumt. Die Arbeit, die verfluchte Arbeit verfolgte ihn bis in seine Träume. Stöhnend preßte er die Hand vors Gesicht, alles an ihm war tropfend naß, seine Glieder schlugen und zitterten wie im Fieber.
Er stand auf und setzte sich wieder. Im Sitzen zog er die Jacke an und ging schwankend hinunter. Alle paar Schritte lehnte er sich an und ruhte aus. Die Frau goß ihm Kaffee ein.
»Du fühlst dich nicht gut, Fred? Komm, trink. Mein Mann hat schon angespannt, wir haben dich heute ein bißchen länger schlafen lassen.«
Er murmelte etwas Unverständliches und trank eine Tasse Kaffee. Dann ging er hinaus. Die Frau rief ihm nach, ob er nichts essen wollte. Er verneinte und kletterte auf den Wagen.
»Aushalten oder sterben!« murmelte er.
Der Boß betrachtete ihn prüfend.
»Siehst schlecht aus, Fred. Na, die paar Tage wird's wohl noch gehen, mußt dich ein bißchen zusammennehmen.«
Zusammennehmen? Als ob die letzten Tage etwas anderes als ein mühsames Zusammenraffen gewesen wären.
»Könnt Ihr mir nicht mein verdientes Geld auszahlen und mich gehen lassen? Ich kann ja nicht mehr,« sagte der Arbeiter mit leiser Stimme.
»Fred, es geht nicht, du mußt aushalten,« sagte Colton ruhig.
»Mach keine Geschichten,« setzte er schnell hinzu, als er den drohend aufzuckenden Blick des Arbeiters sah. »Du weißt, ich bin im Recht! Du besinnst dich doch noch auf unsern Kontrakt, nicht? Vorm Fünfundzwanzigsten hast du von mir keinen Cent zu verlangen, und willst du's erzwingen durch Drohungen, so kann ich dir mit dem Revolver antworten. Du kennst doch unsere amerikanischen Gesetze?«
Fred starrte ihn einen Moment an, Wut und Verzweiflung im Blick, dann wandte er sich wortlos um und fuhr los.
Er kam heute zu spät aufs Feld, alle Wagen luden schon. Mit zitternden Beinen stand er auf und machte die Zügel fest. Mechanisch die Hände bewegend, lud er; wenn es ihm zuviel Garben waren, warf er einige wieder herunter.
Die Neger schrien herauf, er solle sich vorsehen. Ruhig antwortete er, daß er das mit Absicht täte, es ginge nach ihm, wie geladen würde. Sie schimpften, und einer lief fort und beschwerte sich bei dem Dicken.
Unterdessen hatte der Deutsche den Wagen voll, fuhr nach der Maschine und lud ab. Dann stieg er herunter und trank einen Topf voll aus dem Trinkwasserfasse. Alles tat er wie geistesabwesend, gelassen und langsam. Er fühlte heute keinen Hunger und schwitzte nicht. Aber in seinem Kopfe glühte und flammte etwas, und wenn er sich bückte, war's ihm, als ob geschmolzenes Blei darin schwappte.
An seiner Reihe hielt der Farmer auf dem Pferde und fragte ihn, oh er nicht etwas schneller arbeiten wolle, die Neger beschwerten sich, sie könnten nichts verdienen. Fred erklärte ihm ruhig, daß er krank sei und nur darauf warte, vollständig zusammenzubrechen.
»Well, man sieht's Ihnen an. Aber da hätte doch Colton kommen können,« brummte der Mann und ritt fort
Noch einen halben Wagen lud er voll, dann fing plötzlich der Wagen und das ganze Feld an, sich zu drehen, selbst die Sonne beschrieb flammende Kreise. Fred ließ die Garben los, eine unendliche Angst preßte ihm das Herz zusammen, kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Mit leisem qualvollen Stöhnen sank er in die Knie und schlug die Hände vors Gesicht.
Die Schwarzen hatten ihm noch ein paar Garben auf den Kopf geworfen und starrten ihn jetzt mit offenen Mäulern an. Plötzlich rief der eine zum andern Wagen hinüber: »Gentlemen, haben Sie schon mal so was gesehen, der Deutsche ist eingeschlafen!«
Fred vernahm die Worte wie von weit her; erst allmählich wurde ihm ihr Sinn klar.
Was war das, er wäre eingeschlafen? Diese Hunde wußten, daß er schon wochenlang täglich nur vier Stunden schlief, daß ihm das Fieber in den Knochen lag, und der Nigger schimpfte ihn Dutchman!
Da erwachte etwas in ihm. Jetzt müsse er anhalten oder niemals mehr. Er richtete sich auf und sah den Neger mit funkelndem Blicke an. Verschwunden war plötzlich die Schwäche seines Körpers, eine furchtbare Wut stieg in ihm auf. Jetzt wollte er ein Ende machen, so oder so. Er nahm die Peitsche und sprang vom Wagen. Der eine rannte davon, der andere schwang zähnefletschend seine Gabel.
»Da hast du den schlafenden Dutchman, bloody Nigger!«
Der lange Riemen pfiff durch die Luft und zog einen roten Streifen über das schwarze Gesicht. Der Neger warf die Gabel nach ihm, er wich aus, sie fuhr in den Boden und blieb zitternd stecken. Der Neger floh, Fred hinterdrein und zog ihm noch eins über.
Vom Feld kamen einige Leute auf ihn zu, er fuhr wütend auf sie los, da flohen alle vor dem Berserker davon. Er jagte sie übers Feld, wie der Wind das dürre Laub.
Der Farmer schrie ihm zu, was für ein Teufel ihn plage, die Leute zu schlagen. Fred blieb stehen, er wollte keinen Streit mit ihm. Dem Neger hatte er geantwortet, hier war er fertig.
Er sprang auf seinen Wagen und fuhr ab, noch im Fahren stieß er die letzten Garben mit den Füßen herunter.
Die Pferde griffen aus, der Wagen sauste über das sonnenbeschienene glühende Feld, eine wallende Staubwolke hinter sich. Der Deutsche schwang die Peitsche, das Knallen knatterte wie Gewehrfeuer in der heißen trocknen Luft. Jetzt ging's heim und fort.
Aber auf sein Geld wollte er nicht verzichten, er wollte alles wagen. Ging's schief, dann blieb ihm nur noch eins – er griff an die Hüftentasche und fühlte die harte Rundung seines Revolvers.
Seine Lippen schlossen sich fest, auf den Backenknochen glühten zwei rote Flecken, zwei einzelne Schweißtropfen rannen über sein staubig graues Gesicht. Der Wagen raste die Straße entlang, die Pferde rannten mit flatternden Mähnen und schnaubten tief und freudig, daß es so früh schon heim ging in den kühlen Wald.
»Ihr habt heute einen Feiertag, ich vielleicht für immer – na, never mind! Get up!«
Da hörte er ein Rufen hinter sich, ein Reiter kam angaloppiert.
»Wenn ihr vielleicht noch etwas wollt, ich bin bereit, aber ich mache ernst,« zischte er und nahm den Revolver in die Hand.
Da erkannte er den Reiter, es war Mac Hallan, sein Freund. Er winkte ihn heran.
»Gehst du fort, Fred?«
»Ja, es geht nicht mehr, adieu!«
»Fare well, Fred! Vielleicht kannst du noch was herausquetschen aus Colton. Schreib mal von drüben aus deiner Heimat.«
»Ja, fare well, Mac!«
Der Reiter winkte grüßend mit der Hand und ritt zurück.
Der Wagen rollte dröhnend in den Wald hinein, und eine Stunde später hielten die Pferde schwitzend auf dem Hofe. Sie wollten zum Wasser, er drängte sie zurück, brachte sie in den Stall und legte ihnen Decken auf. Dann ging er ins Haus.
In der Küche stand die Frau und blickte ihn bleich und besorgt an.
»Mrs. Colton, ich höre auf, bin zu krank. Bitte, geben Sie mir mein verdientes Geld,« sagte er ruhig.
Die Frau erschrak.
»Ich habe gar nicht so viel im Hause. Mein Mann ist fort!«
»Dann geben Sie mir, was Sie haben, ich bin ohne Geld verloren, ich habe das Fieber.«
Die Frau machte eine Bewegung nach der Tür.
»Bitte, laufen Sie nicht fort, sonst – es täte mir leid,« sagte er drohend.
Sie nahm Geld aus dem Wandschrank.
»Hier sind achtzehn Dollar und vierzig Cent, es ist alles, was ich habe, Sie können es mir glauben!«
Fred nahm es dankend, sagte kurz adieu und ging hinaus.
Er ging dem Strome zu, wollte mit dem Dampfboot fahren. Da körte er das Knarren eines Wagens im Walde. Es war Colton mit einer Fuhre Dachziegel. Fred trat ins Gebüsch und ließ ihn vorüber. Seine letzte Unterredung mit ihm fiel ihm ein. Er hatte doch Geld bekommen, dabei gedroht, einer Frau sogar, eine unverzeihliche Tat bei einem Amerikaner. Wenn der Boß hörte, was geschehen war, jagte er ihm sicher nach.
Er beschleunigte seinen Schritt, und sah bald den Strom vor sich glitzern. Er überholte einen alten Mann auf einer Ochsenkarre. Der Alte grüßte freundlich, Fred fragte, wann das nächste Dampfboot käme, flußabwärts.
»Herr Jesus, junger Mann, da liegt's ja an der Brücke. 'S ist der ›Manitou‹, gleich fährt er ab,« schrie der Alte eifrig.
»Ja,« sagte Fred schnell, schon im Laufen, »wenn etwa Colton kommt, sagt nicht, daß Ihr mich gesehen habt. Er will mir zu Leibe.«
»O Gott nein! Colton ist ein harter Mann. Macht schnell! Ihr kommt noch mit!«
Fred sah den schlanken schwarzen Schornstein über dem Güterschuppen. Er schoß im Galopp darauf zu, das Laufen fiel ihm furchtbar schwer. Eben zogen die Matrosen das Laufbrett ein, sie sahen ihn nicht.
Der große weiße Dampfer wendete schwerfällig den Bug vom Lande. Da hörte Fred einen Pfiff hinter sich. Er sah sich um. »Colton!« schrie der Alte, und zeigte die Straße aufwärts.
Er biß die Zähne zusammen und rannte mit brechenden Knien weiter. Da fing wieder alles an sich zu drehen.
Ein Spalt klaffte vor ihm, er sah ihn undeutlich wie im Nebel, aber er wagte den Sprung. Mit letzter gewaltiger Kraftanstrengung setzte er hinüber auf die breite Scheuerleiste des Schiffs.
Da fühlte er einen brennenden Schmerz am Schenkel. Er sah sich um; am Ufer hielt Colton auf dem Pferde, er nahm eben das Gewehr von der Backe. Also mit Kugeln bezahlte er den Rest des Lohns für seine harte Arbeit! Ein bärtiges Gesicht tauchte vor ihm auf.
»Was ist's mit euch, Mann, daß der da auf euch schießt? Was habt Ihr ausgefressen?«
»Nichts, nichts, ich –« stöhnte der Deutsche.
Der Kapitän warf noch einen prüfenden Blick auf das schmerzverzerrte, leichenblasse Gesicht vor ihm, dann zerrte er ihn über die Reeling.
Fred hörte noch ein Summen von Stimmen wie aus weiter, weiter Ferne, in seinen Ohren dröhnte es, dann wurde es dunkel vor den Augen.
Auf der Brücke stand Colton und verlangte drohend die Auslieferung des Mannes. Ein Matrose machte ihm lächelnd eine lange Nase. Die mächtigen Schaufelräder griffen in das Wasser, und der »Manitou« schoß in den sonnenbeschienenen Strom hinaus.