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XIV

Das Lebensbuch Joseph Ottens wies eine Lücke. Und diese Lücke war eine Kluft, über die keine Hand hinüberreichte. Zwei Jahre waren vergangen, und da sie inhaltlos gewesen waren, hatten sie sich wie ein Keil zwischen das Gestern und das Heut geschoben. Es mußte mit der Gegenwart neu paktiert werden.

Der Tag war da, an dem er die Festung Ehrenbreitstein verließ, die er ein Jahr vorher bezogen hatte. Ein Hindämmern war es gewesen, ein Abstreichen auf dem Kalender von Tag zu Tag. Vom Stadturlaub hatte er keinen Gebrauch gemacht, die Spaziergänge zwischen den Wällen hatten ihm genügt. Dann lehnte er an der Mauer und schaute hinunter ins Rheintal und ins Tal der Lahn und wandte wieder den Kopf und folgte dem Stromlauf nach Norden und suchte den Horizont ab nach den Schwurfingern des Kölner Doms, die ihm seine Phantasie vorspiegelte. Ein Gleichmaß von Stunden und ein Gleichmaß von Gedanken, und keine Stunde und keine Gedanken, die weiter wiesen. Das Jahr, das diesem vorausgegangen war, hatte ihn gleichgültig gemacht gegen das kommende.

Er hatte in der Klinik gelegen, und die Kugel war ihm aus der Brust gezogen worden. Die Lunge war nur gestreift, aber die größte Ruhe wurde ihm auferlegt, damit die Wunde glatt vernarbte und keine Folgen eintreten konnten, die ihn an der weiteren Ausübung seines Berufes gehindert hätten.

Otten hatte zu den Anordnungen des Professors kein Wort der Entgegnung gefunden. Er ließ den Arzt an sich herumhantieren, folgte jedem Wink und lag, wenn er allein war, reglos in den Kissen und starrte zur Zimmerdecke. Ein einziges Wort war in seinem Kopfe haften geblieben, und das Wort wälzte er hin und her und beleuchtete es von allen Seiten. Seine Kunst war in Gefahr. – –

In einer Nacht – die Wärterin schlief auf dem Sofa in seinem Zimmer – wuchs die Frage riesengroß und schreckhaft vor ihm auf. Seine Kunst in Gefahr! Alles andere hatte er vorher in Gefahr gebracht, sein Weib, sein Kind, seinen Ruf und den Ruf anderer. Aber in der Ausübung seiner Kunst hatte er immer aufs neue die fröhliche Spannkraft gefunden, die ihm das Geheimnis verlieh, wieder gutzumachen, auszugleichen, die Menschen für sich zu gewinnen. Und das Geheimnis seiner angestaunten, elastischen Jugend. Kunstinvalide werden, bedeutete für ihn mehr, es bedeutete für ihn – Lebensinvalide werden. Was blieb, war das Alter.

Der Schweiß bedeckte seine Stirn und seinen Körper. Aus dem Deckbett, aus der Tapete, aus allen Ecken des Zimmers krochen kleine, krumme, graue Männchen, humpelten an Stöcken heran, wackelten mit den Köpfen, grinsten ihm vertraulich ins Gesicht und kletterten ihm mühsam auf die Brust. Da stieß er den ersten Verzweiflungsschrei aus, den ersten und einzigen. Und die Wärterin fuhr auf, eilte an sein Bett und machte in der Nacht den Arzt mobil. Allerlei Gestalten waren in der Folgezeit wie Schemen an seinem Bett vorbeigezogen, und einige Male, wenn er die Augen geöffnet hatte, waren über ihm Augen gewesen, die nur Maria gehören konnten. Dann hatte sich die flatternde Unruhe in ihm verstärkt, und dem Arzt war der Grund nicht entgangen.

»Alles, was ein seelisches Leiden hervorrufen könnte, müssen wir von ihm fernhalten, gnädige Frau. Sie sind viel zu tapfer, um die Wirkung Ihres Hierseins nicht einzusehen. Ich werde Sie rufen lassen, sobald die Genesung da ist und unser Patient nach Ihnen verlangt.«

Und Frau Maria war still, wie sie gekommen war, nach Köln zurückgekehrt.

Langsam war Otten gesundet. Und eines Tages verlangte er selber nach einem Menschen. Er wünschte den Studiosus Lachner an seinem Bette zu sehen. Auf dem Universitätssekretariat erfuhr man seine Adresse, und am Nachmittag saß Moritz Lachner am Bett seines Kindheits- und Jünglingsideals, blaß und mit verschlagenem Atem.

»Na, na, na, – sehe ich so graulich aus?«

»Nur noch etwas – hager, Herr Doktor.«

Otten strich sich mit der Hand über die eingefallenen Wangen. Nase und Backenknochen sprangen scharf hervor. »Laß mich nur erst wieder auf den Beinen sein. Wandervögel kannst du nicht in Käfigen halten. Aber wirf sie nur zum offenen Fenster hinaus, und sie werden sich schon auf ihre Flugkraft besinnen. Hast du ein wenig Zeit für mich übrig, Moritz?«

»Meine Zeit gehört Ihnen, Herr Doktor.«

Otten nickte schweigend. Seine Hände spielten auf der Decke. »Warst du kürzlich in Köln?« fragte er unvermittelt.

»Sie meinen die Rheingasse, Herr Doktor. Ja, ich war dort.«

»Ich meine die Rheingasse – – Was für ein feines Ohr du für Zwischenfragen hast. Wir werden uns gut verständigen, Moritz.«

»Frau Doktor und Carmen sind gesund. Sie leben zurückgezogen.«

»Ich glaub's – –«

»Darf ich auch von – von Ihrem Gegner sprechen?«

»Von – wem? Er ist nicht mehr mein Gegner, mein Junge. Aber ich wüßte nicht, was es von ihm zu hören gäbe.«

»Er wird einen steifen Arm zurückbehalten, Herr Doktor,« und des Studenten Augen funkelten vor Genugtuung.

»Du bist nicht gescheit. Ich war's, der die Zeche bezahlen mußte.«

»Nein,« sagte Lachner, »er war bereits verwundet, bevor Sie getroffen wurden. Er ließ es sich nur nicht merken, um noch zum Schuß zu kommen. Es ist der linke Arm.«

»Herr Gott im Himmel,« sprach Otten vor sich hin, »welch ein Haß muß den Mann beseelt haben –«

Als Moritz Lachner keine Anrede mehr hörte, stand er leise auf. Otten lag mit geschlossenen Augen. »Auf morgen, Herr Doktor, wenn ich darf.« Und als keine Antwort kam, verließ er auf den Zehenspitzen verstört das Zimmer. Es war ganz still. Hin und wieder streifte eine Rosenranke vom Spalier das Fenster. Und Otten öffnete weit die Augen und murmelte: »Wie muß er mich gehaßt haben ... Das macht mich noch kleiner ...«

Am nächsten Tage begrüßte er Lachner mit freundlichem Gesicht. »Setz dich näher heran, Moritz. Ich hatte gestern einen kleinen Schwächeanfall, aber er kommt nicht wieder. Mein Wort darauf. Und nun laß die ängstliche Miene beiseite. Zeig, daß man Vertrauen zu dir haben kann und ein ernstes Wort mit dir sprechen, das in normalen Zeiten der Altersunterschied zwischen uns nicht gut zulassen würde. Kann ich das?«

»Ja, Herr Doktor.«

»Ich bin nämlich all mein Leben so reich an Freunden gewesen, daß ich dem zusammengewürfelten Haufen keinen rechten Wert beimaß und mich heute kaum auf ein ehrliches Gesicht besinnen kann, das mir oder dem ich außerhalb des dulci jubilo etwas zu sagen hätte. Nur Heinrich Koch, Hochwürden. Du kennst den Professor. Aber er weilt in Rom, leidet selber am Leben, und ich möchte ihn nicht behelligen. Tu mir also den Gefallen und sei einmal zwanzig Jahre älter. Ich brauch' dich.«

»Herr Doktor –« Und Moritz Lachner schob ruckweise seine Hand auf der Bettdecke vor. Otten nahm sie, klopfte sie und ließ sie fallen. Eine lange Pause trat ein.

»Nun höre gut zu. Ich werde in ein paar Tagen wieder aufstehen können und in acht oder vierzehn Tagen die Klinik mit einem Badeort vertauschen. Dann wird wohl – die Verhandlung stattfinden, und was dann folgt, brauche ich dir kaum zu sagen. Du bist Student. Ein Jahr Ehrenbreitstein ist das mindeste. Hörst du auch zu?«

»Ja – –«

»Wenn von einem Menschen, der bisher nie ein Opfer für mich gescheut hat, gewünscht wird, daß ich mich in mir selber wiederfinde,« – Otten atmete tief – »dann lasse ich diesen Menschen bitten, mich mir selber zu überlassen. Du sollst hingehen und es ausrichten. Du bist eine weiche Seele und wirst die Worte finden. Auf dem Papiere wirkt so etwas kalt und verzerrt. Und du sollst hinzufügen: Geliebt, so wie dies Wort in Wahrheit empfunden sein will, hätte ich auf der Welt nur einen Menschen, und sie wäre es. Und diese Liebe wäre mein Bestes und würde mein Bestes bleiben. Deshalb könnte ich sie nicht wiedersehen – jetzt noch nicht. Denn um leben zu können, müßte ich fliegen können und nicht schleichen. Sie wird mich verstehen. Sie hat mich immer verstanden.«

Moritz Lachner saß, die Hände im Schoß, und reckte im Schoß an den Fingern, um seine Bewegung niederzuhalten.

»Willst du diesen Auftrag übernehmen, Moritz?«

»Ja, Herr Doktor.«

Otten reichte ihm die Hand. Sein Auge blickte fester, sein Wesen war ruhiger. »Und für Carmen einen besonderen Gruß. Sie hat eine schlimme Erbschaft von mir im Blut, wenn sie sie nicht zu veredeln weiß. Moritz, du wirst von Zeit zu Zeit nach ihr sehen. Finde nicht alles schön an ihr und halte nicht den Mund. Es stecken Werte in ihr.«

»Ich weiß es, Herr Doktor.«

»Komm morgen wieder.« –

Bei seinem nächsten Besuch fand Lachner Doktor Otten außer Bett. Straff stand er und streckte ihm die Hände hin. »Jetzt geht's bald hinaus. Ich kann's kaum erwarten. Die Brust ist so intakt, daß sie sich am liebsten auch eine – neue Seele anschaffen möchte. Na – wird schon werden. Zunächst: Luft, Clavigo!« Er plauderte den ganzen Nachmittag, erzählte von den Fahrten seiner Jugend und seines Mannesalters, aber auf das Gespräch vom Tage vorher kam er nicht zurück. Er hatte abgeschlossen.

Ein halbes Jahr später hatte er seine Festungshaft angetreten. Und die Tage waren dahingeschlichen wie mit Ketten belastet. Die Herren, die das Schicksal gleich ihm für kürzere oder längere Zeit auf den Ehrenbreitstein verschlagen hatte, verstanden sein reserviertes Wesen nicht. Sie verkürzten sich den Tag, so gut es ging, tranken zuweilen ein Böwlchen miteinander, machten fleißig vom Stadturlaub Gebrauch und nahmen ihre Inhaftierung als Formsache, nicht als Strafe.

Nur Otten empfand die Schmach. Die Schmach, auf einen Flecken Erde festgelegt zu sein, in seiner Bewegungsfreiheit, in Willen und Selbstbestimmung beschränkt zu sein. Seine freizügige Natur gewöhnte sich nicht an das Schablonenleben. Und wie ein Schuljunge oder ein Rekrut »Erlaubnisse« nachsuchen – er lachte schon über den Gedanken. So wurde das Jahr für ihn zur seelischen und körperlichen Qual, und sie steigerte sich, wenn sich einmal ein Erinnern zum Ausgangspunkt verirrte. Um dieses Weibes wegen! Die statt des Mutes der großen Sünde nur Heuchelei der kleinen gekannt hatte. Und die ihn eitlen, verblendeten Mann durch ihre Feigheit mitbeschmutzt hatte. Darüber kam er nicht hinweg. Und aus dieser Stimmung heraus schrieb er an Frau Maria und bot ihr die Scheidung an. Um ihres Reinlichkeitsbedürfnisses wegen, das er weiterhin respektieren möchte.

Sie schrieb ihm zurück, ohne weichliche Empfindelei, klar und stark. Sie lehnte die Scheidung der Ehe ab. »Es ist noch nicht lange genug her, als daß ich vergessen haben könnte, wie mein Herz auch ohne staatliche Sanktion zu Dir stand. Was würde die Scheidung daran ändern, da doch auch die ›Bindung‹ nichts daran zu ändern vermochte? Du bist frei, wie Du immer warst. Willst Du länger draußen bleiben, willst Du noch länger als sonst nicht zu mir zurückkehren, so weißt Du, Joseph, daß wir uns zur Liebe, aber nicht zur Klage erzogen haben. Deshalb kann ich zum erstenmale Deinen Wunsch nicht erfüllen. Du sollst Deinen Hafen behalten, und wäre es nur der Gedanke, daß Du ihn hast.«

Wenige Tage vor seiner Entlassung hatte ihn ein unerwarteter Besuch aufgeschreckt. Der Fabrikant Karl Lüttgen aus Köln ließ um eine kurze Unterredung bitten. Sollte er ihn abweisen? Nicht doch. Es war in seiner Art ein Tapferer. Er nahm ein Billett und ersuchte ihn darauf, sich zwei Tage zu gedulden, da er nur gewöhnt sei, als freier Mann Besuche zu empfangen. Er würde übermorgen mittag in Koblenz im Hotel zum Riesen sein.

Nun war er frei. Der mächtige Felsklotz, die letzte Bastion, die ihn bewehrte, lag in seinem Rücken. Schritt für Schritt wanderte er dahin, die Hände im Jakett, über die Schiffsbrücke, die nach Koblenz führt, jede Planke zählend, jedes Brückenjoch. Jeden Spaziergänger betrachtete er, jeden Arbeiter, und alle erschienen ihm interessant. Im Hotel zum Riesen war ein Zimmer für ihn reserviert. Er stand am offenen Fenster und blickte auf den Rhein, der ihm dicht zu Füßen floß, als der Kellner Lüttgen meldete. Langsam wandte sich Otten um. Und die beiden Männer sahen sich ruhig ins Auge.

»Du bist alt geworden, Joseph.«

Einen Augenblick zuckte es wie ein leiser Humor um Ottens Lippen. »Und du – wenig liebenswürdig.«

»Verzeih. Ich bin ein Bär. Aber es war so auffallend, daß ich erschrak. Du fühlst dich doch nicht krank?«

»Nur krank nach anderer Umgebung. Die der letzten Jahre war Gift für mich. Ich denke, die Sonne Italiens wird mir die Fremdkörper wieder aus dem Blut bannen und meiner Haut ein besseres Aussehen geben als diese Leichenfarbe.«

»Du willst nach Italien? Sie ist auch dort.«

Otten trat auf ihn zu. »Lüttgen,« sagte er, »unterlaß, bitte, selbst die Nennung des Namens. Nicht einmal der Name existiert mehr für mich.«

»Ich habe das auch nicht befürchtet. Es wird über diesen Gegenstand in unserer Denkweise kaum noch ein Unterschied obwalten. Deshalb laß mich ruhig davon sprechen. Es geschieht nicht ihretwegen, sondern meinetwegen.«

»Deinetwegen? Nimm, bitte, Platz.«

Sie saßen sich gegenüber, und die Pause, die zuerst entstand, fiel ihnen nicht auf. Sie hatten beide warten gelernt.

»Joseph,« sagte Lüttgen endlich, »ich wollte nicht, daß du abreisest und mich auch ferner noch für ein blutgieriges Scheusal hältst. Es galt damals nicht dir. Ich kannte doch ihre Evakünste und ihre Verleumdungskünste, und ich wußte, wer sie im Grunde ihrer Seele war. Es gibt Frauen, die kommen als Freundin irgend eines Ludwig des Vierzehnten oder Fünfzehnten auf die Welt. Sie arbeiten sich von Geburt an zu ihrer Bestimmung durch, und wenn sie auf diesem Wege zufällig an einen anständigen Kerl geraten, müssen sie ihn erst demoralisieren, bevor sie weitergehen. Mich hatte es gründlich gepackt. An dir wollte ich mich erholen. Und da mußte es auch dich packen. Siehst du, Joseph, ein einfacher Bruch mit ihr hätte mir mein Gleichgewicht nicht wiedergegeben. Diese verdammten spöttischen Augen hätten mich Tag und Nacht verfolgt. Ich mußte etwas finden, das mir das Übergewicht verlieh, das sie bis in den Kern demütigte. Und da faßte ich den unglückseligen Gedanken, dich herauszufordern, aus Haß gegen sie. Aus Haß gegen sie, und weil ich dich zu gern hatte, Joseph.«

Otten nickte vor sich hin.

»Den Erfolg meiner Tischrede,« fuhr Lüttgen fort, »hatte ich ja nicht erwartet, daß sie dich verleugnen würde, daß ich nun sie nicht mehr in dir tödlich treffen könnte. Damit fielen ja eigentlich alle Weiterungen fort. Von dieser Jämmerlichkeit, die sie zeigte, hatte sie sich mir gegenüber nie im Leben wieder befreien können, und es war selbstverständlich, daß sie auf schnellstem Wege mein Haus verließ. Aber auch deine überlegene Ritterlichkeit kam mir überraschend. Nun konnte ich nicht mehr zurück, nun war ich aufs neue gereizt und wurde vorwärts gestoßen. Du schienst mir in meiner blindgewordenen Wut eine Neuauflage von ihr, und deine kühle Ritterlichkeit gegen die Dame, die dich soeben erst verleugnet hatte, hielt ich für einen verächtlichen Affront, verächtlich gegen mich. So kam's. Und als du umsankst, merkte ich erst, wie lieb ich dich hatte. Joseph, ich möchte dich um Verzeihung bitten. Ich hab' dich hineingerissen. Das Verwundern durfte nicht auf meiner Seite sein.«

»Fertig, Lüttgen?«

»Ich bin fertig.«

»Ich nehme an, wir sitzen uns hier nicht gegenüber, um uns schöne Geständnisse zu machen. Hast du das Gefühl, einen Fehler begangen zu haben, ich« – und seine Augen blitzten auf – »habe das Gefühl in erhöhtem Maße, an mir diesen Fehler begangen zu haben. An mir – –. Dadurch habe ich – wer weiß es – den Übergang versäumt, ohne den ein Leben Stückwerk ist.«

Er stand auf, und auch Lüttgen erhob sich.

»Gestern jung – heute alt. Das ist die Quittung, Lüttgen. Vielleicht erwischen wir noch mal einen Zipfel vom Gewand der Fortuna, wenn wir uns anstrengen. Anstrengen! Früher geschah das mühelos. Jedenfalls – will ich mich noch einmal auf die Reise machen. Du möchtest meine Hand, Lüttgen, und ich möchte deine. So –! Und nun ist alles abgeschlossen. Vogue la galère

»Leb wohl, Joseph.«

»Hab Dank, und leb wohl.«

Am nächsten Tage fuhr Otten über den Gotthard nach Rom. »Ich hatte doch recht,« dachte er, »damals, als ich unterwegs Angst bekam, aus dem italienischen Frühling in den deutschen Winter hineinzufahren, und an der Grenze, in Basel, Station machte. Wie werde ich Rom wiederfinden? Was werde ich von mir dort wiederfinden? Und das ist meine Hauptsorge, denn ich bringe so wenig mit ...«

Als er in Rom einfuhr, straffte sich seine Gestalt. Es war um die Osterzeit, und um nicht in eines der überfüllten Hotels gepfercht zu werden, rief er einen Kutscher an und ließ sich in ein Privatlogis fahren, Via Frattina, nahe der Spanischen Treppe. Mit heißen Blicken nahm er die Bilder in sich auf. Rom blieb immer Rom. Auf ihn kam's an.

Am Abend feierte er das Wiedersehen mit Heinrich Koch. Er fand ihn bei Peppe an der Fontana Trevi. Der feine Gelehrtenkopf hob sich überrascht bei seinem Eintritt, die Augen leuchteten hinter den Brillengläsern auf. »Alle vierzehn Nothelfer: der Joseph –!«

»Guten Abend, Heinrich. Ich bin wieder im Land.«

»Den ganzen Tag über hatte ich so ein sonderbares Gefühl. Die Katze meiner Hausfrau putzte und striegelte sich, und die Signora sagte: ›Es kommt Besuch‹. Katzen und Weiber haben die feinste Witterung. Joseph – Joseph – wie ich mich freue.«

Er zog ein Glas von der Mitte der Tischplatte heran, schwenkte es mit ein paar Tropfen Wein um und goß es bis zum Rande voll. »Es gilt dein Wohl. Trink und sei willkommen.«

»Und dein Wohl, Heinrich ... Wie das schmeckt.«

»Laß dich ansehen. Ein verwunderlicher Mensch, der nicht mehr weiß, wie der Genzano mundet. Bist du mit Odysseus im Reich der Schatten gewesen? Wo nur blutgefüllte Schalen die armen Teufel laben? Probier noch einmal.«

»Du hast es, ohne zu wollen, getroffen, Heinrich. Ich komme aus dem Reich der Schatten und strebe in die Sonne zurück.«

»Du hast dir einen ernsten Stimmklang zugelegt. Und du warst zwei Jahre verschollen.«

»Glaubst du, daß man zwei Jahre nicht wiedergewinnen kann?«

»Ob man sie wiedergewinnen mag, ist die Frage.«

»Du bist – orientiert?«

»Warte einmal,« sagte Koch nachdenklich und rückte an der Brille. »Es muß lange her sein, oder es scheint mir nur so, weil sich mir die Minuten oft zu Ewigkeiten dehnen, da drang eine vage Kunde herüber. Von irgend einem hitzigen Abenteuer, in dem Joseph Ottens Sturmpanier flatterte. Aber ich habe dein Sturmpanier so oft flattern sehen, daß es mich weiter nicht überraschte. Es ist – schlimm geworden für dich?«

»Dank deinem Schöpfer täglich für dein Zölibat. Und halte die Flasche nicht fest.«

»Für mein Zölibat?« wiederholte Koch und schenkte ein. »Zwischen Serail und Zölibat gibt es noch eine Zwischenstufe. Wir wollen das nicht weiter erörtern, es steht unseren grauen Köpfen nicht mehr zu Gesicht. Denn jetzt sehe ich erst, auch deine Locken mußten den Tribut zahlen, du bist grau geworden, aber es kleidet dich.«

Otten blickte von seinem Glas auf. »Spricht man hier noch zuweilen von mir?«

»Du mußt von Rom nicht mehr als Rom verlangen. Hier ist der Taubenschlag der Welt. Tauben stiegen aus, und Tauben stiegen zu. Und jeder möchte hier seine Zeit erfüllen.«

»Das heißt: ich bin in Vergessenheit geraten –«

»Bei den Alten nicht. Aber die Jungen fordern stürmischer als früher. Oder kommt uns das nur so vor, weil wir langsamer werden. Namen werden jetzt über Nacht geprägt, Künstler auf den Schild gehoben, um morgen schon eines Neuen wegen heruntergeworfen zu werden, man ist so hurtig im Vergessen wie im Proklamieren, und augenblicklich hält unter den Musikanten ein Münchener Heldentenor Hof, ein hübscher Schlingel, dessen Stimme auf Weibernerven geht.«

»Hat er Verstand?«

»Ich sage dir doch: er hat Stimme.«

»Was geben die Freunde an? Fragen sie zuweilen nach mir?«

»Hier fragt man nur nach denen, die in der Zeitung stehen. Man las nichts mehr von dir, man hielt dich für gestorben.«

»Und vergaß und ging zu den Neuen über.«

»Und ging zu den Neuen über.«

Otten trank langsam einen Schluck Wein. »Und du, Heinrich?«

»Mein lieber Junge, ich lebe hier als Kuriosität der Weltgeschichte, ich bilde mich zu einer römischen Sehenswürdigkeit aus. ›Haben Sie schon den Professor Koch kennen gelernt, den großen Historiker, der nicht nur die Geschichte der Päpste, sondern auch die ihrer Weine kennt, das trinkfeste Kirchenlicht, das die Pfaffen nicht leiden kann?‹ Kein wissensdurstiger Fremdling, dem diese Frage nicht gestellt würde. Und ich lerne die Menschen zu Tausenden kennen. Sie werden nicht besser, Joseph, nur dreister. Und das Sprichwort bleibt zu Recht bestehen: Der alte Freund sei nicht verschmäht, du weißt nicht, wie der neue gerät.« Er reichte ihm die Hand über den Tisch. »Wir beide, Joseph, wir bleiben die alten. Sonderbar, woran es liegt. Mir ist, als verständen wir uns heute, wo die Zeit die Karten gleichmäßiger verteilt, noch besser. Als Geistlicher fing ich mit einem Verlust an, du als Künstler mit einem starken Plus. Wie lange dauert's noch, und wir sind beide dasselbe – einsame Menschenkinder.«

»Nie!«

»Ich wünsche dir noch ein Lustrum, nein, ein Dezennium. Und wenn meine Prophetie ganz zu Schanden wird, will ich ein Tedeum singen. Otten, lieber Kerl, ich sage dir das auch nicht, um dich zu schrecken, ich sage dir das für den Fall, daß es auch dir einmal um deine Gottähnlichkeit bange wird und du ein Königreich für ein Menschengesicht gibst, das deinem gleicht. Dann erinnere dich an mich. Wir beide zusammen, wir können Himmel und Erde Trotz bieten. Denn wir haben die gemeinsame Erinnerung an die Jugend. Was mag der alte Klaus machen?«–

»Lebt die kleine Eccellenza noch in Rom?«

»Sie ist mit ihrem Gatten nach Rio de Janeiro versetzt. Einmal schickte sie ihre Duenna zu mir und ließ nach dir fragen. Du warst kaum fort.«

»So, so!– – Sie ließ nach mir fragen. Das freut mich an ihr.« – –

An einem wundervollen Frühlingsnachmittag fuhr Otten in die Campagna hinaus. Er fuhr allein. Die Gesellschaft, mit der er sich verabredet hatte, hatte die Rendezvousstunde nicht eingehalten und war schon voraus. Er lehnte in seinem Wägelchen und ließ sich von der Sonne bescheinen. Gemächlich trabte das Pferdchen.

Früher, vor zwei Jahren noch – und er hätte den Kutscher durch Trinkgeldverheißungen angespornt, das Ziel zu erreichen, wo er mit Evvivas erwartet wurde. Heute hatte er Zeit. Man würde ihn nicht vermissen. Um ihn her stand die Campagna in Blüte, die unabsehbaren Wiesen und Weiden waren mit leuchtenden Farben bedeckt. Ein verträumter Blick strich darüber hin. Die Campagna blühte. Was weiter?

Wie üblich, wandte sich vor der Osteria, der Faccia Fresca, der Kutscher auf dem Bock seinem Fahrgast zu. Halten? Otten gab ihm ein Zeichen. Er wollte sehen, ob seine Gesellschaft in den Lauben hängen geblieben sei. Glas und Flasche in der Hand, ging er durch die Reihen der Schmausenden und Zechenden. Nichts. Und er setzte sich an ein Tischchen und trank seinen Wein.

Das Volk schrie, lärmte und lachte wie immer an dieser Stätte der Freude, die Bänkelsänger schmetterten ihre Arien, die Gitarren summten, die Mandolinen zirpten, und das Tamburin dröhnte und rasselte. Otten blickte auf. Ein braunes, buntkostümiertes Ding hielt ihm, einen Soldo heischend, die Hand hin. Schwarze Augen funkelten ihn an, als wären sie nur für ihn auf der Welt. Beim Nachbar würden sie genau so funkeln. Er reichte dem Mädchen ein Geldstück und sah ihm nach, wie sie mit wiegenden Hüften von Tisch zu Tisch schritt. Beim Nachbar – –. Früher hätte er den Teufel danach gefragt, ob es außer ihm auch einen Nachbar gäbe. Aber er mußte inzwischen wohl scharfsichtiger geworden sein. Sie hatte braune, staubige Hände gehabt, und die Tische waren unsauber, und der Kellner, der den Wein trug, hielt einen Finger in jeder offenen Literflasche. Hier hatte er einmal gejauchzt: »Jugend, du meine Jugend, ich halte dich!« – – –

Und es war sicher nicht schöner gewesen – dazumal. War es denn wirklich so unbeschreiblich schön? Mit langem Blick sah er in die Landschaft, und er fand eine melancholische Note darin, eine Note von raschem Vergehen, die er nie vorher bemerkt hatte. Wäre doch Koch hier, der alte Römer, um ihn zu befragen. Und er hörte deutlich die Stimme des Freundes: »Die Landschaft ändert sich nicht. Die Menschen ändern sie.« –

Er saß in seinem Wägelchen und fuhr die Straße aller Straßen, die Via Appia entlang. Und er sah nur die Ruinen, und nicht ihre Majestät.

In der Osteria antica fand er die Gesuchten. Sie saßen auf dem Dache der Schenke, und der Kreis öffnete sich kaum, als Otten sich zu ihnen gesellte. Der junge verwöhnte Heldentenor gab seine Aventiuren zum besten. Prinzessinnen kamen genug darin vor, aber keine Drachen. Die Zeit der Märchen war einmal.

Irgendwer stellte Otten vor. Der junge Sänger blickte verwundert auf. »Was? Sie leben noch? Ihren Namen hörte ich doch früher schon?«

»Ich leider den Ihren bisher nicht. Ich war ein paar Jahre in der Wüste.«

»Gibt es wirklich eine Wüste, in der man meinen Namen nicht kennt?« lachte der junge Sänger. Und das geschärfte Ohr Ottens hörte aus dem gewollten Humor die Eitelkeit heraus.

»Man kannte kaum noch den meinen,« replizierte er scherzend.

»Ja, nun sind auch wir an der Reihe! Die Schmachtlapperei des Lieder- und Balladensingsangs hat ein Ende. Nur auf dem Theater steht man seinen Sängersmann, vorausgesetzt, daß man modern genug ist, den Zug der Zeit zu empfinden.«

»Jede Zeit hat ihren Zug, Verehrter, also ist auch jede Zeit modern. Das Wort hat keinen Bestand.«

»Na, das ist gut! Schauen Sie sich unsere modernen Komponisten an, und wie sie sind wir modernen Sänger. Wir find keine fahrenden Bohémiens mehr, wir sind Weltleute erster Ordnung. Und aus diesem Geist heraus produzieren wir.«

»Ob die Poesie ihre Zelte gerade unter den Weltleuten erster Ordnung aufgeschlagen hat? Meine Herren, ich rufe Sie zu Zeugen auf. Wir holten sie oft genug aus Trastevere.«

»Degradieren Sie uns nicht, Doktor, vor dem Maëstro.«

Der Junge war der Maëstro, er war der Doktor Otten. Nichts ist dauernd als der Wechsel. Er lächelte vor sich hin.

»Kurzum,« rief der Junge, »wir haben das Heft in der Hand, und wir gedenken es zu brauchen. Die Saat ist reif, der Schnitter naht! Die Jugend hat das Wort.«

»Doktor, vergessen Sie nicht, daß Sie auch einmal jung waren!«

»Auch einmal ... Nein, das vergesse ich nicht. Aber die Jungen vergessen, daß sie auch einmal alt werden.«

»Was heißt das?«

»Die Jugend wird eines Tages – das Alter sein. Und hinter ihr wird eine neue drängen und schieben und die Tempel zusammenschlagen. Und sie wird mit verständnislosen Augen zuschauen müssen. Müssen! Meine Herren, alle ehrlichen Künstler, alle ehrlichen Menschen sollten die Grenzscheide zwischen jung und alt darum lieber verwischen, als sie zu verstärken. Die glatte oder die runzlige Haut? Im alten Kanonenöfchen brennt das Feuer oft am heitersten.«

»Sie verderben die Stimmung, Doktor. Lustig sein, fröhlich sein!«

»Ich bin sehr aufgeräumt.«

Als sie gegen Abend aufbrachen, benutzte Otten seinen Einspänner. Der große Landauer hatte keinen Platz mehr für ihn. Sechs saßen im Wagen, ausgelassen wie Kinder, der siebente kletterte zum Kutscher auf den Bock. Als er in sein Wägelchen stieg, zwang ihn etwas, einen Blick zur Seite zu werfen. Eine Equipage war vorgefahren. Ein hochgewachsener Herr mit breitem Vollbart, ein bekannter Bildhauer, stieg aus und ging grüßend an ihm vorbei in die Osteria, um einen Fiasko Wein an den Wagenschlag zu holen. Die im Wagen saß, war Frau Amely. Eine Sekunde lang blickten sie sich in die Augen. Dann hob sie das Lorgnon und ließ es wieder fallen. Ohne eine Gesichtsregung wandte er sich ab, bestieg sein Gefährt und fuhr an ihr vorüber.

Die Campagna lag in Rot und Gold. Und über ihr stand ein purpurner Baldachin. »Abendsonne ...,« sagte Otten und blickte auf den Rücken des Kutschers. –

»Ich muß weiter,« gestand sich Otten nach einigen Tagen, »ich hab' mich noch nicht in der Faust. Man tritt nicht aus der Reihe der Menschen aus und nach geraumer Zeit wieder ein in gleichem Schritt und Tritt. Das Marschtempo hat sich für uns geändert, wir müssen umlernen. Dafür ist Rom nicht der Platz.« Und er sagte es seinem Freunde Koch.

»Daß du den Mut dazu hast, Joseph ...«

»Den Mut zum Leben? Ich denke ihn noch ausgiebig zu beweisen.«

»Ich wollte, ich könnte auch noch umlernen. Herr Gott, heraus aus der ganzen Verlogenheit. Junge, wenn ich daran denke, wie wir wie die Holundermännchen über Bord sprangen und untertauchten, wo es am tiefsten war. Das war Musik, wenn einem der Strom in den Ohren grollte. Das sollte noch ganz andere Musik werden! Und nun steige ich Jahrzehnt für Jahrzehnt in seichtem Wasser herum, und der Lebensstrom braust dahinten.«

»Es ist dein Beruf, Heinrich.«

»Beruf ist, wozu man berufen ist. Zum Historiker war ich berufen, nicht zur Tonsur. Und sie ist mit den Jahren größer geworden, nicht kleiner. Hat es die Religion so nötig, Zwangsjacken anzuwenden? Müssen wir Priester immer noch eine finstere Kaste bilden, statt die Sonne dieses Lebens zu verkünden und Gott zu loben, wenn wir sie und seine Güte an uns selbst am stärksten empfinden? Im Fleisch ist der Teufel! Welch ein mittelalterlicher Blödsinn.«

»Leg dein Amt nieder, Heinrich.«

»Wir sind auf Lebenszeit. Jetzt, wo ich bereits auf dem Abstieg bin, wird mir erst die Bedeutung dieses Wortes klar. Auf Lebenszeit – –. Das ist nun für die Winde. Und wir abenteuern mit dem Surrogat herum.«

»Abenteuern – ?«

»Jawohl. Du hast mich richtig verstanden. Ich schlage mich mit Teufeln und ähnlichem Gelichter, mit Höllenstrafen und Bußfertigkeiten, mit Mirakeln, Dogmen und Stigmatisierungen. Und ich könnte das alles mit einem einzigen, seligen Lachen hinwegfegen, ein religiöser, aber ein freier und glücklicher Mann sein, wenn ich mich noch einmal von Herzen zu lachen getraute. Bis dahin abenteuere ich. Just wie du. Durch Sünde und Tugend. Nur daß du es freiwillig tust, – und Freiheit, echte Männerfreiheit, ist immer das Kind der Größe.«

»Komm mit mir in die Welt. Ich singe, und du gehst sammeln.«

»Und wenn es ein Scherz wäre, ich tät's, Joseph. Aber ich habe meine Kirchengeschichte noch nicht abgeschlossen. Es fehlen noch ein paar Bände. Und einen Torso hinter sich zurücklassen, als Summe seines Lebens und Strebens, das würde mir selbst im Himmel keine Ruhe lassen. Reinliche Scheidung! – Wohin willst du?«

»Mein Agent drängt schon lange auf eine umfassende Tournee durch ganz Amerika. Ich werde ihm telegraphieren, daß er sofort zum Angriff vorgehen läßt. Ich kann alsdann in vierzehn Tagen an Bord sein und den Säulen des Herkules ein Lebewohl zuwinken. Ade, alte Welt! Im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten wird es auch für mich die Möglichkeiten geben, wieder – der Joseph Otten zu werden.«

»Willst du,« sagte Heinrich Koch nach einer Weile, »mir eines versprechen, Joseph? Bei unserer alten Knabenfreundschaft?«

»Sag es mir.«

»Über Italien zurückzukommen, wenn du in ein paar Jahren heimkehrst? Ich – ich will – bis dahin fleißig sein – fleißig an der Kirchengeschichte.«

»Ich verspreche es dir, Heinrich.«

»Sieh, jeder von uns ist in Verlust geraten. Vielleicht, wenn wir die Restbestände zusammenlegten –?«

»Das müßte verdammt fidel sein. Ich fürchte nur, wir werden uns totlachen.«

»Taxierst du deine Widerstandskraft so gering ein?«

»Alter, ich gehe zu den Yankees. Was die an Leib und Seele von mir übrig lassen sollten, will ich gern als meinen Geschäftsanteil einzahlen.«

»Topp, Joseph, ich warte. Das übrige findet sich mit dem Tag.« – – –

Nur Heinrich Koch war auf dem Bahnhof, als Joseph Otten abreiste, um sich in Neapel einzuschiffen. Joseph Otten trug den Kopf im Nacken, wie in alten Tagen. Die Ferne winkte, und er wollte sie bestehen. Aber es war der eiserne Wille, der ihm die Spannkraft gab, nicht die treibende Sehnsucht.

Die beiden Männer standen schweigend auf dem Bahnsteig. Der Zug lag reisefertig, » Partenza –! Pronti

Heinrich Koch schob die Brille hoch und berührte des Freundes Stirn mit den Lippen.

»Adjüs, Jupp.«

»Adjüs, Drickes ...«

Und als der Zug aus der Station rollte, zog der geistliche Professor sein Schnupftuch aus dem langen, verschabten Gehrock und schrie aus Leibeskräften und mit dem Tuche winkend hinter dem Abfahrenden her: »Alaaf Kölle! Jupp! Alaaf Kölle!«



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