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Am nächsten Morgen erwachte Jason Gebert dadurch, daß ihn jemand rüttelte. Er sah Fräulein Hörtel vor sich, und die sagte ihm, daß Herr Sommerguth aus Potsdam da wäre, der müsse ihn sofort sprechen, meinte er.
Jason zog schnell den Schlafrock an und eilte vor in das gute Zimmer, in das er, seitdem Jettchen ihn verlassen hatte, nur ungern hineinging. Und da sah er – es war ein grauer Tag, und das Licht war noch trübe, die Sonne war noch nicht durchgekommen und hing über den Dächern in einem matten Flor ganz dünner gelblicher Wolken –, da sah er den alten Sommerguth, der am Fenster stand, den grauen Kopf tief gesenkt, und der mit seinen unruhigen Weberhänden immerfort eine Schirmmütze vor sich hin und her drehte.
»Um Himmels willen, Sommerguth – was gibt's denn so früh?« rief Jason Gebert; denn Jason Gebert glaubte, daß Sommerguth wegen ihres gestrigen Gesprächs nach Berlin hereingekommen war, um dazu noch irgend etwas vorzubringen, und Jason Gebert verstand im Augenblick, warum er das so früh tat: weil Sommerguth ja den Tag über in der Fabrik unentbehrlich war.
Aber Sommerguth stand immer noch mit gesenktem Kopf und drehte die Mütze.
»Herr Gebert«, sagte er endlich, »es is wat passiert – es is wat Schreckliches passiert ... es is wat mit Fräulein Jettchen passiert. Ich weiß nich, was ich machen soll. Ich komme zu Ihnen 'rein ... ich hab' es noch keenem Menschen jesagt, nur meine Frau – die is nu bei ihr.«
Jason Gebert stand vor Sommerguth und starrte ihn mit seinen großen Augen an – es war ja doch möglich, daß er noch träumte. Aber der Mann da stand immer noch unbeweglich in seiner Fensterecke, mit gesenktem Kopf, und drehte die Mütze.
»Jestern is sie die janze Nacht aufjewesen. Wir haben nu jedacht, daß sie ihre Sachen zusammenpackt. Und jejen Morgen is sie denn noch mal wechjejangen; und wie meine Frau sie nachher weckt – denn der Wagen sollte doch kommen –, da jibt se keene Antwort. Na, hab ich jesacht, denn lasse se man noch schlafen. Und nach 'ner halben Stunde is meine Frau wieder hinjejangen und hat an de Tür jekloppt. Und wie se denn so jar nichts jehört hat, da hat se de Tür janz leise aufjemacht; un wie denn Fräulein Jettchen da noch nich aufjewacht is, da is se denn ans Bett jejangen – und da hat se auf de Seite jelegen, janz zusammenjezogen, und auf dem Bett war een jroßer Blutfleck, so jroß wie eene Hand. Und auf der Erde vor dem Bett lag solch Ding wie so 'ne lange silberne Nadel – janz lang und spitz; die muß se doch dazu jenommen haben ... Jott, wenn wir bloß vorher wat jehört hätten – wir müssen ja schon aufjewesen sein –, aber wir haben ja jar nichts jehört; es is ja janz still jewesen. Und dabei muß es doch 'ne janze Weile vorher jeschehen sein, denn se war schon janich mehr recht warm, wie meine Frau reinjekommen is ...«
All das sagte der alte Sommerguth ganz leise und sehr tonlos, und er drehte dabei mit seinen unruhigen Weberhänden immerfort seine Mütze und wagte nicht, Jason Gebert anzusehen.
»Sie Sind doch selbst noch jestern dajewesen, Herr Jebert, da war se janz verjnügt. Und die janze Zeit hab' ick se niemals weinen sehen. Und wenn ich nur das jeringste von so wat vermutet hätte, na, denn hätten wir ja auch auf se aufjepaßt. Wir kennen doch Fräulein Jettchen von so klein an. Und se is doch zu meine Frau jewesen, jar nich, als ob se das reiche Mädchen wäre, sondern wirklich, als ob se 'ne Tochter von ihr wär'.«
Jason Gebert war völlig erstarrt, stand ganz ruhig, preßte nur die Stuhllehne mit beiden Händen, als ob er sie zerbrechen müsse, damit er nicht im Augenblick zerbräche. Er hatte keine Träne im Auge, und seine Stimme war merkwürdig fest.
»Herr Sommerguth«, sagte er, »Sie sind jetzt dreißig Jahre bei uns. – Sie kennen uns. Sie wissen, was wir hier in Berlin sind.«
»Det weeß ich, Herr Jebert«, sagte Sommerguth, »da sind nich viele hier in der Stadt, die so sind ...«
»Und ich hoffe, wir dürfen in dieser Sache auf Ihre Verschwiegenheit rechnen«, sagte Jason. »Kommen Sie, wir müssen jetzt zu meinem Bruder Salomon gehen.«
Während Jason Gebert sich hastig anzog, war es ihm doch einen Augenblick, als müsse er niederstürzen. Aber das ging vorüber. Und er schrieb noch, bevor er ging, an Ferdinand ein paar Zeilen, daß ja sogleich ein Wagen mit seinen schnellsten Pferden zu Salomon geschickt würde – sie müßten nach Potsdam hinausfahren, es hätte sich etwas Entsetzliches dort ereignet.
Als aber Jason Gebert vor Salomon stand, den er sich in das grüne Zimmer hatte rufen lassen, da verließ ihn doch seine Kraft. Und ehe er ein Wort herausbrachte, stürzte er über einen Polsterstuhl und biß schluchzend in die Kissen.