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Und alles kam, wie es kommen mußte in diesem jungen Jahr 1840.
Ferdinand Gebert hatte, als die Glocken zwölf Uhr verkündeten und im lauten Schall einsetzten, gerade seine letzte, wenn auch nicht allerletzte Summe für das verflossene Jahr gezogen, hatte Abschreibungen über Abschreibungen gemacht, hatte bei seinen Debitoren von vornherein mit mehr Ausfällen gerechnet, als zu erwarten waren – und trotz aller Vorsicht war der Jahresverdienst um ein erkleckliches über den des Vorjahres gegangen, und Aufträge hatte er noch in Hülle und Fülle bis tief in den Mai hinein. Und als Ferdinand Gebert sich all dieses so recht deutlich vergegenwärtigte, sehnte seine Seele sich nach einem guten Glase warmen Punsches. Der Junge – na ja, der würde doch auch schon wieder mal gesund werden!
Und Ferdinand Gebert fühlte das innige Bedürfnis, dieses bescheidene Gläschen Punsch doch nicht allein, in beschaulicher Selbstbetrachtung zu schlürfen, sondern all seine Lieben daran teilnehmen zu lassen; selbst seine Gäste sollten dabei nicht fehlen. Irgendwie müsse man doch merken, daß ein neues Jahr begonnen hätte. Und wie begonnen hätte ... unter welchen glücklichen Aussichten begonnen hätte! Ferdinand winkte also Hannchen, sie möchte aus dem Zimmer Wolfgangs kommen – und das konnte sie auch wohl tun, denn der arme kleine Kerl war nach Mitternacht ruhiger geworden und schlief ganz fest, nur mit etwas kurzen, quälenden Atemzügen. Und Ferdinand Gebert setzte darauf seine Gemahlin Hannchen mit behaglichem Händereiben von seinem Vorhaben und seinen Wünschen in Kenntnis und sagte auch, daß er noch Pinchen und Rosalie holen wolle. Aber Hannchen meinte, sie schliefen schon und es wäre ihr lieber, wenn sie heute ganz unter sich wären. Ferdinand Geben aber war von je gewohnt, das Gegenteil von dem zu tun, was seine Frau wünschte; und er sah nicht ein, warum er im jungen Jahr 1840 plötzlich mit dieser lieben Gewohnheit brechen sollte – und er hielt es sogar für einen besonders feinen Scherz, wenn er selbst hinginge, Pinchen und Rosalie aus den Betten zu holen. So also begab er sich an die Tür ihres Schlafgemaches und klopfte mit energischer Faust. Er hielt den Atem an, um den Erfolg seiner Bemühungen abzuwarten. Jetzt würden die gleich drinnen aufkreischen, sagte er sich. Aber es rappelte sich gar nichts. Es blieb totenstill – unheimlich, beängstigend still. Dieser jungfräuliche Schlaf belustigte Ferdinand, und er klinkte ganz leise die Tür auf, um seine Gäste höchstselbst mit zartem Gepuffe und Geknuffe zu erwecken. Stichdunkel war es. Aber Ferdinand Gebert wußte in seinem eigenen Hause Bescheid. Er fand das eine Bett, er tappte am Kopfende und fühlte nur die kühle Decke; am Fußende ... nur Decke ... nur Federn. Kein Bein, kein Fleisch, nichts Menschliches. Er tastete leise noch einmal mit beiden Händen – so dünn konnte doch gar kein Mensch sein, nicht einmal Rosalie. Aber vielleicht lagen sie beide drüben. Nein, auch da alles kühl, alles glatt und platt. Kein Arm, kein Haar – nichts.
Ferdinand Geben wurde es ganz unheimlich zumut. Und er schlug mit seinem Feuerzeug Licht. Da lag das ganze Zimmer – hier ein Bett und da ein Bett – unberührt, still, schön, ohne eine Falte. Im Augenblick hatte Ferdinand Gebert, der von sich auf andere schloß, eine ganze Geschichte zusammengereimt. Daß er das sich nicht schon lange gesagt hatte! Aber geargwohnt ... ja, geargwohnt hatte er es schon.
Und voll innerlicher Entrüstung ging Ferdinand Gebert mit wuchtigen Männerschritten zurück zu seiner Gattin, die gerade eine Zitrone in die Bowle preßte und mit ihren dicken, rosigen Fingern mit aller Macht an der gelben Schale herumdrückte, und er setzte sie schonend von dem Schrecklichen in Kenntnis.
»Pinchen und Rosalie sind nicht da«, sagte er bestimmt, gemessen und würdig, »so etwas dulde ich in meinem Hause nicht.«
»Ach, die armen Mädchen«, versetzte Hannchen, und ihr breites Kindergesicht war ganz beschattet vom tiefen Bedauern mit ihnen, »was haben sie denn hier! Kann man es ihnen denn übelnehmen, wenn sie mit ihrem Bruder zusammen den Silvestertrubel sich ansehen wollen?«
»So«, versetzte Ferdinand und zog das So dermaßen lang, als wolle er es gleich bis zum nächsten Neujahr ausdehnen, »sooo!«
Ach du liebe Zeit! Hätte Hannchen gesagt, daß Pinchen und Rosalie allnächtlich auf verbotenen Lasterwegen wandelten – der Schaden wäre für Ferdinand vielleicht gutzumachen gewesen; aber diese Aufklärung, diese mit Julius – da gab es nichts mehr zu nieten, zu flicken und zusammenzubringen. Das eine »So« hatte entschieden. Hannchen wagte nicht einmal mehr, für ihre Schützlinge ein letztes Wort einzulegen.