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XIV.

Matusch hatte die Herren von Waldstein und Los in Kenntniß gesetzt von seinem Auftritt mit Scherbic und dessen Auftrag und Liebeswerbung. Er erhielt die Anweisung, seine Botschaft auszurichten. Albrecht zweifelte nicht, war das Mädchen wirklich so schön, geistreich, unbescholten und spröde, wie man sie ihm geschildert, daß sie jeden Antrag des wüsten Janko zurückweisen würde. Dann erst, wenn diesen verschmähte Liebe zur Rache und zu Gewaltmaßregeln getrieben haben dürfte, wollte er, seinem Versprechen gemäß, vom neuen und als ihr unmittelbarer Beschützer auftreten und den Scherbic zwingen, von ihr abzustehen.

Aber Otto zitterte vor einem unglückseligen Erfolge; seine junge, seine glühende Liebe fürchtete einen glücklichen Erfolg der Bewerbung Janko's. War nach seiner Ueberzeugung auch Walperga zu rein, zu edel, zu stolz, um einem wüsten Gesellen, wie Scherbic, die Hand zu reichen, wenn er gleich reich und edler Abstammung war und der armen, verfolgten Straßensängerin ein glänzendes Los bot – so war, nach seinem Dafürachten, doch von der Mutter, von Marga, eine günstige Entscheidung zu erwarten; denn das Zigeunerweib war offenkundig habsüchtig, sie war es auch allein, die stets für seine heimlichen Gaben dankte, während Walperga auch nicht durch eine Miene kund gab, als wisse sie um seine Liebesbewerbungen. Im Sinne der Alten war ihm das Mädchen schon gewogen; hätte Walperga nicht so offenbar ihre Kälte zur Schau getragen, er hätte die Mutter leicht für die Dolmetscherin ihrer Neigung – wenigstens ihrer Dankbarkeit halten müssen. – Huldigung, wenn sie rein und zart, schmeichelt auch dem Weibe, das keine Gegenliebe gewähren kann oder will. – Er wollte diese Versuchung, der man das schutzlose Mädchen, einem brutalen Bewerber und einer geldgierigen Mutter gegenüber, aussetzte, nicht zugeben; fügte sich Walperga diesem Bedrängniß, so war für ihn alles verloren! – Er kannte freilich die Sinnesart der alten Marga nicht. Nur die überschwängliche Liebe zu ihrem Kinde machte das Weib habsüchtig; aber diese Liebe schloß auch mit gleicher Heftigkeit und Ausdauer die Unschuld und Tugend, die Reinheit dieses Kindes in sich. Makellos an Leib und Seele und reich zugleich wollte sie ihre Tochter dem künftigen Freier übergeben und ihm das Geständniß abzwingen, daß er aus der Hand der verachteten Bettlerin, des Zigeunerweibes, in der That eine seltene Perle, einen Schatz, wie er kaum auf Königsthronen gefunden wird, empfangen habe.

Waldstein beschwichtigte, freilich auf eine verletzende Weise, Otto's Zweifel und Befürchtungen. »Genehmigt,« sagte er, »das Sängermädchen des Janko Antrag, dann hat sie ihr Los verdient und verzichtet auf unsere Einmischung und Hilfe, war ihrer gar nicht werth. Lassen wir einmal eine Tugend aus dem Pöbel die Probe bestehen – des Versuches wegen; ist doch die unserige nicht immer stichhaltig. Will aber die Dirne nicht, so treten wir ein, mag sie Scherbic bedrohen oder die Hexe bedrängen. Mein schwärmerischer Freund zwingt mich ja dazu, einen Paladin des Alterthums mit zu spielen und eine Schönheit aus der Drachenhöhle zu befreien! Möge sie für Dich, mein Otto, für Dich, den neuen Odysseus, keine Circe sein – denn sie singt ja, wie man sagt, so wunderschön. – Um des Mädchens Willen unabhängig zu halten, mag ihr der Matusch sagen, daß wir sie schützen, mag auch die Mutter selbst sich mit dem Scherbic gegen sie verschworen haben. – Ich habe meine eigene Philosophie und halte sie für die rechte: Es soll niemand, nicht einmal der Wurm, zur Liebe gezwungen werden. – Mit dem Hasse ist es freilich anders – sonst hätten wir keinen Krieg! Ich kann's nicht ändern.«

Mehr noch als diese Aeußerung beruhigten Matusch' Worte des geängstigten Otto Gemüth.

»Wie ich die Brabanterinnen kenne,« sagte er unterwürfig, aber doch bestimmt, »so haßt die Alte den Junker Janko wie Sünd' und Tod – er weiß das selbst und fürchtet's – und die Tochter vermählt sich lieber mit der Moldau, da wo sie am tiefsten ist, als mit ihm. Das gäb auch keinen guten Klang, gnädiger Herr! Man kann Blei mit Stahl nicht schmelzen. Die Walperga gehört uns gemeinen Leuten – wir wollen auch etwas Tugend und Ehrbarkeit für uns behalten – verzeiht, Herr! – sie ist zu gut für eine Liebschaft mit dem Scherbic, der, wär' er unseres Gleichen, auch uns Schande brächte. – Verzeiht, gnädiger Herr!«

Otto blickte den Alten mit einem tiefgefühlten, dankbaren Blicke an und drückte fest seine Hand, indem er ihn entließ.

Noch an demselben Vormittage gelang es Matusch, bei Marga einzudringen. Auf sein wiederholtes Rufen an der einsamen Wasserseite und nachdem sie ihn erkannt und sich vorsichtig überzeugt, öffnete sie ihm die Pforte über der eingestürzten Wand und er klomm an einer Strickleiter, die sie herab ließ (denn nur die Weiber konnten an den hervorstehenden Steinen und Fugen ohne Beihilfe emporklimmen), mühselig hinan.

Sie ließ ihn in die Halle treten, in der es armselig und wüst aussah wie in einer Bettlerwohnung; das schlaue Weib behauptete diesen Anstrich selbst vor denen, die sie als wohlgesinnt erkannt.

»Du holst Dir wohl Deinen Dank selbst,« sagte sie, bevor er noch den Grund seines Kommens melden konnte, »ich bin ihn schuldig geblieben. Aber wir verließen unsere Höhle seitdem fast gar nicht – ich kaum auf Stunden, und Walperga will nicht mehr singen. Es ist auch selbst hier nicht sicher, denn der Janko beschleicht uns täglich. Wir haben darum auch den Steinhaufen vor unserer einzigen Thür, der zum Aufgang führte, fortgeschafft und klettern wie Eidechsen herauf. – Du hast für uns Blut vergossen, Du armer Mann! Ja, die Armen theilen alles untereinander, das Brot wie die Noth.«

»Das ist es nicht,« versetzte Matusch etwas stolz, »für den Dank thu ich nichts, sondern fürs Herz, fürs Gewissen, weil es das einmal will. – Ich bin auch nicht so arm wie Du denkst. Ich habe, was ich brauche, verlangte ich mehr, so hätte ich mehr. Und das bißchen Dolchgekritzel auf dem Rücken vom Scherbicer hat der Baron Waldstein schon längstens wett gemacht. Er hat Deinetwegen und meinetwegen sich mit dem Janko geschlagen und ihm zwei schöne Hiebe beigebracht, deren Einer, wie ich heute Nacht zu bemerken glaubte, noch nicht ganz heil sein wird. – Ich glaubte, Du wüßtest das schon!«

»Der Herr von Waldstein, Herr Albrecht also!« rief das Weib erstaunt und freudig aus – »der edle Herr?! Das muß ich der Walperga sagen, die seinen Schutz so gering schätzt. Ein Wundermädchen, das – selbst unsichtbare Arme, möcht' ich denken, bewaffnen sich für sie!«

»Lass' das jetzt noch, Marga – ich habe vorerst noch eine andere Botschaft. Ich komme eben vom Ritter Janko, das heißt in einem Auftrage von ihm.«

»Du in des Scherbic Botschaft, in seinem Dienst? Du könntest sein Freund sein! Was will der Bube von uns? Soll ich ihn verhexen, daß er blind wird; soll ich ihm einen Gifttrunk kochen, daß es ihm die Eingeweide zerfrißt? Der Schnapphahn, der Teufelsköder, der Uriel, der mein armes Kind verfolgt und schimpfirt und so geängstigt hat, daß es nicht mehr öffentlich singen kann. Ei, er soll nur kommen, der Galgenvogel, der da sagt, ich ritte auf einer Ofengabel zum Hexensabbath; ich will ihm eine glühende Ofengabel in den Leib bohren, daß er mein gedenken soll! – Und mit dem kannst Du Dich befreunden, Matusch; dem dienst Du wider uns?«

»Hättest Du mich ausreden lasten, so hättest Du Dir die vielen Worte und all den Aerger erspart. Habt Ihr zum Schelten keinen Grund, Ihr Weiber, so sucht Ihr einen und scheltet wohl gar darüber, daß Ihr nicht schelten könnt. Eben weil ich Dein Freund bin und Deiner Tochter Beschützer, so übernahm ich die Botschaft und ließ sie keinem Anderen. Er führt Böses im Schilde gegen Euch und beabsichtigt wohl einen Raub, eine Entführung. So schleicht er Nachts wie der Marder um den Taubenschlag und sinnt auf Mittel, wie er bei Euch eindringe. Ich hatte heute Nacht mit ihm eine Begegnung hier unten und glaube, daß ich seine Mißhandlung von damals wieder in Gegenrechnung gebracht. Er wird d'ran denken. Da nahm er denn, als ich ihn lange unter mir gehabt, Vernunft an und gestand mir endlich, daß er Deine Tochter entsetzlich liebe, daß er nicht leben könne ohne sie, daß er sich bessern wolle. Er bietet Geld, viel Geld für ihre, für Eure Gunst.«

»Der Unhold!« kreischte Marga auf und ihre Augen schossen grüne Blitze.

»Ja, was noch mehr, er will Walperga, so sie es verlangt, zu seinem Weibe, zu einer Edelfrau machen; denn besitzen müsse er sie, weil sein Herz gar zu sehr nach ihr verlangt. Er will halten, was er verspricht, und verspricht, was Ihr begehrt.«

»Der Janko von Scherbic,« rief Marga und brach in schallendes Gelächter aus, »der verlangt nach der Hand meines Kindes, der will meine Goldtochter heiraten, er, der ungeschlachte Bär, der rothwollige Affe! – Das muß ich der Walperga doch gleich sagen, das wird sie zum Lachen reizen, wird sie heiter stimmen; denn der Antrag ist doch zu drollig!«

Sie wollte sich entfernen und die Tochter herbeirufen; Matusch aber hielt sie zurück, indem er mit wichtiger Betonung sagte: »Noch nicht; erst muß die Sache alles Ernstes unter uns, unter gesetzten Leuten, besprochen und ausgemacht werden; dann lasset uns die Jugend zu Rathe ziehen und ihren Willen hören. Zudem hab' ich noch andersher eine Botschaft an Deine Tochter.«

»Also der Janko will mein Eidam werden,« fuhr die Alte noch immer gut gelaunt, aber doch zugleich voll giftigen Spottes fort, »einer Zigeunerin, einer Hexe, eines braunen Teufelsbratens, wie er mich nennt, Schwiegersohn? Und weil der Affe ein Edelmann ist und Geld hat, meint er – er sei gut genug für mein Kind, ja wohl gar etwas Besonderes, wonach man alle zehn Finger ausstrecken müsse. Da mein Kind auf der Straße singt, denkt er, erhebe er sie, weiß Gott wie hoch, wenn er sie zu seiner Buhlerin oder gar zum unglückseligen Weibe macht! Die Straßenecke, wo meine Walperga die Laute schlägt, ist ein ehrenvollerer Platz, als das eheliche Lager an seiner Seite. Die Pest über den Burschen! Woher weiß er denn, daß mein Kind nicht auch von edler Abstammung? Und wenn er ein Baron, ein Graf, wohl gar ein Herzog wäre, ich gäbe ihm doch meine Tochter nicht. Also, weil er sie für arm hält und niedrigen Standes, soll sie ein Glück d'rin finden, des Unmenschen Sklavin zu sein!? – Nein, Matusch! nenn' es nicht sündhaften Hochmuth, aber mit meinem Kinde will ich höher, will ich besser hinaus. Lieber vor aller Welt verdorben sein und darben, als dem Janko angehören!«

»Er versprach aber, erhöret ihn Walperga, sich zu bessern, die Wildheit abzulegen, ein Anderer zu werden, fromm und sanft und mild.«

»So!?« fuhr die Alte fort und ihr Aerger steigerte sich; »kann er aber auch seine häßliche Fratze ablegen, und den grellen Ton in seiner Kehle und das falsche Herz und die gemeine Seele? Bedarf's zur Heirat gar keiner Liebe und keiner Lieblichkeit? Wem fiel es wohl je schon ein, die rauhe, fahle Distel, das Eselsfutter, und die herrliche Rose in einen Strauß zu winden? – Sagt ihm doch alles – ich hätte dessen kein Hehl!«

»Es ist jedoch noch zu bedenken, daß der Janko, wenn sein Antrag zurückgewiesen wird, und noch dazu mit schnödem Hohn, wie Du meinst, er vom Bewerber sich zum erbittertsten Feinde umwandeln muß; denn seine Sinnesart ist rachsüchtig – daß er alles daran setzen wird, Euch zu verderben.«

»O! ich zaubere ihm die Verzehrung in den Leib und die Gicht in die Knochen – ich fürcht' ihn nicht! Zudem finden wir schon noch Beschützer!«

»Ich setze jedoch den Fall, daß er nicht glaubt an Deine Zauberei; und sei es, so dürfte ihn Deine Drohung nur zu größerem Zorn, zu heftiger Rachbegier spornen. Wer Glauben, Ehr' und Scham abgelegt hat, ist furchtbar in seinem Hasse.«

»Dann können wir's auch glimpflicher einkleiden. Du magst ihm sagen, mein Kind sei schon versprochen, seit seiner frühesten Jugend, durch ein heilig Gelübde gebunden. Sein künftiger Gatte lebe fern im Ausland; deshalb würden wir auch bald Prag und Böhmen verlassen. Kommt Zeit, kommt Rath!«

»Dann wird er ohne Zweifel auch den wissen wollen und finden, dem er weichen muß und gegen ihn zu wüthen suchen. Er ist hartnäckig, wie alle Schlechten; mit Worten läßt er sich nicht beschwichtigen.«

»So werde ich Beschützer finden! Du, Matusch, verlassest uns nicht. Hast Du doch unaufgefordert uns vertheidigt, vielmehr wirst Du es thun bei unseren Bitten. Die Hilflosen verlassest Du gewiß nicht in ihrer größten Gefahr. – Und dann, dann bau' ich auf den Schutz des edlen Herrn von Waldstein, der mir bekannt und wohl gewogen ist; noch heute sprech' ich ihn; und dann bleibt noch Herr –«

»Das ist der zweite Punkt,« unterbrach sie Matusch, »den ich Euerem Kinde vorzutragen habe; ruft Walperga – es kommt der freudigere Theil meiner Botschaft.«

Marga geleitete Matusch jetzt in das Gemach, worin wir die Brabanterinnen am ersten Abend gesehen. Es war ziemlich tageshell daselbst, denn die Morgensonne lag auf den Fenstern. Auf Marga's Ruf trat Walperga aus der Seitenthür. Sie trug ein einfaches, schneeweißes Gewand, das Haar in breiten Flechten über der schönen Stirn und dem Hinterhaupte aufgesteckt. In der Hand hielt sie ein Buch mit goldenem Einband. So trat sie schön und würdevoll, ernst und günstig dem alten Manne entgegen, dem sie gar vornehm erschien – fast wie seine gnädige Gebieterin. Sie war heute ein anderes Wesen, verschieden von der Straßensängerin, die Lieder jubelte und stolz und geringschätzend die Blicke der Menge ertrug.

»Matusch!« rief sie mit seelenvollem Stimmentone, indem sie den Alten erkannte und streckte ihm die Hand entgegen, »seid mir willkommen, Freund und Schützer in der Noth! Wie oft drängte es mich doch, Euch aus vollem Herzen zu danken; doch mußt' ich stets dabei der widerfahrenen Schmach gedenken und das Herz der armen Magd, das aufwallen wollte voll Erkenntlichkeit, mußte wieder bluten in der bitteren Erinnerung. Ich grüße Euch, wie einen alten treuen Bekannten! Unaufgefordert und ohne Hoffnung auf Lohn thatet Ihr uns Gutes. Solche Menschen sind selten. Ja, Ihr habt etwas Besseres in uns geahnt, als wir scheinen. Habt Dank dafür!«

Matusch hörte Walperga zum erstenmale reden und zu ihm reden; er zitterte fast vor innerer Freudigkeit bei diesem schönen Stimmenklange, er war nahe daran, die ihm dargebotene Hand zu küssen. Er gerieth in Verwirrung und Blödigkeit, ihre wunderbare Erscheinung, die Unschuld und Hoheit, die zugleich mächtig aus ihrem Wesen sprach, nahm ihn gefangen.

»Verkennt mich nicht, schöne Walperga!« sagte er endlich zögernd, »wenn ich – nur aus Fürsorge und Anhänglichkeit für Euch – einen verhaßten Namen nenne, wenn ich im Auftrage des Ritters Janko komme, um Euch zu fragen –«

»O Gott!« rief Walperga und edler Zorn flammte über ihr Antlitz, »was hab' ich verschuldet, daß der Unhold neben mich in diese Welt gesetzt wurde, daß er auf den schmalen Raum meines Platzes sich drängen muß!«

»Es ist vorerst keine böse Absicht, keine Drohung,« fuhr Matusch begütigend fort – »der Ritter Janko will Euch vor dem Altare die Hand reichen, wenn Ihr um diesen Preis nur ihm Liebe gewähren, die Seinige werden wollt. Er sagt, er habe redliche Absicht darin.«

»Der Janko von Scherbic!« versetzte Walperga und bitterer Hohn spielte um ihre Lippen, »das, Mutter, ist die Folge unseres Gewerbes? Er darf, er kann es dahin wagen. Sagt' ich's nicht oft? Giebt unsere Lebensweise ihm nicht Grund dazu? Er, der Auswurf seines Standes, hält sich noch gut genug für die Straßendirne, die dem Volk für schmutziges Kupfergeld lustige Lieder singt. Stellt den Janko mir zur Rechten und mich knapp auf die Zinne des Schloßthurmes und ich werde den Sturz in die Tiefe wählen. Sagt ihm das: tödten könnte ich ihn leichteren Herzens, als lieben. – Ach, Du barmherziger Himmel, wann wird denn meiner Schmach ein Ende sein! Warum gab mir das Geschick nicht den fügsamen Sinn, die Neigung zu meinem niederen Stand und seiner Beschäftigung?«

»Du nimmst das auch wieder zu ernst, mein Kind!« beschwichtigte Marga; »die Absicht des Janko ist toll wie er selbst. An uns ist's nun, sie gemessen zurückzuweisen, so daß er jedoch nicht von neuem gereizt, nicht noch erbitterter wird. Matusch wird ihm sagen, Du seist schon verlobt – seist gebunden.«

»Wieder eine neue Lüge,« wehklagte Walperga und Thränen füllten ihre Augen, »dem Verworfenen gegenüber müssen wir zur Unwahrheit unsere Zuflucht nehmen! – Und wie wird er erst jetzt wüthen gegen uns, jetzt, wo er verschmäht sich fühlt, wo Grund zur Rache ist für seine nied're Seele.«

»Das wird er ohne Zweifel, schöne Walperga,« sagte Matusch, »doch habt Ihr dafür gar mächtige Beschützer, die ihm wohl stehen und seine kindischen Anschläge zu nichte machen werden. Die Herren Albrecht von Waldstein und Otto von Los lassen Euch durch mich ihren Schutz anbieten. Sie sind wohl mächtiger als der Scherbic, vor allen Dingen aber ehrenwerth und leihen ihre Arme wie ihren Degen nur ehrenwerther Sache.«

»Von beiden Herren kennt mich der Eine kaum,« versetzte mit einem Anflug von Geringschätzung Walperga, »und der Andere gar nicht. Woher diese auffallende Theilnahme für mich? Sie wäre ritterlicher angewandt bei einer Dame ihres Standes als bei der Straßensängerin. – Und was – was wird am Ende der Preis für die Dienste, die sie einer Hilflosen leisten?«

»O Walperga, Walperga!« sagte Matusch im Tone des leisen Vorwurfes, »wie achtet Ihr die Herren gering – die Ihr kaum kennt. Nein! Die dürft Ihr mir nicht schelten. Glaubt Ihr, man kann das Gute nicht thun um des Guten willen? Nein – so verworfen ist die Welt noch nicht. – Neben den Bösen giebt's noch auch Edle! War mir der Auftrag des Scherbic ein schmählicher und übernahm ich ihn des Spottes wegen nur und um Euch zu warnen, Euch zu dienen, so ist mir der der edlen Herren ein ehrenvoller gewesen.«

»Ich hab' Dir's ja,« schmählte Marga, »oft genug wiederholt, daß Herr von Waldstein mein hoher Gönner aus früherer Zeit her ist, und daß Otto von Los Dich liebt, nun – davon hast Du wohl schon Proben. Die Art, wie er Dich liebt, ist wohl über gemeinen Verdacht erhaben. Allein, es ist Deine Weise, Dich und Andere zu quälen mit Zweifeln und Besorgnissen, die keinen festeren Boden haben als der Wind.«

»Ihr seid im Dienst der Herren, Ihr kennt sie genau?« fragte Walperga mit Bestimmtheit, und ließ ihre Blicke fest auf Matusch' Antlitz ruhen.

»Ich wär's,« entgegnete Matusch, »wär' ich nicht im Dienst der edlen Frau von Rosenberg; doch dien' ich ihnen in dieser Sache aus freiem Willen mehr, denn aus Lohn. Zwingt Euch die Noth zum Singen und widerstrebt's Euerem Gefühle, Geld vom Volk zu nehmen für Gesang; demüthigt's Euch, von Vornehmen Unterstützung zu verlangen, und verschmäht Euer Stolz nicht die Gabe des gemeinen Mannes, des Standesgenossen, so – erlaubt mir, Euerer Noth beizuspringen. Ich bin nicht so arm, wie Ihr denken mögt, und falsche Scham wär's, mich zurückzuweisen.«

»Wer aber bürgt mir dafür,« rief Walperga plötzlich und ein Gedanke durchflog sie wie ein Blitz, »daß alles dies nicht ein tiefangelegter Plan ist, mich zu verderben, daß Ihr zu meinem Beschützer Euch aufgeworfen, unberufen, nur um mich zu verpflichten, daß Ihr im Sinn und Auftrag der vornehmen Herren alles gethan und daß Ihr jetzt als Beschützer mir sie bringt, wo die Gefahr größer – damit ich nur genöthigt sei, mich ihnen selbst tiefer zu verbinden, daß dann das Opfer desto sicherer falle, daß – – . Doch nein!« unterbrach sie sich, ein milder Ausdruck überflog ihr Gesicht, sie trat näher zu Matusch und legte die weiße Hand auf sein Haupt und sagte mit allem Zauber ihrer süßen Stimme: »Nein, dies treue Auge, dies benarbte Angesicht, dies graue Haar kann nicht lügen! Ihr könnt, Ihr werdet ein armes Mädchen nicht verderben, die tief Gebeugte noch tiefer beugen, die hart Verfolgte in den Abgrund stoßen! Ich habe ja nichts auf dieser Welt, nicht einmal den Seelenfrieden in der Brust, nichts als den Stolz auf meine Ehrbarkeit!«

»Da sei Gott vor,« sagte Matusch und eine Thräne stahl sich in seine Wimper, »daß in so späten Jahren die Niederträchtigkeit über mich käme und ihr Nest in mir baute. Ich kam aus reiner Menschenliebe, aus innerem guten Willen, der mich Euch schon längst unterthan gemacht, ich wollte rathen und helfen einer Bedrängten, und Ihr nehmt mich wie den Wolf im Schafsfelle, wie einen Heuchler, der tückisch, gleißnerisch eindringt in eines Hauses Frieden, um zu erspähen, wo er es verderben könnte! In mein altes Gesicht treibt schon der Gedanke daran die Glut der Scham und Entrüstung. Da Ihr an die Tugend bei den Vornehmen nicht glaubt, so müßt Ihr sie wenigstens unter den Leuten unseres Standes suchen; denn irgendwo muß sie doch wohnen!«

»Verzeiht, verzeiht!« flehte Walperga und ließ begütigend ihre Hand über sein gefurchtes Antlitz niedergleiten – »ich zweifle nicht länger, ich trau' Euch, ich vertraue Euch von ganzer Seele. Bin ich doch wie ein gehetztes Reh – das vor jedem Rauschen der Zweige erschrickt, den Verfolger fürchtet und flieht. Ich will Euch wie meinen Vater halten und auf Euch bauen in jeder Noth und Bedrängniß.«

»Das könnt Ihr, das sollt Ihr, beim Himmel! Ich hab' auch nichts auf der Welt als Gott und meine Ehre und den Hinblick auf ein nahes Grab! D'ran will ich nicht zum Schänder werden. Ich schwör' Euch zu, daß ich Euch nicht lasse, so lange Ihr meiner benöthigt, daß ich Euch schütze mit dieser meiner Brust, die den Türkensäbeln getrotzt, mit jeder Muskel dieser Faust. Dafür helfe mir Gott in meiner Todesstunde. Amen!«

»Habt Dank, Ihr edler Mann!« sagte Walperga, »und jetzt sagt dem Scherbic, was Ihr vernommen. Wollt Ihr es glimpflicher einkleiden, wie die Mutter meint, so ist mir's auch genehm. Können wir den Wolf nicht bändigen, so wollen wir ihn nicht ohne Noth reizen. Und da Ihr den edlen Herrn von Los kennt, so sagt ihm von mir: Es gäbe Länder hoch nach Mitternacht gelegen, unglückselige Länder, wo selbst der Frühling keinen Keim der Erde entlockt und so – sagt ihm – sei es auch in meiner Brust. Wo nur das Leid wohnt, zieht die Liebe nicht ein, wo sich graue eisige Wolken über die Flur lagern, da blühen keine Blumen. Sagt das!«

»Vor allem,« fiel Marga ein, »sagt ihm Dank für sein edles Anerbieten und für vieles andere noch. Zum Freiherrn Waldstein geh' ich selbst und werd' ihm danken. Er hat für Dich, bedenk' das, Kind, mit dem Janko einen Zweikampf gehabt und diesen gezüchtigt, hat selbst sein Blut daran gesetzt. Das thut man nicht leicht um unedler Absicht willen. Für hohe Damen erheischt es die Ehre; Du bist nur ein armes Kind, der alten Marga Tochter. Und zudem kennt er Dich bis jetzt noch nicht, hat kaum das Verlangen gezeigt, Dich zu kennen. Da kann die Absicht keine unehrbare sein. Doch muß ich ihn noch anderweit sprechen, denn ich habe wichtige Botschaft für ihn. Und Dir, Matusch, da wir Dich erkannt, wollen wir auch ganzes Vertrauen schenken. Wir sind nicht so arm, wie wir scheinen! Dies alte Gemäuer birgt manches Gut, gemünztes Gold und Juwelen von Werth, die wir redlich erworben. Es soll uns dienen, wenn erst hier unsere Sendung beendigt, fern von Prag vielleicht, in unbekanntem Lande sorglos und glanzvoll leben zu können. Wir scheinen arm, weil wir die Habsucht nicht reizen dürfen. Die Auskunft war ich Euch schuldig, Matusch, weil wir demnach Euer edles Anerbieten zurückweisen müssen. Der Wille hat den Werth der That in dankbaren Herzen.«

»Doch hier, mein Töchterchen,« unterbrach sie sich und ging an einen Tisch in der Ecke, wo sie einen bisher durch ein Tuch bedeckten, zierlichen Kasten öffnete und daraus eine neue Laute hervorlangte, die sehr kunstreich gearbeitet, mit Zierrathen von Silber und Perlmutter belegt war; »hier, Walperga, ist das neue Saitenspiel! Dein Auge wird die schöne Form, Dein Ohr den hellen Ton loben. Des Letzteren versicherte mich der Meister; es ist das gelungenste Werk, das er verfertigt.«

»Hab' ich Dir nicht gesagt, Mutter!« versetzte Walperga ernst, »als ich im gerechten Zorn die Laute zerbrach, daß mein Finger sie nie wieder berühren wird, hab' ich es nicht mir zugeschworen?«

»Jene nicht, mein Töchterchen! – Ich habe sie ja auch auf die Seite geschafft, um sie Deinem Blick zu entziehen, um Dich durch sie nicht an Unfreundliches zu erinnern; doch diese? Was hat dies Saitenspiel verschuldet, das von Deiner Hand noch keinem Hörer erklungen und was die Kunst, die Du übst, weil sie ein rohes Ohr vernahm? – Bedenk', wie gar nicht d'ran zu zweifeln ist – wenn uns der edle Herr von Waldstein besucht, der vernommen hat von der kunstfertigen Sängerin, so ziemt es doch, so werthem Gast und Schutzherrn ein schönes Lied zu singen. Wolltest Du ihm versagen, was Du bisher jedermann gewährt!?«

»Das eben ist's! Die Gabe war zu allgemein und zu gemein geworden, darum hat sie an Werth verloren. Wie soll er, wenn er hochgesinnt und kunstfühlend, an dem Freude finden, was ich den Straßenleuten, was ich einem Scherbic preisgab?«

»Nicht alle Lieder hast Du vor dem Volk gesungen; die schönsten, sinnreichsten, die Du erdacht, kennt bis jetzt nur die Einsamkeit.«

»O möchte sie sie ewig kennen und wär' auch nicht ein Ton erklungen von mir auf offenem Markte.«

»Da sei Gott vor,« bat Matusch, »daß Ihr die Kunst verschmähen wollet, Walperga, die uns so oft erfreut, die Euch so viele Liebe hat zugebracht von schlichten, aber redlichen Menschen. Das arme Volk hat auch ein Herz und fühlt mit diesem Herzen. Zu Eurem Dienst, Walperga, möchten sich, wenn Ihr's verlangt, hundert Arme bewaffnen gleich mir, von gemeinen Leuten zwar, die Euch aber dankbar und gewogen sind, weil Ihr sie erfreut.«

»Du siehst es nun selbst, Matusch,« sagte ärgerlich die Alte, »sie ist ein verzogenes Kind, das allem, was man heischt, Argwohn und Widerwillen entgegensetzt. Was muß ich dulden, leiden und entbehren und thät's gern, könnt ich sie nur fröhlich sehen!«

»Nun, nun,« sagte begütigend Matusch, »die Jungfer wird schon wieder singen.« Er reichte ihr das Instrument.

Sie nahm es schweigend aus seiner Hand. »Lebt wohl, treuer, theurer Freund!« sagte sie und ging langsam durch die Seitenthür in das Nebengemach.

Marga verließ mit Matusch zugleich das Haus, nachdem sie sorgfältig die Pforte verschlossen. Auf dem Aujezd trennten sie sich. Marga ging zur Gräfin van Meer, zu welcher sie bestellt war.


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