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V.

Wie ein scheues Reh, der Mutter voran, an der Maltheserkirche vorbei flüchtete Walperga nach jenem Auftritt, in welchem sie von Scherbic bedroht war, nach ihrer Wohnung. Sie verschwand in einer der Seitengassen, welche sich von der Hauptstraße des Aujezd nach dem Flusse erstreckten, und hatte bald das alte Gebäude erreicht, welches uns Matusch oben geschildert. Schwer athmend folgte ihr die Alte, deren weites Gewand, deren unter dem verschobenen Turban herabquellendes grauschwarzes Haar im Luftzug flatterte.

Hinter einem mächtigen Pfeiler, der weit in die enge Straße hineinragte, über einem Steinhaufen, den das Mädchen flüchtigen Schrittes hinansprang, öffnete sie durch einen Druck eine Eisenthür, zu welcher früher eine Freitreppe geführt haben mochte, und verschwand. Sie huschte durch mehrere lange finstere Gänge, öffnete eine zweite Thür und trat in ein hallenartiges Gemach, in welches das Tageslicht nur als Dämmerschein hereinbrach. Die vergitterten Fenster waren mit Ziegelsteinen, Laden und Brettern so verstellt, daß einzelne Zwischenräume wohl eine freie Aussicht nach dem Flusse und den Inseln gegenüber gestatteten, die Fenster aber von außen das Ansehen hatten, als müsse im Innern alles wüst und verfallen sein.

Hier warf das athemlose, zornerglühte Mädchen die Laute auf den Boden, daß sie zersplitterte, indem sie im bittersten Tone ausrief: »Hier liege – du Zeichen meiner Erniedrigung! Weh meiner Hand, wenn sie wieder deine Saiten rührt!« Dann sank sie in einen Sessel am letzten Fenster, wo das hellste Licht hereindrang, und brach in lautes Weinen aus.

Nicht lange darnach trat auch Marga herein, ihr Fuß stieß an die zerschmetterte Laute. Sie eilte zur Tochter, kniete vor ihr nieder und ergriff schmeichlerisch ihre Hand. Das häßliche Weib, wild und fast abschreckend anzusehen, war mild und weich, wie eine – Mutter!

»Mein Kind – Marinka!« rief sie sanft flehend, »weinen mußt Du nicht, nicht weinen. Es war ja nichts – nichts, was uns beschimpfen, was uns schaden könnte! O sei ruhig, mein Töchterlein, meine gute Marinka!«

»Nichts!?« versetzte Walperga mit Bitterkeit, während die Thränen über ihre Wangen strömten; »geschmäht, verhöhnt wie eine freche Straßendirne; vom Pöbel beschützt – des Pöbels Genossin! Das nennt Ihr Nichts?«

»Das Volk ist Dir so gut; es hätte Dir kein Haar krümmen lassen. Wie kann Dich diese Liebe, diese Theilnahme erniedrigen? Liebe ist immer gut!«

»Wohl weiß ich,« sagte Walperga mit Ernst und Selbstgefühl, »daß ein einziger Hilfeschrei von mir die Leute zu meinem Schutz bewaffnet hätte, wie sich der alte Matusch auch preisgab; aber schon der Umstand, daß ein roher Gesell es wagen kann, es darf, mich zu höhnen, mir eine Ungebühr zuzumuthen, ist Schmach genug. Und alles dies ohne Noth. Weil Ihr es wollt, weil Ihr mich preisgebt, weil Ihr mich zwingt zu lügen, eine kecke Stirne zu tragen, während mein Inneres erröthet. – Und wiederholt sich dieser Auftritt nicht? Ist es heute das letztemal gewesen? O, ich ertrage es nicht mehr! – Fluch' mir, wenn ich die Laute dort je wieder berühre!« – Sie stützte das Haupt in die Hand und fing von neuem laut zu weinen an.

»Wein' nicht, Marinka,« schmeichelte die Alte und küßte ihre Hand, »Du weißt, wie mir das wehe thut. Zürne, schelte mich, mach' mir Vorwürfe; nur weine nicht!«

»Marinka! Marinka!« wiederholte die Tochter bitter, »warum dieser Name, warum vor der Welt ein anderer? Auch dies ist eine Lüge, eine Verstellung!«

»Weil es Dein Name ist, Kind, weil Du so heißest, Marinka, weil dies Land Deine Heimat. Ach! noch müssen wir hier für Fremde gelten, bis der dunkle Schleier sich löst, bis ich gefunden, was ich so rastlos suche. Geduld, mein Kind, Geduld! Vielleicht sind wir dem Ziele nahe und alle Erniedrigung, alle Verstellung hat ein Ende.«

»Sind wir nicht reich? sagt es mir, Mutter? Wozu also das Gaukelspiel auf den Straßen, wozu die Lieder, die ich in schönen, träumerischen Stunden in der Tiefe meiner Brust geboren, entweihen vor dem Pöbel, von ihm Almosen empfangen?«

»Noch nicht, Marinka! Wenn wir auch den nicht finden, den ich suche – wenn Dir und mir das Räthsel nicht gelöst wird, so sollst Du doch reich genug sein, daß Einer der Ersten des Landes Dich freit. Denn Du bist nicht nur von edlen Gaben, sondern von edlem Blut. Ich weiß es; sieh mich nicht so zweifelhaft, so geringschätzend an. Wie eine Fürstentochter will ich Dich ausstatten; trägst Du jetzt den Schein der Armuth, sollst Du später frei im Glanz des Reichthums leben. Ja glänzen, beneidet werden soll die Tochter der Zigeunerhexe, wie mich die boshaften Menschen nennen!« –

»Sieh, Marinka!« fuhr sie nach einer Pause fort, während dessen das Mädchen träumerisch im bitteren Schmerz vor sich hinstarrte und nur zuweilen ein wehmüthiges Lächeln um ihre schönen Lippen spielte; »hab' ich nicht alles – alles für Dich gethan? Ich weiß, daß Liebe ihre Gaben nie verrechnen soll; aber Du willst es ja so. Wie selten hör' ich ein liebend Wort von Dir, wie sparsam wird mir ein freundlicher Blick! – Du liebst mich nicht, Du bist, als wärst Du nicht mein Kind! Und doch bist Du mein Abgott! Was hab' ich nicht alles für Dich gethan, für Dich gethan, für Dich erduldet. Noch jetzt trag' ich die Schmach der Menge, Du erntest den Beifall. Und es ist recht so: Du bist ja schön wie eine Rose, in Deiner Kehle wohnt die Nachtigall und wenn Du mild bist, auch der Himmel in Deinen Augen. Ich aber bin alt und häßlich – sie schelten mich Zigeunerin, muthen mir Höllenkünste zu: ich muß es tragen. Dich segnen sie wie einen Engel, mir fluchen sie, als gehörte ich der Hölle. Das duld' ich alles um Deinetwillen; und was hab' ich auf der weiten Welt, was soll die matte Seele erfrischen, die müden Knochen laben, wenn es nicht Deine Liebe ist, ein wenig von Deiner Liebe!«

»Mutter!« versetzte in mildem Tone Walperga und reichte ihr versöhnlich die Hand. »Ihr wißt, daß es nicht meine Weise ist, von dem, was meine Brust verbirgt, Worte zu machen. Ich achte Euch, ich ehr' Euch als Euer Kind. Soll ich es in heißeren Worten aussprechen, als ich es vielleicht fühle, es wäre Lüge! Auch Ihr seid mir das einzige Wesen auf der Welt – und doch, doch fühl' ich einen leeren Raum in meiner Brust, den ich ausfüllen möchte, mit etwas Unnennbarem, mit dem vielleicht, was mir ein Räthsel, was Ihr mir verbergt.«

»O ich verberge Dir nichts, mein Kind! Harre nur, bald sinkt vielleicht die Binde, die Deine, die meine Augen bedeckt.«

»Wer ist mein Vater? Sagt es mir – Mutter!« fragte Walperga streng und ihre Augen hafteten forschend auf dem Antlitz der Alten. »Man nennt uns Zigeunervolk, und doch betheuert Ihr, daß böhmisch Blut, daß echtes Christenblut in unseren Adern fließe. Blau schimmert's durch meine Haut; durch Eure, Mutter –?«

»Marinka! Ich hab' es Dir doch tausendmal geschworen vor dem Bilde des Gekreuzigten, und den Fluch der Verdammung herausgefordert, wenn ich lüge, daß ich keine Zigeunerin, daß ich czechischer Leute Kind, geboren, gesäugt, genährt in diesem Lande bin. Soll ich Dir wiederholen, was ich Dir schon so oft erzählt, daß eine Zigeunerschaar mich raubte nicht fern von der elterlichen Hütte, daß sie mich weit hinwegführten und zwangen, ihres Gleichen zu werden, daß ich ihre Sitten und Gebräuche annehmen, ihre Lebensweise theilen mußte. Die braune Farbe ätzten sie dem Kinde ein, um meine Abstammung zu verbergen; später hat Wind und Frost, Sonnenbrand und Rauch in unterirdischen Höhlen mir Antlitz und Arme fahl und braun gefärbt; doch nah' am Herzen, das weißt Du, Kind, schimmert mein Blut auch blau durch die Adern. – Warum mich die Unholde geraubt, ich weiß es nicht. Aus Habsucht kaum; denn das sechsjährige Bauernkind trug nur ein leinen Kleid und am Halse ein zinnernes Muttergottesbild. Es mochte aus irgend einem Aberglauben geschehen. Später, als ich gelehrig war zu Tanz und Gesang, als ich singend oder bettelnd die meisten Gaben erhielt, trieb sie wohl Eigennutz an, mich zu fesseln und mir jede Flucht unmöglich zu machen. Wohin sollte ich auch fliehen? War doch die Heimat meinem Gedächtniß entschwunden. Und dennoch erkannte ich sie später, als der Zufall uns auf unseren Zügen nach Jahren dorthin führte, wieder, und wußte, daß ich Eltern besessen und einen Bruder, größer als ich. Die Hütte war niedergebrannt, vorlängst im Kriege, an ihrer Stelle wuchs Gras, die Eltern lange todt, der Bruder in den Türkenkrieg gezogen und nicht wiedergekehrt. Da endlich – in einer Nacht, wo die Bauern gegen uns auszogen mit Waffen und Hunden, weil sie uns in Verdacht eines Mordes hatten, der in jener Gegend begangen worden war – gelang es mir, der Bande zu entfliehen. Sie flüchteten durch das Erzgebirge nach Sachsen, ich eilte an die bayersche Grenze. Dich auf dem Arme, durchzog ich, wahrsagend und Heiltränke für Mensch und Thier bereitend, Deutschland und die Niederlande, bis ich in Brüssel eine feste Wohnstätte fand. Einige meiner Prophezeiungen machten Glück, vornehme Damen suchten Rath bei mir und schützten mich. Ich gerieth in Wohlstand und blieb, um Deine Ausbildung zu fördern. Der ehrwürdige Pater Geron war es, der früher Katholik, in uns die Glaubensgenossen erkannte, der Dich väterlich liebte, in Gesang und Musik, in Sprachen und vielen Wissenschaften unterrichtete. Und als ich Reichthum erworben, als Du beinahe zur Jungfrau heranwuchsest, da drängte es mich nach der Heimat zurück – da beschloß ich, Deinen Vater zu suchen.«

»Und wer ist, wer war mein Vater?«

»Gott weiß es – ich nicht. Doch edel war er gewiß und ein Schloß seine Wohnung. Forsche nicht weiter – Marinka. Ich habe noch ein Erkennungszeichen; es wird mich vielleicht zum Ziele bringen. – Ein Jahr noch durchzogen wir Deutschland und sammelten Schätze, Du durch Gesang, ich durch meine Wunder. – Kein Bettelkind wollte ich in die Arme des Vaters legen, wenn ich ihn fand. Du warst so schön geworden, geliebt, bewundert. Ich war glücklich in Deinem Besitze und zitterte vor Deinem Verlust und zittere noch!«

»Und auf den Straßen, wo ich die jungfräuliche Scham verleugnen muß, den frechen Blicken eines Jeden ausgesetzt, den gemeinen Zumuthungen eines Trunkenboldes preisgegeben: so soll ich den Vater finden? Er, der Edelgeborene, wie Ihr sagt, soll so sein Kind wiedererkennen?«

»Ich rechne auf die Macht des Blutes, Marinka! Und hier in Prag, nur hier ist Hoffnung. Hier endigt meine Spur – hier nur kann ich den Gesuchten finden.«

»Mein Gott! wie wird das enden, wie sich lösen. Vielleicht war sie besser, die Verborgenheit meines niederen Loses, als der kecke Schritt aufwärts, der uns nur in einen Abgrund führt.«

»Prag nur löst das Räthsel. Gedulde Dich, mein Kind; warst Du doch sonst so fromm, und lerntest von mir dulden und harren. Der Mutter Hand hat stets sorgsam die Dornen unter Deinen Füßen hinweggeräumt; was zürnst Du so heftig, wenn dennoch einer Deine Ferse ritzt? Nicht ich habe die Last auf uns gebürdet; es hat es ein höherer Wille gethan. Vergönne mir das eine Glück, Dich zu besitzen – nach Mehrerem streb' ich nicht.«

»Mutter,« versetzte Walperga weich und ihr Sinn flog träumerisch in die Vergangenheit zurück; »vielleicht war es doch nicht gut, daß wir nach Prag zogen, in die stolze, kalte Königsstadt. Ein Schauer erfaßte mich beim Eintritt in seine Mauern; er ist noch nicht gewichen. – Wie war es schön, das Thal, das wir durchzogen, dort an der Eger, zwischen grünen, bewaldeten Bergen, wo ich Euch bat, uns eine Hütte zu bauen. In jener Verborgenheit war uns gewiß der Frieden, das Glück beschieden. Ich verlange ja nur nach einem blauen Himmel, nach Flur und Wald und trauter Einsamkeit! Hier find' ich alles dieses nicht.«

»Und wenn wir hier nichts erringen, nichts erforschen, so ist es ja noch immer Zeit, in jene Abgeschiedenheit zu gehen, wohin Du Dich sehnst. Dein Herz ist noch jung – es wird, es muß erst seine Rechte geltend machen. Du wirst die Liebe kennen lernen und mit ihr eine neue Welt voll Seligkeit, vielleicht auch – voll Schmerzen.«

»Die Liebe,« wiederholte das Mädchen und ein ungläubiges Lächeln flog um ihren Mund, »wie fügte sich die den Ansprüchen meiner Seele und meinem Stande?«

»Sei wieder froh, Marinka,« bat Marga, »verscheuche die Sorgen, die Du rufst, auch wenn sie nicht kommen. Geh', mein Kind, und schmücke Dich, damit Dich wenigstens die Verborgenheit in Deinem Glanze sehe – und Deine Mutter, wenn es auch jetzt noch die Welt nicht darf.«

»Ein armseliges Gaukelspiel!«

»Und wirst Du etwa nicht geliebt? Spendet Dir nicht fast jeden Tag Dein unbekannter und doch gekannter Ritter eine Liebesgabe? Ich wette, auch heute birgt die Nische über unserer Pforte ein Geschenk, kostbar zugleich und doch zart, weil bescheiden. Der Dich so still und doch heiß liebt, ist der Herr von Los und kein Anderer. Ist er nicht schön? Rührt Dich seine demüthige Bewerbung nicht? Fühlst Du nichts für den edlen Mann, der alle Gaben hat, ein Mädchenherz zu gewinnen?«

»Ich dulde seine Huldigung, wie ich die rohe Neigung des wüsten Scherbic dulden muß – ich, die Straßensängerin, die Genossin des Pöbels.«

»O, Du bist hart und stolz, Marinka. Gott erweiche Dein Herz und nehme ihm seine Erbitterung. So fühlst Du keinen Unterschied zwischen dem edlen Herrn von Los und dem tollen Trunkenbold und Schläger? Bei Gott! ich wollte, Otto's Huldigung hätte sich einer milderen Jungfrau zugewendet. – Bald sollst Du einen neuen Beschützer finden. Wohl hab' ich ihn erkannt, den edlen Herrn von Waldstein, der den Scherbic zur Rede stellte. Du konntest ihn nicht sehen, da Du voran eiltest. Ich kenn' ihn, gut – sehr gut, aus Brüssel her; damals warst Du noch ein Kind und wirst Dich seiner nicht mehr erinnern. Das ist ein ganzer Mann: stolz, tapfer, freigebig, hochgesinnt und männlich schön. Alle Damen von Brüssel liebten ihn und die Gräfin van Meer verfiel schier in Wahnsinn aus Leidenschaft zu ihm – obgleich sie vermählt war, und es nicht sollte. Wer kann für sein Herz! Er nahm die Liebe, wie sie ihm geboten wurde. Warum sollte er auch nicht? Doch war er nie ein Geck, wenn er auch kein rechtes Herz für solche Hingebung hatte. Sein Sinn strebt immer nach etwas Höherem; d'rum trägt er auch den Nacken so stolz. Das ist Manchem angeboren. – Ja, dieser soll Dein Beschützer sein – er ist reich und mächtig, einer der ersten Barone des Landes und von seinen weiten Reisen wohl eben erst heimgekehrt. Er kennt mich wohl – denn in Brüssel war ich's, die sein Einverständniß mit der Gräfin van Meer beförderte. Von vielen anderen Damen noch mußt' ich ihm Botschaft und Liebesgaben bringen. Ich that's, weil ich ihr Herzweh linderte. – Dieser, Marinka, wird Dein Beschützer sein. Zu ihm gehe ich – er soll auch unsere anderen Zwecke fördern helfen.«

»Was soll es mit ihm,« versetzte Walperga geringschätzend – »er ist ein Edelmann, wie die Anderen. Hat er ein Herz für uns? Hilft er, so wird es eine Gabe der Barmherzigkeit sein, der niederen Dirne mit Verachtung, mindestens mit Herablassung gereicht. Und fände er, der – wie ihr sagt – so viele Herzen erobert, Wohlgefallen an der gemeinen Magd, was würde er verlangen, das nicht ehrlos wäre? Meine Schande soll mir ja zur Ehre gereichen, wenn ein hoher Herr sie verlangt – das wißt Ihr, Mutter, das habt Ihr selbst gesagt.«

»Ehrloses hat Waldstein, wie ich ihn kenne, nie begangen; er nahm, was man ihm freiwillig gab. Und die sich ihm ergaben, waren vornehmen Standes, wie ich gesagt. Nie hat er dort ein armes Mädchen geringer Herkunft berückt. – Doch genug mit Deinen ewigen Zweifeln. Du langst immer in die Zukunft, malst Dir sie schwarz und verdüsterst Dir die Gegenwart. – Ich gehe jetzt und sehe, ob nicht die Nische etwas verbirgt, das der zarte Sinn Otto's von Los gespendet. Wer so heiß und bescheiden liebt, verdiente wieder – geliebt zu werden.«

Die Alte verließ das Gemach – kehrte aber bald wieder zurück, ein Päckchen in der Hand.

»Sieh' da!« rief sie, und ihre Augen leuchteten freudig, während sie die Hülle löste, »eine Rose aus purem Golde, kostbar und kunstreich gefertigt – wie schön wird sie Dein Haar schmücken. Wie schön – o nimm!«

Sie reichte der Tochter das kostbare Geschmeide, die es fast theilnahmslos betrachtete.

»Und hier ein Blatt, ein Brief,« fuhr sie fort – »Worte in wälscher Sprache – lies, lies, Marinka!«

Walperga entfaltete das Blatt und las folgende zierlich geschriebene Worte:

»Wie eine Perle mit der Muschel umschließest Du Dich –
Mit einem Gitter umgürtest Du Dich,
Und hältst Dich selbst gefangen,
Damit kein Befreier zu Dir dringe!
Dennoch dringt meine Seele zu Dir.
Es ist keine Nacht so schwarz,
Daß nicht mein Auge Dich wüßte zu finden! –
Aber die Sonne ist allmächtig –
Der Keim muß doch die Erde zersprengen,
Wenn ihm der Frühling kommt.
Soll nur zu Dir die Liebe niemals dringen?«

Sie endete – das Blatt entfiel ihrer Hand. »Der Keim muß doch die Erde zersprengen,« wiederholte sie halblaut; »mir hat die Sonne nie erwärmend geschienen, mein Frühling kann nicht und wird nicht kommen!«

Die Alte hob das Blatt vom Boden auf und fragte freudig: »Ist das nicht schön, nicht sinnreich und bescheiden? O sei nicht undankbar, mein Kind – leicht könntest Du später selbst Grausamkeit erfahren. Doch jetzt lass' mich Dich schmücken!«

Sie eilte in das Nebengemach und kehrte mit Gewändern, Schleifen und Geschmeiden zurück. Draußen hatte sich inzwischen der Tag geneigt, die Dämmerung, welche in der weiten Halle herrschte, begann in Finsterniß überzugehen. Marga schloß die Laden sorgfältig und brannte mehrere Armleuchter an, die hier und dort in den Wandnischen befestigt waren. Eine zauberische Helle ergoß sich durch das weite Zimmer und ließ auf den verwitterten Wänden Spuren von Malerei hervortreten. Der düstere Raum hatte nichts Unheimliches mehr.

Dann nahte sich Marga der Tochter, löste das Geflecht ihres Haares, daß es in dichten langen Locken über Hals und Nacken herniederrollte; mit geschäftiger Hand öffnete sie die Schleifen und Heftel ihres Kleides und streifte dieses ab, daß das schöne Mädchen bis an die Hüften entblößt nur in einer dünnen, schneeweißen Hülle dasaß, vergleichbar einer Nymphe, die im Begriffe ist, in die kühlende Fluth des Bades hinabzugleiten. Willenlos ließ Walperga dies alles geschehen; es war, als ob ihr Sinn noch träumerisch weile bei den Worten jenes Blattes. Ein wehmüthiges, doch süßes Lächeln spielte um ihre Lippen, die lange Wimper war gesenkt und wie ein volles Lilienblatt hob und neigte sich in langen Pausen der jugendlich volle, entfesselte Busen und schien das helle Licht umher zu blenden in seiner schneeweißen Pracht.

Wohlgefällig in ihrer Beschäftigung fuhr die Alte fort, das geliebte Kind zu schmücken. Sie legte ihr ein wasserblaues, mit goldenen Fransen umsäumtes Seidengewand an, darüber einen Kaftan aus purpurnem Stoff, der nur die Seiten und den Rücken bedeckte, die schönen Arme und die halbe Brust unbekleidet ließ. An die zarten Füße schlang sie ihr gelbe, goldfunkelnde Sandalen, um die Armgelenke Spangen, blitzend von Edelgestein, um die Hüften einen Gürtel von Silberschuppen. Dann ordnete sie das wallende Haar und scheitelte die dichten Locken über der Stirne. Sie befestigte quer darüber goldene Kettchen, an welchen langgegliedert große, tropfenförmige Perlen senkrecht bis auf die Wangen herabhingen. Ein Halsband von prächtig gefaßten Rubinen fiel auf den Busen und bis in seinen zauberhaft reizenden Einschnitt herab, das Hinterhaupt aber deckte ein kleiner Turban von schneeweißem Stoff mit blitzender Agraffe und einer blauen Feder, die über die rechte Schulter herniederwallte. Dann steckte sie ihr kostbare Ringe an die Finger und trug einen großen Spiegel herbei, der im vollen Glanze das reizende Bild wiederstrahlte. – Und eine feenhafte Erscheinung war in der That Walperga in dieser halb phantastischen, halb orientalischen Tracht. Wohl vermochten Gewänder und Geschmeide dem engelschönen Mädchen keinen neuen Reiz zu geben, aber ihre Schönheit war es, welche Zauberglanz, Anmuth und Harmonie auf die Gewandung und die lichten Farben ausgoß. – So mochte sie einer Odaliske gleichen, die dem Besuch des Herrschers der Gläubigen entgegenharrt, nur daß aus diesen edlen, ernsten und jetzt mehr gesänftigten Zügen keine sinnliche Glut, keine Sklavendemuth, kein Bangen und Verlangen sprach. Ruhig besah Walperga ihr Bildniß im Spiegel – doch malte sich kein wohlgefälliges Lächeln auf ihren Zügen. Es war, als dulde sie dies Schauspiel und gewähre um der Mutter Willen, ihr zu Liebe. Diese war entzückt im Anschauen des Kindes; die häßlichen Züge ihres Angesichtes verschönten sich beinahe während der Betrachtung des wunderschönen Bildes.

»Bist Du nicht schön wie eine Königin,« rief sie freudig, »nicht die schönste Jungfrau, die je einer Mutter Auge gesehen? O wie lieb' ich diese Pracht in dieser Einsamkeit! Es wär' ein Raub an diesem einzigen Zauber, wolltest Du Dich der Welt so zeigen! Nein, hier ist unser Heiligthum – Dein Tempel! Die rohen Sinne würden nach Dir verlangen, die frechen lüsternen Blicke Dich verletzen! Nur einer darf Dich so erkennen, um Dich ewig zu lieben. Nur mit einem, dem Du ganz gehören wirst, kann die Mutter theilen!«

Und im Uebermaß der Freude küßte Marga der Tochter die Hände und die Füße, da wo sie schneeweiß aus den Bändern der Sandalen hervorquollen. Dann eilte sie wieder geschäftig von hinnen und brachte in silberner Schale Früchte und Brot und schenkte in goldenen Pokal purpurnen Wein und bediente die Tochter, als wäre diese in der That eine Königin. Sie selbst setzte sich zu ihren Füßen nieder und schwelgte im Anschauen des Wunderbildes.

Walperga aß und trank schweigsam – manchmal nur blitzte ihr Auge empor und haftete bald im Spiegel, bald auf der Wand gegenüber. Es war, als gleite zuweilen über das feuchte und doch so brennende Oval des Auges der Gedanke wie silberner Morgennebel: Der Keim muß doch die Erde zersprengen, wenn ihm der Frühling kommt.

»Ja wir sind reich, Marinka,« sprach die Alte voll freudigen Bewußtseins, »und wir sind auch glücklich trotz unserer Einsamkeit. Der Armuth Schein bewahrt uns vor der Habsucht, der Verdacht zauberischen Verkehres vor roher Zudringlichkeit. In diesem alten Gemäuer haben wir uns einen Feenpalast gebaut. Ich leb' im Anschauen Deiner Schönheit, Du bist selbstbewußt und ungefährdet in ihrem Besitze. Jeden Tag vermagst Du Dich anders gestaltet zu erblicken und der Gedanke: wollt' ich mich zeigen, ich könnt' Euch Alle berücken, muß Deine Brust mit Stolz erfüllen. Es ist doch gut, Marinka, daß die Mutter so rastlos nach Geld und Schätzen strebt. Was uns jetzt als Schaugepränge dient, wird zur Nothwendigkeit, zum Bedürfniß, trittst Du erst in die Welt. Und wir müssen noch reicher, viel reicher werden!«

Das Mädchen stützte jetzt ihr Haupt auf den Arm und schloß die Augen, als nahe sich ihr der Schlummer; aber es war nicht der Schlaf, es war nur süße bange Träumerei, die weich wie Abendluft auf Rosen durch ihren Busen zog. Die Alte legte ihren Kopf auf das Knie des Kindes und störte weiter durch kein Wort die Ruhe desselben.


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