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XIII.

Mitten in diesem Gewirre der Parteien hatte Albrecht von Waldstein sein Schwert ruhig in der Scheide gelassen. Jeder Aufforderung zum Bündniß wich er geschickt aus, nirgend schloß er sich an; seine Zeit schien noch nicht gekommen. Er hatte die Sterne befragt; diese forderten ihn noch nicht zum Handeln auf. Seine Freunde, die sich mit Eifer und patriotischem Feuer in die Ereignisse gestürzt hatten, wurden irre an ihm. Er vermied jede Erklärung. Sein Blick drang in die Zukunft, und er hatte sich nicht getäuscht. So drohend sich auch kurz vorher die Verhältnisse gestaltet, so rasch war der Friede erfolgt und jede weitere Thatkraft aufs neue begrenzt und zur Ruhe verwiesen. Welche Erfolge konnten ihm auch aus diesen vorübergehenden Familienwirren erblühen! Das Ende dieses Zwistes war leicht abzusehen; mehr oder minder erheblich konnten sich bis zu Rudolfs Tode dergleichen Auftritte wiederholen. Es mußte eine entscheidende Wendung der Dinge abgewartet werden; denn Albrecht von Waldstein wollte nur dem Mächtigsten seinen Arm leihen, Demjenigen, der ihm den weitesten Spielraum für seinen Feuereifer, die reichste Gelegenheit zur Befriedigung seines Ehrgeizes darbieten würde. Und ein solcher war Mathias noch nicht, ebenso wenig, als es nach dem Vorhergegangenen Rudolf sein konnte. – So sehr auch der Thätigkeitstrieb in ihm drängte und glühte, so besaß er doch Selbstbeherrschung genug, ihn zur Zeit zu bändigen und für die Zukunft aufzusparen.

Es dunkelte bereits; er trat aus dem Lobkovic'schen Hause auf dem Hradschin und war im Begriff, die alte Schloßstiege nach der Kleinseite hinab zu gehen; da trat eine seltsam drapirte, schmutzige Weibergestalt aus dem Schatten des Thorpfeilers hervor und warf sich ihm in den Weg.

Schon wollte er die zudringliche Bettlerin – das schien sie ihm – mit einem Scheltworte zurückweisen, da erhob sie aber die Stimme: »Gnädiger Herr! Gott sei gelobt, daß ich Euch endlich gefunden habe. Eure Leute wollten mich nicht vorlassen; sie wiesen die alte Hexe, wie sie sagten, mit Schimpfworten und Drohungen ab, so oft ich kam. – Ich bin ja die alte Mossoun aus Brüssel, die Marga – kennt Ihr mich nicht mehr, gnädiger Herr?«

Unheimlich berührt trat Waldstein mit dem Weibe weiter seitab und fragte mit leiser Stimme: »Wohl – wohl; aber wie kommst Du hierher?«

»Ihr wißt doch, gnädigster Herr,« versetzte die Alte, »daß ich von hier bin, eine Böhmin; und da hat mich die Sehnsucht nach dem Vaterlande getrieben. Ich möchte gern zu Hause meine alten Tage beschließen.«

»Und was treibst Du hier?«

»Ich nähre mich kümmerlich durch Gesang und –«

»Durch Gesang,« wiederholte Waldstein überrascht und war nahe daran zu lachen.

»Nicht allein, gnädiger Herr! Und dann treibe ich, was ich in Brüssel getrieben, ich deute Träume, wahrsage und helfe den Leuten. Die Kundschaft ist hier freilich nicht so gut wie dort; ich habe keine Bekanntschaft hier unter den vornehmen Damen noch – und das war, wie Ihr wißt, mein Hauptgeschäft in Brüssel.«

»Ich will Dir etwas schenken,« versetzte Waldstein und griff nach der Börse und suchte dadurch schnell von dem widerwärtigen Weibe loszukommen.

»Lass't das, gnädiger Herr!« sagte Marga. »Deshalb bin ich nicht gekommen; ich habe eine wichtige Botschaft für Euch, die mir schon seit zwei Tagen auf der Zunge brennt. Die Gräfin van Meer ist hier.«

»Die Gräfin van Meer!« rief Waldstein, und trat sichtbar erschrocken einen Schritt zurück – »und was will sie, was sucht sie hier?«

»Ja, gnädiger Herr! das wird sie Euch wohl selbst sagen.«

»Weiß sie, daß ich hier bin?« fragte Albrecht heftig und ohne die Bewegung, in welche ihn diese unwillkommene Nachricht versetzt, verbergen zu können.

»Freilich! Habe ich Euch doch schon vor längerer Zeit gesehen. Ich war's, die an der Ecke musicirte, als Ihr mit dem Ritter Scherbic Händel bekamt. Es war meinetwegen. Ihr habt die alte Mossoun nicht erkannt. Ich hatte freilich Eile, zu flüchten, weil – und konnte Euch daher nicht danken und mich zu erkennen geben.«

»Und die Gräfin Meer, sagst Du?«

»Die ist Euretwegen gekommen. Weiß der Himmel, wie sie mich so schnell aufgefunden hat. Ihr Gemahl ist nunmehr todt, sie ist Witwe und unabhängig. Und darum ist sie Euch nachgereist, denn sie liebt Euch ganz entsetzlich. Und schön ist sie noch – schön – wie damals, als Ihr sie zum erstenmale saht und ich Euch Nachts durch das Gartenpförtchen zu ihr geleiten mußte. – Sie schwärmt von Euch wie eine Fieberkranke – sie kann es kaum erwarten.«

»Und Du hast ihr selbst gesagt, daß ich hier, daß ich in Prag?«

»Ja freilich! Sie vermuthete es zwar; aber als ich ihr darüber Gewißheit gab, da war sie außer sich vor Freude, weinte und lachte zu gleicher Zeit und riß ein kostbares goldenes Kreuz von der Brust und schenkte es mir. Ich glaube, es möchte Euch selbst großes Vergnügen machen, daß die Gräfin hier und Witwe ist. Denn Ihr habt doch manche Nacht Euer Leben darangesetzt, um sie zu sehen, wenn der alte eifersüchtige Gemahl Euch durch seine Banditen auflauern ließ.«

»Mossoun!« sagte Wallenstein, der in peinlicher Ueberraschung nach einem Gedanken zu suchen schien, »Du bist treu und verständig – Du hast mir manchen redlichen Dienst geleistet. Höre mich! Die Gräfin muß fort! Ich kann sie hier nicht sehen, nicht sprechen. Ich will es nicht. Du mußt sie aus Prag schaffen.«

»Ja, wie könnte ich das, gnädiger Herr! Und bei so heftiger Liebe. Ich glaube, die Gräfin thäte sich um Euch ein Leid an – wenn – wenn Ihr sie verschmäht.«

»Du hast Recht – das Weib ist furchtbar in seiner Heftigkeit – da hilft weder Gewalt noch Drohung. Wir müssen auf Mittel sinnen; denn hier bleiben, kann sie bei allen Teufeln nicht!«

»Aber warum, gnädiger Herr? Habt Ihr sie doch sonst so geliebt, und –«

»Frag' nicht, Mossoun; – aber sie muß fort!«

»Das wird sie nicht gutwillig thun, zumal sie Euch hier weiß. Wollt Ihr sie meiden, gnädiger Herr, so wär' es besser, Ihr ginget heimlich selbst.«

»Ich vor einem Weibe fliehen, mich verbergen? Was nützte das auf die Länge? Und ich muß jetzt in Prag bleiben.«

»Dann, gnädiger Herr, müßt Ihr erwarten, daß sie Euch morgen aufsucht. Denn ich sollte Euch nur auf Ihre Erscheinung vorbereiten. Anfänglich wollte sie Euch gar unversehens überraschen – Ihr solltet eine große Freude haben!«

»Weib, diese Botschaft haben Dir die Teufel eingegeben. Sie soll nicht kommen, sie darf nicht kommen! Wo wohnt sie?«

»In der Altstadt, in der Jesuitengasse – im rothen Haus. Oder wolltet Ihr sie lieber bei mir sprechen?«

»Nein, nein! Geh' zu ihr – sag' ihr – sie möge nicht kommen; ich würde selbst erscheinen; morgen schon. Sag' ihr, es ginge nicht – ich hätte Gründe. Gottes Donner! Ich bin so wüst, daß ich keinen Entschluß fassen kann. Mossoun! Wo wohnst Du? Ich muß mit Dir Rath pflegen, wir müssen einen Plan machen.«

»Ich wohn' am Moldauufer, hinter den verfallenen Häusern des Aujezd – in einer alten Klosterruine, versteckt vor den bösen Menschen. Ihr findet dort nicht hin, gnädiger Herr! Ich will Euch an der Dominikanerkirche erwarten, wenn Ihr befehlt. Wann wollt Ihr kommen?«

»Noch heut', in zwei Stunden! Hier muß rasch gehandelt werden. Wir müssen ihr zuvorkommen. Das Weib ist zu allem fähig. Erwarte mich!«

»Ihr sollt es nicht zu bedauern haben, gnädiger Herr, daß Ihr die Mossoun aufgesucht habt in der Ruine. Mein Dach ist morsch, die Wände sind zerfallen – in den Gängen wohnt Nacht und Grauen, und doch sollt Ihr ein Wunder sehen!«

»Das größte und schlimmste aller Wunder, Du alte Gauklerin und Betrügerin, ist die Ankunft der Gräfin! Kannst Du zaubern – so zaubere sie hinweg.«

»Ei, ei! Und Ihr habt sie doch so sehr geliebt, gnädiger Herr! Männertreu ist doch gar wandelbar.«

»Und Weibertreu?! Die Gräfin liebte mich wohl aus Treue für ihren Gatten?«

»Sie brach die Treue aus Liebe zu Euch! Doch, wie Ihr meint! An meiner Wunderkraft dürft Ihr aber nicht zweifeln, edler Herr! Und wenn es Euch auch nicht überrascht, was ich Euch zeige, so soll es Euch – mein' ich – doch nicht mißfallen.«

»Ich denke nicht gering von Wundern; denn wie könnte der Menschengeist alles ergründen. Ist doch die ganze Welt ein Wunder; Du hast nach Zigeunerart auch manches vorhergesagt, woran ich endlich glauben mußte. Was uns im Großen die Wissenschaft giebt, das giebt Euch im Kleinen der Instinct. Die alten Weiber sind wie Katzen: die spüren das Wetter auch voraus.«

»Ei, aus alten Weibern können junge werden; vielleicht versteh' ich den Zauber.«

»Und vermochtest mir nicht vorher zu sagen, daß diese Gräfin kommen wird, das rasende Weib, das fremdes wie eigenes Leben gleich leicht in die Schanze schlägt. Argoli hatte Recht, als er mir verkündete, daß mir von dem Weibe Gefahr drohe. Ich glaubte sie beseitigt – weitab von Prag liegt Brüssel, die Zeit bringt Vergessen und dort lebt ihr ein Gemahl. Da führt sie mein böses Gestirn hierher, zur unseligen Stunde. Mossoun! Eile zu ihr, bewege sie, daß sie bis morgen sich ruhig verhält. Ich komme dann selbst. Es wird einen harten Auftritt setzen; aber ich muß sie enttäuschen – aus meinem Munde muß sie erfahren, daß dies Verhältniß von ehemals nie wieder angeknüpft werden kann. Ich konnte mit der Gräfin tändeln, da sie die Gattin eines Anderen war; sie jetzt zu meiner Gemahlin zu machen, darnach trage ich kein Verlangen. Man muß die abgedankten Geliebten nicht heiraten. Du bist klug, Mossoun! Du kannst ein Wort, einen Wink fallen lassen, als läge ich bereits hier in Liebesbanden, als habest Du etwas gehört von meiner Vermählung, die die Ehre und der Vortheil unseres Hauses erheischt. Verstehst Du mich? Doch lass' sie mehr errathen, als Du sagst, damit ich freieren Spielraum habe, wenn ich gezwungen ihr morgen eine Fabel aufheften muß. Und vor allen Dingen mach' sie nicht vor der Zeit rasend, damit ich sie gefaßt – etwas gebeugt schon finde.«

»Ihr sollt mit mir zufrieden sein, gnädiger Herr! Thut mir's gleich leid, der schönen Frau solch einen bitteren Kelch zu credenzen.«

»Das ist einmal nicht zu ändern! Ich kann um einer Jugendthorheit wegen nicht meine ganze Zukunft vernichten. Mossoun – wenn alle Weiber von Brüssel, aus England, Frankreich, Wälschland, mit denen ich ein Liebesabenteuer eingegangen, mir hierher nachfolgten – es wäre gräßlich! Nur weil die Gräfin eine Närrin ist, fügte sie sich nicht in das Unvermeidliche. Erwarte mich in zwei Stunden an der Dominikanerkirche und gieb mir Nachricht, wie sie Deine Botschaft aufgenommen.«

Die Alte eilte schleunigst den Berg hinab, während Waldstein wieder durch das Burgthor zurück, in das Lobkovic'sche Haus ging, um sich ein Pferd satteln zu lassen, das ihn eiligst nach dem Wyschehrad hinüber und zurücktragen sollte. Der dortige Probst war ein Jugendfreund seines Vaters und lag im Sterben.

»Ich habe Deinem Vater,« sagte der Greis, als Albrecht an sein Krankenbett trat und nachdem sich die Anwesenden entfernt, »bevor ich ihm die Augen zugedrückt, geschworen, daß ich – bist Du erst heimgekehrt – Dich schützen und hegen will wie meinen Sohn. Die Natur fordert früher ihren Zoll von mir; ich kann's nicht vollbringen. Deines Vaters heißester Wunsch im Tode noch war, sein Haus mächtig und groß zu sehen. Er erlebte es nicht. Sein Segen, seine Hoffnungen ruhen auf Dir! Du wirst von nun an der Träger seines Namens, seiner Entwürfe, seines Ehrgeizes sein. Dein Oheim Adam hat zahlreiche Erben; es ist keine Aussicht, als könntest Du dereinst in Deiner Person alle die Güter des Hauptstammes vereinigen. Dennoch haben Dir die Sterne, wie Du sagst, großen Reichthum verheißen. Lass' mich den Grund dazu legen – wenn er auch klein ist, wie aller Anfang. Eingedenk des Versprechens, so ich Deinem edlen Vater gegeben, habe ich Dich zu meinem Erben eingesetzt. Es sind keine großen Schätze, die ich Dir hinterlasse; nur so viel als sich ein Priester ersparen konnte, dessen Kinder auch zahlreiche Arme waren; doch wird es einige Zeit genügen, um Dich glanzvoll in die Laufbahn, die Du wählst, einzuführen. Doch damit glaube ich mein Gelübde noch nicht gelöst. Ich habe darum vor einer Stunde meine Verpflichtung und Dein ferneres Geschick in die Hand unseres hochwürdigsten Erzbischofes übertragen; er wird Dir statt meiner Freund und zweiter Vater sein. Er hat es mir, dem Sterbenden, hier im Angesicht des Heilandsbildes geschworen und – den Sterbenden hält man Wort. Wirf Dich in seinen Schutz. Vertraue Dich seiner Leitung. Lamberg ist fromm und gut.«

»Mein edler, väterlicher Freund!« rief Waldstein mit tief bewegter Stimme und küßte die kalte Hand des Greises, »wodurch hab' ich so viele Güte verdient?!«

»Ich habe nicht viel Worte mehr,« versetzte matt der Kranke, »meine Zeit ist gemessen. Nimm keinen Abschied, Albrecht! Wir sehen uns ja doch wieder! Es drängt mich, Deinem Vater Kunde zu geben, wie ich Dich verlassen, wie ich Dein Wohl besorgt nach meinen Kräften. Leb' wohl! Bleib' unserer Kirche treu!«

Er reichte ihm das Crucifix, welches er in seiner Hand hielt, zum Kusse und gab ihm ein Zeichen, sich zu entfernen, dann drehte er den Kopf gegen die Wand – und war bald darnach verschieden.

Waldstein küßte noch einmal die blasse starre Hand seines Wohlthäters und entfernte sich. Er fühlte sich tief erschüttert, aber zugleich mächtig erhoben. Selbst die Sterbenden schienen sich verbündet zu haben, seine Laufbahn günstig zu öffnen, seine Zukunft glänzend zu gestalten. Argoli hatte nicht gelogen, sein Stern ihn nicht getäuscht. Als ihn sein sterbender Vater in einem Briefe, der ihn zu Padua traf, ermahnte, den zeitherigen Probst des uralten Collegialstiftes zu Sanct Peter und Paul auf dem Wyschehrad Paul Strachovsky, von nun an als seinen besten Freund und Vater zu ehren, hatte er den ehrwürdigen milden Greis als einen Mentor geschätzt, nie aber geahnt, jener würde ihn zu seinem Erben einsetzen, in einem Zeitpunkte, wo in Folge seiner kostspieligen Reisen seine Hilfsmittel so ziemlich erschöpft, die väterlichen Güter auch bereits mit namhaften Schulden belastet waren.

Die Geldsumme, welche ihm Strachovsky hinterließ, betrug zwar nur zehntausend Ducaten; aber diese genügten, um ein paar Jahre eine glänzende Rolle zu spielen. Sein heiterer Sinn kehrte im Bewußtsein dieses neuen Glückswechsels wieder, und so peinigend für ihn auch der bevorstehende Auftritt mit der Gräfin war und er sich kurz zuvor denselben um jeden Preis vom Halse geschafft hätte, so beschloß er doch, mit mehr Ueberlegenheit und kaltem Blute dem Unvermeidlichen entgegenzutreten; denn – es ist doch nur ein Weib, sagte er sich – und ich muß mich daran gewöhnen, Fesseln zu brechen, um die Arme frei zu gewinnen für bevorstehende Kämpfe.


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