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VIII.

Kaiser Rudolf, als König von Böhmen Rudolf II., war zur Zeit, wo unsere Geschichte spielt, beinahe dem Greisenalter nahe gerückt. Weniger die Bedrängnisse der Zeit: die blutigen Türkenkriege, deutsche Kriegshändel und innere Unruhen, als die Zerwürfnisse mit seiner Familie hatten den im Anbeginn seiner Herrscherlaufbahn thatkräftigen Mann altern gemacht. Von allen sechs Söhnen Maximilian's II., dieses durch Herzensmilde, Weisheit, Kenntniß und religiöse Toleranz unvergeßlichen Fürsten, der in der That über seiner Zeit stand, glich ihm keiner; nur Rudolf schien im Herzen und Geiste einen Theil des väterlichen Erbes empfangen zu haben. Darum begrüßten ihn auch die Böhmen nach Maximilian's frühem Tode (1576) freudig als ihren Herrscher.

Aber die Prinzen von Oesterreich waren es, die Rudolfs Lebensabend nicht nur verbitterten, sondern von Leidenschaften getrieben, Böhmen, das schönste Land seiner Krone, in eine Reihe verderblicher Kriege stürzten.

Ueberaus herrschsüchtig war Mathias, des Kaisers ältester Bruder. Längst schon hatte er getrachtet, einen Theil der österreichischen Länder, die so wie Ungarn Rudolfs Scepter gehorchten, an sich zu bringen. Zu diesem Zwecke schmeichelte er den damals dort zahlreichen Protestanten und diese setzten auch ihre Hoffnung auf ihn, weil er mehr zur Duldung, als zur Verfolgung geneigt, weil er toleranter als Rudolf und vollends als der steiermärkische Ferdinand schien. – Eine Heirat des Kaisers hatten sämmtliche Brüder zu hintertreiben gewußt; eine spätere astrologische Wahrsagung bestärkte diesen selbst in seiner Ehelosigkeit. Mathias war zwar muthmaßlicher Thronerbe – die Wahl der Böhmen vorausgesetzt – aber er, sowie seine Brüder befürchteten nicht ohne Grund, Rudolf könnte seinen Vetter Ferdinand von Steiermark, dem er besonders gewogen war, zu seinem Nachfolger wählen.

Als daher der Kaiser den Erzherzog Mathias nach Preßburg geschickt hatte, um an seiner Statt den Landtag zu leiten, gewann Mathias die versammelten ungarischen Magnaten, sowie die österreichischen Abgeordneten, in dem Maße für sich, daß sie ihn nicht nur zum wirklichen Verweser der sämmtlichen ungarischen und österreichischen Staaten, sondern auch zum Thronfolger Rudolf's in diesen Ländern erwählten und ihm Treue und Beistand mit Gut und Blut gelobten.

Als der Kaiser von dieser Treulosigkeit des eigenen Bruders Nachricht erhielt, klagte er bei den Reichsfürsten über dies eigenmächtige Verfahren und ging sie um Beistand an. Aber sie gewährten ihm keinen. Seine Feldherren: Althan, Tilly und Fels riethen ihm zwar, ein Heer zu sammeln und diese offenbare Empörung des Bruders sowohl, als seiner abtrünnigen Unterthanen mit einem raschen Schlage zu erdrücken. Aber Rudolf schwankte, zauderte – er wollte keinen offenen Bruderkrieg. – Rascher aber ging Mathias zu Werke; er beschloß seinem Bruder zuvorzukommen, ein Heer zu sammeln und den Kaiser durch Gewalt der Waffen zur Anerkennung der von den Ungarn und Oesterreichern erfolgten Wahl zu zwingen. Vor allem versicherte er sich der Unterstützung der Mährer und gewann auch sofort die beiden mächtigsten Herren derselben: Karl von Liechtenstein und Karl von Zerotin. Jenem war bei einer wichtigen Ehrenstelle ein Ausländer vorgezogen worden und dieser wurde als Protestant (böhmischer Bruder) durch Rudolfs Gebot von allen hohen Aemtern ausgeschlossen; denn nur Katholiken und Utraquisten sollten dergleichen bekleiden. Die Mährer vereinigten sich mit den Ungarn und Oesterreichern und bald stand Mathias, dessen Truppen sich in Znaim gesammelt hatten, an der Spitze von fünfundzwanzigtausend Mann an der böhmischen Grenze.

Dieser Friedensbruch ohne Kriegserklärung, ja ohne Kriegsveranlassung, verbreitete allgemeinen Schrecken in Böhmen. Rudolf schickte den Olmützer Bischof, Cardinal von Dietrichstein, den päpstlichen Legaten und den spanischen Gesandten nach Znaim an Mathias, um ihn über seine Absicht zu befragen und allen Ernstes zum Frieden zu mahnen. Dasselbe thaten die böhmischen Stände. Aber Mathias gab nur zweideutige, ausweichende Antworten und beschied sie endlich, er wolle eine weitere Erklärung in Czaslau, also schon mitten in Böhmen abgeben.

Jetzt erst faßte Rudolf den Entschluß, ein Heer zu sammeln. Er schrieb in aller Eile den Heerbann in Böhmen aus, und hatte auch die Genugthuung, daß ihm das ganze Land, der Adel und alle Städte, treu blieben, und ihm, ihrem rechtmäßigen Herrn, sofortige Hilfe leisteten. Nur zwei der mächtigsten Barone, Wenzel von Budova und Graf Mathias von Thurn, sagten sich los; sie hingen dem Mathias an; denn sie waren eifrige Protestanten und vertrauten als solche dem neuen Herrscher.

Als Erzherzog Mathias von dieser Zurüstung Kunde erhielt, rückte er mit seiner Armee gegen Czaslau, lagerte sich vor der Stadt und lud die böhmischen Stände zu einer Unterredung ein; die Mehrzahl derselben, namentlich die protestantischen, welche größere Religionsfreiheit wünschten, und andere, durch deren Herrschaften und Güter sein Kriegszug ging, erschienen auch.

Hier eröffnete er ihnen seine Absicht. Er verlangte nämlich – mit den Waffen in der Hand – sein Bruder möge ihm freiwillig die Verwaltung Böhmens, Ungarns und Oesterreichs abtreten, ihn noch bei seinen Lebzeiten zu seinem Nachfolger ernennen und ihm, im Verein mit den Ständen, die Thronfolge sichern.

Rudolf, eingeschüchtert, geängstigt, und in seinen älteren Tagen friedliebend, war auch sofort bereit, das Begehren seines herrschsüchtigen Bruders zu erfüllen, lieber, als sich in einen verderblichen Krieg zu stürzen. Er berief daher sofort die böhmischen Stände nach Prag und bat sie, in Erwägung der drohenden Umstände seinen Bruder zum Thronfolger in Böhmen zu erwählen, falls er selbst ohne leibliche, rechtmäßige Erben vor ihm sterben sollte.

Diesen Moment hatten die protestantischen Böhmen längst herbeigewünscht; denn jetzt war es an der Zeit, dem geängstigten Kaiser die völlige Religionsfreiheit, welche ihnen sein Vater Maximilian gewährt, der Sohn aber bisher noch nicht bestätigt hatte, abzunöthigen. Der Kaiser befand sich so zwischen zwei Feuern; er mußte auf der einen Seite gewähren, wollte er, daß die Stände gleichfalls in seinen Vorschlag willigten, und ihm durch die Anerkennung des Bruders als Nachfolger zugleich den Bruder als Feind beseitigen.

Wenzel von Budova, das Haupt der protestantischen Stände, faßte fünfzehn Artikel ab, und las sie in der Ständeversammlung vor. Die wichtigsten darunter enthielten Folgendes:

»Jedem Christen ist es freigegeben, das Abendmahl unter beiden Gestalten zu empfangen.

Der Vertrag mit dem Baseler Concilium, in Folge dessen alle Gebräuche der römischen Kirche, bis auf das Abendmahl unter beiden Gestalten, beim utraquistischen Gottesdienst beibehalten worden, wird aufs neue aufgehoben und so, wie schon im Jahre 1577 geschehen, für null und nichtig erklärt.

Es sollen an der Prager Akademie Defensoren der Utraquisten eingesetzt werden.

Kein Grundherr soll seine Unterthanen zu einer anderen Confession zwingen dürfen, als zu der sie sich freiwillig bekennen.

Es ist untersagt, daß eine Glaubenspartei die andere mit Haß oder Spott verfolge, und wird dies bestraft.

Einem jeden, ohne Unterschied der Confession, wird erlaubt, auf seinem Grund und Boden Kirchen zu bauen und feierliche Leichenbegängnisse zu halten.

Kein Ausländer kann zur erzbischöflichen Würde in Prag oder zu einer Prälatur gelangen. Bischöfe und Prälaten dürfen sich in die weltlichen, d. h. politischen Angelegenheiten des Königreiches nicht mischen.

Den Jesuiten ist nicht gestattet, ohne die Erlaubniß aller drei Stände (der Herren, Ritter und Städte) Güter zu kaufen.

Es wird fest bestimmt, was Hochverrath sei und wie weit sich seine Bestrafung erstreckt.

Der königliche Procurator muß ein geborener Böhme sein und wenigstens dem Ritterstande angehören.

In wichtigen Reichsangelegenheiten werden nur eingeborene Böhmen und keine Ausländer zu Rathe gezogen.

Ungewöhnliche Befehle, welche den Gerechtsamen des Königreiches und den Freiheiten der Stände zuwiderlaufen, sollen keine Kraft haben« etc.

Nachdem der Herr von Budova diese und die übrigen Artikel vorgelesen und sie von den Versammelten mit Acclamation angenommen worden waren, unterschrieben das Propositionsdocument sogleich zweihundert vom Herrenstande, dreihundert Ritter und alle Abgeordneten der königlichen Städte, nur Pilsen, Budweis und Kaden – als gut katholisch gesinnt – ausgenommen.

Jaroslav von Martinic aus dem Herrenstande, Katholik und des Kaisers geheimer Rath, protestirte allein laut gegen dieses Vorhaben der Stände. Aber Mathias von Thurn beschwichtigte ihn sofort durch die Drohung, ihn aus dem Fenster zu stürzen, wie dies in Böhmen Sitte mit Vaterlandsverräthern sei; ein Brauch summarischer Justiz, der in diesem Lande schon seit Jahrhunderten üblich war. – Seltsamerweise sollte diese Drohung später an Martinic und seinem Meinungsgenossen in Erfüllung gehen, wie wir im Verlaufe dieser Begebenheiten erfahren werden.

Am Schluß der Sitzung verbanden sich sämmtliche Stände eidlich, diejenigen nachdrücklich zu bestrafen, welche die kaiserliche Bestätigung dieser Artikel in irgend einer Art verhindern oder schmälern würden. Für den Fall aber, daß sich Kaiser Rudolf weigern sollte, diese Artikel zu unterschreiben und zu sanctioniren, so wollten sämmtliche Stände die Partei des Erzherzog Mathias ergreifen und ihn sofort als Verweser des Landes und späteren König anerkennen.

Zu derselben Zeit schickte auch Mathias, dem die neue Verlegenheit des Kaisers nicht fremd geblieben war, Abgeordnete an die böhmischen Stände nach Prag. Ihr Wortführer war der mährische Herr, Karl von Zerotin; er machte ihnen die Ursache kund, weshalb der Erzherzog an der Spitze eines Heeres nach Böhmen gekommen sei. Seine Absicht, hieß es, sei eine durchaus friedliche; sie bezwecke lediglich, den kränklichen und alternden Kaiser zu bewegen, ihm die Regierung des Königreiches Böhmen abzutreten und sich nach Tirol zur Ruhe zu begeben. Wollten ihm die böhmischen Stände behilflich sein, den Kaiser zu dieser freiwilligen Verzichtleistung zu veranlassen, so wollte er, Mathias, als ihr neuer Herrscher, ihnen sämmtliche Freiheiten bestätigen und neue gewähren.

Kaiser Rudolf war, wie wir oben gesagt, im Anbeginn seiner Regierung glücklich gewesen; er war beliebt und hatte das Vertrauen seines Volkes. Von feinen Sitten, leutselig im Umgange, wohlwollend gegen Niedere, liebte er in jüngeren Jahren ritterliche Spiele, Musik und Bankette. Er trat oft selbst in den glänzenden Turnieren, die er auf dem Altstädter Ringe hielt, als Mitkämpfer auf. Er war ein lebensfroher, thatkräftiger Fürst. – Dies währte jedoch nicht lange. So lange er tolerant war und die Böhmen bei ihren Religionsgebräuchen ließ, war seine Regierung wie sein Leben, ungetrübt; er fand überall Gehorsam und herzliche Zuneigung. Aber bald bemächtigten sich die Mönche seiner und säeten den Giftsamen der Unduldsamkeit in seine Brust. Er begann die Unkatholischen zu verfolgen und schloß namentlich den hohen Adel dieser Confession von allen Ehrenstellen aus. Dieser aber war, wie wir bereits gesehen haben, die mächtigere Partei. So sehr Rudolf früher geliebt wurde, so sehr wurde er bald gehaßt, wozu noch die heimliche Hinrichtung des obersten Hofmeisters des Reiches, Georg von Lobkovic, welche ohne Proceß und Urtheil erfolgte, sehr viel beitrug. – Rudolf seinerseits wurde nunmehr auch mürrisch, mißtrauisch und argwöhnisch im Umgange. Er hielt sich zurückgezogen und verschlossen in der Prager Burg. Wer ihn sehen wollte, mußte sich als Stallknecht verkleiden und in die kaiserlichen Stallungen gehen, wohin Rudolf zu gewissen Stunden des Tages zu kommen pflegte. Seinen Lieblingsstudien, der Alchymie und Astrologie, warf er sich gänzlich in die Arme, die Beschäftigung mit ihnen mußte ihn in manchen Stunden für die verlorene Liebe und Anhänglichkeit der Menschen entschädigen. Eine Anzahl von Adepten, die sich mit der Goldmacherei beschäftigten, hatte er in seinen Diensten; sie hausten und trieben ihr mystisches Wesen in einem engen, finsteren Gäßchen zunächst der Burg, welches noch heute den Namen »Goldgäßchen« führt. Als Rudolf mit zunehmendem Alter menschenscheuer und düsterer wurde, wandelte er oft zur Nachtzeit, vor Meuchelmord bangend, in den unterirdischen Gängen umher, welche er nach den verschiedenen Theilen des weitläufigen Schlosses anlegen ließ. Noch im Jahre 1600, als sich ihm die Constellation des Himmels günstig erwies, war er gesonnen, sich zu vermählen; doch abermals hintertrieben seine Brüder und Vettern dieses Vorhaben. Er hatte mehrere uneheliche Kinder; doch duldete er von diesen nur einen Sohn, Julius von Oesterreich, einen sechzehnjährigen Jüngling, um seine Person, und war ihm in Liebe zugethan. Die Tochter eines Hofbedienten, Ludmilla, hatte ihm denselben geboren, war aber nach der Geburt des Knaben gestorben, ein Grund, weshalb Rudolf doppelte Zärtlichkeit auf ihn übertrug, und ihm noch vor seinem Tode die Herrschaft Krumau schenkte, welche nach dem Tode des letzten Rosenberg's an ihn heimgefallen war.

Aber bis an seinen Tod schätzte und förderte Rudolf die ernsten Wissenschaften und schönen Künste. Eine große Anzahl von berühmten Gelehrten und Künstlern hatte er an seinen Hof berufen und unterstützte sie aufs Großmüthigste. Es war ein medicäisches Zeitalter in Böhmen unter seiner Regierung. Dichter, Naturforscher, Aerzte, Astronomen und Mathematiker, sowie Maler, Bildhauer und Musiker fanden in ihm ihren Gönner und Kenner. Die literarische und Kunstausbeute jener Zeit ist noch jetzt als eine überaus reiche und werthvolle zu betrachten. Prags hohe Schule, das Carolinum, stand in ihrer Blüthe; aber auch das niedere Schulwesen befand sich, wie wir schon früher bemerkt, in einem vortrefflichen Zustande. Es war kein Marktflecken in Böhmen, der nicht seine wohleingerichtete Schule und geschickte Lehrer gehabt hätte. Niemand wurde als Lehrer angestellt, der nicht wenigstens das Baccalaureat an der Prager Universität erlangt hatte. Viele hatten sich, noch bevor sie Landschullehrer wurden, bereits als Schriftsteller bekannt gemacht und ausgezeichnet. Von den Landschulen wurden vorkommendenfalls Lehrer an das Carolin berufen; die Bildung war so allgemein verbreitet, daß man in den böhmischen Städten Bürger fand, die den Virgil, Ovid, Horaz, ja den Homer und Anakreon lasen und selbst lateinische und griechische Verse schrieben. Diese vortreffliche Einrichtung des Schulwesens, der sich damals keine Nation in Europa rühmen konnte, war von den böhmischen Protestanten ausgegangen, sowie fast die meisten Gelehrten in diesem Zeitraume dieser Confession angehörten. Wie die Jesuiten aber alles vernichtet und das Volk systematisch zur alten Barbarei und Unwissenheit zurückzuführen sich redlich bestrebt, werden wir später ersehen. – Noch eins ist aber zu erwähnen: die Büchercensur – leider schon im Jahre 1547 auf Antrag des Prager Domcapitels unter Ferdinand I. eingeführt – war gelind und ließ der Entwickelung der Wissenschaften freien Spielraum!


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