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II.

An demselben Tage hatte Jemand an das schwarze Brett des Carolins, wo Rector und Decane in der Regel ihre Bekanntmachungen für Docenten und Studirende anschlagen ließen, eine Schrift in böhmischer Sprache angeheftet, folgenden Inhaltes:

»Unser Glaubensbekenntniß ist in Gefahr! Seid auf der Hut! Die Jesuiten, die wir kaum vertrieben, schleichen wieder ins Land. Die Herren von Slavata und Martinic und andere Große verfolgen unsere Lehre auf ihren Herrschaften, schließen die Kirchen sub utraque und treiben Leute, die gut evangelisch, aus Amt und Brot. Der Kaiser muß unsere privilegia bestätigen, sonst haben unsere Väter ihr Blut vergebens für den Kelch verspritzt. Wachet und betet, daß Ihr nicht in Versuchung fallet. Haltet aber auch das Schwert bereit; denn unser grimmiger Feind, der Papst, ist stets gerüstet. Warum haben unsere heiligen Märtyrer Huß und Hieronymus ihren Glauben in den Flammen besiegelt? Ewiger Ruhm ihnen!«

Darunter hatte eine zweite Hand, nachdem sie das Wort »Kaiser« oben durchstrichen, mit Bleistift geschrieben: »Wir haben keinen Kaiser, wir haben einen König, so wir erwählt.«

Ein Dritter fügte die Bemerkung hinzu: »Ja – er macht Gold; lasset ihn nur, er wird uns das goldene Zeitalter bringen!«

Und ein Vierter setzte in großen Schriftzügen die pathetischen Worte darunter: »Vater Ziska, steig' aus Deinem Grabe und hilf dem armen Böhmervolke!«

Es konnte nicht fehlen, daß dieses seltsame Plakat eine große Menschenmenge herbeizog und zu den mannigfaltigsten, theils bekräftigenden, theils höhnischen Bemerkungen Stoff gab, bis am Abend der Diener des Rectors, Famulus Palec, in seiner Amtstracht, mit Barett und Stab erschien, und im Namen Magnifici das Blatt abriß. – Hierauf zerstreuten sich allmählich die Neugierigen und Unzufriedenen.

Etwa eine Stunde nach dem Auftritte an der Ecke der Brückengasse trat der alte Matusch in die Schenkstube des Brauhauses, welches sich schon damals in der Brückengasse unterhalb der Lauben befand und seines köstlichen Getränkes wegen von den Leuten aus dem Volke zahlreich besucht war. Jetzt befanden sich in dem großen, gewölbten Zimmer, dessen ganze Hinterwand ein riesiger Ofen einnahm, der trotz der noch milden Herbstwitterung geheizt war, weil man darin nach böhmischer Sitte kochte und schmorte, nur zwei Gäste: Sojka, der Fleischer aus der Nachbarschaft, ein athletischer, frischblutiger Mann, voll Lebensfülle und Heiterkeit in dem gerötheten Gesichte, die Hemdärmel aufgestreift, die Ellenbogen auf den Tisch gestemmt, den Krug voll braunen Bieres vor sich. Ihm gegenüber saß der Kürschner Hostal, eine ziemlich lange trockene Gestalt, mit fahlem, nichtssagendem Gesicht, ein Vielredner und Rechthaber, ein wohlhabender Mann, stolz auf sein Bürgerrecht und seinen Hausbesitz. Der Bierschenker Miklasch, nicht zu verwechseln mit dem Brauherrn, in dessen Diensten er stand, lehnte an einem Stuhl daneben, theils dem Gespräche lauschend, theils in Eigenschaft eines stets bereiten Aufwärters; ein kleiner magerer Mann, unscheinbar und hinkend, unterthänig und jeden Spott willig ertragend. – Es war noch früh an der Zeit, darum hatten sich bis jetzt nicht mehr Gäste eingefunden.

Als der stämmige Matusch, die Thür rasch öffnend eintrat, begrüßte ihn der Fleischer mit den Worten: »Da bist Du ja, Haushofmeister! Warum so spät und wie es scheint, ärgerlich?«

»Ich hab' es Euch doch schon gesagt,« versetzte Matusch verdrießlich, indem er an dem Tische Platz nahm – »Miklasch – ein Halbe! – daß mich der Titel ärgert. Ich bin einmal kein Haushofmeister. Ich esse das Gnadenbrot bei der Frau von Rosenberg im Slavata'schen Hause, weil sie's so haben will und weil ich mit ihrem Schwager Wok von Rosenberg und mit Herrn Melchior von Reder, dem Friedländer, und Herrn Berko anno fünfundneunzig im Türkenkrieg gewesen bin und dem Herrn Wok, wie sie sagen, das Leben gerettet habe. Das ist eine abgemachte Sache, Herr, und geht niemand was an! Frau Elisabeth von Rosenberg will nicht haben, daß ich etwas arbeite, weil ich, wie sie meint, schon zu alt wäre. Ich bin aber gar nicht alt, und hab's mein Seel bewiesen, da drunten an der Ecke mit dem wilden Scherbic wegen der Brabanterin. Ich wollt', es gäb' einen ordentlichen Krieg, damit ich zeigen könnte, daß ich nicht nöthig habe, Gnadenbrot zu essen. Aber den Weibern kann man nichts abschlagen, besonders wenn sie so gut und vornehm sind wie Frau Elisabeth und ihr Kind. – Also lasset das, Herr, mit dem Haushofmeister! Ihr wißt, daß ich nur ein alter Kriegsknecht bin, und – daß es mich verdrießt.«

Er hatte sich während dieser Worte an den Tisch gesetzt und den Krug, welchen ihm der hinkende Miklasch inzwischen gebracht, zur Hälfte geleert.

»Das war kein Schimpf, Matusch,« sagte beschwichtigend der Fleischer und hielt ihm seinen Bierkrug hin, damit er daraus trinke, wie das unter dem Volke Sitte ist und welches man das »Geschenk geben« nennt, »'s ist nur die Art, daß man Jemandem bei der Anrede einen Titel giebt. Und daß Du bei der gestrengen Frau von Rosenberg noch mehr sein könntest als Haushofmeister, wenn Du wolltest, das wissen wir Alle. Denn die Gnädige geht nicht von der kleinen Seite in die Altstadt, ohne daß Du sie begleiten mußt, so auch ihr Kind.«

»Das ist wahr,« sagte Matusch mit einer Art Genugthuung und trank.

»Aber Du hast einen Auftritt gehabt, alter Freund,« begann der redselige und neugierige Kürschner; »wie so? sagtest Du nicht? Hier in der Brückengasse? Ich war nicht in meinem Laden – sonst wüßt' ich was davon.«

»Nicht von Bedeutung,« versetzte Matusch, »der trunkene Ritter wollte die Brabanter Sängerin schimpfiren und ich wehrte ihm. Da gab er mir etwelche Stiche.«

»Du bist verwundet?« rief der Fleischer.

»Nicht von Bedeutung. Hier der Bader, der Magister Kostelecky oder Costlecensis, wie er sich nennt, kann es Euch sagen, er hat mir das Pflaster geschmiert und auf den Buckel geklebt.« – Ein vierter Gast war eben rasch eingetreten.

»Das ist doch eine Niederträchtigkeit,« schalt der Kürschner, »daß sich dergleichen der gemeine Mann von einem adeligen Taugenichts gefallen lassen muß, bloß weil der ein Junker ist! Denn hättest Du Dich gewehrt, hätt's der Respect erlaubt, so hättest Du ihn gewiß untergebracht. Denn Du bist ein starker Mann, Matusch!«

»Und ich hätte nur dabei sein sollen!« bemerkte Sojka und blickte auf seine bloßen, nervigen Arme.

»Alles muß man sich jetzt gefallen lassen,« rief der Bader, ein kleiner, dürrer, sehr beweglicher Mann, im rothen Kleide, wie es damals Zunftvorschrift war; »alles lassen wir uns gefallen, weil wir uns alles gefallen lassen! Habt Ihr von dem Anschlag gehört am schwarzen Brett im Carolin? Nun, Ihr habt davon gehört; ist es nicht wahr? Alles ist wahr, was darauf steht. Es geht über uns Alle los! Herr Berkowec, Herr Doctor Berkowec, der Decan der medicinischen Facultät, will uns, unsere Innung, das heißt unsere Corporation, die akademisch ist wie eine, herunterbringen, zurücksetzen, in die Gilden einordnen! Bin ich nicht Magister, Magister Chirurgiae? Ist Chirurgie nicht Heilkunst? Ueber fünfhundert Beinbrüche habe ich hergestellt, habe Hunderte gerettet durch Schröpfung und Aderlaß vor großer und lebensgefährlicher Maladie, habe Alt und Jung innerlich curirt, bevor noch der Arzt kam, schreib' mein Recept lateinisch wie Einer, kenne die gesammte Materia medica wie Einer und – und – und! was ich sagen wollte: wir sollen wieder in die Classe der Bader, Bartscheerer, Haarschneider und Haarpfleger hinabgewiesen werden, wie es ehedem war, sollen nur Ader lassen, schröpfen, barbiren dürfen! Und ich habe studirt – wie Einer! Was sagt Ihr dazu?«

»Es hat alles sein Kreuz,« sprach der Kürschner im belehrenden Tone, »und der Bürger das schwerste – sage ich, das ist: weil der Adel zu mächtig ist, und wir's uns gefallen lassen. Denn wäre justitia im Land, so hätte sich der Junker nicht unterstanden, unseren Freund Matusch blutig zu schlagen. Unter König Wenzel dem Wilden, den alle Welt schimpfiren thut, war's anders. Der ließ Edelmann wie gemeinen Mann hängen, ohne Unterschied. Das ist: er war gerecht – wenn auch manchmal hart. So aber haben wir deutsches Regiment im Land und das sieht darnach aus. – König Rudolf ist gut – ja; das ist: er versucht Gold zu machen, schleift Steine, kocht das Lebenselixir – hat eine Schaar von Gesindel um sich, fahrende Adepten und Chymici, wie sie's nennen – die prellen ihn ums Geld; und darüber vergißt er, Land und Leute zu regieren. Und mit welcher Liebe haben wir ihn doch gewählt, welche Hoffnungen setzten wir auf ihn – und wie hat uns der Erfolg getäuscht! Nichts als Abgaben; Geld für den Türkenkrieg. Mein Haus hab' ich schon dreimal bezahlt! Und die Türken, was gehen uns die Türken an? Sie sind in Hungarn – mögen die Magyaren mit ihnen fertig werden; bis zu uns ist's weit. Wenn sie kommen, werden wir sie bedienen. Haben wir nicht unter König Georg die Deutschen zum Lande hinaus gejagt – und früher hat's der Prokop und der Ziska gethan, als sie kamen, unseren Glauben zu unterdrücken? Wir haben sie heimgeschickt, daß sie nicht mehr ans Wiederkommen denken. Wehre sich jeder seiner Haut und jedes Land seiner Grenzen!«

»Nun, nun,« sagte gutmüthig zurechtweisend Matusch, »da urtheilt Ihr über die Sache so glatt weg, ohne d'rum und d'ran alles zu bedenken, Freund Hostal! Der Türke ist ein grimmiger Feind, nicht nur gegen Hungarn allein, sondern gegen die ganze Christenheit. Wir müssen es den Magyaren Dank wissen, daß sie sich sein ritterlich erwehren. Besser, wir schicken Leute und Geld dahin, als wir warten's ab, bis er im Lande wüthet. Ich kenne das, Herr! Ich habe gegen den Türken gefochten und weiß von seiner Furie zu erzählen. Ja, das deutsche Reich sollte mehr thun für den Kaiser und für Hungarn gegen die Ungläubigen. Denn ohne Haus Oesterreich und ohne Hungarn wäre der Halbmond schon mitten im Reich. – Zudem giebt's eine Prophezeiung, die besagt, daß der Türke am Hochaltare unserer Sanct Veitskirche dereinst seine Rosse mit Weizen füttern und selbige aus den geweihten Kelchen tränken wird. Man weiß nicht, was d'ran ist. Aber in Hungarn hat er sich schon seßhaft gemacht; mehr als das halbe Land ist sein – in Ofen sitzt ein Pascha; wie weit ist's von da nach Wien, wie weit von Wien nach Prag. Ich aber sage, Herr! Es giebt keinen schrecklicheren, blutdürstigeren Feind der Christenheit, als den Türken.«

»Gewiß nicht schlimmer,« grollte der Kürschner, »als die achthundert Wallonen, die vor etwa zehn Jahren ins Land kamen, dem Kaiser ihre Dienste gegen die Türken anboten und mit Freuden aufgenommen wurden. Da es aber zum Abmarsch kam, mißhandelten sie ihre Wirthe, thaten deren Weibern Gewalt an, wollten nichts bezahlen und nahmen mit, was ihnen gefiel. So ging's auch mir, und wenn meine Gesellen nicht waren, schlugen mich die Schurken todt. Ich war's auch, der zuerst bei Sanct Thomas die Sturmglocke zog, worauf sich die Bürger bewaffneten und zweiundzwanzig von den Schnapphähnen todtschlugen. Wenn sie sich nicht auf ihre Pferde warfen und davon sprengten, wären sie Alle umgebracht worden. Aber was hatt' ich davon? Ich war mittlerweile fast rein ausgeplündert worden – so daß ich's noch heute nicht verschmerzt habe. Besitze einer nur ein Haus in diesen Zeiten; er ist am schlimmsten d'ran! Wie soll sich der Bürger erholen, wenn ihn die Obrigkeit nicht beschützt, wenn die Soldateska je nach den Zeitläuften den Herrn über Leben und Tod, über Gut und Blut spielt! Hielten die Herren untereinander Frieden, wir wollten schon miteinander auskommen. So aber muß immer das arme Volk ihr Gezänk ausbaden.«

»Wie ist's aber,« fragte der Fleischer, zu dem Bader gewendet, »daß Euch die Universität an etwas verkürzen will, da Ihr doch Magister seid und zur hohen Schule gehört?«

»Das ist so,« versetzte giftig der Bader, »weil ich Magister bin, soll ich mich zur Facultät halten und als Chirurgus, wie gesagt, in äußeren Schäden prakticiren, die Baderei aber fahren lassen. Oder soll ich aus der Facultät scheiden und ganz in die Baderinnung treten. Nun ist's aber die Baderei, die das meiste Geld einbringt, und nicht die Praxis als Magister. Das ist klar! Daran soll ich verkürzt werden. Und weil ich Utraquist bin und der Herr Decan Berkovec eifriger Katholik und Pfaffenfreund, so ist's auf mich abgesehen. – Davon steht auch etwas in dem Anschlag am Carolin. Ist's nicht wahr? Alles müssen wir uns gefallen lassen! Es ist traurig beschaffen mit der Glaubensfreiheit und wird noch ärger werden. Ihr müßt mir das nicht übel nehmen, Freund Sojka; denn mir fällt eben ein, daß Ihr eine katholische Frau habt.«

»Ei was,« lachte der Fleischer, »ich hab' mir ein schönes Weib für den Tisch und das Bett genommen, für die Wirthschaft – und darin frag' ich nichts nach dem Glauben. Ich habe ihre Person und nicht ihre Religion geheiratet. In den genannten Punkten bin ich ganz mit ihr zufrieden, und daß sie sich in nichts anderes einmischt, dazu habe ich hier die Hände.«

»Freilich – freilich,« sagte der Bader, »wo Weisheit regiert, da macht der Glauben keinen Unterschied. Man brauchte des Kaisers oberste Räthe Slavata und Martinic nicht erst zu nennen, um zu wissen, daß unsere reine Lehre in Gefahr sei. Alle, die mächtig sind und es werden wollen, haben sich gegen sie verschworen. Wir werden noch Schreckliches erleben. Wie lange ist's her, daß man die Picarden, die Calviner und Lutheraner unterdrückt hat? Bald wird's an die Utraquisten kommen. Haben die obengenannten Herren ihnen doch offenbar den Krieg erklärt. Ist's nicht wahr?«

»Was den Herrn von Slavata,« warf Matusch ein, »in dessen Hause ich wohne, betrifft, so ist er streng katholisch; aber seine gnädige Schwester, die Frau von Rosenberg, das muß ich vor Gott und der Welt gestehen, ist tolerant. So fest und gläubig sie selbst ist, so hat sie mich wegen meines Glaubens auch nicht durch ein Wort molestirt. Sendet sie mir doch am Freitag und Mittwoch, wenn im Hause alles Fasttag hat, Fleisch auf meinen Tisch. Sie sagt zwar: damit ich alter Mann bei Kräften bleiben möchte; aber sie weiß recht gut, daß ich daran gewöhnt bin, und daß mir der Glaube die Fleischspeisen nicht verbietet.«

»Und unter dem seligen Kaiser Maximilian,« seufzte der Kürschner, »den wir mit den Nägeln aus der Erde graben sollten, war's doch anders und besser, viel besser. Er war milde, versöhnlich und duldsam. Keinen seiner Unterthanen ließ er der Religion wegen kränken oder verfolgen. Jeder konnte das Heil seiner Seele suchen, wo er es fand. Wie ein Vater regierte er, ließ uns bei unseren Rechten und Gewohnheiten; ihm war es gleich: Utraquist oder Katholik, Picardist oder Reformirter; wir waren alle seine Kinder. Kosteten auch die Kriege gegen die Ungläubigen viel Geld, so zahlte doch jeder gern und willig. Es war damals noch eine gute Zeit; ich war nur ein junger Bursche, aber ich habe sie miterlebt. Die kehrt nie wieder! Wohl hatte es den Anschein, als Rudolf den Thron von Böhmen bestieg, er würde im Geiste seines edlen Vaters fortregieren; aber die katholischen Pfaffen hatten ihn umgestimmt und zu ihrem Werkzeug gemacht – und mit ihnen die katholischen Herren. Darüber, weil nun die zwei Parteien sich herüber und hinüber befehden, ist er mißmuthig geworden und hat sich aufs Goldmachen geworfen; daß Gott erbarm'! Wenn's so fortgeht, wirft er noch die böhmischen Reichskleinodien in den Schmelztiegel und bläst sie als Rauch zum Schornstein hinaus.«

»Die Herren denken alle Weile,« fiel der Fleischer selbstgefällig ein, »wir – das gemeine Volk – verstehen von ihrem Regimente nichts, es verstehe nur Geld herzugeben; aber man hat auch Gehirn im Kopfe! Die Zeit ist vorbei, wo sich der Böhme von den Wiener Herren und den Jesuiten, wie meine Schafe, erst scheeren, dann die Haut abziehen und zum Schlusse ruhig schlachten ließ.« Er schlug mit der geballten Faust auf den Tisch und that einen raschen Trunk.

»In Steiermark,« nahm der Bader das Wort, »wo des Königs Vetter, Erzherzog Ferdinand, der Spanier, herrscht, da ist die Hetze schon los. Der treibt öffentliche Gewalt gegen die Protestantischen, während es bei uns doch noch heimlich geschieht. Mein Schwager ist von dort vor ein paar Tagen heimgekehrt. – Trotz seines Eides, entgegen den Freiheiten der Stände, hat Ferdinand auf einmal die protestantische Religion unterdrückt, hat bei Lebensstrafe den Bekennern der augsburgischen Confession befohlen, das Land binnen acht Tagen zu räumen. Und womit erzwang er das? Durch die Gewalt der Waffen! Als ihn die Stände inständig baten, von seinem Unrecht abzustehen, da schwur er mit fürchterlicher Stimme, er wolle lieber von seinem Reiche, ja von seinem Leben lassen, als die Protestanten in seinen Staaten dulden. Hinauspeitschen ließ er aus Gräz die protestantischen Prädicanten, Andere ins Gefängniß setzen, ihre Bücher ins Feuer werfen. Die schönsten Kirchen ließ er unterminiren und mit Pulver in die Luft sprengen, an deren Stelle aber Galgen errichten, daran sollten die baumeln, die noch ferner an Luther und Calvin glauben thäten. Auf die Köpfe derjenigen Geistlichen, welche in der vorgeschriebenen Zeit nicht außer Landes waren, wurde ein Preis von dreihundert Thalern gesetzt, als wären sie Mörder oder Landesverräther! – Ja, der erhielt eine gute Erziehung von den Dominicanern und Jesuiten, der ist ein Tyrann, unser'm König Rudolf gegenübergehalten. Ist's nicht wahr? Denn abgesehen von seiner Leidenschaft für die Chymia und Astrologia, welche übrigens zwei ehrwürdige Wissenschaften sind, ist er ein braver Herr und guten Herzens, weshalb ihn Gott erhalten möge; denn er weiß, was Schlimmeres nachher kommt, hat er erst die Augen geschlossen.«

»Wollt's eben sagen,« fiel der Kürschner ein, »der Ferdinand kann ja noch unser König werden und wehe uns dann, wenn die Religionsverfolgung in unserem Lande losgeht. Dann kann auch die blutige Hussitenzeit wiederkehren, wo das Volk sich wie ein Mann bewaffnet gegen Pfaffen und deutsches Regiment.«

»Wie so,« fragte der Fleischer, »unser König?«

»Freilich! Ist er doch Rudolfs Vetter. Rudolf ist kinderlos und sein Bruder Matthias, sein Thronfolger, auch. Dieser kann's kaum erwarten, bis er den Kaiser- und Königsstuhl einnimmt; ihm genügt das kleine Oesterreich nicht. Zudem leben alle fünf Brüder in Feindschaft. Hat Matthias unsern König nicht schon bekriegt? Und so viel ich vernommen habe, dürfte er wieder im Anzuge sein, um schon bei Rudolfs Lebzeiten sich die Krone aufs Haupt zu setzen. Sein Erbe aber möchte kein Anderer sein, als sein Vetter, der steierische Ferdinand, des Kaisers Ferdinand des Ersten Enkel.«

»Wenn wir ihn dazu wählen!« warf der Fleischer ein, »denn Böhmen ist ein Wahlreich.«

»Hat der König die Mehrzahl der Stände,« belehrte der Bader, »und das sind die Katholischen, auf seiner Seite, so setzt er seinen Nachfolger selbst ein – wie's schon gewesen ist, und das nennt man auch eine Wahl.«

»Das werden wir uns aber auch nicht gefallen lassen!« mengte sich jetzt Miklasch, der bisher horchend dagestanden, in das Gespräch.

»Narr, Du!« lachte der Fleischer, »Du wirst mit Deinem lahmen Beine Sturm gegen den Hradschin laufen und den Herren- und Ritterstand und die Hofleute und Diener und die Soldateska zu Paaren treiben.«

»Aufs lahme Bein kommt's nicht an. Der Ziska war erst einäugig und dann ganz blind und doch ein Held. Man hat auch seinen Willen!«

»Und man versteht die Kunst, Wasser ins Bier zu gießen und Salz darein zu thun, daß die Leute, je mehr sie trinken, desto durstiger werden. Kommt aber ein armer Arbeitsmann müde und lechzend, und will sich durch einen Trunk laben, so schenkst Du ihm die Neigen, saures oder trübes ein, weil er nicht durch den Steinkrug sehen kann. Du bist auch ein Jesuit.«

»'s ist nur Euer Scherz,« gegenredete Miklasch; »denn Ihr wißt doch, daß Ihr auf der ganzen kleinen Seite kein solches Bier bekommt wie das meinige.«

»Das Deinige! Haha! Als wenn Du's brautest. Des Getränkes einziges Verdienst besteht darin, daß Du's nicht machst. Von Deinem scheelen Gesicht schon wird's sauer.«

»Um wieder auf die vorige Rede zu kommen,« unterbrach der Kürschner etwas ärgerlich über das scherzhafte Zwischenspiel des Fleischers, was er in seiner Art immer wurde, wenn er einen Krug mehr getrunken, »so will ich Euch sagen, was mir ein Freund, der Hofcontrolor-Amtsdiener des Königs, der Herr Michael Eckhardt, anvertraut hat. Er ist zwar ein Oesterreicher und Katholik, aber sonst ein aufgeklärter Mann und redlich wie ich. Er kommt manchmal des Sonntags zu mir auf eine gebratene Gans, weil meine Frau Schwester auch mit einem Wiener verheiratet ist, einem Verwandten von ihm. Und da erfahr' ich so mancherlei von Seiner Majestät Hofhalt und Regiment; denn der Herr Eckhardt verkehrt in seinem Amt viel mit den hohen Herren und ihren Vertrauten und hört bei Gelegenheit dies und jenes, was wir nicht zu hören kriegen. Und so hat er denn neulich auch behorcht, was die Herren, das war der Graf Thurn, der ältere Wilhelm Popel Lobkovic, Herr Andreas Schlik, die Herren Rican, Smiricky und Kinsky, als sie in der Landstuben versammelt waren, noch bevor die katholischen Herren zugegen, vertraulich untereinander gesprochen; daß nämlich nicht früher Ruh' und Einverständniß im Land zu erwarten und auch für künftige Fäll' nicht gesorgt wäre, wenn nicht der König entweder freiwillig oder gewaltsam – meinetwegen – gezwungen würde, die Privilegien des Reiches schriftlich, das heißt auf einem Pergament mit seinem Namen und Insiegel versehen, zu bestätigen und zu beschören, das heißt so, daß diese Schrift in der Landtafel für ewige Zeiten niedergelegt werden kann. Und daß dieses auch die katholischen Herren Stände mit unterschreiben. – Wir wollen nichts, als was wir unter König Maximilian hatten, freien Glauben, freien Gottesdienst, unsere Kirchen und unsere Priester, freie Lehre im Carolin, und der Protestant soll gleichstehen mit dem Katholiken bei der Wahl zu Hofämtern und Staatswürden.«

»Das ist richtig,« rief der Fleischer und schlug begeistert auf den Tisch, »das ist gerecht, das ist vernünftig; das müssen wir verlangen und das müssen wir haben; sonst hol' uns Alle der Teufel!«

»Hostal hat gut gesprochen,« betheuerte der lebhafte Bader, den der Aerger und das reichlich genossene Bier in einen aufgeregten Zustand versetzt hatte; »ist's nicht wahr? Wenn wir uns nicht wollen alles gefallen lassen, so müssen wir das verlangen, Alle insgesammt, auf einmal, Alle wie Einer, ist's nicht wahr?«

»Der Herr Graf Mathias von Thurn,« fuhr der Kürschner fort, »hat noch ein kluges Wort gesprochen, das Ihr Euch – und wir Alle – könnt hinter die Ohren schreiben. Er meinte, diese Anregung, das heißt die Unruhe, der Wunsch nach solcher Verschreibung müßte vom Volk ausgehen, das heißt von uns. Ihr habt mich doch verstanden? – Das heißt damit die Herren protestantischen Stände auftreten und sagen können, dieses und dieses verlangt das Volk und wir stehen hier im Namen des Volkes und thun desgleichen. Oder sonst bewilligen wir keine Kriegssteuer und Abgaben mehr!«

»So ist's recht – so ist's!« riefen in einem Athem der Fleischer und der Bader, und auch Matusch, sonst der Besonnenste von ihnen, stimmte kopfnickend damit überein.

»Darum, darum,« fuhr der Kürschner wichtig und geschmeichelt durch den Eindruck seiner Worte, indem er Ruhe gebot, fort, »darum müssen wir nach unseren Kräften streben, daß es unterm Volke, das heißt unter uns zur lauten Aeußerung, zum Ausspruch dieses Verlangens komme. Das heißt, wir müssen laut und öffentlich darüber reden, daß uns solches zum Heil wäre, daß wir es vom König hoffen und daß der König es wohl gewähren würde, mit allem Respect vor Seiner Majestät, wenn er von den Wünschen seines Volkes unterrichtet wäre, und daß daher die Herren Stände unsere Bitte vor den Thron bringen müßten, daß wir alsdann als gehorsame Bürger auch bei neuen nöthigen Auslagen unseren Säckel öffnen würden wie bisher, und was dergleichen noch mehr dabei zu bemerken ist. – Das ist also meine Meinung!«

»Und wie fangen wir's an, daß es losgeht?« fragte lebhaft der Fleischer und bog seine Finger gegeneinander, daß sie knackten.

»Das fangen wir so an,« belehrte Hostal und that einen großen Zug aus seinem Kruge, denn die lange Rede hatte ihn heiser gemacht; »ich gehe zu den Meistern meiner Innung und stelle ihnen das vor, was ich Euch gesagt habe, und diese thun desgleichen bei den Meistern anderer Innungen, die ihnen bekannt sind. Du, Sojka, thust dasselbe unter den Fleischern; und Ihr, Magister, Ihr müßt die ganze Baderzunft, gleichviel, ob Ihr sie geringschätzt oder nicht, zu diesem Zwecke bearbeiten. Denn alle anderen Rücksichten müssen schweigen; denn wir brauchen viele Leute. – Und nachdem es so weit gediehen, so setzen wir Alle eine Schrift auf, die das enthält, was wir verlangen, und diese Schrift übergeben wir dem Grafen Thurn oder dem Lobkovic, dem Berka, oder einem Anderen, zum Vortrag bei den Ständen und bei Seiner kaiserlichen Majestät. Das ist der Anfang. Die Herren haben etwas Geschriebenes in Händen, und das läßt sich nicht wegleugnen. Vom platten Lande laufen ohnehin genug Klagen und Beschwerden ein; die kennen die Herren selbst gut genug, weil sie wissen, wie der Slavata und der Martinic wirthschaften auf ihren Gütern, die anderen Kleinen ungerechnet. – Also, wie gesagt, diese Schriften müssen wir haben, schwarz auf weiß, damit alle Nachfolger Seiner Majestät in der Krone Böhmen daran gebunden sind. Unsere Väter haben für den reinen Glauben geblutet. Darum muß er unseren Kindern und Enkeln gesichert sein. Es ist einmal an der Zeit, daß unser so reiches und schönes Land des langentbehrten Friedens genieße.«

»Und wenn das zu Stande gebracht ist,« sagte der lahme Schenke betheuernd, »so gebe ich ein halb Faß Bier zum Besten, das hier getrunken werden soll, weil diese Angelegenheit bei mir besprochen worden ist und sozusagen von meinen werthen Gästen ausging.«

»Bis dahin aber,« neckte der Fleischer, »wirst Du uns so viel Wasser in unsere Krüge prakticiren, daß das Faß reines Ersparniß wird und Dich keinen Heller kostet. Du bist ein gewissenloser Sünder!«

Miklasch, der den Spötter von diesem Gegenstande abbringen wollte, antwortete nicht hierauf, sondern wandte sich an Matusch und sagte: »Also wegen der schönen Sängerin habt Ihr Streit mit dem Ritter gehabt? Nun, des fremden Wundermädels wegen hätte ich mich auch herumgebalgt und meinetwegen gerben lassen. Ich wär's im Stande gewesen!«

»Du dürrer Spatz,« lachte der Fleischer, »Du wolltest der Brabanterin wegen ein Held werden?«

»Ich glaube gar,« stimmte der Kürschner ein, »Miklasch ist in das schmucke Kind verliebt. Könntest sie heiraten, alter Junge – schöner wirst Du auch nicht mehr.«

»Warum nicht,« sagte Miklasch nicht ohne Eitelkeit, »wenn sie mich möcht'. Zu alt bin ich auch nicht. Habe eine gute Nahrung und kann ein Weib erhalten. Zudem wär's anständiger und besser, sie sänge in meiner Schenkstube als auf den Gassen. Vor Unbill wäre sie geschützt als mein Weib.«

»Das bringt einen Bären um,« schrie der Fleischer und brach in ein donnerndes Gelächter aus, »der lahme Miklasch, die Bachstelze, ist verliebt. Will die schöne Brabanterin freien; die Eule den Schwan, der Wiedehopf den Fasan! Magister! Magister! Fühlt ihm den Puls, betastet ihm den Schädel; der Kerl redet irre, hat's im Blut oder im Gehirn. Es läuft Gefahr, daß er närrisch wird. Heilt ihn, Magister, auf unsere Kosten. Wie meint Ihr – Schröpfköpfe oder ein Aderlaß?«

»Für solche Affectionen,« versetzte der Bader, in den Scherz eingehend, »dürfte nach meinem Dafürhalten ein Sturzbad, das heißt eine rasche Begießung mit Wasser von oben, das Beste sein.«

»Das soll er haben,« rief der Fleischer und setzte den kleinen Miklasch federleicht wie ein Kind auf seinen Arm, wie sehr sich dieser auch sträubte, »kommt, kommt hinaus auf den Hof – wir müssen ihm die Liebesfurie aus dem Leibe treiben!«

Er eilte mit seiner Last nach der Thür, die Uebrigen – vom vielen Biergenuß ziemlich berauscht und in toller Laune, folgten ihm, auch der alte Matusch, der ruhigste und nüchternste von Allen, schloß sich gutmüthig lächelnd an, um nöthigenfalls zu Gunsten des Gehänselten einzuschreiten.

Dieser schrie kläglich und arbeitete mit Füßen und Händen; aber der riesenstarke Fleischer war bereits mit ihm auf dem Hofe, setzte ihn hier in ein Faß, dem der untere Boden fehlte, rollte dieses unter die Wasserpumpe, zog den Spunt oben heraus und während er das Faß hielt, unter welchem Miklasch alle seine Kräfte anstrengte, um sich loszumachen, mußte der Kürschner die Pumpe in Bewegung setzen. Ein dicker Wasserstrahl drang durch das Spundloch hinein und durchnäßte das Opfer einer rohen Laune bis auf die Knochen. Miklasch schrie dumpf in seinem engen Gefängniß, schnaubte, pustete, plätscherte wie ein gefangener Seehund, was den umstehenden Chor nur zu noch lauterem Gelächter und Gejubel veranlaßte. Da das Wasser unter dem Fasse im gleichen Verhältniß abfloß, so lief der Geplagte eigentlich keine Gefahr, wenn nicht das unfreiwillige kalte Bad später für ihn von nachteiligen Folgen war.

In Folge des durch diesen Auftritt verursachten Höllenlärms waren aus der Brauerei Knechte und Mägde herbeigeeilt und sammelten sich in einer dichten Gruppe um die vier tobenden Männer.

Der Fleischer belehrte sie unter lautem Lachen: »Wir treiben hier Einem den Liebesteufel aus – der Magister hat die Cur verordnet – und waschen ihn blank zur Brautnacht mit der schönen Walperga.«

»Jetzt ist's genug,« sagte endlich Matusch, dazwischentretend, »der Scherz könnte für den armen Schelm von Nachtheil sein – ich bitt' Euch, Sojka – seid so gut, Hostal!«

Da Alle den alten Matusch liebten, ja eine Art Respect vor ihm hatten, so machten die Angeredeten, wenngleich mitten im herzlichsten Lachjubel, dem Possenspiel ein Ende und entließen Miklasch aus seinem nassen Gefängnisse.

Seine Erscheinung in den triefenden Kleidern, mit herabhängenden Haaren und noch immer schnaubend und pustend, gab neuen Stoff zu laut schallendem Gelächter; kaum aber zu Athem gekommen, überhäufte er seine Peiniger mit einer Fluth der ausgesuchtesten Schimpfwörter, und indem er drohte, ihnen am folgenden Tage die Krüge um die Köpfe zu schmeißen, statt ihnen köstlichen Gerstensaft einzuschenken, entfloh er auf seine Stube, um trockene Kleider anzuziehen.

Alles dies forderte nur von neuem die Heiterkeit der Gescholtenen heraus, denn sie wußten wohl, daß er in einer Stunde den ganzen Vorfall vergessen haben, daß seinerseits nicht mehr die Rede davon sein, und daß sich in nächster Folge ein ähnlicher Vorfall, wie dies so häufig kam, wiederholen würde.

Der Bader, der Fleischer und der Kürschner gingen in die Schenkstube zu ihren Krügen zurück, um sich an dem Nachgefühl des lustigen Auftrittes zu erlaben; Matusch aber nahm an der Thür Abschied, indem er sagte: »Gute Nacht! 's ist meine Stunde – sind wir doch manchmal ärger als die Kinder.«

So endigte dieser Auftritt mit einer Posse, wie so viel andere Bürgerauftritte, wo ernste Beschlüsse beim Bierkrug gefaßt werden und bald darauf verfliegen, wie der Rausch des Bieres. – Doch diesmal war das nur zum Theil der Fall und der Fleischer, obgleich der tollste und trunkenste von Allen, vergaß keineswegs seiner übernommenen Verpflichtung.


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