Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Zwanzigste Nacht.

Die Geschichte von dem Weber, der auf Befehl seiner Frau ein Arzt ward.

»Wisse, o König, es lebte einmal im Lande Persien ein Mann, der eine Frau von höherem Rang und edlerer Herkunft als er, geheiratet hatte, die keinen Vormund gehabt hatte sie vor Not zu schützen. Es verdroß sie zwar einen Mann zu heiraten, der unter ihr stand, jedoch heiratete sie ihn aus Not und ließ sich von ihm einen Schein ausstellen, daß er immer unter ihrem Befehl und Verbot stehen und ihr nie mit Wort oder That zuwider sein wolle. Der Mann aber war ein Weber und verpflichtete sich schriftlich ihr zehntausend Dirhem zu zahlen. Nachdem sie in dieser Weise geraume Zeit gelebt hatten, ging die Frau eines Tages aus sich etwas zu holen, dessen sie bedurfte, als sie einen Arzt gewahrte, der einen Teppich am Wege ausgebreitet und eine Menge Drogen und medizinischer Instrumente bei sich liegen hatte und sprach und brabbelte, während das Volk ihn rings umgab. Verwundert über die Bequemlichkeit seines Broterwerbs, sprach die Frau des Webers bei sich: »Wenn mein Gatte auch so etwas wäre, so wäre es ein angenehmes Leben, und unsre Not und Armut wäre gehoben.« Hierauf kehrte sie in Sorge und Kummer heim, so daß ihr Gatte sie fragte, was ihr fehle. Sie versetzte: »Meine Brust ist um dich und deine schöne Absicht beklommen.« Dann fügte sie hinzu: »Ich will die Not nicht mehr haben, und in deinem Handwerk verdienst du nichts. Entweder suchst du dir ein ander Handwerk oder du lässest mich meines Weges ziehen und giebst mir mein gebührendes Teil.« Er schalt sie hierfür und ermahnte sie, doch wollte sie nicht von ihrem Vorsatz abkommen, sondern sagte zu ihm: »Geh' hinaus, sieh' dir das Treiben jenes Arztes an und lerne von ihm, was er sagt.« Hierauf 199 versetzte er: »Bekümmere dein Herz nicht; ich will täglich zur Sitzung des Arztes gehen.« Und so begab er sich von nun an täglich zum Arzt und lernte seine Antworten und Brabbeleien auswendig, bis er sich eine Menge Zeug in den Kopf gepackt und auswendig gelernt und gehörig in sich verarbeitet hatte. Dann suchte er seine Frau auf und sagte zu ihr: »Ich habe nun die Worte des Arztes auswendig gelernt und weiß, wie er brabbelt, verschreibt und kuriert; ebenso weiß ich die Namen aller Medizinen und Krankheiten auswendig und habe deinen Befehl nach jeder Hinsicht ausgeführt; was soll ich nun thun?« Sie erwiderte: »Gieb dein Weberhandwerk auf und mache einen Arztladen auf.« Er versetzte: »Siehe, das Stadtvolk kennt mich; die Sache geht daher nur in einem fremden Land. Komm, laß uns von dieser Stadt zu einem fremden Land ziehen und dort wohnen.« Sie antwortete: »Thu', was dir beliebt.« Da erhob er sich, nahm seine Webegeräte und verkaufte sie, worauf er für ihren Erlös Medizinen und Drogen einkaufte und sich einen Teppich machte. Dann zogen sie in einen Flecken und verweilten daselbst, worauf er in den Dörfern und Flecken und Steppen, in der Tracht eines Arztes umherziehend, seinem Erwerb nachging und viel verdiente, so daß es ihnen gut erging und ihre Lage gedieh; und sie lobten Gott für ihr Wohlergehen, und der Flecken ward ihnen zur Heimat. Hernach aber reiste er wieder weiter, und die Tage und Nächte führten ihn von Land zu Land, bis er auch zum Lande Rûm gelangte, wo er sich in einer Stadt niederließ, in der auch der Hakîm Galenus lebte, ohne daß der Weber ihn kannte noch überhaupt wußte, wer er war. Hier ging er nun wie gewöhnlich aus, um sich einen Platz zu suchen, wo sich das Volk versammeln könnte, und mietete den Vorplatz vor Galenus' Haus. Dann breitete er seinen Teppich aus, legte seine Drogen und medizinischen Instrumente aus und pries sich selbst und seine Kunst an, indem er seine Kenntnisse wie kein andrer rühmte. Als Galenus dies vernahm, war er überzeugt in ihm einen erfahrenen 200 persischen Arzt zu sehen, und sprach bei sich: »Wenn er nicht in sein Wissen Vertrauen setzte und mich zum Disput und Wettstreit herausfordern wollte, würde er nicht meine Hausthür ausgesucht und solche Worte gesprochen haben.« Von Sorge und Zweifel erfaßt, näherte er sich ihm, um zu sehen, welchen Ausgang es mit ihm nehmen würde. Bald darauf strömten die Leute zu ihm und beschrieben ihm ihre Krankheiten, worauf er ihnen Antwort erteilte, bald das Rechte treffend und bald verfehlend, so daß Galenus nichts sah, was seine gute Meinung von seinen Kenntnissen hätte bestärken können. Da kam auch eine Frau mit einer Flasche Urin zu ihm. Als er die Flasche von ferne sah, sagte er zu ihr: »Das ist der Urin eines Fremdlings.« Sie versetzte: »Ja.« Dann fuhr er fort: »Ist's nicht ein Jude, und leidet er nicht an Unverdaulichkeit?« Die Frau bejahte es, und die Leute wunderten sich hierüber, während der Mann in Galenus' Augen groß dastand, da er Worte vernahm, wie sie sonst nicht bei Ärzten üblich sind, dieweil sie den Urin nur durch Schütteln und Besichtigung in der Nähe erkennen und weder den Urin eines Mannes und einer Frau noch den eines Fremden und eines Juden oder eines Scherifs unterscheiden können. Nun fragte die Frau: »Und welches ist das Heilmittel?« Der Weber versetzte: »Gieb das Honorar.« Da gab sie ihm einen Dirhem, worauf der Arzt ihr Medizinen gab, die gar nicht für die Krankheit paßten, sondern sie nur verschlimmert hätten. Als Galenus sein Unvermögen sah, trat er an seine Schüler und Burschen heran und befahl ihnen ihm den Arzt samt seinen Instrumenten und Drogen zu bringen. Sie brachten ihn so schnell als möglich vor ihn, worauf Galenus ihn fragte: »Kennst du mich?« Der Weber versetzte: »Nein, ich sah dich nie zuvor.« Da fragte er: »Kennst du Galenus?« Er erwiderte: »Nein.« Nun fragte er ihn: »Was hat dich zu deinem Thun bewogen?« Da erzählte er ihm seine Geschichte, was er seiner Frau von der Hochzeitsgabe schuldete, und wie er sich ihr verpflichtet hätte. Galenus verwunderte sich 201 hierüber und ließ ihn, nachdem er sich in betreff der Hochzeitsgabe vergewissert hatte, in der Nähe seiner Wohnung einkehren, worauf er ihn freundlich behandelte. Dann nahm er ihn abseits und sprach zu ihm: »Erkläre mir die Bewandtnis mit der Flasche. Woher wußtest du, daß der Urin von einem Manne, einem Fremdling und noch obendrein einem Juden war, und woher erkanntest du seine Krankheit als Unverdaulichkeit?« Der Weber versetzte: »Schön; wir Perser sind Physiognomisten, und ich sah, daß die Frau rosige Wangen und blaue Augen hatte und schlank war. Das sind aber die Kennzeichen einer Frau, die liebt und durch die Liebe verstört ist. Außerdem sah ich sie in brennender Unruhe, woraus ich erkannte, daß sie die Frau des Kranken war. Daß er aber ein Fremdling war, erkannte ich daraus, daß ihre Tracht anders als die Landestracht war; und aus dem gelben LumpenDie Juden hatten nach einem Edikt Omars gelbe Turbane zu tragen., den ich in der Flasche stecken sah, ersah ich, daß beide Juden waren. Sie kam aber an einem Sonntag zu mir, und es ist der Juden Brauch Fleischpasteten und Gerichte zu nehmen, welche die Nacht über gestanden haben, und sie am Sabbath warm und kalt zu genießen; und sie schlagen sich den Leib voll, so daß sie sich davon den Magen verderben. Hierdurch ward ich auf das gebracht, was du von mir vernahmst.« Da befahl Galenus ihm den Betrag der Hochzeitsgabe für seine Frau auszuzahlen und sagte zu ihm: »Scheide dich von ihr.« Außerdem verbot er ihm wieder zur Medizinerei zurückzukehren und nicht wieder eine Frau zu heiraten, die vornehmer als er selber wäre. Nachdem er ihm dann noch etwas Geld gegeben hatte, befahl er ihm sein altes Handwerk wieder aufzunehmen.

Dies ist jedoch nicht wunderbarer und merkwürdiger als die Geschichte der beiden Betrüger, die sich gegenseitig betrogen.« Als der König Schâh Bacht diese Geschichte 202 vernommen hatte, sprach er bei sich: »Wie ähnlich ist dies doch der Lage in der ich mich diesem unvergleichlichen Wesir gegenüber befinde!« Hierauf entließ er ihn nach Hause und befahl ihm am nächsten Abend wiederzukommen. Als die Nacht anbrach, erschien er wieder vor dem König, worauf dieser die versprochene Geschichte von ihm zu hören verlangte.

 


 

Ende des achtzehnten Bandes.

 


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