Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XVIII
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Abū Sâbir der Dorfschulze.

»O König, es war einmal ein Mann, ein Dorfschulze, Namens Abū Sâbir, der viel Vieh und ein schönes Weib besaß, von dem er zwei Söhne hatte. Sie wohnten in einem Dorf, zu dem ein Löwe zu kommen pflegte, der Abū Sâbirs Vieh zerriß, so daß der größte Teil desselben vertilgt ward. Da sagte seine Frau eines Tages zu ihm: »Dieser Löwe hat den größten Teil unsers Viehs zerrissen; mach' dich auf, nimm deine Leute und reite aus, den Löwen zu erlegen, damit wir Ruhe vor ihm finden. Abū Sâbir entgegnete jedoch: »Gedulde dich, Frau, denn Geduld wird gekrönt. Dieser Löwe ist unser Widersacher, und Gott, der Erhabene, wird 56 ihn gewißlich vernichten; unsre Geduld ist's, die ihn vernichten wird, denn, wer Böses thut, auf den fällt es zurück.«

Nach einigen Tagen begab es sich, daß der König auf Jagd auszog und mit seinem Trupp auf den Löwen stieß. Da setzten sie ihm nach und ließen nicht eher ab, als bis sie ihn erlegt hatten. Als dies Abū Sâbir zu Ohren kam, sagte er zu seiner Frau: »O Frau, sagte ich dir's nicht, daß auf den Missethäter das Böse zurückfällt? Hätte ich selber den Löwen zu erlegen versucht, so wäre es mir vielleicht mißlungen; dies ist der Ausgang der Geduld.«

Nach diesem traf es sich, daß jemand in Abū Sâbirs Dorf erschlagen ward, worauf der Sultan das Dorf ausplündern ließ und Abū Sâbirs Gut mit dem der andern fortgeführt ward. Da sagte seine Frau zu ihm: »Die ganze Umgebung des Sultans kennt dich; trag' deshalb deine Sache dem Sultan vor, daß er dir dein Vieh wieder erstattet.« Abū Sâbir erwiderte ihr jedoch: »O Frau, habe ich dir nicht gesagt: »Wer Böses thut, dem widerfährt Böses? Der König hat Böses gethan, und gewißlich wird ihm sein Thun vergolten werden. Wer den Leuten ihr Gut nimmt, dem wird das seinige genommen werden.« Einer seiner Nachbarn aber, der ihn beneidete, vernahm seine Worte und ging deshalb zum Sultan und hinterbrachte es ihm, worauf ihm der Sultan seine ganze Habe nehmen und ihn und seine Frau aus dem Dorf verjagen ließ. Da zogen sie in die Steppe, und seine Frau sagte zu ihm: »Alles, was uns widerfahren ist, rührt von deiner Bedächtigkeit und Schwäche her.« Er erwiderte ihr jedoch: »Gedulde dich, denn Geduld nimmt einen guten Ausgang.« Nachdem sie eine kurze Strecke weiter gewandert waren, wurden sie von Räubern überfallen, die ihnen ihre letzte Habe nahmen, ihnen die Sachen vom Leibe zogen und die beiden Knaben raubten. Da weinte die Frau und sagte zu ihrem Mann: »O Mann, gieb endlich diese Thorheit auf und laß uns den Räubern folgen; vielleicht haben sie Mitleid mit uns und geben uns unsre Kinder wieder.« Abū 57 Sâbir versetzte jedoch: »Gedulde dich, Frau, denn, wer Böses thut, wird mit Bösem gelohnt, und seine Missethat kehrt sich wider ihn. Folgte ich ihnen, so könnte vielleicht einer von ihnen zum Schwert greifen und mir den Kopf abhauen. Gedulde dich daher, denn der Ausgang der Geduld ist preislich.« Hierauf zogen sie weiter, bis sie in die Nähe eines Fleckens im Lande Kirmân gelangten, bei dem sich ein Bach befand. Da sagte er zu seiner Frau: »Bleibe hier, während ich in den Flecken gehe und uns eine Stätte zum Wohnen aussuche.« Hierauf ließ er sie bei dem Wasser und betrat den Flecken. Gleich darauf kam ein Reitersmann des Weges, der Wasser suchte, um seinen Gaul zu tränken; als er die Frau erblickte, deuchte sie seinem Auge schön, und er sprach zu ihr: »Steh' auf und setz' dich zu mir aufs Pferd, ich will dich heiraten, und du sollst es gut bei mir haben.« Sie versetzte: »Gott erhalte dich! siehe, ich habe einen Gatten.« Da zog er sein Schwert und sagte zu ihr: »Wenn du mir nicht gehorchst, so schlag' ich dich nieder.« Als sie nun seine Treulosigkeit sah, schrieb sie mit ihrem Finger in den Sand: »O Abū Sâbir, du hast dich so lange geduldet, bis du dein Gut, deine Kinder und deine Frau verloren hast, die dir lieber als alle Dinge und all dein Gut war, und nun mußt du dein ganzes Lebenlang in Trauer verbringen, um zu sehen, was dir deine Geduld nützt.« Hierauf nahm sie der Reitersmann hinter sich aufs Pferd und ritt mit ihr auf und davon. Als nun Abū Sâbir zurückkehrte und seine Frau nicht sah, las er die Schrift auf dem Boden und weinte und saß bekümmert da, indem er sprach: »O Abū Sâbir, es ziemt sich dir Geduld zu haben, denn vielleicht giebt's noch ein schlimmeres und schwereres Unheil als dies.« Alsdann irrte er aufs Geratewohl wie ein Wahnsinniger weiter, bis er zu einer Schar Werkleute gelangte, die am Königspalast Frondienste leisten mußten. Als sie ihn sahen, hielten sie ihn an und sagten zu ihm: »Wenn du nicht mit diesen Leuten am Königspalast arbeiten willst, so sperren wir dich auf 58 Lebenszeit ein.« Da arbeitete er mit ihnen wie ein Werkmann, und sie gaben ihm jeden Tag ein Brot. Nachdem er einen Monat lang mit ihnen gearbeitet hatte, traf es sich, daß einer der Arbeiter auf eine Leiter stieg und dabei herunterfiel und sich den Fuß brach. Da schrie der Arbeiter und weinte, worauf Abū Sâbir zu ihm sagte: »Fasse dich in Geduld und weine nicht, denn in Geduld findest du Trost.« Der Arbeiter versetzte jedoch: »Wie lange soll ich mich gedulden?« Abū Sâbir erwiderte: »Gedulde dich, denn Geduld erhebt den Mann aus tiefer Grube auf den Königsthron.« Der König aber, der am Fenster saß, hörte die Worte Abū Sâbirs und ließ ihn ergrimmt vor sich kommen, worauf er befahl ihn in eine große und tiefe Grube in seinem Palast zu werfen, indem er zu ihm sprach: »Du Dummkopf, wir wollen jetzt sehen, wie du aus der Grube auf den Königsthron steigen wirst.« Und von nun an pflegte der König ihn zu besuchen und an die Öffnung der Grube zu treten und zu ihm zu sprechen: »O du Dummkopf, o Abū Sâbir, ich sehe dich nicht aus der Grube herauskommen und dich auf den Königsthron setzen.« Und er verordnete ihm täglich zwei Brote, während Abū Sâbir schwieg und kein Wort redete, sondern sich mit Geduld in sein Schicksal ergab. Nun hatte aber der König einen Bruder, den er vor langer Zeit in dieselbe Grube eingesperrt hatte, und der dort gestorben war, während die Leute glaubten, er sei noch am Leben. Als seine Gefangenschaft lange Zeit währte, redete die Umgebung des Königs hierüber über die Grausamkeit des Königs, und das Gerücht von der Tyrannei des Königs verbreitete sich, so daß sie ihn eines Tages überfielen und ihn ermordeten. Dann suchten sie die Grube auf und holten Abū Sâbir heraus, den sie für den Bruder des Königs hielten, da er ihm von allem Volk am ähnlichsten war und am meisten glich, und auch lange dort eingesperrt gewesen war. Sie sprachen infolgedessen zu ihm: »Sei du König an deines Bruders Statt, denn wir haben ihn ermordet, und du sollst nun an seiner 59 Statt regieren.« Abū Sâbir schwieg hierzu und erwiderte kein Wort, da er erkannte, daß dies der Ausgang seiner Geduld war. Dann erhob er sich, setzte sich auf den Thron des Königreiches und legte den Königsornat an, worauf er in Gerechtigkeit und Billigkeit regierte, so daß alle Dinge in guten Zustand gerieten und die Unterthanen ihm gehorchten, die Herzen der Leute ihm geneigt wurden und sein Heer zahlreich ward.

Nun hatte der König, der Abū Sâbir ausgeplündert und aus seinem Dorf vertrieben hatte, einen Feind, der wider ihn aufsaß und ihn besiegte, worauf er seine Stadt eroberte und ihn verjagte. Da kam der König als Schutzflehender zu Abū Sâbirs Stadt, daß er ihm beistände, ohne zu wissen, daß der König der Stadt Abū Sâbir war. Als er vor ihn trat und ihn pries, erkannte ihn Abū Sâbir und sprach zu ihm: »Das ist der Lohn für die Standhaftigkeit; Gott, der Erhabene, hat dich in meine Gewalt gegeben.« Hierauf befahl Abū Sâbir seinen Truppen den König und sein Gefolge auszuplündern, worauf sie es thaten und ihnen die Sachen vom Leibe zogen und sie aus dem Lande verjagten. Doch verwunderten sich Abū Sâbirs Truppen und Streiter hierüber und sprachen: »Was für eine That hat der König da gethan? Kommt da ein König schutzflehend zu ihm, und er plündert ihn aus. So handeln nicht Könige!« Sie wagten jedoch nicht hierüber zu sprechen. Nach einiger Zeit kam dem König zu Ohren, daß sich Räuber in seinem Lande befänden, worauf er sie verfolgen ließ, bis er sie samt und sonders festgenommen hatte. Es waren aber dieselben Räuber, die ihn unterwegs ausgeplündert und ihm seine beiden Knaben geraubt hatten. Da befahl er sie ihm vorzuführen, und, als sie vor ihn geführt wurden, fragte er sie: »Wo sind die beiden Knaben, die ihr an dem und dem Tage raubtet?« Sie versetzten: »Sie sind bei uns, und wir wollen sie unserm Herrn und König schenken, daß sie ihm als Mamluken dienen, und wollen ihm reiches Gut geben, das wir zusammenraubten, 60 und uns all unsers Besitzes entäußern und unsern unerlaubten Wandel bereuen und für dich streiten.« Der König kehrte sich jedoch nicht an ihre Worte, sondern nahm ihnen all ihr Gut und die beiden Sklaven und befahl sie samt und sonders hinzurichten. Dann nahm er seine Kinder zu sich und freute sich mächtig. Die Truppen aber redeten untereinander und sprachen: »Fürwahr, dies ist ein noch größerer Tyrann als sein Bruder! Kommt da eine Räuberbande zu ihm, die Buße thun will und ihm zwei Knaben zum Geschenk anbietet, und er nimmt die Knaben und das Gut der Räuber und läßt sie hinrichten. Das ist eine große Ungerechtigkeit.«

Nach diesem kam der Reitersmann, der seine Frau geraubt hatte, zum König, um über sie Klage zu führen, daß sie sich ihm widerspenstig zeigte, und behauptete, es wäre seine eigene Frau. Der König befahl sie vor ihn zu führen, damit er den Spruch über sie fällte und ihre Worte hörte. Als der Reitersmann sie aber brachte und er sie ansah, erkannte er sie und nahm sie ihm fort, indem er ihn hinzurichten befahl. Da er aber merkte, daß die Truppen wider ihn murrten und ihn einen Tyrannen nannten, wendete er sich zu seiner Umgebung und seinen Wesiren und sprach zu ihnen: »Was mich anlangt, so bin ich beim großen Gott, nicht des Königs Bruder; der König hatte mich auf Grund eines Wortes, das er von mir vernahm, eingesperrt, und er pflegte jeden Tag zu mir zu kommen und mich damit zu verspotten. Ihr hieltet mich zwar für den Bruder des Königs, doch bin ich Abū Sâbir, dem Gott als Lohn für seine Geduld dieses Reich verlieh. Was nun den König anlangt, der als Schutzflehender zu mir kam, und den ich ausplünderte, so hatte er mich zuvor ausgeplündert und aus meiner Heimat ohne Grund vertrieben. Er nahm mir ungerechterweise mein Gut, und ich vergalt ihm nur Gleiches mit Gleichem. Den Räubern ferner, die Buße thun wollten, konnte ich keine Gnade gewähren, da sie mich zuerst vergewaltigt und mich unterwegs überfallen und ausgeplündert und ausgezogen und 61 mein Gut und meine Kinder geraubt hatten. Die beiden Knaben, die ich von ihnen nahm, und die ihr für Mamluken hieltet, sie eben sind meine Kinder, und so vergalt ich ihnen nur, was sie mir angethan hatten und verfuhr in Billigkeit gegen sie. Der Reitersmann wiederum, den ich hinrichten ließ, hatte meine Frau gestohlen, und Gott, der Erhabene, gab sie mir wieder, da die Frau, die ich ihm fortnahm, eben meine Frau war. Dies war mein Recht, und was ich that, that ich zu Recht, während ihr, nach dem Scheine urteilend, glaubtet, ich hätte dies in meiner Tyrannei gethan.«

Als die Leute dies vernahmen, verwunderten sie sich und warfen sich vor ihm nieder; ihre Liebe und Verehrung für ihn wuchs, und sie baten ihn um Verzeihung und staunten über Gottes Thun an ihm und, wie er ihm als Lohn für seine Standhaftigkeit und Geduld das Reich geschenkt und ihn durch seine Ergebung tief aus der Grube auf den Königsthron erhoben und den König vom Thron in die Grube gestürzt hatte. Dann begab sich Abū Sâbir zu seiner Frau und sprach zu ihr: »Was sagst du nun zur Frucht der Geduld und ihrer Süße, und zur Frucht der Übereilung und ihrer Bitternis? Alles, was der Mensch Gutes und Übles thut, trifft ihn wieder.«

Ebenso, o König, geziemt es dir, wenn immer es dir möglich ist, Geduld zu üben, denn Geduld ist der Edeln Tugend und ihre preislichste Stütze, besonders aber gilt dies von Königen.«

Als der König dies von dem Jüngling vernahm, legte sich sein Zorn, und er befahl, ihn wieder ins Gefängnis zu führen, worauf die Leute an jenem Tage auseinander gingen.

Vierter Tag.
Der Unsegen der Ungeduld.

Am vierten Tage trat der vierte Wesir, dessen Name Suschâd war, ein und warf sich vor dem König nieder, worauf er zu ihm sagte: »O König, laß dich nicht durch die 62 Geschichte dieses Jünglings bethören, da er nicht die Wahrheit spricht. So lange er am Leben bleibt, werden die Leute nicht aufhören zu reden, und dein Herz wird keine Ruhe vor ihm finden.« Da rief der König: »Bei Gott, du hast die Wahrheit gesprochen, und ich will ihn heute holen und vor mir hinrichten lassen.« Alsdann befahl er ihn zu holen, und, da sie ihn gefesselt vor ihn führten, fuhr er ihn an: »Wehe dir, glaubst du mein Herz mit deinem Geschwätz beruhigen zu können und die Zeit mit Reden hinzuhalten? Ich will dich heute töten und mich von dir befreien.« Der Jüngling versetzte: »O König, töte mich vor dir, wann es dir beliebt; jedoch ist Übereilung der Gemeinen Thun und Geduld der Edeln Tugend. Wann du mich hinrichten lässest, so wirst du es bereuen und wirst mich, auch wenn du es wolltest, nicht mehr lebendig machen können. Denn jedem, der übereilt handelt, ergeht es so wie dem Prinzen Bihsâd.« Da fragte der König: »Und wie erging es dem Prinzen Bihsâd in seiner Ungeduld?« Der Jüngling erzählte:

 


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