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Im weiteren Verlauf der Dinge griffen U-Bootfrage und Friedensfrage ineinander über. Es scheint mir, angesichts des falschen Bildes, das bei manchen Politikern und wohl auch in einem großen Teile der öffentlichen Meinung von den wechselseitigen Beziehungen dieser beiden Fragen entstanden ist, am Platze zu sein, daß ich versuche, die verschlungenen Fäden, soweit ich es vermag, zu entwirren.
Schon bei den Berliner Besprechungen über die an die amerikanische Regierung zu gebende Antwort auf die U-Bootnote vom 20. April entwickelte der Reichskanzler den Gedanken, unser kaum mehr zu vermeidendes Zugeständnis nicht nur zur Beseitigung der akuten Konfliktsgefahr, sondern womöglich zur Anbahnung des Friedens zu benutzen. Die in der letzten Zeit nach verschiedenen anderen Richtungen hin ausgestreckten Fühler hatten kein Ergebnis gehabt oder drohten ergebnislos zu bleiben. Dem Präsidenten Wilson traute der Kanzler zu, daß es ihn reizen könne, die große weltgeschichtliche Rolle des Friedensstifters zu spielen. Auf diesen Gedanken des Kanzlers geht der oben wiedergegebene Hinweis auf unsere wiederholt gezeigte Friedensbereitschaft in unserer Note vom 4. Mai zurück. Der Kanzler hat auch in Unterhaltungen mit Herrn Gerard diesen Punkt berührt. Herr Gerard erzählt in seinem Buch, der Kanzler habe ihm bei seinem Abschied vom Großen Hauptquartier gesagt: »Ich hoffe, daß, wenn wir jetzt diese Sache in Ordnung bringen, Ihr Präsident groß genug sein wird, die Frage des Friedens aufzunehmen.« Herr Gerard erzählt weiter, daß auch späterhin der Kanzler bei verschiedenen Gelegenheiten ihm vorgeführt habe, daß Amerika etwas für den Frieden tun müsse, und daß, wenn nichts geschehe, die öffentliche Meinung in Deutschland sicherlich die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges erzwingen werde.
Anrufung Wilsons
Mir gegenüber hat der Kanzler von einem Schritt bei Wilson, um diesen zu einer auf den Frieden gerichteten Aktion zu bestimmen, zum ersten Male gesprochen, als ich am 31. August 1916 nach der Kriegserklärung Rumäniens und nach der Ernennung Hindenburgs zum Chef des Generalstabs des Feldheeres zusammen mit dem Staatssekretär von Jagow im Großen Hauptquartier eintraf. Der Kanzler, der schon zwei Tage vorher nach Pleß gereist war, entwarf uns ein Bild der Lage, die er trotz der Zuversicht Hindenburgs und Ludendorffs als außerordentlich schwer ansah. Wir müßten alles tun, um zum Frieden zu kommen. Der einzige Weg, den er überhaupt noch sehe, führe über Wilson, und dieser Weg müsse, auch wenn die Aussichten ungewiß seien, beschritten werden. Wilson habe allein bei unseren Gegnern die große Position, die für einen wirksamen Friedensschritt nötig sei. Wir müßten Wilson sagen, daß wir bereit seien, Belgien herauszugeben, unter dem Vorbehalt, unsere Beziehungen zu Belgien nach dessen Restitution durch unmittelbare Verhandlungen zu ordnen.
Der Gedanke wurde zwischen dem Kanzler, Herrn von Jagow und mir eingehend erörtert. Mir schien gegen eine Anrufung Wilsons zu sprechen, daß dieser im bisherigen Verlaufe des Krieges eine stets wachsende Voreingenommenheit zugunsten der Westmächte und ein geringes Verständnis für unsere deutschen Verhältnisse und Lebensbedürfnisse gezeigt hatte; sein Verhalten seit dem Beginn des Jahres 1916 schien mir keinen Zweifel mehr an seinen Gesinnungen uns gegenüber zu gestatten. Auch fürchtete ich, daß Wilson, wenn wir ihm die Friedensvermittlung in die Hand gäben, uns vor eine internationale Konferenz führen würde, in der unsere Feinde über uns zu Gericht säßen. Von der maßlosen Unpopularität einer Anrufung Wilsons als Friedensvermittler sprach ich nicht; ich wußte, daß der Kanzler sich darüber ganz im klaren war, daß aber solche Erwägungen ihn nicht bestimmen würden. Eine Verständigung mit Rußland auf Kosten Polens, über dessen künftigen Status der Kanzler und Jagow kurz zuvor in Wien verhandelt hatten, nötigenfalls sogar unter Zugeständnissen in dem von den Russen wieder besetzten Ostgalizien, zu denen sich unser österreichisch-ungarischer Verbündeter, wenn es nicht anders gehe, bereit finden müsse, erschien mir immer noch als der für uns günstigste Weg zum Frieden. Der Kanzler glaubte jedoch nach dieser Richtung hin kaum mehr eine Hoffnung zu sehen, nachdem alle Sondierungen gescheitert waren, auch die im Einverständnis mit unserm türkischen Bundesgenossen gemachten Andeutungen einer den russischen Wünschen entgegenkommenden Regelung der Meerengenfrage. Herr von Jagow pflichtete dem Kanzler bei.
Tastende Schritte
In der Tat ließ der Kanzler in der ersten Septemberwoche an den Grafen Bernstorff nach Washington telegraphieren, um ihn ganz persönlich um seine Ansicht über Wilson als Friedensvermittler zu befragen. Graf Bernstorff antwortete, daß vor der Anfang November stattfindenden Präsidentenwahl von Wilson nichts zu erwarten sei; werde er wiedergewählt, wofür die Wahrscheinlichkeit spreche, dann werde er wohl die Friedensvermittlung in die Hand nehmen, da er überzeugt zu sein scheine, Amerikas Interesse verlange, daß keine der beiden Mächtegruppen zu Boden geworfen werde.
Gerards Reise nach Amerika
Herr Gerard will dann im Laufe des September von Herrn von Jagow gedrängt worden sein, mit seiner Frau, die für kurze Zeit nach Amerika gehen wollte, zusammen zu reisen, um den Präsidenten zu bestimmen, etwas für den Frieden zu tun. Wie weit das richtig ist, vermag ich nicht zu sagen.
Jedenfalls war der Eifer des Präsidenten, auf unseren Wunsch einen Schritt zur Herbeiführung des Friedens zu unternehmen, nicht allzu groß, obwohl er bei den Präsidentenwahlen für sich als den »Friedensmacher« Propaganda machen ließ. Auch nachdem er Anfang November wiedergewählt worden war, beeilte er sich nicht, irgend etwas zugunsten des Friedens zu tun oder auch nur die deutsche Regierung in irgendeiner Weise wissen zu lassen, daß er beabsichtige, mit einem Friedensschritt in naher Zeit hervorzutreten. Der amerikanische Geschäftsträger in Berlin, Herr Grew, wich jeder Sondierung aus, indem er die Frage des zwangsweisen Abtransports der belgischen Arbeitslosen, bei dem bedauerliche Mißgriffe vorgekommen waren, zum Mittelpunkt der deutsch-amerikanischen Beziehungen machte. Herr Gerard berichtet in seinem Buche, daß er den Präsidenten Wilson gesprochen habe, ehe er am 4. Dezember die Rückreise nach Deutschland antrat. Sein Eindruck sei gewesen, daß der Präsident vor allem anderen wünschte, Frieden zu halten und Frieden zu machen. »Natürlich,« so fährt Herr Gerard fort, »war diese Frage des Friedenmachens eine sehr heikle. Ein direktes Angebot von unserer Seite konnte uns derselben Behandlung aussetzen, die wir Großbritannien während des Bürgerkrieges angedeihen ließen, als Großbritannien Eröffnungen zum Zweck der Herbeiführung des Friedens machte und die Nordstaaten eine Antwort gaben, die darauf hinauskam, daß die britische Regierung sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern solle, daß sie keine Einmischung dulden und weitere Eröffnungen als unfreundliche Handlungen betrachten würden. Die Deutschen haben diesen Krieg begonnen ohne irgendeine Befragung der Vereinigten Staaten, und dann schienen sie zu denken, daß sie ein Recht hätten, zu verlangen, die Vereinigten Staaten sollten Frieden für sie machen zu solchen Bedingungen und zu solcher Zeit, wie es ihnen, den Deutschen, gut scheine; daß ferner, wenn wir das nicht täten, sie das Recht hätten, alle Regeln der Kriegführung zu verletzen und Bürger der Vereinigten Staaten auf hoher See zu ermorden. Nichtsdestoweniger glaube ich, daß der Präsident geneigt war, in der Herbeiführung des Friedens sehr weit zu gehen.«
Aus diesen Ausführungen des Herrn Gerard ergibt sich das eine mit Sicherheit, daß der Präsident Wilson, als Herr Gerard am 4. Dezember 1916 Amerika wieder verließ, sich noch zu keinem bestimmten Schritt zugunsten des Friedens entschlossen hatte und daß Herr Gerard keine Antwort auf die von Herrn von Bethmann und Herrn von Jagow gemachten Eröffnungen mit auf den Weg bekam. Ferner geben die Bemerkungen des Herrn Gerard einen Einblick in den Geist, in dem unsere Anregung, der Präsident möchte eine Initiative zugunsten des Friedens ergreifen, zum mindesten von Herrn Gerard aufgefaßt worden ist.