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Während uns in der Türkei ein neuer Bundesgenosse entstand, der das Kräfteverhältnis zwischen uns und der übermächtigen feindlichen Koalition immerhin zu unsern Gunsten verbesserte und uns einige Aussicht bot, aus der eisernen Umklammerung den Weg ins Freie zu gewinnen, rückte unser italienischer Dreibundgenosse, der mehr als drei Jahrzehnte hindurch die gute Zeit mit uns geteilt, sich dabei wohl befunden hatte und zu neuer Blüte erstarkt war, immer deutlicher von uns nach dem Lager der Entente hinüber.
Aus den Gründen, die ich im ersten Band dieses Werkes entwickelt habe, mußten die Mittelmächte für den Ernstfall eines Krieges mit einer England einschließenden Koalition damit rechnen, daß Italien sich auch bei einem unzweifelhaften Vorliegen des Casus foederis der Verpflichtung zur Waffenhilfe entziehen würde. Erwarten durfte man auf Grund der mehr als dreißigjährigen Gemeinschaft eine unzweideutige und wohlwollende Neutralität. Auch Bismarck hatte damit gerechnet, daß im Kriegsfall der Dreibundvertrag Italien zum mindesten abhalten werde, sich zu unseren Feinden zu schlagen, daß er ferner Österreich-Ungarn gestatten werde, seine italienische Grenze zu entblößen, und daß er andererseits einige französische Armeekorps an den Seealpen binden werde.
Italiens Neutralität
Italien erklärte in der Tat eine freundschaftliche Neutralität. Aber seine Handlungen standen mit dieser Erklärung von Anfang an nicht in Einklang.
Die Mitteilung der Neutralität an Frankreich erfolgte in Formen, die dort einen Begeisterungssturm erregten und der französischen Regierung die Gewißheit gaben, daß sie ohne Gefahr den letzten Mann von der Alpengrenze abziehen und gegen die deutsche Armee ins Feld stellen könne. Dagegen holte Italien gegenüber den Mittelmächten den Artikel 7 des Dreibundvertrags hervor, der ihm für den Fall einer Machterweiterung Österreich-Ungarns auf dem Balkan eine Kompensation in Aussicht stellte. Indem Italien sich seiner Verpflichtung aus dem Dreibundvertrag entzog, machte es aus dem gleichen Vertrag Rechte geltend. Die Mittelmächte erkannten den Anspruch Italiens ausdrücklich an für den Fall, daß die im Bündnisvertrag vorgesehene Voraussetzung der Erweiterung der österreichisch-ungarischen Machtsphäre auf dem Balkan, die nach den Erklärungen des Wiener Kabinetts nicht in dessen Absicht lag, tatsächlich eintreten sollte. Gebessert wurde durch diese Anerkennung nichts.
Auch wirtschaftlich ließ Italien uns im Stich. Es erschwerte und verhinderte die Durchfuhr wichtiger Stapelartikel nach Deutschland, ja sogar den Abtransport der bei Ausbruch des Krieges in italienischen Häfen mit Bestimmung für Deutschland bereits lagernden Güter. Die Aussicht, auf dem Wege über das verbündete, aber in diesem Krieg neutral bleibende Italien die gegen uns geplante Wirtschaftsblockade vereiteln zu können, mußte von vornherein aufgegeben werden.
Es kann nicht meine Aufgabe sein, hier zu schildern, wie eine raffinierte Bearbeitung der italienischen Presse und Straße das Land für den Verrat an dem alten Bundesgenossen reif machte. Ich beschränke mich auf die Feststellung des Ergebnisses.
Italiens Abkehr vom Dreibund
Bereits im Oktober 1914, als der plötzliche Tod San Giulianos, der noch im Jahre 1912 die Erneuerung des Dreibundvertrages unterzeichnet hatte, die Neubildung des italienischen Kabinetts nötig machte, trat die Abkehr von den Mittelmächten unverhüllt in Erscheinung. Nachfolger San Giulianos wurde Sidney Sonnino, ein Mann, von dem ein italienisches Wort sagt, er sei »mezzo Ebreo, mezzo Inglese« – halb Jude und halb Engländer – und dessen Parteinahme für England allbekannt war. Am 3. Dezember sprach Salandra, der das Präsidium auch des neuen Kabinetts behalten hatte, in der italienischen Kammer die bedenklichen Worte von der »tätigen und wachsamen Neutralität«, der »stark gewappneten Neutralität« und »den gerechten Ansprüchen«, die Italien zu verwirklichen habe. Diese Worte deuteten an und verhüllten zu gleicher Zeit, was sich in den geheimen diplomatischen Verhandlungen abspielte: Das neue italienische Kabinett, umworben von Versprechungen und bedrückt von Drohungen der Entente, getrieben von dem sich immer mehr erhitzenden Nationalismus und Irredentismus der Straße, dabei dem Zug des eigenen Herzens folgend und fast mehr schiebend als geschoben, verlangte von Österreich-Ungarn die im Dreibundvertrag vorgesehene Kompensation unabhängig von dem tatsächlichen Eintritt der zu kompensierenden österreichisch-ungarischen Machterweiterung auf dem Balkan, lediglich auf Grund der damals von der österreichisch-ungarischen Armee eingeleiteten und dann so unglücklich verlaufenen neuen Operation gegen Serbien; es verlangte die Kompensation nicht, wie es dem Sinn des Vertrages entsprach, auf dem Balkan, sondern es richtete seine begehrlichen Augen auf Trient und Triest; es forderte schließlich nicht eine Kompensation für später, sondern sofortige Auslieferung der verlangten Gebietsteile.
Eine Gefühlspolitik hätte diese Zumutungen auf jede Gefahr hin mit Entrüstung zurückgewiesen. Aber Gefühlspolitik verbot sich für die Mittelmächte bei der ernsten Lage, in der sie sich befanden, von selbst. Es galt, Figuren zu opfern, um nicht mit Sicherheit das Spiel um die eigene Existenz zu verlieren.
Die deutsche Regierung schickte den Fürsten Bülow, der sich zur Verfügung gestellt hatte, als außerordentlichen Botschafter nach Rom, damit er als bester Kenner der italienischen Personen und Verhältnisse mit seinem ganzen Ansehen und seiner ganzen diplomatischen Geschicklichkeit helfe, das Äußerste zu vermeiden.
Es bedurfte eines starken Druckes auf unseren österreichisch-ungarischen Bundesgenossen, um überhaupt die Grundlage für Verhandlungen zu schaffen und späterhin den Abbruch infolge der immer maßloser werdenden italienischen Ansprüche zu verhüten. Noch Ende Januar 1915 sagte der damalige Erzherzog-Thronfolger, der spätere Kaiser Karl, bei einem Besuch im Großen Hauptquartier unserem Kaiser, wie schwer es dem Kaiser Franz Joseph werde, sich vor den italienischen Zumutungen zu beugen. Kaiser Wilhelm hat mir Anfang Februar gesagt, er könne es als Souverän und Verbündeter nicht übers Herz bringen, auf den alten Kaiser in dieser furchtbaren Sache zu drücken. Er sei dem Baron Burian, der vor kurzem seinen Antrittsbesuch als neuernannter Minister des Auswärtigen gemacht habe, dankbar für den Takt, mit dem dieser es unterlassen habe, ihn auf die Trentinofrage anzusprechen. Die Aufgabe, Österreich-Ungarn zu den unvermeidlichen Zugeständnissen zu bewegen, müsse ihm von seinen Staatsmännern abgenommen werden.
Die italienischen Forderungen. Kriegserklärung
Nur mit dem äußersten Widerstreben und bis aufs äußerste zögernd fand die Wiener Regierung sich bereit, die italienischen Forderungen zu diskutieren und schließlich in der Hauptsache zuzugestehen. Am 18. Mai 1915 hat der Reichskanzler von Bethmann Hollweg im Reichstag die österreichischen Konzessionen mitgeteilt, deren Hauptpunkte waren:
Das Deutsche Reich hatte dem römischen Kabinett gegenüber im Einverständnis mit der österreichisch-ungarischen Regierung die volle Garantie für die loyale Ausführung dieser Anerbietungen übernommen.
Aber Sonnino hatte sich schon im April der Entente gegenüber gebunden. Der volle Umfang der österreichischen Zugeständnisse wurde dem italienischen Volke und seiner Vertretung vorenthalten. Die beiden Kammern des italienischen Parlaments, deren Mehrheit friedensfreundlich war, ließen sich durch die bis zum Weißglühen erhitzte Straße einschüchtern und stimmten der Kriegserklärung zu, die von dem italienischen Botschafter am Pfingstsonntag, dem 23. Mai 1915, in Wien überreicht wurde. »Die Erfüllung der nationalen Aspirationen gegen jede gegenwärtige und künftige Bedrohung« wurde in diesem Dokument als der Kriegsgrund bezeichnet!
Deutschland gegenüber wurde eine Kriegserklärung nicht abgegeben. Auch Deutschland sah zunächst von einer Kriegserklärung ab und beschränkte sich auf den Abbruch der diplomatischen Beziehungen.
Fürst Bülows Sendung
Auch der Fürst Bülow hatte den Eintritt Italiens in den Krieg nicht mehr verhindern können. Ob es ihm gelungen wäre, wenn die Wiener Regierung eine größere Entschlußfähigkeit betätigt und rascher mit ihren Zugeständnissen hervorgetreten wäre, ist nachträglich wohl kaum zu entscheiden. Persönlich bin ich der Ansicht, daß die italienische Regierung, nachdem sie einmal den Weg des Verrats und der Erpressung betreten hatte, durch das Mißtrauen des Verräters und Erpressers zwangsläufig in den Krieg getrieben worden ist, und daß von jenem Augenblick an keine Diplomatie und kein Entgegenkommen den Krieg noch verhindern konnte. Auch nach allem, was mir Fürst Bülow über seine römische Mission erzählt hat, ist dieser Eindruck bei mir bestehen geblieben.
War so die Sendung des Fürsten Bülow zum Scheitern verurteilt, so hat der Fürst doch einen in seiner Tragweite kaum hoch genug zu veranschlagenden Erfolg erzielt: er hat es verstanden, die Entscheidung hinauszuschieben bis zu einem Zeitpunkt, in dem die Gestaltung der militärischen Ereignisse unserem Bundesgenossen die Möglichkeit gab, dem italienischen Angriff eine Verteidigung entgegenzustellen. Noch in der letzten Aprilwoche 1915 hat mir der General von Falkenhayn auf meine Frage geantwortet, daß weder die Österreicher noch wir in der Lage seien, einem italienischen Angriff nennenswerte Kräfte entgegenzuwerfen. Die am 2. Mai einsetzende Schlacht bei Gorlice befreite Österreich-Ungarn von der russischen Gefahr und machte ihm rechtzeitig die Hände frei für die Abwehr des italienischen Überfalls.