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Die territoriale Erweiterung unserer Wirtschaftsgrundlage durch die militärischen Erfolge, die uns die Besetzung und Verwaltung großer Flächen feindlichen Gebietes ermöglichten, und unser erfolgreicher Kampf um die neutralen Märkte, die uns erreichbar geblieben waren, reichten nicht entfernt aus, Ersatz zu schaffen für die gewaltigen Zufuhren an Nahrungs- und Futtermitteln, an Rohstoffen, Halbfabrikaten und Fertigwaren aller Art, die uns durch den Krieg und durch die Abschneidung vom überseeischen Verkehr entzogen wurden und die bisher ein wesentlicher Teil des Untergrundes unserer Produktions- und Verbrauchswirtschaft gewesen waren. So ergab sich die Notwendigkeit, einmal den uns verbleibenden Spielraum für Produktion und Verbrauch durch die Anwendung neuer Methoden und die Gewinnung von Ersatzstoffen im Inland, sowie durch die intensive Nutzbarmachung der verfügbaren Arbeitskräfte nach jeder Möglichkeit zu erweitern; dann unsere Gütererzeugung und unsere Lebenshaltung auf die plötzlich so viel enger gewordenen Verhältnisse einzustellen und sie gleichzeitig den gewaltigen Bedürfnissen des Krieges anzupassen.
Die Technik im Dienst der Kriegswirtschaft
Wissenschaft, angewandte Technik und Unternehmungsgeist hatten sich in Deutschland seit den Zeiten eines Werner von Siemens zusammengefunden und in gemeinschaftlicher, sich ergänzender und fördernder Arbeit die deutsche Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten zu den von aller Welt bestaunten und beneideten Fortschritten befähigt. Jetzt galt es, alle diese Kräfte zur äußersten Leistung anzuspannen, um eine Aufgabe zu lösen, so schwer, wie sie niemals in der Geschichte einem Volke gestellt worden ist: Das Leben und die Wirtschaft eines Siebzig-Millionen-Volkes, die bisher auf der freien Verfügung über die Naturschätze und Naturerzeugnisse des ganzen Erdballes aufgebaut waren, unter den drängenden Anforderungen und gewaltigen Erschwernissen des Krieges durch die denkbar stärkste Ausnutzung der nach Art und Menge beschränkten Hilfsquellen des eigenen Landes aufrechtzuerhalten.
Gesteigerte Ausnutzung von Stoffen und Kräften
Es war, wie wenn die Not des Vaterlandes die Kräfte des deutschen Genius vervielfacht hätte. Überall mühten sich die besten Köpfe, um den Lebensspielraum, den uns der Feind mit brutaler Gewalt bis zur Erdrosselung einengte, durch die Macht schöpferischen Geistes zu weiten. Niemals sind in gleich kurzer Zeit neue Erfindungen und neue Verfahren in ähnlicher Fülle ausgedacht, ausprobiert und ins Werk gesetzt worden, ist die Nutzwirkung von Arbeit und Stoff in ähnlichem Ausmaß gesteigert und vervollkommnet worden. Und wenn schließlich trotzdem das erdrückende Übergewicht der Zahl und der Masse in diesem Völkerringen den letzten Ausschlag gegeben hat, so bleiben jene Leistungen doch für alle Zeiten ein unzerstörbarer Ruhmestitel deutschen Geistes und eine Gewähr für eine bessere Zukunft.
Es ist nicht möglich, hier eine ins einzelne gehende Darstellung, ja auch nur eine einigermaßen vollständige Übersicht des auf dem weiten Gebiete der Steigerung unserer nationalen Produktionskraft Geleisteten zu geben. Nur einige der wichtigsten Fortschritte und Errungenschaften seien angedeutet.
Von der Schaffung gewaltiger Anlagen zur Gewinnung von Stickstoff aus der Luft, die uns überhaupt erst die Möglichkeit gaben, den ungeheuren und ständig wachsenden Bedarf unseres Heeres an Munition zu decken und daneben unsere Landwirtschaft mit dem unentbehrlichen Stickstoffdünger zu versehen, habe ich in anderem Zusammenhang bereits gesprochen. Ebenso von den Anlagen zur Gewinnung von Aluminium aus gewöhnlicher deutscher Tonerde. Ich hätte hier noch zu erwähnen, daß das Kalziumkarbid, das als Zwischenprodukt für den Kalkstickstoff gewonnen wird, auch Verwendung als Ersatz für fehlende oder knappe Stoffe anderer Art gefunden hat; so als Beleuchtungsmittel an Stelle von Petroleum und Spiritus, ferner als Ersatz für wichtige ausländische Metalle in der Stahlfabrikation, ja sogar als Hilfsstoff für die Herstellung von künstlichem Gummi und als Rohstoff für die Herstellung von Spiritus. Aluminium hat als Ersatz für das immer knapper werdende Kupfer, vor allem auch bei der Munitionsherstellung und in der elektrischen Industrie große Dienste geleistet. Die nahezu völlige Unterbindung der Zufuhr von Rohgummi wurde uns erträglich gemacht durch die während des Krieges erfundenen Verfahren zur Herstellung von künstlichem Gummi und die Vervollkommnung der Regeneration von Altgummi. Wenn auch das künstliche Produkt nur für Hartgummi ein vollständiger Ersatz ist, so ist doch der Bedarf an Naturgummi durch diese Verfahren auf einen so bescheidenen Umfang beschränkt worden, daß wir während des Krieges unser Auskommen gefunden haben und weiter gefunden hätten.
Ersatzstoffe und Erfindungen
Die Textilindustrie, und mit ihr die Bekleidung der deutschen Bevölkerung, ist vor einem Zusammenbruch bewahrt worden durch die zahlreichen Verfahren, die aus der Holzfaser neue Spinnstoffe geschaffen haben (Textilose, Papiergarne, Typhafaser, Zellulosegarn). Diese Verfahren haben ferner die Möglichkeit geschaffen, Landwirtschaft und Industrie mit Packmaterial und das Heer mit den im Stellungskrieg in so großen Mengen benötigten Sandsäcken zu versorgen. Das neu erfundene Verfahren des Nitrierens von Zellulose hat uns von der Baumwolle als Rohstoff für das rauchlose Pulver unabhängig gemacht.
Auf dem Gebiete der Landwirtschaft richteten sich die Anstrengungen, abgesehen von der bereits erwähnten Herstellung von Stickstoffdünger, auf die Beschaffung von Futtermitteln, da in diesen unsere Versorgung durch die Unterbindung der ausländischen Zufuhren am schwersten gefährdet war. Zunächst suchte man durch die möglichste Ausdehnung der Kartoffeltrocknung Futterstoffe zu erhalten, die bisher in großem Umfang durch Fäulnis zugrunde gegangen waren. Das Trocknungsverfahren wurde im Laufe des Krieges auch auf zahlreiche andere bisher als wertlose Abfälle behandelte Erzeugnisse, so auf Rübenkraut, Kartoffelkraut und ähnliches mehr mit großem Erfolg ausgedehnt. Zu dem Trocknungsverfahren kam bald hinzu die künstliche Herstellung von Kraftfuttermitteln, vor allem die Herstellung von Mineralhefe (als Futterhefe und als Nährhefe) und die Herstellung von Strohkraftfutter im Wege der Strohaufschließung, schließlich die Herstellung von Kraftfutter aus Tierkadavern, Knochen und bisher unverwerteten Abfällen aller Art. In ähnlicher Weise ist unsere auf das äußerste bedrohte Versorgung mit Ölen durch die sparsamste Ausnutzung aller ölhaltigen Samen und Kerne sowie durch neue Verfahren der Ölgewinnung aus animalischen Stoffen und mineralischen Substanzen (Schiefer) nicht unerheblich aufgebessert worden.
Auf den meisten dieser Gebiete hatte das Reich, und vor allem das mir anvertraute Amt, anregend und zusammenfassend, fördernd und organisierend mitzuarbeiten. Kaum ein anderer Teil der Geschäfte, die ich als Reichsschatzsekretär und Staatssekretär des Innern zu leiten hatte, hat mir die gleiche innere Befriedigung gewährt, wie die mir leider nur in engen Grenzen mögliche Mitarbeit an diesen schöpferischen Leistungen, als deren äußersten Kontrast ich, je länger desto mehr, die endlosen und größtenteils fruchtlosen Parlamentsdebatten empfand.
Ich mag im Reichstag manchmal kurz angebunden und schroff gewesen sein; aber das war dann meistens der Ausfluß einer mühsam unterdrückten inneren Auflehnung gegen die Vergeudung von Zeit und Kraft in unfruchtbaren Debatten, während die dringendsten und wichtigsten Arbeiten warten mußten und zu Schaden kamen.
Umstellung der Unternehmungen und Umgruppierung der Arbeitskräfte
Neben der Steigerung der technischen Leistungsfähigkeit der Gütererzeugung ging einher eine Umstellung des ganzen Produktionsapparates auf die durch den Krieg total veränderten Bedürfnisse. Die Herstellung von Kriegsgerät aller Art in gewaltigen Mengen, daneben die Sicherung der Ernte traten mit Kriegsbeginn in den Vordergrund; auf der andern Seite waren große Zweige der Industrie und des Handels alsbald zu empfindlichen Einschränkungen gezwungen: alles, was für den überseeischen Export arbeitete, und alles, was auf überseeische Rohstoffe angewiesen war. In ganz großem Stil mußten Unternehmer, Angestellte und Arbeiter sich neuen Aufgaben und neuen Beschäftigungen zuwenden.
Das Unternehmertum vollzog die Umstellung aus eigener Initiative und im wesentlichen aus eigener Kraft mit einer erstaunlichen Anpassungsfähigkeit und Energie. Fabriken und Werkstätten, die stets nur der Herstellung von Waren des Friedensbedarfs gedient hatten, wandten sich, angereizt durch gute Gewinnaussichten, der Fabrikation von Heeresgerät und Heeresausrüstung zu. Nicht nur Betriebe der Metallindustrie, auch Spinnereien und ähnliche Unternehmungen wurden in Geschoßdrehereien und Zünderfabriken umgewandelt. Neue industrielle Anlagen zur Fabrikation von Kriegsbedarf schössen wie Pilze aus der Erde.
Umschichtung der Arbeitskräfte
Weit schwieriger war die Umgruppierung der Arbeiterschaft.
Die nächste Wirkung des Krieges, der unserer Volkswirtschaft Millionen der leistungsfähigsten Arbeiter entzog, war – eine erschreckende Arbeitslosigkeit! In einer Lage, in der alles darauf ankam, jede Arbeitskraft, die der Heeresdienst nicht in Anspruch nahm, für die Gütererzeugung nutzbar zu machen, sahen sich Hunderttausende zum Verlassen ihrer Arbeitsstellen gezwungen, ohne alsbald neue Arbeit finden zu können. Die zum großen Teil unvermeidlichen, zum Teil aber auch ohne Not überstürzten Betriebseinschränkungen und Betriebseinstellungen setzten Arbeitskräfte frei, die nicht ohne weiteres den Weg zu neuer Beschäftigung fanden, schon deshalb nicht, weil die technische Umstellung der Industrie eine gewisse Zeit erforderte. In welch erschreckendem Maße der Krieg den Arbeitsmarkt erschütterte, davon geben folgende Zahlen ein Bild.
Bei den Arbeitsnachweisen kamen auf hundert offene Stellen bei den männlichen Arbeitern im Juli 1914 158 Arbeitsuchende, im August 1914 dagegen nicht weniger als 248; bei den weiblichen Arbeitern kamen im Juli 1914 auf 100 offene Stellen 99 Arbeitsuchende, im August 1914 dagegen nicht weniger als 202.
Das Reich griff alsbald nach Kriegsausbruch ein, um sowohl im Interesse der Arbeiterschaft wie im Interesse der höchstmöglichen Leistung unserer Produktion die Umgruppierung der schaffenden Hände zu beschleunigen. Der Weg war eine den Kriegsbedürfnissen angepaßte Organisation des Arbeitsnachweises.
Das deutsche Arbeitsnachweiswesen vor dem Kriege litt vor allem an einer starken Zersplitterung. Neben den nicht bedeutenden gewerbsmäßig betriebenen Stellenvermittlungen arbeiteten ohne ausreichenden Zusammenhang nebeneinander: die von öffentlichen Körperschaften eingerichteten Arbeitsnachweise, die Arbeitgebernachweise, die Arbeitnehmernachweise und paritätische Arbeitsnachweise. Das Reichsamt des Innern gab diesen Organen gleich nach Kriegsausbruch in der »Reichszentrale für Arbeitsnachweise« eine einheitliche Spitze. Die einzelnen Arbeitsnachweise übernahmen die Pflicht, sowohl die offenen Stellen wie auch die überschüssigen Arbeitsangebote an die Zentralstelle zu melden, um so einen Ausgleich zu ermöglichen. Schon am 9. August 1914 konnte die Reichszentrale ihre Arbeit aufnehmen. Sie hat sich nicht auf die Herstellung der Verbindung zwischen den einzelnen Arbeitsnachweisen beschränkt, sondern in wichtigen Fällen unmittelbar eingegriffen; so vor allem gleich nach Kriegsausbruch bei der Beschaffung von Arbeitskräften für die Bergung der Ernte, für die in großem Umfang eingeleiteten Festungsarbeiten, für die reichseigenen Betriebe der Militär- und Marinebehörden und der von diesen beschäftigten Unternehmungen; ferner bei der Zuweisung von Kriegsgefangenen an die unter Mangel an Arbeitskräften leidenden Betriebe in Industrie und Landwirtschaft.
Ergänzt wurde die Tätigkeit der Reichszentrale und der Einzelnachweise durch die Schaffung von Arbeitsgelegenheit für die nicht ohne weiteres unterzubringenden Arbeitslosen, durch Einschränkungen der Arbeitszeit, das Verbot von Überstunden und von Nachtarbeit in gewissen Betrieben, durch eine den Arbeiterverhältnissen angepaßte Verteilung der Heeresaufträge, durch eine planmäßige Fürsorge für die Erwerbslosen.
Arbeitsmarkt. Frauenarbeit
Nachdem die erste große Umschichtung der Arbeitskräfte vollzogen war, änderte sich die Lage und damit die zu bewältigende Aufgabe. Die Einziehung der Millionen zum Heeresdienst und der steigende Bedarf an Heeresausrüstung ließ die Nachfrage nach männlichen Arbeitskräften rasch in die Höhe schnellen. Während im August 1914 auf 100 offene Stellen 248 Arbeitsuchende gekommen waren, brachte schon der April 1915 mit 100 Angeboten auf 100 offene Stellen den Ausgleich. In den folgenden Monaten überwog die Nachfrage nach männlichen Arbeitskräften das Angebot immer stärker: auf 100 offene Stellen kamen im Oktober 1915 nur noch 85, im Oktober 1916 nur noch 64 Angebote.
Dagegen ging bei den weiblichen Arbeitskräften das Überangebot nur ganz allmählich zurück. Hier wirkte dem Überangebot keine Einziehung zum Heeresdienst entgegen; außerdem wurden durch Betriebseinschränkungen gerade solche Industriezweige am stärksten betroffen, in denen die weiblichen Arbeitskräfte überwiegen (Textilindustrie). Im Juli 1915, also ein Jahr nach Kriegsausbruch, standen 100 offenen Stellen immer noch 165 Arbeitsuchende gegenüber; dann kam infolge der gerade damals notwendig werdenden Einschränkung in der Textilindustrie eine weitere Steigerung des Arbeitsangebots bis auf 182 im Oktober 1915. Die Zahl für den April 1916 war 162, für den Oktober 1916 immer noch 135 Angebote auf 100 offene Stellen.
Zunehmender Mangel an männlichen Arbeitskräften, fortdauernder Überschuß an weiblichen Arbeitskräften – das drängte auf einen Ausgleich. Planmäßig wurde überall, wo es angängig war, die Männerarbeit durch Frauenarbeit ersetzt. In welchem Maße das gelungen ist, zeigt sich darin, daß nach den Arbeitsausweisen der Betriebskrankenkassen vom 1. Juli 1914 zum 1. Juli 1916 der Anteil der weiblichen Arbeitskräfte an der Gesamtzahl der Arbeiter gestiegen ist:
in der Hüttenindustrie, Metallbearbeitung und Maschinenindustrie | von 9 auf 19% |
in der chemischen Industrie | von 7 auf 23% |
in der elektrischen Industrie | von 24 auf 55% |
Allein vom 1. Juli 1915 bis zum 1. Juli 1916 weist die Krankenkassenstatistik eine Vermehrung der weiblichen Arbeitskräfte um 750 000 Arbeiterinnen auf.
Wie die Frauen, so mußten auch die Jugendlichen in verstärktem Maße zur Arbeit herangezogen werden.
Um die Arbeitskraft der Frauen und der Jugendlichen für den Kriegszweck voll nutzbar machen zu können, hatte ein Gesetz vom 4. August 1914 dem Reichskanzler die Befugnis erteilt, Ausnahmen von den gesetzlichen Bestimmungen über den Schutz der weiblichen Arbeiter und der Jugendlichen zu gestatten. Die harte Notwendigkeit des Krieges machte in vielen Fällen eine Lockerung dieser Schutzbestimmungen erforderlich. Es wurde eben nicht nur auf den Schlachtfeldern gekämpft, sondern auch in den Arbeitsstellen der Heimat. Hier wie dort waren wir gezwungen, von dem wertvollen Kapital unserer Volkskraft zu zehren, um das Volksganze gegenüber dem Vernichtungswillen unserer Feinde zu erhalten.
Ihre höchste Steigerung hat die »Mobilmachung der Arbeit« in dem Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst gefunden, auf das ich weiter unten in einem besonderen Abschnitt des Näheren eingehen werde.
Verbrauchsregelung und Volksernährung
Die erfolgreichen Bemühungen, unsere heimische Gütererzeugung durch technische und organisatorische Vervollkommnung und durch die Nutzbarmachung aller Arbeitskräfte zu steigern, konnten wesentliche Erleichterungen unserer bedrängten Lage schaffen und das Äußerste abwehren, aber sie konnten uns nicht der Notwendigkeit entheben, die Verwendung der den normalen Bedarf nicht deckenden Nahrungsmittel und Rohstoffe zu regulieren.
Höchstpreise
Es war unmöglich, die Regulierung dem freien Spiel der Kräfte zu überlassen. Dann hätte sich die Regulierung des Verbrauches der nur in unzureichenden Mengen verfügbaren Waren im Wege der Preisgestaltung vollzogen, in der Weise, daß eine scharfe Preissteigerung schrittweise die weniger zahlungsfähige Nachfrage ausgeschaltet hätte. Reichliche Versorgung der Wohlhabenden, Hunger und Elend der breiten Volksschichten wären die unvermeidlichen Folgen gewesen. Es kam alles darauf an, eine solche Entwicklung in sozialem Geist und mit Mitteln der sozialen Organisation zu verhindern. Die schwere materielle Bedrängnis, die der Krieg über unser Volk brachte, konnte nur dann ertragen und überwunden werden, wenn alle Volksgenossen mittragen halfen und jeder seinen Anteil an der notwendigen Einschränkung übernahm.
Die Festsetzung von Höchstpreisen allein konnte die Aufgabe nicht lösen. Eine gesetzliche Preisfestsetzung schaltet den Preis als Regulator von Angebot und Nachfrage aus, ohne einen andern Regulator an seine Stelle zu setzen. Ein niedriger Höchstpreis veranlaßt Erzeuger und Händler zur Zurückhaltung, ohne den Konsumenten zu der gebotenen Einschränkung seines Verbrauches zu nötigen.
Das System der Höchstpreise, durch das die Bevölkerung von einer allzu starken Verteuerung der Lebenshaltung bewahrt werden sollte, bedurfte mithin sofort, wenn es das Zusammenbrechen der Versorgung nicht geradezu beschleunigen sollte, der Ergänzung durch weitergehende Maßnahmen. Als solche kamen in Betracht die Regulierung des Verbrauchs durch Einschränkungen der Verwendung und durch Rationierung, ferner die Erfassung der Bestände und der Neuproduktion durch Beschlagnahme und Enteignung. Die vollständige Übernahme der Bewirtschaftung ist die äußerste Konsequenz.
Je elementarer das Lebensbedürfnis war, dem eine Ware zu genügen hatte, je offenkundiger die Knappheit der verfügbaren Bestände, desto dringender war das staatliche Eingreifen.
Auf dem Gebiet der Volksernährung hat demgemäß die Reglementierung mit dem Brotgetreide begonnen und hier zur Entwicklung eines Systems geführt, das für die Gesamtheit der Kriegswirtschaft von großem Einfluß geworden ist.
Neben den Höchstpreisen wurden hier schon im Oktober 1914 bestimmte Verwendungsbeschränkungen eingeführt. Das Verfüttern von Brotgetreide wurde verboten. Für das Ausmahlen von Brotgetreide wurden Mindestsätze vorgeschrieben. Für Weizenbrot wurde ein bestimmter Zusatz von Roggenmehl, für Roggenbrot ein solcher von Kartoffeln oder Kartoffelmehl vorgeschrieben. In der Folgezeit wurden diese Bestimmungen verschärft und ergänzt.
Bereits im Januar 1915 ging man den entscheidenden Schritt weiter. Es wurde jetzt einmal der Brot- und Mehlverbrauch pro Kopf und Tag auf eine bestimmte Höchstmenge festgesetzt und zur Durchführung dieser Rationierung die Brot- und Mehlkarte eingeführt. Gleichzeitig wurde die Bewirtschaftung des in Deutschland vorhandenen Brotgetreides der im November 1914 aus privater Initiative gegründeten und jetzt weiter ausgebauten »Kriegsgetreide-Gesellschaft« übertragen. Das Brotgetreide wurde für die genannte Gesellschaft beschlagnahmt, und die Gesellschaft wurde beauftragt, das beschlagnahmte Getreide aufzunehmen, zu lagern, vermählen zu lassen und das Mehl mit Hilfe einer gleichzeitig geschaffenen Reichsverteilungsstelle zu verteilen. Die Verteilung der Mehlmengen über die Bäcker bis zu den Konsumenten wurde den Kommunalverbänden übertragen.
Ihre endgültige Form erhielt die Organisation durch eine Verordnung vom 28. Juni 1915. Die Kriegsgetreide-Gesellschaft wurde ersetzt durch die »Reichsgetreidestelle«, bestehend aus einer Verwaltungsabteilung und einer Geschäftsabteilung; die erstere wurde mit weitgehenden behördlichen Befugnissen ausgestattet, der letzteren wurde die kaufmännische Durchführung übertragen. Die neue Verordnung brachte insofern eine Abweichung gegenüber der bisherigen Regelung, als das Brotgetreide der Ernte 1915 nicht für die Reichsgetreidestelle, sondern für die
Wirtschaftskrieg und Kriegswirtschaft
Kommunal verbände beschlagnahmt wurde, da diese als die geeigneten Organe für die Durchführung der Beschlagnahme und die örtliche Kontrolle erschienen. Den Kommunalverbänden wurde die Verpflichtung zur Lieferung des Getreides an die Reichsgetreidestelle oder an die von dieser zu bezeichnenden Stellen auferlegt.
Hier haben wir also klar herausgearbeitet die Kombination von Höchstpreisen mit strengster Verwendungsbeschränkung und Verbrauchsrationierung einerseits, Erfassung und Bewirtschaftung der Produktion und der Bestände andererseits.
Beim Brotgetreide hat sich diese Organisation alles in allem vorzüglich bewährt. Sie hat nicht nur eine ausreichende und regelmäßige Belieferung der deutschen Wehr-, macht und der gesamten deutschen Zivilbevölkerung mit dem täglichen Brot sichergestellt, sondern sie hat diese Belieferung zu Preisen durchgeführt, die bald hinter denjenigen in allen andern Ländern, nicht nur der Kriegführenden sondern auch der Neutralen, nicht nur diesseits sondern auch jenseits des Ozeans zurückblieben. Das ist erreicht worden, obwohl Deutschland in Friedenszeiten auf Grund der Agrarzölle das Zentrum der höchsten Getreidepreise der Welt gewesen war, und obwohl nicht nur die ausländischen Zufuhren von Brotgetreide in Wegfall kamen, sondern auch die inländische Produktion infolge einer weniger intensiven Bodenbearbeitung und geringeren Düngung wesentlich hinter den Friedensernten zurückblieb.
Bewirtschaftung des Brotgetreides
Allerdings lagen beim Brotgetreide die Vorbedingungen für eine staatliche Bewirtschaftung besonders günstig. Bedarf und Bestände sind hier verhältnismäßig leicht festzustellen. Die Kontrolle ist verhältnismäßig einfach. Die Haltbarkeit und Transportfähigkeit von Roggen und Weizen ist verhältnismäßig gut. Qualitätsunterschiede spielen keine entscheidende Rolle. Alles Eigenschaften, die ein einheitliches Disponieren nach einem wohl-^ durchdachten Plan erheblich erleichtern, und Eigenschaften, die bei den meisten andern Nahrungsmitteln fehlen oder mindestens nicht in dem gleichen Maße vorhanden sind.
Man hatte deshalb in der ersten Zeit des Krieges auch wenig Neigung, das beim Brotgetreide erprobte System der Bewirtschaftung auf die andern Kategorien von Nahrungsmitteln zu übertragen. Schon bei den Kartoffeln lagen die Verhältnisse für eine einheitliche Bewirtschaftung sehr viel weniger günstig. Die Bestände sind infolge der Einmietung der Ernte weniger leicht zu übersehen. Die Haltbarkeit ist geringer und stets unsicher. Die verschiedenen Sorten bilden eine weitere Erschwerung. Noch größer sind die Schwierigkeiten der zentralen Bewirtschaftung bei leicht verderblichen Nahrungsmitteln wie bei Gemüse und Obst. Ebenso bei Fleisch, Milch, Butter, Eiern, Fischen.
Man hat deshalb bei allen diesen Dingen, als sie anfingen knapp zu werden, eine gleichmäßige Verteilung zu erträglichen Preisen auf andern Wegen zu erreichen versucht: durch Reglementierung oder Syndizierung des Handels, durch Abschluß von Lieferungsverträgen zwischen Kommunen und Händlern oder Produzenten, durch teilweise Beschlagnahmen oder durch Umlage von Lieferungsverpflichtungen auf Provinzen und Kommunen, durch Festsetzung von variabeln Richtpreisen, durch Preisprüfungsstellen und Kriegswucheramt. Aber der mangelhafte Erfolg aller dieser Maßnahmen drängte – trotz aller entgegenstehenden Schwierigkeiten – immer mehr zu der radikalen Lösung, wie sie beim Brotgetreide mit so viel Erfolg verwirklicht worden war. Auf fast allen Gebieten des Ernährungswesens kam man von Teileingriffen zur zentralen Bewirtschaftung, die nach dem Vorbild der Brotgetreide-Organisation in die Hand von Reichsstellen mit Verwaltungsabteilungen für die behördliche Tätigkeit und Geschäftsabteilungen für die kaufmännische Tätigkeit gelegt wurde. So bekamen wir die Reichskartoffelstelle und Reichshülsenfruchtstelle, die Reichsstelle für Gemüse und Obst und die Reichszuckerstelle, die Reichsfleischstelle und die Reichsstelle für Speisefette, die Reichsverteilungsstelle für Eier und den Reichskommissar für Fischversorgung. Viele von diesen Reichsstellen umgaben sich für die kaufmännische Durchführung ihrer Aufgaben mit einem Kranz von Kriegsgesellschaften für alle möglichen Spezialgebiete, für Sauerkraut, wie für Teichfische und Aale.
Ausdehnung der Zwangswirtschaft
Ich habe der Ausdehnung der Zwangswirtschaft auf Gebiete, die sich ihrer Natur nach für eine staatliche Bewirtschaftung nicht eignen, mehrfach Widerstand entgegenzusetzen versucht. Ich bin auch heute noch der Meinung, daß auf manchen Gebieten die Zwangswirtschaft weit mehr geschadet als genutzt hat, daß sie die Produzenten verwirrte und verärgerte und so die Produktion lähmte, daß sie große Mengen leicht verderblicher Nahrungsmittel, die im Weg des privaten Handels leicht und sicher dem Verbrauch zugeführt worden wären, verkommen ließ, sodaß in der Endwirkung Erzeuger und Verbraucher zu kurz kamen. Den allergrößten Nachteil aber sehe ich darin, daß die Überspannung des Systems der zentralen Bewirtschaftung den wucherischen Schleichhandel geradezu großzüchtete. Wenn auf der einen Seite die Kontrollmöglichkeit gering, auf der andern infolge der Übertreibung des Systems die Versuchung zu seiner Durchbrechung übermächtig ist, dann gibt es kein Halten. Auch nicht durch Strafen. Im Gegenteil, indem die Strafen das Risiko des Schleichhandels erhöhen, steigern sie die Schleichhandelspreise. Nach meiner Überzeugung wäre hier weniger mehr gewesen. Aber jeder Widerstand war vergeblich. Ein gewisser Ressortfanatismus in den Abteilungen des Kriegsernährungsamts und den diesem angegliederten Reichsstellen, der, vielleicht unbewußt, auf eine Erweiterung der eigenen Machtbefugnisse hinausging, wäre an sich noch zu bändigen gewesen, wenn er nicht noch geschoben und gedrängt worden wäre durch den parlamentarischen Beirat des Kriegsernährungsamtes, in dem die Anhänger der alles erfassenden staatlichen Bewirtschaftung stark überwogen.