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Vor dem Krieg war die herrschende Meinung bei unsern Militärs und Diplomaten, unsern Praktikern und Gelehrten der Volkswirtschaft, daß ein moderner Krieg nur von kurzer Dauer sein könne. Der Generalfeldmarschall Graf von Schlieffen hat im Jahre 1909 sich dahin ausgesprochen, ein sich hinschleppender Krieg sei »zu einer Zeit unmöglich, wo die Existenz der Nation auf einem ununterbrochenen Fortgang des Handels und der Industrie begründet ist und durch eine rasche Entscheidung das zum Stillstand gebrachte Räderwerk wieder in Lauf gebracht werden muß. Eine Ermattungsstrategie läßt sich nicht treiben, wenn der Unterhalt von Millionen den Aufwand von Milliarden erfordert.« Schon die ersten Monate des Weltkriegs haben diese Theorie widerlegt. Als nach dem ersten gewaltigen Zusammenprall der Armeen in West und Ost die erwartete Entscheidung ausblieb, da brachen die Wirtschaft und die Finanzen der kriegführenden Länder unter der Wucht des Krieges nicht zusammen, sondern stellten sich mit erstaunlicher Anpassungsfähigkeit auf die außerordentlichen Verhältnisse des Krieges ein. Sowenig wie die moderne Waffentechnik eine rasche Entscheidung herbeizuführen vermochte, ebensowenig war für uns oder unsere Gegner eine wirtschaftliche oder finanzielle Zwangslage entstanden, die stark genug gewesen wäre, um dem Krieg ein rasches Ende zu diktieren. Ermattungsstrategie und Erschöpfungskrieg waren greifbare Möglichkeiten geworden, die alle kriegführenden Staaten in ihre Rechnung einzustellen hatten.
Kriegsdauer
Nur widerstrebend und langsam gewöhnte man sich bei uns an diesen Gedanken. Als aber auch die großen militärischen Aktionen des Frühlings 1915 keine Entscheidung brachten, als mit Italien eine neue Großmacht gegen die Mittelmächte ins Feld trat, da hatte man sich endgültig mit der Wahrscheinlichkeit einer langen Kriegsdauer abzufinden.
Die Aussicht auf einen sich lange hinschleppenden Ermattungskrieg war für uns nichts weniger als günstig. Je länger der Krieg dauerte, desto geringer mußte unser Vorteil der besseren und bereiteren Kriegsorganisation werden, desto stärker und wirksamer konnten unsere Feinde ihr über die Erde zerstreutes und mangelhaft organisiertes Übergewicht an Menschen' und Machtmitteln gegen uns ins Spiel werfen, desto schwerer mußte schließlich für uns der Nachteil der wirtschaftlichen Einschnürung ins Gewicht fallen. Wenn also die militärischen Entscheidungen in ungewisse Ferne rückten, wenn wir auf dem Felde des Wirtschaftskriegs durch unsere geographische Lage und die Seeherrschaft des Feindes in die Verteidigung gebannt waren, wenn wir schließlich das einzige Mittel, mit dem wir denkbarerweise der feindlichen Übermacht den Lebensatem abschnüren konnten, aus Zweifeln an seiner durchschlagenden Wirksamkeit und aus Befürchtungen wegen seiner Rückwirkungen auf die Neutralen nicht in Anwendung zu bringen vermochten, so ergab sich daraus die stärkste Nötigung für die Leiter unserer Politik, nach Friedensmöglichkeiten zu suchen.
Bethmann Hollwegs Kriegsziele
Der Reichskanzler von Bethmann Hollweg und, ich glaube sagen zu können, auch der Kaiser haben frühzeitig diese Lage erfaßt. Seit ich durch meine amtliche Stellung mit Herrn von Bethmann in nähere Fühlung gekommen war, konnte ich beobachten, wie die eine Frage: Wo ist ein Weg zum Frieden? ihn unausgesetzt und auf das Innerlichste beschäftigte. Seine große Sorge war, es könnte dahin kommen, daß wir erst im Zustand der Erschöpfung unserer Kraft und unserer Hilfsmittel zu Friedensverhandlungen gelangten und dann gezwungen sein würden, die Bedingungen unserer Gegner anzunehmen. Von dieser Sorge hat mir der Kanzler zum ersten Male bereits im April 1915 eingehend gesprochen, und er ist im weiteren Verlaufe des Krieges bei jeder vertrauensvollen Aussprache darauf zurückgekommen. Weder unsere militärischen Erfolge, die er hinsichtlich ihrer kriegsentscheidenden Wirkung immer skeptisch beurteilte, noch die überraschenden Beweise unserer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit vermochten den Druck von ihm zu nehmen. Er war deshalb der Ansicht, daß wir es nicht verantworten könnten, eine Friedensmöglichkeit an übertriebenen Kriegszielen scheitern zu lassen. Das Kriegsziel war für ihn die Erhaltung unseres territorialen und wirtschaftlichen Besitzstandes. Wenn es die Gesamtlage beim Eintritt in Friedensverhandlungen gestattete, darüber hinaus Sicherungen für die Zukunft und eine Stärkung unserer wirtschaftlichen Position zu erreichen, so würde Herr von Bethmann diesen Vorteil wahrgenommen haben. Ich bin aber überzeugt, daß er an keiner einzigen Forderung, die über die Erhaltung unseres vorkriegerischen Besitzstandes hinausging, den Frieden hätte scheitern lassen.
Von dieser Grundauffassung ausgehend hat Herr von Bethmann unablässig ausgespäht, wo sich ein Anknüpfungspunkt biete und wo bei unsern Feinden eine Geneigtheit, vom Frieden zu sprechen, sich zeige. Die Reden und sonstigen Kundgebungen der feindlichen Staatsmänner sah er in allererster Linie daraufhin an, was aus den Worten und zwischen den Worten an Bereitschaft zu einer Verständigung herauszulesen sei. Seine eigenen Kundgebungen waren darauf eingestellt, den Gegnern unsere Bereitschaft zu Verhandlungen zu erkennen zu geben. Den Eroberungs- und Vernichtungszielen der Gegner pflegte er unser Verteidigungs- und Sicherungsziel entgegenzusetzen. »Noch wird der Vernichtungskrieg gegen uns betrieben,« sagte er am 9. Dezember 1915 in Beantwortung einer sozialdemokratischen Friedensinterpellation unter Hinweis auf kurz vorher gehaltene Kriegsreden der Herren Asquith, Briand und Ssasonoff. »Damit müssen wir rechnen. Mit Theorien, mit Friedensäußerungen von unserer Seite kommen wir nicht vorwärts und nicht zu Ende. Kommen uns unsere Feinde mit Friedensangeboten, die der Würde und Sicherheit Deutschlands entsprechen, so sind wir allezeit bereit, sie zu diskutieren ... Für die deutsche Regierung ist dieser Kampf geblieben, was er von Anfang an war und was in allen unsern Kundgebungen unverändert festgehalten wurde: der Verteidigungskrieg des deutschen Volkes.«
Deutschlands Friedensbereitschaft
Jeder feindliche Staatsmann, der diese und ähnliche Kundgebungen des Reichskanzlers mit dem gleichen heißen Bemühen, einen Weg zum Frieden zu finden, gelesen hätte, wie die Reden der feindlichen Staatsmänner in Berlin unter die Lupe genommen wurden, hätte daraus folgern müssen – und dieser Schluß ist von den feindlichen Staatsmännern sicher auch gezogen worden –: Deutschland ist bereit zu einem Frieden, der seiner Würde und seiner Sicherheit Genüge tut. Das Hindernis für Friedensverhandlungen, ja für eine deutsche Initiative zu Friedensverhandlungen, lag ausschließlich in den Erklärungen der Staatsmänner der Entente, die als Kriegsziel aufstellten: die Vernichtung des sogenannten »preußischen Militarismus«, die Zertrümmerung der deutschen Wirtschaftsmacht, die Abtrennung Elsaß-Lothringens oder gar des ganzen linken Rheinufers und unserer Ostmarken, dazu ähnliche Eroberungs- und Annexionswünsche gegenüber unsern Verbündeten.
Wenn also keine Friedensbesprechung zustandekam, so lag das nicht – die weitere Entwicklung hat das klar erwiesen – an der Schwerhörigkeit der Entente-Staatsmänner, sondern lediglich daran, daß die Entente-Staatsmänner auf ihren mit der Sicherheit, dem Bestand und der Würde Deutschlands nicht zu vereinbarenden Kriegszielen beharrten. Die führenden Staatsmänner der Entente waren und blieben fest entschlossen, den Krieg bis zur Niederwerfung Deutschlands, bis zu dem »knock out blow« Lloyd Georges durchzuführen, und sie hatten – von vorübergehenden Schwankungen abgesehen – von Anfang bis zum Ende das feste Zutrauen, daß es ihnen gelingen werde, ihre Vernichtungs- und Eroberungsziele zu erreichen. Daran, nicht an mangelnder Friedensbereitschaft der deutschen Regierung oder des deutschen Volkes, nicht an mangelnder Deutlichkeit in der Umschreibung unserer Kriegsziele und nicht an dem Unterlassen von Anknüpfungsversuchen durch unsere Diplomatie, ist das Zustandekommen von Verhandlungen über einen »Verständigungsfrieden« gescheitert. Daran gescheitert sind auch alle die Sondierungen und Anknüpfungen, die außerhalb der offiziellen Regierungskundgebungen versucht worden sind, durch Staatsoberhäupter und Diplomaten, durch Kaufleute und Industrielle, durch die sozialistischen Parteien der kriegführenden und neutralen Länder.
Der innere Kampf um die Kriegsziele
Der Reichskanzler hatte in der Friedensfrage einen schweren Stand. Daß die Forderungen der Militärs bei Friedensschlüssen meist weiter gehen, als die politischen Staatsleiter durchsetzen und verantworten können, ist eine alte Erfahrung, die sich auch jetzt wieder erneuerte. Zu den »Grenzregulierungen«, die unsere Armeeführer für notwendig erklärten, kamen die Forderungen der Marine auf Sicherung der flandrischen Küste. Aber der Kampf um die Kriegsziele blieb nicht auf die Beratungszimmer der Verantwortlichen beschränkt, er ergriff und zerriß mehr und mehr das ganze Volk.
Die glänzenden Waffentaten unserer Armeen und ihrer Führer, die Eroberung und Besetzung weiter Teile feindlichen Landes in West und Ost bestärkten Volk und Heer in ihrem zuversichtlichen Glauben an einen siegreichen Ausgang des Krieges. Daß trotz aller der großen Erfolge auf den europäischen Kriegsschauplätzen der Krieg für uns nicht nur seinem Ursprung nach ein Verteidigungskrieg war, sondern auch in seiner ganzen militärischen, maritimen und wirtschaftlichen Entwicklung ein harter, in jedem Augenblick schwer umstrittener und in seinem Ausgang unsicherer Verteidigungskrieg geblieben war, darüber täuschten sich weite Volkskreise hinweg. Die Riesenleistungen von Heer und Volk verlangten, so dachten und sprachen viele, einen entsprechend großen Siegespreis und gestatteten gleichzeitig, einen solchen Siegespreis heimzubringen, wenn nur nicht nach dem alten Blücherwort die Feder verderbe, was das Schwert gewonnen habe. In der Haltung des Kanzlers, der sich weigerte, sich auf die großen Kriegsziele festzulegen, der wieder und wieder zu erkennen gab, daß er für einen Frieden, der sich auf den Zweck des Verteidigungskriegs beschränke, zu haben sei, sahen diese Kreise Kleinmütigkeit, Mangel an Siegeswillen und eine für den Ausgang des Kriegs gefährliche Herabstimmung der Zuversicht des deutschen Volkes. Die schweren Angriffe, denen Herr von Bethmann Hollweg in dieser Richtung ausgesetzt war, sind in aller Erinnerung. Von der andern Seite her wurde mit der Dauer des Kriegs ein immer stärkerer Druck auf den Kanzler ausgeübt, klar und deutlich vor aller Welt festzustellen, daß Deutschland sich mit einem Frieden ohne jede Gebietserwerbungen und Entschädigungen begnüge. Man warf ihm vor, daß er durch die Verweigerung einer solchen ganz ausdrücklichen und bindenden Erklärung zur Verlängerung des Krieges beitrage und die Stimmung des Volkes, das zur Verteidigung, nicht aber zu Eroberungen ins Feld gezogen sei, unterwühlen helfe.
Verzicht- oder Eroberungsprogramm?
Herr von Bethmann selbst hat noch im Mai 1917 seine Stellung zu diesem Ansturm aus zwei entgegengesetzten Richtungen folgendermaßen umschrieben (Reichstagssitzung vom 15. Mai 1917):
»Auch heute sehe ich bei England und bei Frankreich noch nichts von Friedensbereitschaft, noch nichts von Preisgabe ihrer ausschweifenden Eroberungs- und wirtschaftlichen Vernichtungsziele ... Glaubt denn bei dieser Verfassung unserer westlichen Feinde jemand, durch ein Programm des Verzichts und der Entsagung diese Feinde zum Frieden bringen zu können? Und darauf kommt es doch an! Soll ich diesen unseren westlichen Feinden geradezu eine Versicherung geben, die ihnen gestattet, ohne jede Gefahr eigenen Verlustes den Krieg ins Ungemessene zu verlängern? ... Oder soll ich das Deutsche Reich nach allen Richtungen hin einseitig auf eine Formel festlegen, die von der Gesamtheit der Friedensbedingungen doch nur einen Teil erfaßt, die einseitig die Erfolge preisgibt, die unsere Söhne und Brüder mit ihrem Blut errungen haben, und die alle übrigen Rechnungen in der Schwebe läßt? Eine solche Politik lehne ich ab ... Und soll ich etwa umgekehrt ein Eroberungsprogramm aufstellen? Auch das lehne ich ab. Nicht um Eroberungen zu machen, sind wir in diesen Krieg gezogen und stehen wir jetzt im Kampf fast gegen die ganze Welt, sondern ausschließlich, um unser Dasein zu sichern und die Zukunft der Nation fest zu gründen. Ebensowenig wie ein Verzichtprogramm hilft ein Eroberungsprogramm den Sieg gewinnen und den Krieg beenden. Im Gegenteil! Ich würde lediglich das Spiel der feindlichen Machthaber spielen, ich würde es ihnen erleichtern, ihre kriegsmüden Völker weiter zu betören und den Krieg ins Ungemessene zu verlängern.«
Der Reichskanzler konnte mit solchen Erklärungen weder nach rechts noch nach links befriedigen. Und doch bin ich auch heute noch der Meinung, daß seine Haltung die richtige, ja die einzig mögliche war. Entweder waren unsere Feinde bereit, auf ihre Eroberungs- und Vernichtungsziele zu verzichten, dann boten die wiederholten Erklärungen des Reichskanzlers über unsere grundsätzliche Bereitwilligkeit, uns mit der Erreichung unseres Verteidigungszieles zu begnügen, eine hinreichende Grundlage für die Einleitung von Friedensverhandlungen. Oder aber die Feinde waren – und so lagen die Dinge in Wirklichkeit – nicht bereit zu einem Verzicht auf ihre Eroberungs- und Vernichtungsziele, dann konnte auch eine Bekanntmachung aller Einzelheiten unseres Friedensprogramms nicht zu Friedensverhandlungen führen, sondern nur, wie jede einseitige Festlegung, dem Gegner für jede weitere Entwicklung den Vorteil der freien Entschließung bei begrenztem Risiko, uns den Nachteil der gebundenen Hand bei unbegrenztem Risiko geben.
Aber das waren schließlich Fragen der Taktik, über die man streiten kann und leider sehr viel, sehr heftig und sehr öffentlich gestritten hat.
In der Sache selbst glaube ich folgendes sagen zu können: Wenn in irgendeinem Zeitpunkt des Krieges sich die Möglichkeit ergeben hätte, zu einem Frieden zu kommen, der uns in den großen Linien unseren vorkriegerischen territorialen und wirtschaftlichen Besitzstand belassen hätte, so wäre der Friede dagewesen; er wäre an keiner von uns geforderten Entschädigung und Grenzregulierung, auch nicht an irgendwelchen deutschen Forderungen in bezug auf Belgien gescheitert, wenn unsere nach diesen Richtungen gehenden Wünsche sich nur um den Preis einer Fortsetzung des Kriegs hätten durchsetzen lassen. Dies ist meine Überzeugung, wenngleich zwischen den an der Entscheidung beteiligten Persönlichkeiten das letzte Wort noch nicht gesprochen war und ohne die genaue Kenntnis der Lage im Augenblick wirklicher Verhandlungen auch gar nicht gesprochen werden konnte. Wer jemals große und wichtige Verhandlungen zu führen gehabt hat, der weiß, daß die letzten Entschlüsse nicht vor, sondern während der Verhandlungen gefaßt werden, und zumeist in einem Zeitpunkt, der dem Ende der Verhandlungen wesentlich näher liegt als ihrem Anfang; daß
Friedensaussichten
die letzten Zugeständnisse niemals durch Überredung in Erörterungen über noch unpraktische Eventualitäten, sondern stets nur unter dem unmittelbaren Druck der Verantwortlichkeit für das Ja oder Nein Zustandekommen. Ich bin sicher, daß kein Kanzler, weder Bethmann noch Michaelis noch Hertling, unmittelbar vor die Wahl zwischen einem Status-quo-Frieden oder einer unabsehbaren Fortsetzung des Krieges gestellt, etwas anderes gewählt haben würden als den Frieden; und ich bin ebenso sicher, daß der Kaiser eine solche Entscheidung gebilligt und durchgehalten hätte, auch gegen die stärksten Widerstände anderer Ratgeber und gegen eine heftige Auflehnung starker politischer Strömungen. Denn so wenig der Kaiser den Krieg gewollt hat, auch wenn sein Auftreten mitunter einen kriegerischen Eindruck machte, so sehr litt der Kaiser unter dem Krieg und wünschte er für sich und für das deutsche Volk den Frieden. –
Das Scheitern aller unserer Bemühungen, im Wege einer Verständigung zum Frieden zu gelangen, mußte unvermeidlich einen starken Einfluß auf unsere Kriegführung ausüben, insbesondere auf die Entscheidungen in der heiß umstrittenen Frage des U-Bootkrieges. Je deutlicher die Abgeneigtheit unserer Feinde zu Friedensverhandlungen zutage trat, desto mehr Gewicht mußte bei uns die Forderung gewinnen, daß jedes verfügbare Kriegsmittel unter Hintanstellung aller anderen Rücksichten zur Niederkämpfung des Feindes eingesetzt werde.